Im Einkaufscenter
„Warum geh’ ich Idiot schon wieder am Samstagvormittag einkaufen?“, ärgert sich Joshua wieder einmal, als die Tiefgarage zu platzen droht und er bereits die vierte Runde auf der Suche nach einem freien Platz dreht.
In den Jahren mit Cornelia, seiner Geschiedenen, er war 18 Jahre verheiratet, zwei Kinder, ein Haus - das war einmal -, da wurde dieser Einkaufstermin ritualisiert.
„Warum?“, so fragte er damals oft seine Cornelia, „Warum ausgerechnet am Samstagvormittag, wenn auch alle anderen hier ihr Geld ausgeben, den Wocheneinkauf erledigen?“.
Es wäre für Cornelia ein Einfaches gewesen, an einem beliebigen Tag den Kühlschrank aufzufüllen, da sie als Krankenschwester, mit so eigenartigem Turnusdienst, Nachtdienst und so, genügend Zeit während der Woche aufbringen konnte.
Klar, dieser Tag hat auch einige Vorteile. Die Frischmilch hält nicht ewig, das Brot verliert auch im Laufe der Zeit. Beim Kauf der Stange Zigaretten kann er auch gleich Lotto spielen. Der Annahmeschluss für die Ziehung am Sonntagabend ist Samstagmittag. Joshua glaubt nicht wirklich an den großen Gewinn, aber eine Chance muss er seinem Glück schon geben.
Jeden Samstag steht Joshua gegen acht Uhr auf, geht, während der Kaffee durchläuft, unter die Dusche, setzt sich mit der frischen Tasse Kaffee vor den Computer, checkt seine Email-Konten, und raucht seine Morgenzigarette nicht vor dem ersten Schluck des schwarzen, stark gesüßten, Muntermachers. Er zieht sich an, füttert seine Fische, schnappt sich den Einkaufskorb, geht zu seinem Auto, fährt gut dreißig Kilometer in die Stadt und ärgert sich über die große Anzahl von Mitbürgern die ebenfalls ihr Leben so ritualisieren.
Für den Einkauf müsste er nicht in die Großstadt fahren. Er könnte ganz leicht alles zu Fuß in seinem Heimatstädtchen erledigen.
„Na endlich, da ist ja doch noch was frei.“ stellt Joshua erleichtert fest als er gerade noch rechtzeitig vor dieser Brünetten sein Auto in die Lücke bugsiert.
Motor abgestellt, Handy aus der Halterung an den Clip am Gürtel gehängt, die Zigaretten und das Feuerzeug aus der Ablage der Mittelkonsole in die linke, äußere Brusttasche seiner Jeansjacke gesteckt, das alles geschieht automatisch. Auch der Blick in den Rückspiegel vor dem Verlassen des Fahrzeuges ist ein Unbewusster. Doch den bösen Blick einer Brünetten, welcher sich im Rückspiegel zeigt, den registriert er dann doch - wenngleich er ihn auch sofort wieder vergisst.
Nachdem er den Autoschlüssel in seiner rechten Hosentasche verstaut hat zündet Joshua sich eine weitere Zigarette an und steuert die Rolltreppe, welche ihn nach oben in die Mall bringt, an.
Am Geldautomaten herrscht wieder großer Andrang und Joshua stellt sich brav an. Er findet es äußerst unhöflich wie Nahe manche dem Vordermann auf die Pelle rücken. Kaum einer wird sich wirklich für die Geheimzahl interessieren, aber etwas Respekt könnte doch wirklich nicht schaden, ist ja schließlich geheim.
Nachdem Joshua die erhaltenen Scheine und seine Karte in der Geldbörse verstaut hat, steuert er den Eingang des großen Elektromarktes an.
Er weiß eigentlich nicht was er hier sucht, aber er schlendert gerne durch die Reihen mit DVD - Playern, Digitalkameras, Satellitenreceivern.
Er stöbert in den schier endlosen, ordentlich alphabetisch sortierten, Regalen der CD-Abteilung. Es verwundert Joshua, dass er bei dieser Auswahl an Silberscheiben „Those were the days“ von Alexandra nicht finden kann. Klar, das ist schon ein ziemlich alter Song, aber guuut. Und wenn die hier dieses ganze neumoderne Hipp-Hopp – Zeugs und die Oberkrainer haben, so müsste doch so etwas Legendäres auch zu finden sein, oder?
