Ich wollte doch nur fett sein!
Ich hatte zwar viel Geld, fast hätte man mich als reich bezeichnen können, und ich besaß ein großes Haus in einer schönen Gegend und einen Sportwagen, aber meinen größten Wunsch hatte ich mir noch nicht erfüllt: Ich wollte fett sein. Hundertsechzig Kilo oder mehr auf die Waage zu bringen, das war mein Traum. Dicke Leute wirken so symphatisch und gemütlich. Vielleicht sind sie die besseren Menschen.
Durch das viele Geld hatte ich keine Probleme mich mit großen Mengen fettiger Nahrungsmittel einzudecken, was ich auch tat. Sogar Eiweißpulver für den Muskelaufbau bei Bodybuildern entdeckte ich für mich, aber an Muskeln war ich nicht interessiert, ich wollte einfach nur dick sein. Nur ein Problem gab es dabei, ich bekam einfach nicht so viel Essen runter wie nötig gewesen wäre um wirklich zuzunehmen. Ich hatte einfach nicht genug Hunger.
Mein Arzt, Doktor Schmidt, empfahl mir die operative Vergrößerung meines Magens und das Einspritzen von Fett. Das war auch sehr kostengünstig, weil das eingespritzte Fett das Abfallprodukt des Fettabsaugens bei anderen Patienten war. Obwohl ich schon immer eine gewisse Angst vor Operationen hatte, meinen Blinddarm zu entfernen war ein Drama erster Klasse gewesen, entschied ich mich für den Eingriff. Und ich bereute es nicht. Ich brachte nun hundertzwanzig Kilo auf die Waage, trug einen beeindruckenden Bauch vor mir her und hatte Brüste, bei denen Pamela Anderson neidisch geworden wäre.
Problematisch wurde es erst, als mein Essen begann mit mir zu sprechen. Aus welchen Gründen es das tat, weiß ich bis heute nicht. „Ich bin dein bester Freund!“, sagte der Cheeseburger zu mir. „Iß mich, und du wirst ein fettleibiger Gott!“, sprach die Lasagne.
Das war schon sehr witzig, hatte nur einen Haken: Meine Mitmenschen hielten mich für verrückt. Restaurantbesuche wurden zu einem echten Problem, denn ich war höflich genug dem Dessert dafür zu danken, wenn es mir Komplimente über meine erotische Ausstrahlung und meine wohlgeformten Rundungen machte. Und wenn der Kartoffelsalat die lustigsten Witze zum besten gab, musste ich doch mithalten und ihn ebenfalls zum Lachen bringen.
Nach sechs Wochen wog ich hundertachtzig Kilo, jetzt war ich ein richtiger Mann. Nicht wie die dünnen Gerippe, die bei einem kühlen Luftzug gleich anfingen zu zittern und zu frieren. Die Sport trieben und in die Sauna gingen, weil sie sich davor fürchteten ihr volles Potential an Körpermasse zu nutzen. Weicheier, die Trennkost und Diäten anbeteten und deren Schicksal die Magersucht sein würde.
Leider konnte ich zu dieser Zeit nicht mehr richtig laufen, sicherlich war die Gravitation Schuld daran. „Wenn wir auf dem Mond leben würden, dann wäre alles nur halb so schwer.“, das hatte mein siebtes Schnitzel mir zugeflüstert. Ich war also mit meiner Vermutung nicht allein. Ich fuhr jetzt in einem elektrischen Rollstuhl, Auto hätte ich ohnehin nicht mehr fahren können, denn wer Messer und Gabel halten muss, kann nicht auch noch das Lenkrad drehen. Außerdem waren Autos sowieso alle viel zu klein gebaut. “Die Automobilhersteller sind bestimmt Zwerge, die von sich auf andere schließen. Aber ein normaler Mensch hat keinen Platz in den winzigen Kisten!“, kreischte auch mein Marmorkuchen. „Pferdekutschen für vier Personen, das waren noch Fahrzeuge mit ausreichend Bewegungsfreiheit!“, fügte die Schokoladensauce hinzu.
Nach zwölf Wochen wog ich zweihundertzwanzig Kilo und wurde in ein Krankenhaus eingeliefert. Doktor Schmidt sagte, ich hätte es ein wenig übertrieben mit dem Zunehmen, und ich könnte mich nun ja auch nicht mehr selbst versorgen und sei auf Hilfe angewiesen.
Um ausreichend Essen zu bekommen, musste ich die Pfleger bestechen, wie gesagt, Geld war nicht mein Problem. Tausend Euro, und dafür nur ein halbes Schwein einkaufen müssen, wer kann da schon nein sagen.
Gestern setzte zum ersten Mal mein Herz aus. Ich konnte mir nicht erklären warum es das tat, ich war bisher immer kerngesund gewesen. Ich stand zu meinen Pfunden und fühlte mich wohl. Zum Glück wurde ich rechtzeitig wiederbelebt, denn es war Zeit fürs Abendessen.
In letzter Zeit wurde das Frühstück immer unfreundlicher zu mir, beleidigte mich andauernd, und das Mittagessen fing auch schon an mich zu nerven. Wie würden sie sich fühlen, wenn ihre Frikadellen ihnen vorwerfen würden, sie wären fett und hässlich?
Von einem Brathähnchen fühlte ich mich sogar richtig bedroht, als es mich anschrie: „Heute isst du mich, morgen essen wir dich!“. Ich beschwerte mich natürlich sofort beim Pflegepersonal, aber die schüttelten nur ihre spindeldürren Köpfe und murmelten etwas von Nervenheilanstalt. Eine Frechheit, ich war geistig völlig gesund!
Dann kam mir eine geniale Idee, die alle meine Probleme lösen sollte. Ich sah mir einen Film an, und einer der Hauptdarsteller sagte den Satz: „Geteiltes Leid ist halbes Leid!“
Schließlich war ich ein leidender Mensch, weil man mich zu unrecht in diesem Krankenhaus festhielt. Weil man meine Größe nicht respektierte, und neidisch war. Der Schinken bestätigte mir übrigens die Genialität meines Einfalls.
Ich würde aus dem Fenster springen, zehn Meter in die Tiefe, und mich beim Aufprall in zwei Hälften teilen. Die eine Hälfte würde zurück ins Krankenhaus gehen, die andere Hälfte könnte nach Herzenslust durch die Restaurants pilgern und sich die feinsten Köstlichkeiten auf der Zunge zergehen lassen. Keiner würde etwas davon merken.
Morgen werde ich den Plan in die Tat umsetzen.