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Im Rhein schwimmen und von Thailand träumen

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04.11.2006
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Im Rhein schwimmen und von Thailand träumen


Bevor seine Zeit als Messias gekommen war, hatte Eduard Sputski als Gabelstaplerfahrer gearbeitet. Der Weg zur Erleuchtung begann mit einem Betriebsunfall: Im Sog morgendlichen Restalkohols verwandelte er eine siebenlagige Europalette mit Biermischgetränken in Scherben. Da es nicht der erste Vorfall dieser Art war, ermöglichte ihm sein Arbeitgeber zum Monatsende die Verwirklichung eines lange gehegten Lebenstraums: zeitlich unbefristeter Puffurlaub in Thailand.
Eduards Ausflug nach Phuket endete – entgegen seinen Erwartungen – nicht mit der Sperrung aller Kreditkarten, sondern mit einem Wunder. Nach neunzehn Stunden synthetischen Schlafes erwachte er ohne jede Erinnerung im Hinterhof einer Imbissbude, nur mit einer goldbraun gemusterten Unterhose bekleidet und sämtlicher Dokumente und Magnetkarten beraubt.
Das Privileg, nicht mit durchgeschnittener Kehle in einem Müllcontainer geendet zu haben, bewegte ihn zu dem unumstößlichen Entschluss, sein Leben von Grund auf zu ändern, sobald die bestialischen Kopfschmerzen abgeklungen sein sollten. Von nun an war er der Messias.

Wie üblich, wurde Franka gegen Ende des Jahres alles zu viel. Die vermeintlich besinnliche Zeit vor Weihnachten bedeutete profane Hektik, als stünde nicht das Fest des Friedens, sondern ein apokalyptisches Ende allen Daseins bevor. Es waren einfach zu viele Termine: Freunde treffen, Ideen für Geschenke ausknobeln, stundenlange Laufereien durch überheizte Läden, um dann doch nicht das Gesuchte zu finden. Außerdem musste sie die Heimfahrt ins Elternhaus und das Familienfest mit ihren Geschwistern organisieren.
Während der Bürotage, die dunkel begannen und düster endeten, schien das Läuten des Telefons aggressiver und aufdringlicher zu sein, die Kunden genervter und übler gelaunt als sonst. Von allen Seiten kam Druck, eine Gefühlslage, die Franka nicht ausstehen konnte. Und zu allem Überfluss wollte nun auch noch ihr Chef ein lange versprochenes "Dann gehen wir mal nett essen" einlösen. Den letzten freien Abendtermin der Woche würde Franka also nicht in der warmen Badewanne verbringen, sondern mit Running Sushi.

Der Messias liebte den Advent. Es war die ideale Jahreszeit, um fischen zu gehen. In ihrer Getriebenheit sahen die Menschen aus, als würden sie sich nach einer guten Nachricht sehnen. Sie schienen williger zu sein, einem Ruf zu folgen, der sonst ungehört an ihnen vorbeigegangen wäre:
"Glaubt Ihr denn, dass es jenseits von Ficken, Fressen und Saufen nichts gibt?"
Er hatte sich auf die Treppe gestellt, in die menschliche Brandung geworfen, dort, wo steile Stufen in die Unterwelt der Großstadt führten. Die Masse war gezwungen, sich zu teilen und ihn zu umfließen. Ein zäher Strom unwilliger Gesichter, vom rechten Weg abgebracht durch ein menschliches Hindernis und aus ihrem Dämmerzustand von einer Botschaft gerissen, die sie nicht hören wollten:
"Das Ende wird so furchtbar sein, dass ihr euch wünschen werdet, man hätte euren Vorvätern die Eier abgeschnitten und ihr wärt nie geboren worden."
Die Zeit im Bauch der Großstadt verging langsam, verstrich nicht in Sekunden und Minuten, sondern in Menschen. Das Fortschreiten des Nachmittags konnte der Messias daran ablesen, dass sich die vereinzelten Individuen zu einer gesichtslosen Masse zusammenrotteten; einer murmelnden Schafherde, die dann, nach Überschreiten eines halbstündigen Höhepunktes wieder ausdünnte. Andere, müdere Gesichter kamen nun nach. Es waren die Verlierer unter ihnen, vertrieben von der Kälte des Abends, rotnasige Gesichter, mit Plastiktüten auf Beutezug, nach Pfandflaschen suchende, oftmals unbequeme Gesprächspartner, schwer zu überzeugen von der Liebe eines allbarmherzigen Herrn.
Manchmal aber huschte auch noch um diese Zeit eine vergessene Perle vorbei, in schwarzen Strümpfen, mit halbhohen, klappernden Stiefeln und durch den dunklen Wollmantel hindurch erahnbarer Oberweite. Es waren dies die Augenblicke, in denen ihn selige Erinnerungen lächeln ließen.

Thomas Weith war Weihnachten herzlich egal. In zarter Jugend konfirmiert und im Mannesalter überzeugt durch eine monatlich immerhin dreistellige Ersparnis aus der Kirche ausgetreten, entsprach das Jahresende lediglich einer Häufung von arbeitsfreien Tagen, die in seiner Firma alles durcheinander brachten.
Nüchterner Rechner, wie Weith war, sah er aber auch klar die Vorteile: Das Fest lieferte ihm einen Vorwand, seine Assistentin zum Essen einzuladen. Weith konnte sich einreden, mit dem Einsatz von etwas Kapital und Charme endlich bei ihr zum Ziel zu gelangen, eine Vorstellung, die deutlich erotischer war, als ihre Realisierungschancen Erfolg versprechend. Aber der Mensch lebte von seinen Träumen, nicht nur im Privatleben.
Das Prinzip Hoffnung entsprach barer Münze; die Gewissheit wieder länger werdender Tage, einer höher in den Himmel steigenden Sonne, ließen Weith in allen Gliedern ein wohliges Kribbeln künftiger Glückseligkeit erahnen. Er konnte es spüren, riechen, schmecken, klingeln hören: Profit, Rendite, Umsatzwachstum.
Ungeduldig wartete gehortetes Geld und drängte in den sonnigen Süden; Kapital, das kanalisiert, in Solarprojekte investiert und zu diesem Zweck auf Weiths Konten transferiert werden wollte. Ein Eldorado, nicht jenseits eines gefährlichen Wassers gelegen, sondern nah, greifbar ins allgemeine Bewusstsein gerückt, durch ein Zauberwort: Ressourcenknappheit. Wer jetzt nicht die Hand in den Strom der Spekulation ausstreckte, um zu greifen, was er fassen konnte, war geistig minderbemittelt.
Während seine Zukunftspläne strahlende Reflexe unverfehlbaren Reichtums vorausprojizierten, hatte Weith eine schattenbehaftete Realität eingeholt. Sein geliebter Oldtimer war aufgrund der vorweihnachtlichen Kälte in Generalstreik getreten und ließ sich nicht mehr starten. Mit boshafter Ironie des Schicksals bemerkte er diesen Umstand am Abend des geplanten Weihnachtsessens. Um nicht auch noch in ein Taxi investieren zu müssen, waren Weith und seine Assistentin mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Restaurant gefahren, ein seiner Sparsamkeit angemessenes Manöver.

Franka wusste nun, dass roher Fisch so schmeckte, wie er roch. Die Schuld für diese Ernüchterung suchte und fand sie bei sich selbst, hatte doch den Verlauf des Abends ein unbedarftes "Japanisch war ich noch nie essen" provoziert. Auch die Annahme, dass der provinzielle Geiz Weiths und teure Moderestaurants inkompatibel wären, erwies sich als Fehleinschätzung. Weiths Laune war ausgezeichnet gewesen. "Mein Goldstück, Running Sushi wäre doch eine Idee für unser Weihnachtsessen!"
Mit einem zuversichtlichen Lächeln und einer sanften Berührung ihrer Schulter hatte Weith bekräftigt, dass er es auch mit dem Abendprogramm weiterhin ernst meinte. So fand sich Franka bei Meister Koimatsu wieder, wo die Mission des Abends nun in seicht bedeutungsloser Kommunikation bestand.