„Netter Arsch“ schießt es Joshua durch den Kopf als sein Blick zufällig auf das Hinterteil einer etwa fünfunddreißigjährigen Brünetten am Regal mit den aktuellen Hits fällt. „Diese Hose steht ihr aber auch gut. Eng, lang, das Blumenmuster an den ausgestellten Hosenbeinen. Dazu die Stiefeletten mit Absätzen. Schaut echt gut aus.“ sinniert Joshua weiter „Irgendwie kommt die mir bekannt vor. Kenn ich die vielleicht?“.
Da das mit dem Alexandra – Song wieder nichts wird, die ausgestellten Handys und Laptops auch nicht wirklich der Hammer sind, verlässt Joshua den Elektromarkt wieder und spaziert in Richtung der Rolltreppe um in die obere Etage zu gelangen.
Er betritt die H&M – Filiale und besucht wieder einmal die Herrenabteilung.
Bei den Hosen braucht er erst gar nicht zu schauen, zweiunddreißig auf sechsunddreißig das haben die sowieso nicht.
Die Sakkos waren auch schon günstiger: „Die sind ja verrückt!“
Um schicke Hemden, nicht diese langweiligen, gestreiften oder karierten Baumwolldinger, zu finden, braucht es auch so etwas wie einen Glückstag. Joshua steht auf abstrakt, nicht zu grell, gemusterte, aus Seide oder so einem Kunststoffgemisch. Er findet es einfach praktisch, die Hemden nach dem Feinwaschgang über Nacht auf einem Bügel in die Duschkabine zu hängen und am nächsten Morgen sind sie wieder perfekt. Kein Bügeln. Außerdem, so ist Joshua überzeugt, schwitzt er in Baumwollhemden wesentlich mehr.
„Kann ich ihnen helfen?“ fragt mit aufgesetzter Höflichkeit so ein Schnösel, dem wohl noch Wochenumsatz fehlt.
„Danke, ich schau’ nur ein bisschen!“.
„Keine Alexandra – CD, keine vernünftigen Hemden. Na das hat sich ja wieder ausgezahlt.“ denkt Joshua und verlässt H&M in Richtung Tabakladen.
„Eine Stange Camel und ein kompletter Quick mit Joker, bitte“ bestellt Joshua die Zigaretten und den Lottoschein.
„Camel Light?“ fragt die Verkäuferin völlig unnötig.
„Normale Camel Filter.“ meint Joshua zur Verkäuferin und „Ich hätte ja Light bestellt, wenn ich Light wollte!“ zu sich selber.
Ganz automatisch steuert Joshua nun die Filiale einer großen Schuhkette an. Er trägt praktisch nur, längst aus der Mode gekommene, schwarze, relativ spitze, Halbschuhe mit etwas Absatz. Er hat schon des Öfteren modische Schuhe gekauft. Aber nachdem er etwa drei Paar nagelneue Schuhe weggeworfen hat, weil er sie nicht anzieht, bleibt er bei seinen altmodischen, spitzen schwarzen Slippern. In diesem Laden wird er bisweilen fündig, diesmal nicht.
Als er gerade wieder auf die Mall hinaustritt, sieht er gegenüber, in einer Boutique, den tollen Hintern in den interessant gemusterten Jeans. Ganz automatisch schaut er der Brünetten ins Gesicht und sucht ihre Augen. Ein Lächeln huscht über seine Lippen als die Jeansträgering ihn ebenfalls in die Augen schaut. Er nickt freundlich, während sich die Brünette desinteressiert wieder den Dessous zuwendet.
„Na dann nicht!“
Joshua marschiert nun Richtung Supermarkt. Er kramt aus seiner linken Hosentasche, da er relativ enge Jeans trägt, ist dies nicht wirklich einfach, die Eineuromünze, welche er als Pfand für den Einkaufswagen braucht und daher immer in der Hosentasche bereithält.
„Tomaten, Gurke, grüner Paprika, Kaffee, Milch, Brot, Wurst, Bratenfleisch, Semmelwürfel, Bananen,…“ geht Joshua die Einkaufsliste im Kopf durch.
Im Supermarkt steuert er als erstes die Obst- und Gemüseabteilung an.
Die Tomaten begeistern nicht wirklich, also nur drei Stück für heute Abend. Neben Gurke, Paprika und Bananen wandern noch Kartoffel und Zwiebel in den Einkaufswagen.
