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Ich jammere halt gerne
Ich rief Simon an.
„Hast Du nun mittlerweile herausbekommen, was „Zweier“ sind?" fragte ich ihn.
„Ich nehme mal an, es handelt sich immer noch um irgendeine Art von Dachpfannen oder Styroporplatten. Warum willst Du das wissen?“
„Weil man mich gefragt hat. Also?“
„Keine Ahnung. Woher soll ich das wissen? Ich weiß nur die Dinge, die du mich wissen lässt. Hättest wohl besser recherchieren sollen.“
„Hab´ ich. Das Ergebnis war, dass das, was ich „recherchiert“ habe, für unglaubwürdig gehalten wurde.“
„Wenn Du einen guten auktorialen Erzähler kreiert hättest, könntest Du ihn jetzt fragen.“
„Hättest, hättest! Hab´ ich aber nicht getan. Steck´ Deine tolle Idee in einen Briefumschlag und schick das ganze an letzte Woche. Da hätte ich vielleicht mit Deinem Vorschlag etwas anfangen können.“
„Was willst du eigentlich von mir? Ich bin nur dein Protagonist. Dein Problem geht mir echt am Arsch vorbei. Die Geschichte ist zu Ende geschrieben. Mein Job ist getan und ich habe bestimmt keinen Bock, deinen auch noch zu machen.. Wen interessiert noch, was „Zweier“ sind? Setz` Dich lieber an Deinen Computer und schreib irgendetwas Neues, aber lass mich mit Deinem Scheiß in Ruhe.“
Ich rief Simon nie wieder an.
Drei Wochen später erzählte mir Mott the Hoppel beim Essen, dass Simon ihn angerufen hätte. Er hätte aber abgelehnt, weil er für ihn momentan keine Idee hätte. Er habe ihm aber Rainer L.s e-mail-Adresse gegeben. Über den sei er bei einen drittklassigen Groschenromanschreiber in Berlin-Pankow gelandet. Sollte er doch. Was interessierte es mich, ob er woanders eine Anstellung gefunden hatte. Vielleicht würde man ihm dort einen Nachnamen geben, möglicherweise sogar eine Vergangenheit, aber letztendlich würde man auch dort seinen Charakter beliebig verformen, ihn aussaugen und wieder auf den Markt werfen, wenn die Geschichte abgeschlossen war. Protagonistenschicksal. Insgeheim wünschte ich mir, dass es eine möglichst schnulzige Arzt- Schmonzette sei. Simon hasste Kitsch. Vielleicht würde er dann zu mir zurück gekrochen kommen, aber den würde ich nicht mehr reinlassen. Mott erging sich gerade über Er und Sie van der Maas, ein mindestens so aufdringliches wie klischeebeladenes holländisches Ehepaar, dessen Wohnwagen üblicherweise neben dem Edamer im Käsefach des Kühlschranks parkte. Mott erzählte von einer Diskussion mit Sie van der Maas, die sich wohl darum drehte, ob die wabernde gelbe Masse, neben der die van der Maases ihren Kurzurlaub verbrachten, guter deutscher Pudding oder „eine nicht so doll geratene Vla“ sei. Der gute Mott war einfach zu großherzig. Er konnte einfach niemanden ablehnen. Außer von dem Ehepaar van der Maas wusste ich noch von einem phönizischem Kanalobservator, einer japanischen Rockband ,drei Jedikriegern und zwei nicht miteinander verwandten Frauen mit dem Namen Gesine Rosenbaum, die alle darauf warteten, in einer von Motts Geschichten einen Platz zu finden. Weiß der Himmel, wer sich sonst noch so alles in Nähe meines Freundes herumtrieb. Aus Mitleid hatte ich ihm mal eine Eberhardine Schmidt abgenommen. War keine gute Idee gewesen. Wie wurden eigentlich ein Grass oder eine Jelinek solche Charaktere wieder los?
