- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 22
Ich mache nur meinen Job
"Hey, was machen Sie in meinem Wohnzimmer?"
"Ich bin gekommen, dich zu holen."
"Das ist grad ganz schlecht, ich hab nämlich schon ein Bier getrunken."
"Das spielt keine Rolle. Wo wir hingehen, gibt es keinen Kater."
"Wo gehen wir denn hin?"
"An den letzten Ort."
"Ach so."
Ach so... Also, ich mache diesen Job nun schon ziemlich lange, aber Ach so hat noch nie einer gesagt, wenn ich vom letzten Ort zu sprechen begann. Die meisten sinken dann auf die Knie, fangen an, mich anzubetteln oder mir Geld zu bieten. Einer hat mir sogar mal ne Nacht mit seiner Frau geboten, wenn ich ohne ihn wieder gehe. Aber wenn es soweit ist, ist es soweit. Hat mich natürlich nicht daran gehindert, seinen Teil der Abmachung trotzdem anzunehmen.
"Aber ich kann so gar nicht vor die Tür gehen", sagte er und zeigte auf sein speckiges Unterhemd. Guter Punkt, musste ich schon zugeben.
"Äh... naja... also, wo wir hingehen, wird es keine Türen geben."
"Echt? Aber wie kommt man da hin? Durchs Fenster?"
"Das... also... du wirst es sehen, wenn wir erstmal da sind. Ja." Jetzt, da meine Autorität sowieso untergraben war, beschloss ich, auf weitere Theatralik zu verzichten. Mag ich eigentlich eh nicht so gerne.
"Kann das vielleicht bis nach dem Spiel warten? Ist grad spannend."
"Ich weiß." Ich zog seine Sanduhr aus meinem Umhang, stellte sie auf den Wohnzimmertisch und setzte mich dann neben ihn auf das Sofa. "Ich bin ein bisschen eher gekommen. Für Werder hab ich immer Zeit."
"Sag mal, kann ich dich was fragen?"
"Aber schnell, gleich ist die Pause vorbei."
"Wieso bestehst du nur aus Knochen?"
"Hab ne Wette verloren."
...
Bremen hat verloren. Zwei zu eins. Zum Glück war ich der einzige im Raum, für den das das negativste Ereignis an diesem Abend darstellen sollte.
"Bist du bereit für den Abpfiff?"
"War doch gerade. Drecksschiri, hätte ruhig mal nachspielen lassen kö... oh, verstehe. Metaphorisch, oder?"
"Ja. Hab ne halbe Stunde dran gefeilt." Ich warf einen Blick auf die Sanduhr. "Du hast noch drei Minuten."
"Wie wird es passieren?"
"Das kann ich nicht sagen."
"Du weißt es nicht?"
"Ich kann es nicht sagen. Wenn du es wüsstest, hättest du eine Chance, deinem Schicksal zu entgehen. Und das möchte ich nur sehr ungern riskieren."
"Du meinst, weil sonst das Universum untergeht und so?"
"Naja... sagen wir mal so, es würde meinen Job nicht gerade leichter machen. Warte mal kurz." Ich fasste unter meinen Umhang, spürte den vertrauten Holzgriff meiner Sense mit der sehr geschmackvollen Rosengravur am Knauf und zog das gute Stück mit einem lauten Pscht hervor.
"Was war das denn?"
"Was?"
"Das Geräusch. Klang wie Pscht."
"War ein Pscht. Wieso?"
"Naja... sollte eine Sense nicht eher Sssst machen oder so?"
"Sssst?"
"Ja, Sssst."
"Oh, das hat sie mal gemacht. Ich fürchte, sie ist über die Jahre etwas stumpf geworden."
"Dagegen kann man doch was unternehmen. Wart mal." Er stand auf und verließ den Raum. Als er wenig später wiederkam, hielt er einen Wetzstein in der Hand.
"Du willst meine Sense schärfen?"
"Warum nicht? Wäre immerhin noch was Produktives, während ich auf das En... ich meine, auf den Abpfiff warte. Äh... wo, wir gerade davon sprechen..."
"Ja?"
"Könnest du... ich meine, wenn ich dir helfe, könntest du dann eventuell auch was für mich tun?"
"Kommt jetzt der originelle Teil, in dem du auf Knien vor mir rutschst und mich anbettelst, dich am Leben zu lassen?"
"Naja, ich frag ja nur..."
"Ich mache nur meinen Job. Es würde einfach alles durcheinander bringen."
"Wie wärs mit einem Jahr oder so? Komm schon..."
"Ein Jahr? Da könnte ich kurz drüber nachdenken." Ich gab ihm meine Sense und er begann, sie zu schleifen. Das machte er ziemlich gut, hatte vermutlich ne Menge Übung darin. Er machte langsame, gleichmäßige Bewegungen und wirkte alles in allem echt professionell. Bis zu dem Moment, in dem die Kohlensäure in seinem Magen - er hatte nämlich schon ein Bier getrunken - ihren Tribut forderte. Er rülpste, verlor einen Moment lang die Kontrolle und rutschte ab. Zu seinem eigenen Unglück hatte er vorher ziemlich gut gearbeitet.
"Ach, Kacke." Er warf einen ungläubigen Blick auf seine offene Schlagader am Handgelenk und fiel letztlich vorne über.
"Ja, Kacke." Ich nahm die abgelaufene Sanduhr an mich, hob die Sense und mit einem präzisen Sssst trennte sie die Seele von seinem Körper.
Das Schicksal ist ein Arschloch. Und ich mache nur meinen Job.