Beim Metzger entscheidet Joshua sich für ein Kilo Rindfleisch, das gibt heute ein tolles Gulasch. „Halt, da brauch ich ja auch noch Paprikapulver und Ketchup!“ schießt es ihm durch den Kopf.
Zwei Liter Milch, abgepackter Gouda, Joghurt, Butter, Eier, Pfirsichkompott zum Kaiserschmarren, Chips, Erdnüsse,… Der Einkaufswagen füllt sich schön langsam.
In der Tiefkühlabteilung überlegt Joshua eben, ob er die tief gefrorenen Shrimps nun nehmen soll, als er ganz nah neben sich eine Stimme vernimmt.
„Zuerst die Parklücke klauen und sich dann nicht entscheiden können! Das liebe ich!“
Die Brünette!!!!
„Oh, Verzeihung. Ich ahnte nicht, dass du auch auf die Lücke scharf warst. Joshua, wenn ich mich vorstellen darf.“. Joshua spürt wie ihm das Blut in den Kopf schießt. Ein eigenartiges Zittern in den Knien, der Kloß im Hals.
Hoffentlich sieht sie das nicht.
Zusammenreißen!!!!
„Kann ich das mit einem Kaffee oder so vielleicht wieder gut machen?“
„Bin mir nicht sicher, ob da ein Kaffee reicht.“ entgegnet die Brünette, mit dem tollen Hintern und der scharfen Hose, mit einem Lächeln auf den Lippen und in den Augen.
„Aber eine Chance zur Wiedergutmachung gibst du mir, oder?“
„Weiß ich noch nicht. Bunkerst du? Hast du Angst vor einem Weltkrieg oder einem Kometen? Kaufst ja ganz schön ein. Ich bin schon fertig. Brauchte nur noch Milch und Sahne. Ich habe nicht gerade viel Zeit. Wenn du noch lange brauchst, sehe ich da kein Licht.“
„Ich bin eigentlich auch schon fertig.“ antwortet Joshua, während er gedankenverloren die Shrimps in den Einkaufswagen wirft. „Wir könnten gleich da draußen in die Cafeteria oder zu dem Fruchtsaftstand“.
„O.K.“ lächelt die Brünette gedehnt. „Fruchtsaft wäre mir lieber.“.
Die beiden marschieren Richtung Kassen. Glück gehabt, da ist eine frei.
„Kaufst du öfters hier ein?“ fragt Joshua um irgendetwas zu sagen während er den Inhalt des Einkaufswagens auf das Förderband stapelt. Das Zittern in den Knien legt sich langsam.
„Das ist eher Zufall. Ich habe in der Gegend noch etwas zu erledigen.“ flötete die Brünette. „Kaufst du hier immer ein? Und immer solche Mengen?“
„Sie will wissen, ob ich Single bin!“ schießt es Joshua durch den nun langsam klarer werdenden Kopf.
„Ich hab so die Angewohnheit am Samstag hierher zu kommen und kauf so ungefähr einen Wochenvorrat ein. Für einen Ein-Personen-Haushalt reicht das eine Weile.“
„Ich gehe gerne einkaufen. Darum mache ich eigentlich keine Großeinkäufe. So zwei- dreimal die Woche kauf ich das was ich gerade brauche.“ meint die Brünette während sie ihr Päckchen Milch und den Becher Sahne hinter Joshuas Einkauf auf dem Förderband ablegt.
„Vierundsechzig Euro siebenundvierzig, bitte!“ sagt die Kassiererin mechanisch mit einem mechanischen Lächeln zu Joshua.
Joshua sortiert die fünf Euro dreiundvierzig Wechselgeld in seine Geldbörse und ist über die Anzahl Münzen, welche sich nun schon wieder ansammeln, genervt.
Er bemüht sich, den Einkauf in seinem Korb und den gekauften Plastiktüten, er bezahlt die Supermarktkette dafür, dass er für sie Werbung machen darf, unterzubringen, während die Brünette bezahlt. Gemeinsam gehen sie zu dem Fruchtsaftstand.
„Ich will ja nicht aufdringlich sein, aber wie heißt du eigentlich? Ich kann dich ja schlecht Brünette nennen.“ fragt Joshua möglichst zwanglos.