Zwischen zwei Bissen Gyros überlegte Mott lautstark, ob man wohl die Jedikrieger irgendwie mit den van der Maases und Knut dem Eisbär zusammenbringen könnte. Ich schüttelte den Kopf. Fand ich nicht so eine prickelnde Idee, wenn man hauptsächlich über „Erotik“ und „Historie“ schrieb.
„Wann ist der Eisbär bei dir eingezogen?“
„Sonntag. Die Kleine hat eine Doku im Fernsehen geguckt und dann beim Kaffeetrinken kam es. `Papa, schreib mal was vom Knut`. Mach Du mal einer Fünfjährigen klar, dass man keine Lust darauf hat.“ Mott war wirklich zu großherzig. Dabei hatten wir beide uns bemüht, dem Bär aus dem Weg zu gehen. (An dieser Stelle muss ich mich wohl mal bei zahllosen Grundschülern bedanken, die mir es mir abgenommen haben, mich um einen nervtötenden Fellklumpen kümmern zu müssen.) Vor meinem inneren Auge sah ich Mott schon in nächtelangen Gesprächen mit dem Tier, die sich hauptsächlich darum drehten, warum es nötig sei, dass ein imaginärer Eisbär im Wohnzimmer reale Schäden hinterließ. Mein Schreiberfreund hatte es wirklich nicht immer leicht mit seinen Darstellern. Nicht so wie LoopLoop, deren Protagonisten bei der Gartenarbeit halfen, oder KreaTief_87, die vierundzwanzig Nebendarsteller immer wieder dazu brachte, eine Grillparty in immer neuen Variationen durchzuspielen und das ganze ohne irgendwelche Beschwerden oder Hauptcharaktere. Im Vergleich zu Mott hatte ich es mit meinem Neuzugang Melchior Caspari eigentlich gar nicht so schlimm getroffen. Er behauptete zwar ständig, dass er noch niemals für jemand anderes gearbeitet zu haben, aber ich vermute, dass er schon mal in einer schlechten Weihnachtsgeschichte aufgetaucht ist. Die von der Art , in denen am Ende alle um den Baum herumhocken und sich über die „Ankunft des lieben kleinen Jesulein“ freuen. Der Typ war mir von Anfang an irgendwie unsympathisch, aber ich wurde ihn nicht los. Während der Nachtisch kam, setzte sich Melchior an den Tisch neben uns und studierte die Speisekarte, aber ich ignorierte ihn mehr oder minder gekonnt. Der Bill-Cosby-Gedächtnispullover, den er trug, war neu. Verdammt, Melchior nahm mehr und mehr Gestalt an und das, was ich da sah, gefiel mir immer weniger. Nicht mehr lange und sein Gesicht würde individuelle Züge annehmen.
Wem erzähle ich das eigentlich alles? Ihr schreibst doch selbst. Wollt Ihr mir etwa erzählen, dass Ihr nicht noch nie mit solchen Problemen herumschlagen musstest? Ja, sicher! Eure Protagonisten tun nur das, was ihr wollt und entwickeln überhaupt kein Eigenleben.
Aber Ihr müsst mich jetzt entschuldigen. Ich habe mehr als genug herumgejammert und drei ältere Damen wollen mit Waffeln versorgt werden, während sie auf Renate warten. Es ist schließlich meine Schuld, dass sie den Bus verpasst hat. Außerdem fängt Melchior Caspari im Hintergrund an zu nerven. Mittlerweile hat er ein leicht geschwollenes rotes Gesicht und eine Halbglatze entwickelt und kommt mir ständig mit der Idee einer kölschen Religionssatire – „wegen dem Namen und so“. Ich weiß nicht zum wievielten Male ich ihm jetzt sage, dass ich das dämlich finde, genau wie seinen Vorschlag, dass ganze „Karneval in der Balthasarstrasse“ zu nennen.
Braucht nicht jemand ein Opfer für seine nächste Horrorgeschichte? Bitte!?!