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Im Flugzeug an einem Hustenbonbon ersticken
Ich bin krank. Husten, Schnupfen, Fieber, Halsweh. Die ganze Palette. Aber das ist nicht alles. Krankheiten gehen bei mir stets mit einem nicht zu unterschätzenden Ansturm von Selbstmitleid Hand in Hand. Ich huste nicht nur, ich heule dabei. Während andere imstande sind, ihre Spongebob-Mentalität trotz Grippeversion 8.0 aufrecht zu erhalten, verkümmere ich in meinen vier Wänden vor mich hin. Rotzend, röchelnd, jammernd. Geradezu zwanghaft muss ich die ganze Welt über meine körperlichen und seelischen Leiden aufklären. Ich will Mitleid erhaschen, keine Frage! Kategorisch gehe ich Telefonlisten durch, um meinen gesamten Bekanntenkreis lückenlos darüber zu informieren, dass ich bald sterbe. Manchmal wähle ich auch x-beliebige Telefonnummern und setzte beispielsweise einen Chinesen davon in Kenntnis, dass meine Nase verstopft ist.
Meine Mutter hat mich schon zu Kinderjahren gelehrt, dass Arznei nur im äußersten Notfall aus dem Medizinschränkchen gekramt werden dürfe. Sei es aus Gründen der Antipathie gegenüber der Pharmaindustrie oder aus Geiz. Jedenfalls vermeide ich weitestgehend den Kontakt zu pharmazeutischen Erzeugnissen. Ein beliebter Ausspruch meiner Mutter ist: „Im Aspirin steckt der Tod!“
Tee ist die Alternative. Tee in rauen Mengen. Tee von morgens bis abends. Die Krankheit quasi gewaltvoll aus dem Leib urinieren. Ich habe mir schon überlegt, irgendwann, wenn ich mal Lust dazu habe, den kompletten, weltweiten Teevorrat aufzukaufen und eine Teesintflut auszulösen. Da wären die Engländer aber zornig. Mensch, wären die zornig. Haha!
Oft lutsche ich aber auch einfach Hustenbonbons. Nicht, weil ich hoffe, davon gesund zu werden. Ich finde irgendwie das Gefühl ulkig, ein Hustenbonbon zu verschlucken. Ich hätte mich mal fast an einem Hustenbonbon zu Tode geröchelt. In einem Flugzeug. Auf einem Transatlantikflug. Das mach’ mir mal einer nach! Seelenruhig saß ich da und las eine dieser unheimlich informativen Lufthansa-Heftchen, als es mir im Halse zuckte. Es kam ganz plötzlich. Ich glaube, es machte „Schnugg“, oder so ähnlich. Lustige Akustik jedenfalls. Das Kräuterstückchen steckte im Halse und war weder vorwärts noch rückwärts zu bewegen. Kurz: Ich bekam keine Luft mehr. Ich lief erst rot an, dann blau. Die Passagiere begannen ganz wild auf mich einzudreschen, weil sie dachten, das würde helfen. Schließlich kamen einige Stewardessen. Leider fiel ihnen auch nichts anderes ein, als auf mich einzudreschen. Auf solch eine Situation waren sie wohl in ihren Lehrgängen nicht vorbereitet worden. Jedenfalls machte es irgendwann „Plop“, das Bonbon kullerte auf den Boden und wurde anschließend sachgerecht entsorgt. Weil ich noch ein wenig weiterhustete, droschen die Flugbegleiterinnen weiterhin aufgeregt auf mich ein. Ich wollte ihnen sagen, dass sie jetzt aufhören könnten, aber ich musste ja husten. Und heulen, wie gesagt. Ich halte Leute, die wie verrückt auf hustende Mitmenschen eindreschen, ja prinzipiell für heimliche Sadisten, aber das ist eine andere Geschichte…
Angesichts dieser Anekdote werden spezielle Leute, die immer sagen, dass man in Amerika klagen könnte, sagen, dass man in Amerika klagen könnte. Gegen Kräuterbonbonhersteller. Mach ich aber nicht. Ich verklage die Lufthansa. Die soll gefälligst ihre Stewardessen unterrichten: Was tun, wenn ein Passagier droht, an einem Hustenbonbon zu ersticken?
Zurück aber zu meiner Grippe und dem damit zusammen hängenden Mitteilungsdrang; Für diejenigen Bekannten und Verwandten, die ich telefonisch nicht erreiche, verfasse ich ein Rundschreiben, das ich per E-Mail oder Fax versende.
Liebe Freunde, geschätzte Tanten, Neffen und Schwippschwäger,
hiermit möchte ich Euch darüber in Kenntnis setzen, dass ich die Grippe habe. Mit letzter Kraft verfasse ich diese Zeilen. Meine Augen sind rot, meine Lymphknoten angeschwollen und mein Hals glüht. Nur damit ihr’s wisst!
Euer Mitgefühl würde mich kräftigen, auch wenn eine Genesung in absehbarer Zeit nicht in Aussicht steht.
Über Blumenkränze, Geld oder Bier würde ich mich sehr freuen.
Kurz darauf wurde mir klar, dass das Rundschreiben ein Fehler war. Mein Freund Torte (Thorsten) kam mich spontan besuchen. Er machte sich ernsthaft Sorgen um mich. Bier hatte er aber keins dabei. Heilen wollte er mich mit einer Fruchtgummikur. Das sei gut für den Zuckerhaushalt und helfe, den Stoffwechsel in die Gänge zu bringen. Das war sein Ernst. Oh Gott, das war sein Ernst. Torte ist ziemlich abgefahren, muss man dazusagen. Wenn man nicht macht, was er will, heult er rum, dass er’s doch nur gut meine. Er behauptet auch, dass man von Afri-Cola Schweißfüße bekäme. Ein Freak also. Folgerichtig fraß ich das Fruchtgummi nur so in mich hinein. Erdbeeren, Himbeeren, Bananen und Orangen aus Zucker. Ich stopfte und stopfte, weil ich Torte aus dem Haus haben wollte. Dieser beschwerte sich noch, dass allen scheißegal sei, dass in der Tropifrutti-Fruchtgummimischung neuerdings der Papagei fehle. Den habe er so lieb. Er heulte fast. Ich hingegen versuchte, Torte zu ignorieren, und schaufelte energisch die Fruchtgummis in mein Sprechloch.
„Schnugg.“
Ich hatte ein Fruchtgummi im Halse stecken. „Verdammte Kacke“, dachte ich mir. „Fehlt nur noch…“
Torte drosch wie wild auf mich ein. Schwungvoll und voller Elan. Mir war inzwischen alles egal. Wenigstens wusste dieser Chinese, dass meine Nase verstopft war.