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'Ich konnte noch nie gut trösten'
Schwarz macht mich immer so traurig.
Keine andere Farbe schafft es dieses Gefühl in mir zu wecken.
Schwarz.
Es ist ruhig, keiner sagt einen Ton.
Ich will nicht immer nach unten schauen, hebe meinen Blick an die Decke.
Sie ist mit kompliziert verschlungenen Mustern bemalt. Als Ganzes sieht das gar nicht so schlecht aus.
Ich konnte noch nie gut Trösten.
Ein Engel aus Holz sitzt auf einer Säule. Auch er hat den Blick in den Himmel gerichtet.
Wenn das Dach weg wäre, könnte man den blauen Himmel sehen. Aber die Sonne würde zu hell scheinen. Und es darf ja nicht so hell sein. Nicht hier.
Wir haben uns gestritten. Letzte Woche. Ich weiß gar nicht mehr, wer angefangen hat, doch jetzt redet sie nicht mehr mit mir und ich hab das auch nicht nötig. Eigentlich schade, sie ist meine beste Freundin. Aber wir haben uns gestritten.
Natürlich bin ich trotzdem gekommen. Nicht wegen ihr, einfach weil ich es auch wollte.
Jetzt sitzt sie zwei Reihen vor mir. Auch in schwarz. Alle tragen schwarz.
Aber ihr Blick ist nicht an der Decke. Ihr Kopf ist gesenkt. Alle sehen zu Boden.
Ihr Vater steht auf. Er war mir schon immer etwas unheimlich. Doch jetzt erscheint er so klein, ich habe ihn noch nie so gesehen.
Vorn ist eine große Leinwand aufgebaut. Makelloses weiß. Passt eigentlich gar nicht hier her.
Er stellt den Beamer an, fängt an zu sprechen. Aber ich höre nicht darauf.
Ich starre nur die Leinwand an. Alle schauen sie an.
Sein strahlendes Gesicht überdeckt das grelle Weiß.
Er war noch so klein.
Ich fange an zu frieren. Eigentlich darf mir nicht kalt sein, ich bin bestens verpackt. Aber es ist die Atmosphäre, die so kalt ist. Ihr Vater redet. Er redet und die Bilder erscheinen riesig auf der Leinwand.
Es sind schöne Bilder.
Er lacht. Aber war so klein.
Natürlich haben es alle gewusst. Jeder war darauf vorbereitet. Aber trotzdem, ich musste mich auch erst einmal setzen.
So klein.
Da ist noch ein zweiter Engel. Doch ich kann ihn nicht so gut erkennen. Ich blinzle zweimal. Jetzt sehe ich ihn. Sein Blick geht nicht in den Himmel. Komisch. Anders als alle anderen. Der Engel sieht direkt mich an.
Was er mir wohl sagen will?
Ich war noch nie gut im Trösten.
Ich schaue wieder auf die Leinwand.
Erinnere mich.
Seine kleine Hand schob sich in meine so übermäßig große, er wollte immer so gerne schaukeln.
So klein.
Er hat es nicht verstanden. Wollte das alles nicht. Er wollte einfach nur schaukeln.
Immer schaukeln.
Woher sollte er auch wissen, was Krebs ist?
Die Bilder sind sehr schön.
Dann ist es vorbei. Die anderen Leute verlassen die Kirche.
Ich weiß nicht, was ich tun soll.
Wir haben uns gestritten.
Sie weint.
Um meinen Bruder würde ich auch weinen.
Aber wir haben uns gestritten.
Ich bleibe sitzen.
Der Engel sieht mich an.
Der andere schaut in den Himmel.
Ich stehe auf. Kann nicht anders.
Gehe zu ihr, nehme sie in den Arm.
Ich war noch nie gut im Trösten.
Sie weint.
‚Danke’ sagt sie.
Und der Engel sieht mich an.