"Zwei Wochen, und keine Menschenseele bekehrt. Es ist zum Kotzen", murmelte der Messias, als er nach getanem Tagewerk den Heimweg antrat. Er war die Treppen zum Bahnsteig hinuntergestiegen und hatte auf einer gelblich verspritzen, klebrigen Sitzkombination Platz genommen. Im Gleisbett flitzten kleine, graue Felltiere herum, die an Zigarettenstummeln zu knabbern schienen.
"So einen beschissenen Advent hatte ich schon lang nicht mehr. Die Leute regen sich nicht mal auf. Du kannst sie beschimpfen. Du kannst sie anmachen, anbrüllen. Und es passiert einfach nichts. Herr, Gott, was ist los mit deiner Welt?"

Weith konnte sich nicht an ihr sattsehen. Hier aus der frontalen Ansicht und durch die Katalyse einiger Sake und der halbschummerigen Beleuchtung offenbarte sich ihm, was er im Tagesgeschäft bisher erfolgreich verdrängt hatte: Er musste sie haben.
Gedanklich drang er unter Frankas rosafarbenes Oberteil vor. Sie hatte richtig ordentliche Titten. Nicht von der festen, knackigen Art eines Teenagers, sondern eher die massige Substanz einer ausgewachsenen Frau. Material, das im Takt wackeln würde, wenn … vielleicht über den Tisch gelehnt, von hinten, die Stiefel könnte sie ruhig anbehalten dabei … ach ja, wenn. Außer einem angebotenen und angenommenem "Du" konnte er noch keine Erfolge vermelden. Franka schien keinen Sake zu mögen, keinen Pflaumenwein und auch keine andere Form von Alkohol.
"Ich bin ja so froh, dass du dich auf die Anzeige gemeldet hast … Du ahnst ja nicht, wie schwierig es ist … ich meine eine Frau zu finden, mit Ausstrahlung, dem rechten Ton für die Kunden … freundliches Auftreten, zuvorkommend … ich habe dir das viel zu selten gesagt, aber heute … dass du auch noch superattraktiv bist, können sie ja durch das Telefon nicht sehen …"

Franka nahm einen weiteren, kleinen Schluck. Sie fühlte, wie eine Welle angenehmer Wärme sie überrollte, den Hals entlang nach unten lief und schließlich die Mitte ihres Körpers für einen Moment von innen glühen ließ. Ja, natürlich habe es ihr geschmeckt, sie sei nur etwas erkältet und nicht gewohnt, abends so viel zu essen.
Es gab Eigenschaften, die sie an Weith bewundernswert fand: ein perfekt zuvorkommendes Wesen und seine Fähigkeit, mit Menschen auch in kritischen Situationen umzugehen, das Vertrauen aufrecht zu erhalten und sein Talent, sich aus jedem Schlamassel wieder herauswursteln zu können.
Dass die angegrauten Schläfen sein Alter schwer schätzen ließen, er offensichtlich nicht zu Bauchansatz neigte, regelmäßig ins Fitnessstudio ging und sichtlich auf eine gesunde Gesichtsfarbe achtete, machte ihn interessant, ebenso wie sein Feuerwerk von Ideen, abgebrannt an den wenigen Tagen, die er im Büro war.
Meist jedoch war er abwesend, und Franka blieb die Aufgabe, alles am Laufen zu halten, sich je nach klingelndem Telefon mit dem richtigen Firmennamen zu melden und das, was einer Entscheidung bedurfte, freundlich in die Warteschleife zu schieben. "Sorry, Mr. Weith is not in office today … yes, of course … he will call back immediately."
Ob er ihre Arbeitsweise tatsächlich schätzte, blieb ihr unbegreiflich, auch über die drei Monate hinweg, die sie schon für ihn tätig war. Und der vergangene Abend, dass sie ihn nun Thomas nennen durfte, ein Küsschen auf die Backe erhalten hatte und anschließend umarmt worden war, änderte nichts an ihrer Unsicherheit. Sie wurde nicht schlau aus diesem Sunnyboy, dem Meister verheißungsvoller Ankündigungen, dem unberechenbaren, mitunter launischen Chef.

Immer nach einem durchdachten Plan arbeiten. Ein Leitprinzip, das auch noch funktionierte, wenn die Beine weich und die Sprache undeutlich geworden waren. Weith erkannte die Sinnlosigkeit jedes weiteren verbalen Vorspiels. Jeder nun bestellte Sake wäre eine Fehlinvestition. Dieser Frau war mit Reiswein nicht beizukommen, ebenso wenig mit der Art seiner Komplimente, nun waren Taten gefragt. Nun musste er eine Attacke auf den innersten Kern der Festung reiten. Er verlangte die Rechnung und schoss einen letzen Pfeil ab: "Es ist für eine Frau keine gute Zeit zum U-Bahn fahren. Darf ich dich noch nach Hause begleiten?"

Endlich kam der Zug. Der Messias erhob sich schwerfällig, machte zwei glatzköpfigen Jugendlichen Platz, die aus dem Waggon sprangen, stieg ein und ließ sich auf den nächstbesten, freien Sitzplatz fallen. Ihm gegenüber saß ein Herr im Anzug mit Ehering am Finger und eine blonde Frau um die Mitte Dreißig. Seine Schläfen zeigten erste Anflüge von Grau. Der Messias lächelte müde, zwei dezent geschminkte Augen in einem rundlichen Gesicht sahen ihn für einen Moment lang prüfend an. Mit einem Ausdruck des sich Erinnerns wandte sich die Frau wieder ihrem Begleiter zu, der eindringlich gestikulierend auf sie einredete: "Man lernt sich viel zu wenig kennen … den ganzen Tag nur Telefon, Faxe, Mails … der Mensch kommt da viel zu kurz … ich muss gestehen ich weiß gar nicht wer du bist … also wie du so lebst, deine Wohnung eingerichtet hast und so … echt schade ..."
Sie blieb ihm eine Antwort schuldig und sah stattdessen zu ihrem Gegenüber auf. Wie zufällig ihr Knie berührend, setzte der grau melierte Herr seinen Vortrag fort:
"Bestimmt ist alles super geschmackvoll eingerichtet. Die Vorhänge Ton in Ton mit der Sitzkombination, Blumen, die jeden Morgen liebevoll gegossen werden …"
Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, während er weitersprach: "Und bestimmt gibt es auch so ein Regal mit kleinen Reiseandenken …"
Ein dumpfer Schlag aus dem vorderen Zugteil brachte ihn zum Verstummen, gleichzeitig fiel die Beleuchtung aus und der Zug kam quietschend zum Stehen. Die Frau hatte das unerwartete Ereignis mit einem kurzen Aufschrei quittiert und sich offenbar in der Dunkelheit an ihren Begleiter geklammert, der sie zu beruhigen versuchte: "Keine Panik Franka, bestimmt wieder nur so eine technische Störung. Oder ein Typ, der sich vor den Zug geworfen hat. Hat sich bestimmt gleich erledigt."
Es dauerte, bis sich die Augen des Messias an die Dunkelheit gewöhnt hatten, nur von vorne, vielleicht von der nächsten Station her, sickerte ein Hauch von Licht den Tunnel entlang, zu wenig, um Augen oder Gesichter zu erkennen. Der Messias ließ die Stille auf sich wirken, stellte sich vor, wie die Frau angstvoll den Oberarm ihres Begleiters umklammert hielt, während er seine Hand auf ihr Knie gelegt hatte, unter den Rock schob und sanft die schwarze Strumpfhose streichelte. Ein Bild, das ihm Brechreiz hochsteigen ließ.
"Wir kennen uns", sprach er schließlich in Richtung des grau melierten Herren.
"Wirklich? Und woher?"
"Bangkok. Beach Bunny Bar.“
„Das kann nicht sein, ich ...“
„Du warst mit diesem blutjungen Ding zu Gange."
Der Messias hörte sprachloses Schnaufen aus der Dunkelheit, dann eine gereizt klingende Antwort: "Sie verwechseln mich. Ich war noch nie in …"
"Doch. Warst du. Um das zu tun, was alle dort tun: Herumhuren."
"Das ist ja wohl … eine Unverschämtheit … was gibt Ihnen das Recht …"
"War die Kleine eigentlich schon zwölf? Schwer zu schätzen bei diesen Asiatinnen … echtes Frischfleisch, das ist es doch, weshalb man dorthin fährt, oder?"
Der Messias hörte etwas rascheln. Offenbar löste sich die Verbindung aus Angst und unverhoffter Zärtlichkeit auf, sein Gegenüber hatte die Hand von seiner Begleiterin genommen und ging in Angriffsstellung.
"Thomas, nein, bleib … lass ihn!"
"Das werden Sie mir … wenn es erst wieder hell ist … ich lasse mich doch nicht von einem Penner …"
"Nein. Du wirst es bereuen. Denn fürchterlich ist der Zorn des Herrn gegen die Ungerechten."

