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Im Café
Irgendwie beruhigt es mich, dichten Rauch und schlechte Luft um mich zu haben. Das hat den Vorteil dass ich nicht so genau sehe, was um mich ist. Und keiner sieht so genau, wer ich bin. Deshalb bin ich Kettenraucher. Ich will unerkannt bleiben. Niemand soll sehen, dass meine Augen unterlaufen sind, wie die Müdigkeit mein Gesicht, meinen ganzen Körper zeichnet.
Wenn Maria nachher kommt, werde ich ihr sagen, ich sei wieder schlaflos. Dass ich meine Haare abrasiert habe, um alle Erinnerungen loszuwerden, wird sie ohnehin vermuten.
Ich sitze in meiner Ecke des Cafes und erlebe ein kleines Stück Amerika. Pommes und Burger, in Mäntel gehüllte Gestalten, mit oder ohne Brille, manchmal mit Zeitung. Die Elite Ulms, oftmals Pärchen. Ich rauche, bin allein und vielleicht sogar einsam. Aber was macht das aus, frage ich mich? Mit wem sollte ich zusammen sein wollen?
An den Wänden hängen Bilder von Einstein. Der unberechtigte Stolz der Ulmer ist lächerlich. Einstein mit herausgestreckter Zunge. Beinahe lustig. Ich würde sie ihm gerne abschneiden. Ich habe gehört, er sei ein Arschloch gewesen. So wie fast alle, die zu klug sind. Außerdem lebte er soviel ich weiß nur drei Jahre hier.
Ich nehme mein Notizbuch und kritzle ein paar geistreiche Worte hinein:Erwartung ist eine Träge Schleife - ein Satz, den ein Mann geschrieben hat, den ich sehr schätze. Vielleicht hat er Recht, vielleicht ist Erwartung aber auch mehr. Immerhin schreibe ich all meine Gedanken auf. Warum? Versuche ich mich so zu beschäftigen? Um nicht zu merken, dass ich nichts zu tun habe?
Als ich aus dem Fenster schaue, hängt der Himmel stahlgrau zwischen den Ziegelsteingebäuden der Oststadt. Zehn Meter vor den Caféfenstern müht sich ein Minibagger mit einem riesigen Betonklotz ab. In gewisser Weise ist auch mein Leben eine Baustelle. Da es in sich zusammengefallen ist, wie ein baufälliges Haus. Nun bin ich am Aussortieren. Welcher Stein wieder verwendbar ist und welcher nicht.
Ich schaue auf die Uhr. Es ist halb zwölf. Um elf wollte sie da sein. Seit ich sie kennen gelernt habe, kam sie immer zu spät. Sie kann nicht anders. Sie hat eine innere Uhr, die doppelt so schnell tickt wie die an ihrem Handgelenk. Je schneller alles gehen muss, desto schneller geht alles vorbei. Deswegen kommt sie zu spät.
Aber das ist nicht der Grund. Nicht für alles jedenfalls.
Mein Aschenbecher ist halbvoll. Eine rothaarige Kellnerin kommt an meinen Tisch und fragt, ob es geschmeckt hat. Ich nicke und an ihren grünen Augen fällt mir auf, dass sie beinahe durchsichtige Pupillen besitzt.
„Vielleicht darf ich Ihnen noch was bringen?“
„Nein, alles Bestens.“
Sie balanciert das Tablett eine Sekunde lang unentschlossen, dann stellt sie es wieder ab. „Entschuldigen Sie, das geht mich nichts an, aber was schreiben Sie da?“
Ich klappe das Notizbuch zu. „Nichts.“
Sie lächelt. „Keine Angst. Ich kann nicht lesen.“
Ihr Blick verharrt amüsiert auf meinem Gesicht und ich lache auf. „Was?“
„Ja.“ Sie hebt das Tablett und schwebt in Richtung Tresen davon.
Maria kommt nicht. Auch nicht, als ich sie anrufe. Sie sagt einfach nur, dass ich meinen Scheiß selbst in den Griff kriegen soll. Ich stehe auf und bezahle bei der Analphabetin und frage mich, wie sie eigentlich die Rechnung lesen kann, die sie außerdem selbst geschrieben hat. Mit dem Kugelschreiber.
Ein Mann, den ich sehr schätze, hat mir bei Rotwein und Chips erzählt, Erwartung sei eine träge Schleife. Im Grunde gebe ich ihm Recht. Ich glaube, nur weil ich Erwartungen habe bin ich hergekommen. Ich wollte sehen, wie weit ich mich aus dem Fenster lehne kann und bin gefallen. Jetzt weiß ich, dass Maria nicht unten steht und mich auffangen wird. Wird es wehtun, wenn ich unten bin? Die Plattform, auf der ich saß ist unerreichbar geworden. Jetzt bin ich alleine. Vielleicht sogar einsam. Und zwei Sekunden lang überlege ich, ob es nicht besser wäre, aufzustehen und hinauszugehen. Aber dann überlege ich es mir anders. Ich frage die Analphabetin nach ihrer Telefonnummer. Sie lächelt, nun schon etwas weniger offen. Aber sie gibt sie mir. Alle geben sie mir, das ist mein Talent. Als ich rausgehe, weiß ich, dass ich zwar falle, aber dass ich aufgefangen werde. Ich muss nur heut Abend eine Nummer wählen.