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Ich schwieg
Es war dunkel im Zimmer. Ich hatte soeben die Tür hinter mir geschlossen und stand im Raum, einen Schritt weg vom Ausgang ... für alle Fälle – falls ich es mir doch anders überlegen sollte. Ich hörte ihn atmen, nahm einen dunklen Umriss im nachtschwarzen Raum wahr. Dann glitzerte etwas, etwas von grosser Lebendigkeit, beschienen vom fernen Licht der Strassenlaternen – seine Augen. Sie versuchten mich festzumachen im Dunkeln, mich zu fixieren. „Komm zu mir ...“, sagte er, mit entschlossener Stimme. Ich zögerte, denn er war ein Fremder, wir beide waren Fremde – besser gesagt, wir taten so, als wären wir es. Er musste sich nicht wiederholen und ich tat einen Schritt auf ihn zu. Noch einen. Und noch einen. Bis ich seine Körperwärme spürte, ganz nah musste er sein. Ich streckte die Hand aus und berührte sein Haar ... von meiner Hand ausgehend, löste sich das Eis in meinen Adern auf und mein Blut heizte meinen Körper von innen auf, in Bächen stürzend.
Ich hatte grosses Verlangen nach dem Duft seines Haares, also trat ich noch näher an ihn heran und sog seinen Geruch in mich – mein Herz schlug um sich. An einer Stelle, an der Menschen so pur und rein riechen, wie sie als Babys schon gerochen haben mussten: auf der Höhe der Schläfen, direkt über dem Ohr. Es roch nach süssen, reifen Früchten im nächtlich feuchtem Septembergras.
Ich wollte sein Kind ... ich wusste nicht, ob er das auch wollte. Ehrlich gesagt, war es mir egal. Ich wollte ihn mir einverleiben, seinen Geruch mir in den Körper brennen, ein für allemal, Narben hinterlassend, damit ich niemals vergesse, wie es war mit uns.
Ich schwieg ... unsere Körper vereinten sich in diesem Raum, veränderten das Licht, die Temperatur, die Luftfeuchtigkeit in ihm. Ich lächelte, und hoffte mein ziel erreicht zu haben ... am liebsten hätte ich einen Garten voll von ihm in mir weggetragen. Ich war besessen. Wo sollte das bloss hinführen? In ein Dilemma? Emma? Vielleicht wird es ja ein Mädchen ...
Als er noch schlief ging ich fort. Der Morgen begrüsste mich. Er trug ein Gewand aus edelster, orangeroter Seide, legte sich über mich und verschluckte uns ...