Mit einem Klacken sprang die Lüftung wieder an und die Neonleuchten überschütteten die drei Insassen des Waggons mit einer blendenden Lichtfülle. Der Anzugträger war aufgestanden, hatte wortlos eine Salve hasserfüllter Blicke in Richtung des Messias abgefeuert und war zur übernächsten Türe gegangen. Seine Begleitung folgte ihm untergehakt, sei es, um ihn zu halten oder gehalten zu werden. Der Zug rollte die verbleibenden Meter zum Bahnsteig vor, dann öffneten sich die Türen. Das ungleiche Paar stieg aus, ohne den Messias eines weiteren Blicks gewürdigt zu haben, nur als sich die Türen geschlossen hatten, drehte sich die Frau noch einmal um, zwei fragende Augen, die den Zug absuchten.

Nachdem Franka die Thermoskanne abgeliefert und den Raum verlassen hatte, schenkte Weith seinem Besucher eine Tasse Kaffee ein und lehnte sich entspannt zurück.
"Das ging ja fix! Und, was haben Sie herausgefunden?"
Der untersetzte Mann um die fünfzig griff in die Brusttasche seiner Lederjacke, zog einen Stapel mit Fotos hervor und schob sie langsam über den Schreibtisch zu Weith hinüber.
"Ist er das?", fragte er.
Weith warf einen kurzen Blick auf die oben liegende Aufnahme. Das Gesicht eines älteren Mannes mit grauem Bart und bekleidet mit einer bräunlichen Kutte war zu sehen. Weith nickte. Sein Gegenüber fuhr fort: "Der Schein trügt, er ist kein Obdachloser, allerdings stadtbekannt als irrer Wanderprediger. Spitzname: Messias. Im wirklichen Leben heißt er Eduard Sputski. Die Adresse seiner Sozialwohnung würde ich Ihnen aushändigen, wenn das Honorar vollständig beglichen ist."
Wieder nickte Weith, öffnete seinen Schreibtisch und holte ein Kuvert hervor. Er legte es auf dem Tisch ab, ohne seinen Gast aus den Augen zu lassen. Dieser nahm den Umschlag, warf einen kurzen Blick hinein und schob seinerseits einen Zettel über den Tisch. Weith nickte dankend.
"Sie kennen nicht zufällig jemanden, ich meine … etwas fester zupacken … einige Dinge klarstellen … Sie haben doch in ihrem Beruf … das kommt doch sicherlich öfter …"
Der Gast schüttelte energisch den Kopf:
"Es tut mir Leid, Herr Weith. Berufsethos. Sie haben die gewünschte Information erhalten und mich bezahlt. Hier trennen sich unsere Wege. Alles Weitere ist Ihre Angelegenheit."

„Thomas, wer war das?“
„Von dieser Beratungsfirma ... behauptet, wir könnten massenhaft Steuern einsparen ... die richtigen Graubereiche ausnutzen. Hatte interessante Ideen, muss mir da mal was durch den Kopf gehen lassen.“
Franka nickte. Mittlerweile kannte sie den Tonfall, die muntere Abfolge von zu glatt klingenden Phrasen, um zu wissen, dass Weith bewusst die Unwahrheit gesprochen hatte. Außerdem hatte sie zuvor in seinem Terminkalender geblättert, war über das Wort Privatdetektiv gestolpert, allerdings ohne die Zusammenhänge zu begreifen. Dass Weith nicht nur die Kunden, sondern auch sie belog, hatte eine andere Qualität, war etwas, das Anlass gab, sich Gedanken über die eigene Zukunft zu machen. In Kürze würde sie dieses Thema angehen, sobald Weihnachten vorbei sein würde oder zu Beginn des neuen Jahres. Es musste sich etwas in ihrem Leben ändern.

Schon während sie die Eingangstüre zur Firma aufsperrte, überfiel Franka ihr schlechtes Gewissen. Wie konnte sie nur vergessen, das Schilfgras ausreichend zu wässern? Sie entdeckte das bräunlich vertrocknete Zeugnis ihres Frevels auf der Fensterbank, noch in Mantel und Handschuhen. Franka ärgerte sich. Sicherlich war Weith über die Feiertage im Büro gewesen, aber auf die Idee, die Topfpflanzen zu gießen, war er natürlich nicht gekommen. Pflanzen, Tiere, Menschen, alles das waren Nebensächlichkeiten, die sich nicht in harte Währung umrechnen ließen. Ja, es wäre ihre Aufgabe gewesen, aber er hätte doch auch daran denken können, dass Pflanzen Wasser zum Leben brauchen.
Automatisch machte sie sich an die Arbeit. Die Post sortieren, abgefallene Blätter wegräumen, den Computer hochfahren, Kaffee kochen. Für wen eigentlich?
Das einsame Röcheln der Kaffeemaschine hallte durch das Büro, als Franka feststellte, dass kein handgeschriebenes Schmierblatt mit Anweisungen auf ihrem Platz lag. Keine supereiligen Aufträge, keine "danke, mein Goldstück" Grußzeile. Weiths, nein Thomas' Büro sah aus, wie er es vor Weihnachten verlassen hatte. Seltsam.

Bevor der Kaffee fertig war, läutete es an der Türe. Ein Zusteller? Der Hausmeister, um ein gutes neues Jahr zu wünschen? Franka hatte geöffnet und zwei Herren streckten ihr die Dienstausweise entgegen und erbaten Zutritt zu den Büroräumen. "Kriminalpolizei Köln. Sie arbeiten hier? Dürfen wir Ihnen ein paar Fragen stellen?"
Vollkommen überrascht bat Franka die unerwarteten Besucher herein. Zumindest würde sie ihren Kaffee nicht alleine trinken müssen.

Sie hatte das Büro abgesperrt und war gegangen. Immer, wenn sie innerlich aufgewühlt war, verspürte Franka den Drang, sich zu bewegen. Gehen bedeutete nachdenken, mit sich selbst ins Reine kommen. Den Schnellimbiss an der Ecke ließ sie links liegen, lief einfach weiter, ohne Ziel, nur mit der Absicht, vorwärts zu kommen. Ein Geldautomat am Wegrand schenkte ihr einen Kontoauszug, das Dezembergehalt war eingegangen. Ob der Dauerauftrag einfach weiterlaufen würde?

