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Identität
Glatt gebügelt am Haken hängt die blaue Uniform.
Der Adler blitzt und blinkt unter dem goldenen Schriftzug Bundespolizei.
Darunter befindet sich ein Paar geputzter Stiefel.
Der Pistolengürtel baumelt links neben der Uniform an einem Nagel.
Am Tisch unter einer nackten Glühbirne reinigt Bischof seine Pistole.
Die Einzelteile liegen auf der Tageszeitung und er poliert mit einem Lappen das Rohr.
Für kurze Zeit legt er das Rohr weg und liest die Stellenanzeigen.
Er muss feststellen, dass diesen Monat noch weniger Jobs angeboten werden.
Bischof dreht sich zu der Garderobe und schmeißt unbemerkt das Ölkännchen um.
Er schaut auf das Abiturzeugnis links neben dem Pistolengürtel und schweigt.
Das Öl verbreitet sich auf der Tageszeitung und durchnässt sie.
Die Seite mit den Stellenannoncen ist durchsichtig und man kann die nächste Seite sehen.
Sie zeigt die Problematik der Massenarbeitslosigkeit.
In diesem Moment, als er diese Seite liest, bereut Bischof nicht den Wechsel ins Beamtentum.
Im Anschluss baut Bischof seine Pistole zusammen und schließt sie im Haussafe ein.
Ein Blick auf den daneben hängenden Kalender verrät ihm, dass heute Freitag ist.
Ohne den Kalender könnte er keine Auskunft über den Wochentag geben.
Am Samstag steht ein großgeschriebenes F als Vermerk auf dem Kalender.
Es bedeutet Frühschicht und kein freies Wochenende.
Somit vernichtet die Schichtarbeit nicht nur sein Zeitgefühl, sondern auch die Wochenenden.
Für Bischof ist es bereits das dritte nachfolgende Wochenende an dem er arbeiten muss.
Zeit andere Menschen am Wochenende in Nachtclubs kennen zu lernen ist äußerst selten.
Folglich reinigt er seine Pistole öfter statt Beziehungen zur Außenwelt aufzubauen.
Der kleine Zeiger auf dem Ziffernblatt seiner Armbanduhr steht auf Acht.
Von seinem Balkon aus beobachtet Bischof die bunten Lichter der Skyline.
Durch den Nieselregen kann man in der Ferne das Rattern der Züge wahrnehmen.
Bischof kramt in seiner Brusttasche und holt ein Zigarettenetui heraus.
Auf dem silbernen Etui sind seine Initialen schwarz eingraviert - BB - Bischof Böttinger.
Früher konnte Bischof den Qualm der Zigaretten nicht ertragen.
Heute dienen die Zigaretten zur Stressbewältigung.
Gelegentlich kratzt seine Brust, wenn er husten muss.
Auf dem Weg zum Badezimmer tritt er auf leere Pizzaschachteln.
Beinahe wäre er auf leeren Bierflaschen ausgerutscht.
Beim Badezimmer angekommen, knipst er den Lichtschalter an.
In der linken Ecke stapelt sich die verschwitzte Wäsche neben dem vergilbten Klo.
Mit freiem Oberkörper steht er vor seinem Badezimmerspiegel und rasiert sich.
Der Spiegel zieht Schlieren und ist verstaubt.
Es fällt ihm schwer sich im Spiegel wieder zu erkennen.
Im Sessel weit zurückgelehnt schaltet er den Großleinwandprojektor an.
Das Licht des Projektors durchbricht den Staub und zeigt auf der Leinwand einen Film.
Der Titel lautet Sommerurlaub in Kalifornien.
Hauptdarsteller sind seine Freunde und er.
Gelegentlich spricht Bischof Textausschnitte mit und versinkt in Erinnerungen.
Erinnerungen an seine Freunde, die inzwischen Geschäftsreisen durch die ganze Welt machen. Dabei lernen sie neue Welten und Kulturen kennen, während er jeden Arbeitstag ein Déjavu durchlebt. Es besteht aus aufstehen, waschen, Uniform anziehen, Verpflegung einpacken, Zug nehmen, sich bei der Dienststelle melden, Pässe kontrollieren, Vorgänge bearbeiten und Passagieren Auskünfte über die Örtlichkeiten des Flughafens geben.
Nun ist der Projektor ausgeschaltet und das Bier ist leer.
Nachdem Bischof sein Fenster gekippt hat, legt er sich auf sein Bett.
Konzentriert blickt er auf das tickende Metronom, das auf seinem Nachttisch steht.
Allmählich werden seine Augenlider schwer und er schließt seine Augen um zu schlafen.
Plötzlich ertönt der Wecker und reißt ihn aus dem Schlaf.
Es ist vier Uhr morgens und es ist Zeit aufzustehen.
Von der Frühschicht erschöpft zu Hause angekommen, öffnet er seinen Briefkasten.
Dort liegt ein brauner DIN A4 Umschlag und ein kleiner Brief.
Im braunen Umschlag befindet sich eine Zusage für die Einschreibung bei einer Universität.
Folglich könnte er kündigen um der Eintönigkeit seines Berufes ein Ende zu bereiten.
Als er den kleinen Brief öffnet, sieht er die Gehaltsabrechnung des letzten Monates.
Und im Gedächtnis bleibt der Artikel über die Massenarbeitslosigkeit.