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Ich muss dich noch was fragen
„Ich muss dich noch was fragen.“
Wir standen uns im dampfenden Badezimmer gegenüber.
Michelle zog sich das enge T-Shirt über den Kopf und leise kam durch den Stoff: “Sag mal, wann ist man eigentlich Frau?“.
Ich betrachtete erst ihr ernstes Gesicht, das vom Halsausschnitt freigegeben worden war und dann unwillkürlich ihren kleinen, aufgeweckten Busen unter dem dünnen Kleidungsstück, das sich ihrem Körper anschmiegte. Sie blickte mich mit ihren braunen Augen erwartungsvoll an.
„Was meinst denn du?“ wollte ich wissen.
„Ach Mama...ich frag’ dich!“
Ich setzte mich auf den Wannenrand, gleich neben die Ecke, an der das Email abgesplittert war.
Mein Zeigefinger kreiste an der rauen Stelle.
„Wenn ich im Sommerregen barfuß durch den Matsch gehe, fühle ich mich auch noch als Mädchen“, gab ich ihr zur Antwort und fing an, mit nackten Fußballen über eine Bodenfuge zu reiben.
Sie zog demonstrativ die Nase in die Höhe. „Toll...was soll ich mit dieser Antwort anfangen? Es geht um mich und nicht darum, wie du dich bei irgendeinem Sommerregen fühlst“.
Vergeblich suchte sie sich in dem beschlagenen Spiegel, während sie an ihren langen, nassen Haaren nestelte.
Ich setzte an: „Also gut: Wenn Kinderkriegen zum Beispiel ein Indiz für Frausein darstellen soll, dann bist du wohl eine Frau ab der Zeit, seit du deine Tage bekommen hast.“
Sie rieb mit ihrer flachen Hand die kleinen Nebeltröpfchen vom Spiegel. Ich unterdrückte eine Rüge, denn sie hätte ein Fenster zum Lüften öffnen können.
„Na, die Drei-K-Zeiten hast du mit Oma durchdiskutieren müssen, da sind wir doch heute meilenweit davon entfernt. Nur weil ich nun meine Blutung habe, bin ich doch noch keine Frau“,
widersprach sie.
„Aha, immerhin hast du schon einen Punkt gefunden, der dagegen spricht, dass es einfach nur biologische Zeichen sind, die dich zur Frau machen. Übrigens - Grönemeyer hat auch schon mal gefragt, wann man ein Mann ist“, lächelte ich sie an.
Die Tür ging einen Spalt auf und Peter fragte vorsichtig: „Frauengespräche?“
„Ja schon, aber komm’ nur rein, vielleicht hast du eine befriedigende Antwort für deine Tochter“, lud ich ihn ein.
„Was will mein Mädchen denn wissen?“, fragte er, während er es sich auf dem WC-Deckel gemütlich machte. Ich prustete los.
“Mama, das ist nicht witzig“, rief sie erbost und sagte zu ihrem Vater: “Sie schlängelt sich um die für mich enorm wichtige Antwort, wann man eine Frau ist“.
„Hmm... gute Frage. Eine Frau ist eine Frau, wenn sie...“, zögerlich setzte er nach: „... erwachsen ist?“
„Danke“, gab Michelle trocken als Kommentar ab.
„Das reicht dir?“ fragte Peter überrascht.
„Mann, Papa, du bringst mich auch keinen Schritt weiter. Was soll ich mit dieser Aussage: Erwachsen! Wann bin ich erwachsen? Das ist doch genau der gleiche Mist...“ Michelle machte ein ratloses Gesicht und meinte:“Es ist wohl der falsche Platz, im Badezimmer so wichtige Fragen mit Eltern zu besprechen, die sich hier nicht die Mühe machen, mein Problem ernstzunehmen. Nebel im Raum bedeutet nicht, nebulöse Antworten geben zu müssen!“
Ich nahm sie in den Arm und streifte ihr eine dicke, nasse Haarsträhne hinters Ohr: „Hey Maus, wir wollen dich ernstnehmen. Unsere eigene Ratlosigkeit läßt uns so rumstottern.“
Peter versuchte es auf die kreative Art: „Vielleicht ist das so wie mit den Farben: Manche empfinden zum Beispiel türkis noch als grün und andere als blau.“
„Aha“, kam es aus Michelle und ihr Gesicht war ein Fragezeichen.
„Wieso ist das denn überhaupt so wichtig für dich?“, fragte ich und setzte mich wieder auf den Wannenrand.
„Na ja, Frau sein ist doch wichtiger als Mädchen sein...“, mutmaßte unsere Tochter, „dann wird man doch ernster genommen.“
„Hmm...nee, das kann ich nicht so sehen“, widersprach Peter vehement, „es gibt soviele Frauen, die sind so doof, manche zum Beispiel, weil sie nur auf ihr Äußeres achten - da ist mir ein pfiffiges Mädchen um einiges lieber.“
„Aber sind Frauen nicht interessanter für die Männer als Mädchen?“ fragte Michelle misstrauisch.
„Nein“, mischte ich mich in das Gespräch ein, das langsam etwas Boden bekam, „Mädchen sein ist keine Frage des Alters. Wenn Papa auf seinem Motorrad sitzt, ist er auch noch ein Junge. Wenn er Doko spielt, sowieso, da er so heilig mit der Herzzehn umgeht. Vergiss’ das Ganze doch einfach mal und sei einfach du.“
Michelle stand immer noch mitten im Badezimmer, wir zwei saßen, ich immer noch Fußballen reibend, Peter mit übergeschlagenen Beinen.
Sie zuckte die Schultern und sah uns etwas unzufrieden an: „Ich werde über das Ganze nochmal nachdenken. Jetzt muß ich aber los zu Steffen. Der meinte übrigens, dass ich mal eine schöne Frau werde“, und dabei lächelte sie ganz vorsichtig, “aber wißt ihr, was sich total bescheuert anhört: Sein Mädchen stehen!“
Sie zog mit ungekämmten Haaren los.