Normalerweise verschwanden die Fragezeichen nach einigen Kilometern, nicht so heute. Es waren zu viele Wenn und Aber, ein undurchdringlicher Sumpf von Eventualitäten. Auf jeden Fall hatte sich nun die Frage geklärt, wo sie in Zukunft ihr Geld verdienen würde. Woanders, für einen Chef, der sie nicht mehr anlügen würde, ihr nicht mehr oder weniger offensichtlich an die Wäsche wollte. Thomas war aus dem Rhein gezogen worden, fünfizig Kilometer stromabwärts. Sie würde sich eine Stelle suchen, ein nettes Büro mit Kollegen, auf jeden Fall keine Isolationszelle mit Telefonzentrale.
Indizien sprachen für einen Kampf. Von der Pistole in der Brusttasche seines Mantels wisse sie nichts. Eine Patrone fehlte. Nein, sie habe keine Erklärung. Feinde? Nicht dass sie wüsste, ja natürlich, da wären Geschäftspartner, manches sei nicht immer ganz reibungslos verlaufen, aber wegen Zahlungsverzögerungen jemanden umbringen? Es wäre doch nur um Geld gegangen, sie könnten sich gerne die Akten ansehen, aber für die Buchhaltung sei jemand anderer zuständig, ein freiberuflicher Steuerberater.
Was würde mit einer Firma passieren, deren Inhaber verstorben war? Wie auch immer die rechtliche Seite aussehen mochte, sie würde sich auf die Suche machen müssen. Ab wann können sie bei uns anfangen? Morgen schon. Referenzen? Bedauere, Tote schreiben keine Zeugnisse.
Nach unschätzbar langer Zeit begann sie die Kälte zu spüren, eisige Finger krochen unter ihren Wollmantel. Eigentlich konnte sie nun nach Hause fahren, in der Stadt gab es nichts mehr zu tun für sie. Und morgen? Ein Ausflug nach Luxemburg vielleicht? Eine Welt voller Optionen lag ihr zu Füßen.

In nachmittäglichem Automatismus nahm sie die Treppen zur U-Bahn hinunter. Aus der Tiefe hallte eine Stimme empor, die sie kannte. Wortfetzen, die sie zum ersten Mal bewusst wahrnahm. Am unteren Ende des Treppenaufgangs stand er: braune Kutte, zotteliger Bart, der fast bis zur Hüfte herunterhing.
"Und ich sage Euch, es wird Heulen und Zähneknirschen sein, denn Ihr habt euch versündigt an dem Propheten eures Herrn und Hand angelegt an ihn. Doch Gottes Rache wird fürchterlich sein!"
Franka beschleunigte ihre Schritte, während sie an ihm vorbeiging. Ob er sie erkannt hatte? Auf der Suche nach der Antwort in seinem Gesicht sah Franka das blaue Auge. Der linke Arm war bandagiert und wurde nur durch ein schwarzes Dreieckstuch in seiner Stellung fixiert.
"Halt, Mädel warte, ich muss mit dir reden … nicht weglaufen!"

Die Türen schlossen sich und tief atmend starrte Franka auf den Bahnsteig. Er war ihr nicht hinterhergekommen, hatte den Zug verpasst. Die Welt vor den Fenstern setzte sich in Bewegung. Das letzte was Franka erkannte, war das Werbeplakat eines Reisebüros: "2 Wochen Thailand, all inklusive: 730 Euro" Den morgigen Tag würde sie definitiv in Luxemburg verbringen, sich vielleicht in einer netten Pension einquartieren, jedenfalls nicht mit der U-Bahn ins Büro fahren.

 

Hallo AlterEgo,


Bevor die Zeit als Messias gekommen war, hatte Eduard Spanski als Gabelstaplerfahrer gearbeitet.
Der Nachname des Prots lenkt mich ab, da es mich so an Spasti erinnert.

Im Sog morgendlichen Restalkohols verwandelte er eine siebenlagige Europalette mit Biermischgetränken in Scherben.
Die Europalette ist siebenlagig? Doch wohl eher die Kisten, oder?

Da es nicht der erste Vorfall dieser Art war, ermöglichte ihm sein Arbeitgeber zum Monatsende einen lange gehegten Lebenstraum verwirklichen zu können: Zeitlich unbefristeter Puffurlaub in Thailand.
Eduard ist also nicht arbeitslos gemeldet, sondern geht in Rente?
Die vermeintlich stille Zeit vor Weihnachten bedeutete Stress pur, profane Hektik, als stünde nicht das Fest des Friedens sondern ein apokalyptisches Ende allen Daseins bevor.
Friedens, sondern
Während der Bürotage, die dunkel begannen und düster endeten,
:thumbsup:


Der Messias liebte den Advent. Es war die ideale Jahreszeit um fischen zu gehen.
Jahreszeit, um

Er hatte sich in die Mitte der Treppe gestellt, in menschliche Brandung geworfen, dort wo steile Stufen in die Unterwelt der Großstadt hinab führten.
dort, wo

Die Zeit verging langsam in den Eingeweiden der Großstadt, verstrich nicht in Sekunden und Minuten, sondern in Menschen.
Würde ich umstellen: Die Zeit in den Eingeweiden der Großstadt verging langsam , verstirch ...

Das Fortschreiten des Nachmittags konnte der Messias daran ablesen, dass sich die vereinzelten Individuen zu einer gesichtslosen Masse zusammenrotteten, einer murmelnden Schafherde, die dann, nach Überschreiten eines halbstündigen Höhepunktes wieder ausdünnte.
... zusammenrotteten; einer murmelnden Schafherde, die dann, nach Überschreiten eines halbstündigen Höhepunktes, wieder ausdünnte.
Thomas Weith war Weihnachten herzlich egal. In zarter Jugend konfirmiert und im Rahmen einer monatlich dreistelligen Euroersparnis aus der Kirche ausgetreten, entsprach das Jahresende lediglich einer Häufung von arbeitsfreien Tagen, die in seiner Firma alles durcheinander brachten.
Euroersparnis ist ein sperriges Wort, lass das Euro doch einfach weg, dann können es die Schweizer auch ohne Stolperer lesen ;).


Ungeduldig wartete gehortetes Geld und drängte in den sonnigen Süden, Kapital das kanalisiert, in Solarprojekte investiert und zu diesem Zweck auf Weiths Konten transferiert werden wollte.
... drängte in den sonnigen Süden; Kapital, das kanalisiert, in Solarprojekte investiert und zu diesem Zweck auf Weiths Konten transferiert werden wollte

Ein Eldorado, nicht jenseits eines gefährlichen Wassers gelegen, sondern, nah, greifbar ins allgemeine Bewusstsein gerückt, durch ein Zauberwort:
das Komma nach sondern weg
Franka wusste nun, dass roher, auf einem Transportband im Kreis herum laufender Fisch so schmeckte, wie er roch und nicht ihr Ding war.
Das kannst du besser - der Satz hakt.

Die Schuld für diese Ernüchterung, suchte und fand sie bei sich selbst, hatte doch den Verlauf des Abends ein unbedarftes "japanisch war ich noch nie essen" provoziert.
Komma nach Ernüchterung weg

Im Gleis flitzen, kleine, graue Felltiere herum, die an Zigarettenstummeln zu knabbern schienen.
Wenn, dann auf den Gleisen und nach flitzen kommt das Komma weg

machte ihn interessant, ebenso wie das Feuerwerk an Ideen, abgebrannt an den wenigen Tagen, die er im Büro war.

Das liest sich wie ein Strohfeuer und ist für mich eher negativ - denn es ist nichts Nachhaltiges da, denke ich da.

Ihm gegenüber saß ein grau melierter Herr im Anzug mit Ehering am Finger und eine blonde Frau um die Mitte Dreißig.
Vielleicht sollte man die Haare grau meliert sein lassen? Ach, und verheiratet ist er auch noch :D?
Der Messias lächelte beide müde an, zwei dezent geschminkte Augen in einem rundlichen Gesicht sahen ihn für einen Moment lang prüfend an.
Das ist etwas ungeschickt, wenn in einem Satz einmal von beide=beide Prots und gleichzeitig von zwei= ein Augenpaar die Rede ist.
Ob er ihre Arbeit tatsächlich schätzte, blieb unerkenntlich, auch über die Monate hinweg, die sie schon für ihn tätig war.
[...]
Keine supereiligen Aufträge, keine "danke, mein Goldstück" Grußzeile.
Passt für mich nicht ganz.