„Angelika. Freunde nennen mich Angie. So wie der Stones Song.“.
„Na dann lass uns mal was Schönes aussuchen, Angie.“ meint Joshua als sie an der Theke des Fruchtsaftstandes ankommen sind und das Angebot studieren.
„Also ich denke, ich versuche die Apfel-Mango-Buttermilch. Das klingt irgendwie aufregend.“ ordert Angie ihren Wunsch bei dem jungen Barmixer dessen Namensschild ihn als Fred ausweist.
„Sonne kann bei dem Sauwetter nicht schaden. Für mich eine Caribic-Sun bitte!“ bestellt jetzt Joshua.
Nachdem sie die Getränke in Empfang genommen und bezahlt haben, lehnen die beiden sich an einen freien Stehtisch und prosten sich zu.
„Klingt aufregender als sie schmeckt diese Apfel-Mango-Buttermilch. Ist hauptsächlich Buttermilch.“ kritisiert Angie die Mixkünste von Fred.
„So echt viel Sonne habe ich auch nicht erwischt. Aber passt schon.“ entgegnet Joshua und fragt: „Stört es, wenn ich eine rauche? Magst auch eine?“ während er das angebrochen Päckchen Camel Filter und das Zippo aus der linken Brusttasche seiner Jeansjacke holt.
„So stark? Na ja, wird mich schon nicht gleich umbringen - eine Camel. Gehst du auch meilenweit für eine Camel?“ meint Angie.
„Ich würd’ nicht sagen, dass ich meilenweit gehe dafür. Rauch’ sie aber schon seit gut dreißig Jahren und lebe immer noch! Es müssen mittlerweile so ungefähr 270.0000 Stück sein. Auch nicht schlecht, oder? Und teuer! Wär’ in der Summe sicherlich schon ein ziemlich schöner Urlaub.“
„Schreckt dich das nicht? Also so etwas würd’ ich mir nie ausrechnen. Da bekäme ich ein viel zu schlechtes Gewissen. Wegen Geld und Gesundheit und so.“ sinniert Angie während sie einen tiefen Lungenzug nimmt.
„Ich betrachte das als Ehrlichkeit zu mir selbst. Wenn ich weiß, wie viel Geld ich da schon in Luft gepustet habe, wie viel Teer und was weiß ich noch alles ich mir in die Lunge gezogen habe. Irgendwie verrückt, aber vielleicht motiviert es zum aufhören.“ entgegnet Joshua.
„Was machst du eigentlich beruflich?“ geht Angie in die Offensive. „Ich bin Assistentin der Geschäftsleitung bei einem Dienstleistungsunternehmen des Gesundheitswesens.“ schiebt sie mit stolzem Unterton nach.
„Assistentin, Dienstleistungsunternehmen, Gesundheitswesens? So kann sich die Sekretärin eines Reinigungsunternehmens auch nennen, wenn die in Krankenhäusern putzen.“ überlegt Joshua.
„Eigentlich bin ich Mechatroniker. Mach’ aber seit einiger Zeit freiberuflich einiges das Spaß macht: Computer reparieren, Datenbankanwendungen oder SPS programmieren und so Sachen. Gehen wir mal gemeinsam Essen oder ins Kino?“ fragt er und hält sich an seinem Glas und seiner Zigarette fest um das Zittern seiner Hände zu verbergen.
„Ach Gott, jetzt hätte ich beinahe meine Verabredung vergessen!“ ruft Angie. „Hast du etwas zu schreiben?“.
Verdutzt kramt Joshua eine seiner Visitenkarten und einen Stift aus der linken Innentasche seiner Jeansjacke hervor und legt beides vor Angie auf den Tisch.
„Das ist meine Telefonnummer. Wenn du Lust hast, ruf mich an.“ meint Angie während sie die Nummer auf die Rückseite der Visitenkarte kritzelt. „Ich hätte heute Abend noch nichts vor. Jetzt muss ich mich aber sputen. Meine Schwester wartet schon. Tschüssi!“
Entgeistert blickt Joshua dem tollen Hintern nach.
„Keine Alexandra – CD, kein Hemd und kein Sakko, keine Schuhe. Aber eine Verabredung mit so einer Frau! Der Einkaufssamstag hat sich also doch ausgezahlt.“ sinniert Joshua lächelnd während er seinen Einkaufswagen Richtung Tiefgarage schiebt.