Genauso habe ich meine Probleme, dass der Prot zwar gut verdient, versucht, sie mit Reiswein rumkriegen will, aber dann nicht mal ein Taxi spendiert. (Er kann sie ja trotzdem begleiten und wär schneller bei ihr!)

Sie hatte das Büro abgesperrt und war gegangen. Immer, wenn sie innerlich aufgewühlt war, verspürte Franka den Drang sich zu bewegen.
Drang, sich


Nach unschätzbar langer Zeit, begann sie die Kälte zu spüren, eisige Finger krochen unter ihren Wollmantel.
Komma hinter Zeit weg

Das letzte was Franka erkannte, war ein Werbeplakat eines Reisebüros: "2 Wochen Thailand, all inklusive: 730 Euro"
letzte, was Franka erkannte, war das Werbeplakat

Ja, und inhaltlich:

Mir ist die Geschichte zu zerfasert. Sie hat eine durchgängige konsequente Handlung, aber es finden sich beim Lesen soviele Details, die ich mir versuche abzuspeichern (da man ja nicht weiß, wo die Geschichte hinführt) und bei denen ich mir nicht sicher bin, ob sie von Belang sind. Das macht das ganze, obwohl es ein erfrischender Plot ist, für mich zu bedeutungsschwanger.

Vielleicht interpretiere ich auch zuviel hinein und finde dann keine sinnvolle Auflösung. Soll Franka eine neue Messias(in) werden? War Weith tatsächlich in Bangkok oder konnte er es sich nur nicht erlauben, dass Eduard noch einmal so einen Mist verzapft? Wer Eduard sein Mörder, und wenn, wieso?

Viele Fragen. Ich werde die Geschichte morgen noch einmal durchlesen, vielleicht habe ich heute auch den Kopf nicht mehr ganz dazu.

Liebe Grüße
bernadette

 

Hallo Alter,

vorweg eine Frage eher am Rand,

wer erspart sich wie unter uns normal Sterblichen monatlich eine dreistellige Kirchensteuer, außer er ist ausgetreten oder ist Nutznießer eines riesigen Kinderfreibetrages und müsste stattdessen – je nachdem wo er wohnt – weil er halt einen Partner hat „Kirchgeld“ zahlen? Hierzulande ist die Trennung Staat und Kirche ausgesprochen gelungen, trotz Bismarcks, aber die Mark ist ja abgeschaft.

Nicht alles wird gegen Ende des Jahres zu viel, aber einige Füllsel: warum bedeutete die Zeit nicht nur Stress, sondern gleich Stress „pur“, nicht nur Hektik, sondern gleich „profane“, als gäb’s auch außerweltliche oder gleich „heilige“, wozu dann freilich das „apokalyptische“ Ende statt eines einfachen passte. Aber auch „ … ich habe dir das viel zu wenig oft gesagt …“, einfach komisch, doch einfach besser „ich habe dir das viel zu selten gesagt …“

Endlich mein Lieblingsthema, der Konjunktiv, insbesond’re irrealis. Über „WÜRDE“ Konstruktionen brauch ich Dir nix erzählen, aber dass Du sie außerhalb der (umgangssprachlichen) direkten Rede verwendest, ich weiß nicht … Also: „Den letzten freien Abendtermin der Woche würde Franka also nicht in der warmen Badewanne, sondern mit Running Sushi verbringen“ klänge doch feiner wie folgt „Den letzten freien Abendtermin der Woche verbrächte Franka also nicht in der warmen Badewanne, sondern mit Running Sushi“ und wieder nicht so viel Füllsel, weil zwo Worte weniger.

„"Glaubt ihr denn, dass es jenseits von Ficken, Fressen und Saufen nichts gibt?" Besser „gebe“ oder, wenn dem Herrn selbst Zweifel kommen „gäbe“.

„ … Material, das im Takt wackeln würde, …“ > „Material, das im Takt wackelte …“

Ah, Triumph der Kohl’schen Rechtschreibreform: Zwar kann man ziemlich viel Infinitivsätze ohne Komma belassen, doch gerade nicht beim „um“: Also: „Es war die ideale JahreszeitKOMMA um fischen zu gehen.“

Muss denn nun pr hier eindringen? „Teenagerin“, reicht nicht „Teenager“?

Vielleicht hat das alles schon bernadette gesagt und ich bin nur Wiederholungstäter, äh, Trittbrettfahrer, aber

jetzt muss ich nochemal mit’n Hunden raus, komm aber noch mal zurück …

Das hebt jetzt die Spannung, oder?

friedel

auch nicht.

 

Da bin ich wieder, die geschäfte (kleine, wie man sieht) sind verrichtet und ich guck mal weiter, AlterEgo …

Hat sich ja keiner zwischen geschoben. Sind alle schon schlafen?

Ah, chinesisch Essen und Sake trinken, dat wär jut jetzt! Aber ich schweif ab …

„Dass die angegrauten Schläfen sein Alter schwer schätzen ließen, er offensichtlich nicht zu Bauchansatz neigte, regelmäßig ins Fitnessstudio ging und sichtlich auf eine gesunde …“ erzählste über mich? Nee, ne? Ach, ich brauch ja jar kein Wellness & so … Ich schweif wohl immerzu und –fort …

Jetzt fährt’s fort:

Statt „bewundernswert fand“ wär „bewunderte“ einfacher, vielleicht sogar einfach besser.

… he will call back immediatelyPOINT", “ … und so … echt schadePUNKT"

„ … ließ sich auf den nächstbesten, freien Sitzplatz fallen.“ Dass der Sitzplatz frei war bedarf eigentlich keines Wortes …

„ … und der Zug kam mit quietschenden Rädern zum Stehen.“ Nun ja, der Zug wird seine Räder nicht verloren haben, da sind wir beruhigt. Es reicht vielleicht: „ … und der Zug kam quietschend zum Stehen.“

Wie in der ersten Lieferung schon einmal „ … zu wenigKOMMA um Augen oder Gesichter zu erkennen.“

„ … reden … nicht weglaufenPUNKT"

Ach, Konjunktief, äh, -tiv: „ … das Dezembergehalt war eingegangen. Ob der Dauerauftrag einfach weiterlaufen würde?“. Mögen wir zwar denken (und sprechen), aber doch nicht schreiben. Hört sich für viele Ohren sicherlich gewagt an „das Dezembergehalt war eingegangen. Ob der Dauerauftrag einfach weiterliefe?“, oder gar „läuft“?

Und in der Folge ein schwieriger Satz: „Was würde mit einer Firma passieren, deren Inhaber verstorben war?“ Im Konjunktiv 2 und also unter Unsicherheit selbstverständlich „Was passierte (schöner, weil melodischer: geschähe) mit einer Firma, deren Inhaber verstorben war (wär?)?“ Oder: „Was wird mit einer Firma passieren (geschehen), deren Inhaber verstorben ist?“*

Vielleicht hast Du nicht den Eindruck, aber ich bin amusiert und beeindruckt: so sind wir alternden Säcke – manchmal, manchmal auch nicht.

Gut zu lesen, gut umgesetzt. Was könnte mehr verlangt werden von Unterhaltungsliteratur mit einem Hauch von Satire?

Joode nacht & moin

friedel


*Wahrscheinlich die schwierigste Entscheidung zwischen den sich wandelnden Erbrechten.

 

Hey ihr beiden Nachteulen,

das ging ja flott, ist ja der Wahnsinn ... ganz lieben Dank, habe Eure Anmerkungen mit Vergnügen umgesetzt.

@bernadette:

Die Europalette ist siebenlagig? Doch wohl eher die Kisten, oder?

Tja ist der korrekte Branchenjargon ... Du bringst sieben Lagen Kästen übereinander und danach noch in den LKW, bei kleinen PET Flaschen mit Zwischenlagen deutlich mehr, aber hier geht es ja explizit um Scherben.

Eduard ist also nicht arbeitslos gemeldet, sondern geht in Rente?

Ich hatte gehofft, dir Ironie war eindeutig genug: Eduard wird rausgeschmissen

Zum Inhalt: Du hast im Rahmen Deines Kommentars einige Fragen gestellt, die ziemlich genau den Kern der Geschichte betreffen:

War Weith tatsächlich in Bangkok oder konnte er es sich nur nicht erlauben, dass Eduard noch einmal so einen Mist verzapft? Wer Eduard sein Mörder, und wenn, wieso?

Genau darum geht es und ich dachte, eigentlich auch die passenden Antworten im Text versteckt zu haben.

Der Vorwurf der Zerfaserung ist ernster und trifft die Sache auf den Kopf. Die Lebensgeschichten dreier Personen vermischen sich, ich hatte gehofft die Leserschaft hat es leichter dadurch dass die drei stark unterschiedlich sind, unterschiedlich sprechen, handeln ...

Danke auf jeden Fall nochmalls für die dicke Fehlerliste.

@Friedrich:

Über den Konjunktiv außerhalb der direkten Rede muss ich nochmals meditieren. Vor allem weil es sich meist um die Gedanken der sonst sprechenden Proragonisten handelt. Gint mir en paar Tage bitte.


Liebe Grüße,

AE

 

Ich hatte gehofft, dir Ironie war eindeutig genug: Eduard wird rausgeschmissen
Das habe ich schon verstanden: Aber wenn er dann zeitlos unbegrenzt in Thailand sein kann, ist er doch nicht arbeitslos gemeldet, also in Rente?
Oder hat er soviel auf der hohen Kante, dass er gehen kann? Aber wenn es so gewesen wäre, hätte er das ja von sich aus machen können.
Du verstehst meinen Ansatz?

 

Hallo bernadette,

Ansatz komplett verstanden. Das "zeitlich unbefristet" war eine Anspielung auf die übliche Formulierung von Arbeitsverträgen, pervertiert dadurch dass der Vertrag eben aufgelöst/gekündigt ist. Das mit der hohen Kante steht in dem Satz, in welchem Eduards eigene Erwartung formuliert ist, dass irgendwann seine Kreditkarten gesperrt werden ... du hast natürlich recht, dass das ganze aus externer logischer Sicht nicht ganz zusammenpasst, aber irgendwo auch im Keim die WIdersprüchlichkeit dieser Persönlichkeit ausdrückt.

Wo ich leider heute morgen etwas knapp darüber hinweg gegangen bin, war der von dir angemerkte Punkt

Genauso habe ich meine Probleme, dass der Prot zwar gut verdient, versucht, sie mit Reiswein rumkriegen will, aber dann nicht mal ein Taxi spendiert.

Da hast du in der Tat den Finger in die Wunde gelegt ... Auch wenn er ein Geizkragen ist, wäre das Taxi vielleicht einen Versuch Wert, dann bricht aber das Treffen in der U-Bahn zusammen, schniefz.

Liebe Grüße,

AE

 

Hallo Musa,

danke für deine Anmerkung. Jaja der Einstieg. Bei mir wachsen Geschichten eigentlich immer von der Einstiegssequenz her ... alle Versuche, den Plot vorher komplett durchzustrukturieren, sind bei mir bisher hartnäckig gescheitert. Was du (im Chor mit den Vorkommentatoren) als "zu viele Details" bemängelst ist dann wohl das in Text gegossene Problem, den Schwung des ANfangs nicht über 25000 Zeichen durchhalten zu können.

Herzlichen Gruß zurück,

AE

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo AlterEgo,

zunächst ein paar Kleinigkeiten.

Zitat: Da es nicht der erste Vorfall dieser Art war, ermöglichte ihm sein Arbeitgeber zum Monatsende einen lange gehegten Lebenstraum verwirklichen zu können:

Klingt etwas umständlich. Warum nicht ... ermöglichte ihm sein Arbeitgeber zum Monatsende die Verwirklichung eines lang gehegten Lebenstraums?

Zitat: Zeitlich unbefristeter Puffurlaub in Thailand. Das "zeitlich" könnte meines Erachtens weg. Eine Frist hat doch immer mit Zeit zu tun.

Zitat: Vor allem die Fülle der Termine machte ihr zu schaffen: Freunde treffen, Geschenke ausdenken,

Besser klänge: "Ideen für Geschenke finden/überlegen oder was in der Art. "Geschenke ausdenken" klingt unrund.

Zitat: Während der Bürotage, die dunkel begannen und düster endeten,
Toll!

Zitat: schien das Läuten des Telefons aggressiver und aufdringlicher zu sein, die Kunden genervter und übel gelaunter als sonst.

Und damit zerstörst du die Kraft des guten Einstiegs durch das doppelte "Beladen" des Telefons und der Kunden mit Adjektiven. Ich denke, es würde reichen, das Telefon aufdringlich und die Kunden genervt sein zu lassen, dann behält das Satzgefüge insgesamt einen guten Rhythmus. Besonders das "übel gelaunt" passt nicht so (eher vielleicht launisch) und bei einem aggressiv klingelnden Telefonen muss ich immer an Entenhausen denken, wenn Dagobert mal wieder Donald anruft, um ihn auf der Stelle in seinen Geldspeicher zu zitieren *g*.

Zitat: Er hatte sich in die Mitte der Treppe gestellt, in menschliche Brandung geworfen,

Starkes Bild!

Zitat: wo steile Stufen in die Unterwelt der Großstadt hinab führten.

Ich finde Unterwelt bedingt "hinab", ich würd es ersatzlos Streichen, dann verliert der Satz auch einen sprachlichen Stolperstein.

Zitat: Die Masse war gezwungen, sich zweizuteilen

Das musst du mal laut lesen, das zischt gewaltig. Ich würde schreiben: "Die Menge war gezwungen, sich zu teilen ..." (Menge würde ich schreiben, weil du kurze Zeit später erneut von "Masse" sprichst).

Zitat: eine Vorstellung die deutlich erotischer war, als ihre Realisierungschancen Erfolg versprechend.

Das würde ich irgendwie einfacher ausdrücken. Realisierungschance ist nicht nur optisch ein garstiges Wortgebilde, obwohl mir klar ist, dass du es wohl verwendest, um damit den Typen zu charakerisieren. Es liest sich aber sperrig.

Zitat: Franka wusste nun, dass roher Fisch so schmeckte, wie er roch und nicht ihr Ding war.

Vorschlag: Franka wusste nun, dass roher Fisch so schmeckte, wie er roch. Und Peng! Leser versteht: okay, das ist wohl nicht ihr Ding!

Zitat: Nicht von der festen, knackigen Art eines Teenagers, sondern eher die massige Substanz einer ausgewachsenen Frau.

Klingt komisch. Reif? (Nachtrag: Hab's später kapiert, es muss genau so formuliert sein!)

Zitat: Und Franka schien keinen Sake zu mögen, keinen Pflaumenwein sowie auch keine andere Form von Alkohol.

Das "Sowie" stört. Ein profanes "und" würde tatsächlich eleganter verbinden.

Zitat: Ob er ihre Arbeit tatsächlich schätzte, blieb unerkenntlich, auch über die Monate hinweg, die sie schon für ihn tätig war.

Meinst du damit, dass er ihre Arbeit nicht angemessen honorierte? Oder dass es unerkannt blieb (nicht deutlich wurde), ob er ihre Arbeit wirklich schätzte? Wobei ich "Einsatz" besser finden würde als "Arbeit", weil das Wort nach mehr Engagement klingt und ein besseres Bild bietet.

So, das war das. Eine interessante Geschichte, die sehr langsam Fahrt aufnimmt und erst im letzten Drittel richtig warmgelaufen ist. Da scheint sich auch dein Stil zu ändern, er wird direkter und gradliniger und verbündet sich mit der Handlung. Das tut der Geschichte gut.

Komischerweise habe ich am Anfang immer geglaubt, der Messias würde in Thailand Messias spielen.

Den Aufbau der Geschichte finde ich gut. Ich mag das ineinander Verschachteln verschiedener Handlungsabläufe, die dann irgendwo real ineinander laufen.

Die Geschichte hat mir Gefallen (auch wenn's bei den vielen Anmerkungen auf den ersten Blick vielleicht nicht so aussieht)!

Grüße von Rick

 

Hallo Rick,

herzlichen Dank für Deine ausführliche Rückmeldung. Die Änderungsvorschläge habe ich gerne übernommen.

Vor allem freut mich auch, dass Du den Effekt sprachlicher "Beschleuningung" gegen Ende hin entdeckt hast.

Komplizierte Handlungsabläufe scheinen Geschmackssache zu sein. Für meinen Teil habe ich aus dem Experiment mit drei Hauptpersonen gelernt, dass es schwierig ist, eine solche Konstellation in für den Leser ansprechender Form 'rüber zu bringen.

Vielleicht ist drei tatsächlich schon etwas viel für eine Kurzgeschichte.

Die Verwechslung mit Thailand: In der Tat gab es in den 157 Version bei der Entstehung einen Absatz, der der "Rücktransport" unter aktiver Mithilfe eines "grau melierten Herrn" beschreibt. Selbiger viel den zahlreichen Kürzungen im Vorfeld zum Opfer.

Vielleicht noch ein letztes Wort zum Stil und dem "Verbünden mit der Handlung":

Das Ende ist aus Frankas Sicht geschrieben, denn sie ist für mich die eigentliche Hauptperson. Sie ist es, die auch nach all den Zerrüttungen entscheidne muss, wie ihr Leben nun weitergeht. Dieses "jetzt" wird's ernst, habe ich versucht zu verpacken, sowie jeder der drei Prots einen eigenen Erzählstil spendiert bekommen hat ...

Herzlichen Dank nochmals für Deine Mühe,

liebe Grüße,

AE

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Alter Ego,

drei sehr verschiedene Charaktere (das kommt gut zum Ausdruck) begegnen sich. Alle drei sind ziemlich einfach gestrickt in ihren Handlungsweisen und Zielen: der Firmenchef, der seine Sekretärin ins Bett kriegen will, die junge Frau, deren Leben die Erfüllung banaler Pflichten ist, und der einfache Arbeiter, der arbeitslose Moralapostel (der springt etwas den Rahmen;)). Das Gemeinsame: die Flucht aus dem grauen Dasein in die Exotik (nach Thailand).

Warum ich die jetzt anführe? Ich fragte mich beim Lesen: Wer erzählt eigentlich? Es muss natürlich keiner der dreien sein, es ist in deinem Fall ein personaler Erzähler, dessen Sprache hochreflektiert die Figuren und die Handlung beschreibt. Seine komplizierte Sprache steht aber in so einem krassen Kontrast zu der Einfachheit der Charaktere, dass sich dadurch eine Identität des Erzählers bildet. Ich empfand das als komisch. Beispiel:

Die Zeit in den Eingeweiden der Großstadt verging langsam, verstrich nicht in Sekunden und Minuten, sondern in Menschen. Das Fortschreiten des Nachmittags konnte der Messias daran ablesen, dass sich die vereinzelten Individuen zu einer gesichtslosen Masse zusammenrotteten; einer murmelnden Schafherde, die dann, nach Überschreiten eines halbstündigen Höhepunktes wieder ausdünnte
usw.

So nimmt Spanski bestimmt nicht wahr, so wie du ihn konzipiert hast. Wer dann im Text? Oder wozu wird das stilistisch so erzählt – Ironie? Zu welchem Zweck? Irgendwie geben sich Inhalt und Form in meinen Augen nicht die Hand. Ich lese deine Sprache gern, hier empfand ich sie allerdings als etwas inadäquat. Aber vielleicht besteht die Kunst grad darin. Hm.

Übrigens ist die angeführte Passage auch ein Beispiel für das, was die anderen kritisieren: ein Detail, das irgendwie ausufert und die Geschichte belastet.


Gruß
Kasimir

 

Hallo Kasimir,

danke für Deine Rückmeldung. Vielleicht ist die Crux ja in der Tat die Sache mit der Erzählperspektive. Dass ich mich nicht entscheiden konnte zwischen personalem Erzähler und Kommentieren/Ironie und damit offensichtlich einiges an Verwirrung gestiftet habe und das auch noch parallel aus drei Blickwinkeln.

Dazu gleich mehr. Was ich zunächst interessant finde, ist dass Du die Charaktere als "einfach gestrickt" bezeichnest und empfindest. Ich habe sehr viel Mühe drauf verwendet, ihnen ein Maximum an Klarheit mitzugeben, deutliche Abgrenzung voneinander, aber Einfachheit sollte nicht dabei herauskommen.

Mit wundert es in diesem Zusammenhang auch, dass noch niemand etwas zu der jeweiligen Sprache bemerkt hat, die Ihnen zugeordnet ist ...

Aber zurück zu deinem Kommentar:

So nimmt Spanski bestimmt nicht wahr, so wie du ihn konzipiert hast.

Da muss ich Dir leider widersprechen. Stell Dir vor, du stehst tagtäglich in einem U-Bahn Schacht und beobachtest die Menschen. Irgendwann wirst du auch als noch so einfacher Mensch gewisse Gesetzmäßigkeiten begreifen, wahrnehmen, vielleicht erfühlen.

Spanski mag nicht in der Lage sein, es in solche Worte zu fassen, wie ich sie "seinem" Erzähler in den Mund gelegt habe, aber die inhaltliche Quintessenz des von ihm Bermerkten ist die selbe. Einzelne Menschen kommen, werden mehr, werden weniger. Tag um Tag.

Die Perspektive mehrerer personaler Erzähler ist immer ein Kunstprodukt. Im Falle dieser Geschichte wollte ich in der U-Bahn Szene die Stränge ineinander laufen lassen, die einzelnen "Aussenansichten" der Personen zu einer einzigen verschmelzen lassen, um dann die Geschichte bewusst aus Sicht der Protagonistin ausklingen lassen. Was Du intuitiv richtig erfasst hast, ist dass die personalen Erzähler diese Objektivität in Form ihrer Sprache (und einer gewissen Ironie) bereits in sich tragen, was offensichtlich verstörend wirkt und von dir als inadäquat bezeichnet wird.

Also, was lernen wir daraus? Schuster bleib bei deinen Leisten ... oder Erzähler bleib bei deiner Person.


Herzlichen Dank für deine Anregungen,

LG,

AE

 

Hallo Alter Ego,

Was ich zunächst interessant finde, ist dass Du die Charaktere als "einfach gestrickt" bezeichnest und empfindest. Ich habe sehr viel Mühe drauf verwendet, ihnen ein Maximum an Klarheit mitzugeben, deutliche Abgrenzung voneinander, aber Einfachheit sollte nicht dabei herauskommen.
Mit wundert es in diesem Zusammenhang auch, dass noch niemand etwas zu der jeweiligen Sprache bemerkt hat, die Ihnen zugeordnet ist ...

Ich wüsste nicht, warum die Figuren nicht als einfach zu bezeichnen wären. Klar, da sind ein paar Brüche drin: die Berufung zum Messias, der Geiz von Weith oder der Traum/Versuch/Wunsch aller auszubrechen. (Franka scheint selbst sogar keine besondere Eigenschaft zu haben, außer vielleicht, dass sie die Absichten ihres Chefs nicht durchschaut). Aber so außergewöhnlich ist das alles nicht – na ja, der Messias ist schon ein Happen! Lässt für mich aber alles nicht auf eine komplizierte Psyche schließen.
Aber viell. liegts an der Wortwahl: Mit „einfach“ meine ich „normal“ – natürlich ohne es abwertend zu meinen.

Die direkte Rede – um das nachzuholen ;)– ist wirklich gut den Figuren angepasst. Sie erfüllt ihre Funktion auch richtig – sie belebt die Charaktere!


Zitat:
So nimmt Spanski bestimmt nicht wahr, so wie du ihn konzipiert hast.
Da muss ich Dir leider widersprechen. Stell Dir vor, du stehst tagtäglich in einem U-Bahn Schacht und beobachtest die Menschen. Irgendwann wirst du auch als noch so einfacher Mensch gewisse Gesetzmäßigkeiten begreifen, wahrnehmen, vielleicht erfühlen.

Spanski mag nicht in der Lage sein, es in solche Worte zu fassen, wie ich sie "seinem" Erzähler in den Mund gelegt habe, aber die inhaltliche Quintessenz des von ihm Bermerkten ist die selbe. Einzelne Menschen kommen, werden mehr, werden weniger. Tag um Tag.

Um das Was ging es mir auch nicht, sondern um das Wie. Das Wie ist leider nur durch Worte erfassbar (lehne ich mich jetzt mal aus dem Fenster). Für mich unglaubwürdig, dass Spanski das U-Bahn-Netz als „Eingeweide der Stadt“ empfindet, dagegen nehme ich dir ab, wenn Weith’s Gedanken lauten:

Sie hatte richtig ordentliche Titten. Nicht von der festen, knackigen Art eines Teenagers, sondern eher die massige Substanz einer ausgewachsenen Frau. Material, das im Takt wackeln würde, wenn … vielleicht über den Tisch gelehnt, von hinten, die Stiefel könnte sie ruhig anbehalten dabei … ach ja, wenn.

Die Perspektive mehrerer personaler Erzähler ist immer ein Kunstprodukt.
Obwohl ich selbst gerade oben deutlich gemacht habe, dass die Erzählstimme verschiedene Töne anschlägt, wäre ich niemals auf mehrere Personalerzähler gekommen! Da muss ich drüber nachdenken! Ist das nicht zuviel, nicht zu kompliziert? Warum nicht einfach die Figuren denken lassen, wie oben Weith?

Aber der Gedanke ist trotzdem reizvoll!

Gruß
Kasimir

 

Hallo Kasimir,

danke nochmals für Deine Rückmeldung.

Ist das nicht zuviel, nicht zu kompliziert?

Fasse ich bernadettes und Dein Echo zusammen, dann bringt es das wohl auf den Punkt.

Den Rest zu Deinen interessanten Überlegungen heute Abend per PM,

liebe Grüße,


AE

 

Hej Alter Ego,

ich finde den Einstieg mit der kurzen Entstehungsgeschichte des Messias ungünstig. Dabei gefällt mir die Passage an sich gut. Ich glaube nur, dass sie dem Anfang den Schwung nimmt, weil sie wie eine Erklärung vor der eigentlichen Handlung steht.

Ich meine, die Geschichte würde gewinnen, wenn nicht explizit erklärt wird, wie der Messias zu seinem derzeitigen Leben gekommen ist. Du erzählst eigentlich alles - der Name wird doppelt erwähnt, man erfährt, dass er in Thailand war - später. Reicht das nicht?

(habe gerade gelesen, dass Du überlegst, ob drei Handlungsabläufe zu viel sind. Ich glaube nicht. Nur damit das nicht verwechselt wird: Ich meine hier etwas anderes, nämlich zu viel Information.
Die drei Handlungsstränge machen die Geschichte erst interessant - und wert, überarbeitet zu werden)

Das Ende nehme ich beim ersten Lesen so hin, nach längerer Überlegung und Beschäftigung fällt mir auf, dass ich nicht sicher bin, ob ich alles richtig verstanden habe. Ich gehe davon aus, dass Weith und der Messias aneinandergeraten sind, aber warum macht Weith so eine große Sache daraus, anstatt das Gerede eines Penners einfach auf sich beruhen zu lassen? Er wird ihn vermutlich sowieso nie wieder treffen.

Vielleicht lässt sich das was als "zerfasert" usw angemerkt wurde beheben, indem Franka (stand nicht irgendwo, sie wäre die Hauptperson? Jetzt finde ich das nicht mehr - in dem Fall hätte die Überschrift wenig mit ihr zu tun) etwas mehr Gewicht bekommt. Neben ihrem Chef, dessen sexuelle Phantasien ihn doch sehr viel plastischer erscheinen lassen und dem Messias wirkt sie eher unscheinbar. Und doch steht sie - indirekt auch über Weith - im Mittelpunkt, nimmt den größten Raum ein - aber sie füllt ihn nicht aus.

"Thomas, nein, bleib …",
Ihr einziger offizieller Auftritt. Wenn sie blass und leise sein soll, dann müsste auch das mMn deutlicher werden.

Viele Grüße
Ane

 

Hallo Ane,

auch dir herzlichen Dank. Ist doch immer wieder erstaunlich, wie lange es dauert, bis diese Geschichte ihren Frieden in der Versenkung findet.

Ich beginne es zu genießen, welche unterschiedlichen Ansichten das Thema "Komplexität" des Aufbaus bei den unterschiedlichen Kommentatoren zu Tage fördert.

Ein gemeinsamer Nenner -und da glaube ich, darf ich auch deine Analyse einsortieren- ist das gemeinsame Unbehagen mit der Mischung durchausunterschiedlicher Erzählperspektiven und Situationen. In Deinem Fall ist es der Einleitungsabschnitt ...

Ich muss an dieser Stelle gestehen, dass bei mir in der Regel Geschichten aus der Einleitung heraus zu wachsen beginnen. Dass die ersten Sätze -noch in relativ originaler Form- sämtliche Überarbeitungen überlebt haben, kann ich selbst leider nur als Narzismus bezeichnen. Du hast da Deinen analytischen Fingern genau an der richtigen Stelle auf die Wunde gelegt, in der endgültigen Form stellt er in gewisser Weise einen Bruch dar. Aber ich liebe ihn so sehr, schniefz.

Deine Auffassung des Endes ist richtig, Weith und der Mesias sind aneinandergeeraten, die Situation ist eskaliert und so wieter. Das Motiv: Rache. Nicht hinnehmen können, dass seine Pläne durchkreuzt wurden. Verletzter stolz. Männliches Imponiergehabe von der übelsten Sorte ...

Die plastische Darstellung? Zeit noch etwas aus dem Nähkästchen zu plaudern.

Weith ist der Handlungsmensch. Über weite Strecken werden seine sexuellen Phantasien dargelegt. Aber auch seine Geschäftspraktiken.

Franka ist das fühlende Element. (Ich schreibe nun absichtlich nicht weiblich!). Das sie damit als passiv, bei Kasimir als "einfach/normal" rüberkommt, ist interessant.

Über das "den Raum nicht ausfülllen" muss ich nachdenken. Auch über deine Idee mit der Überarbeitung, auch wenn ich aus den unterschiedlichen Kommentatorenmeinungen noch nicht den idealen Angriffspunkt gefunden habe.

Liebe Grüße und herzlichen Dank nochmals,

AE

 

Hallo Alter Ego,

wieder einmal bin ich wirklich beeindruckt von deiner kunstvollen Schreibe. Angenehm geschliffener Erzählton, der durch viele gekonnte Formulierungen in seiner Gesamtheit glänzt und den Leser ohne Ecken und Kanten flüssig durch den Text leitet.
Das Aufftreten deiner drei Personen habe ich mit Spannung verfolgt, keine Ahnung habend, wie sich diese Konstellation wohl entwickeln und auflösen mag.
Nun ja, die Auflösung dann fand ich leider etwas enttäuschend. In meinen Augen wirst du der großartigen Stimmung, die du von Anfang an zu weben verstehst, nicht gerecht. Plötzlich ist der Weith tot. Hm. Auch habe ich mir eine stärkere Vernetzung der drei Schicksale gewünscht. Da ist mir das dramatische Moment nicht stark genug ausgereizt. Klar, dass du dem Messias den Mord nicht direkt unterjubelst, mag ja ein guter Schachzug sein (von wegen Erfüllung der Worte des Messias [höherer Richter]) aber leider setzt du auch nichts anderes an die Stelle und so hatte ich als Leser den Eindruck, da fehle eine Brücke.

nach diesem Absatz geht es mir 2x zu schnell:

An der nachfolgenden Station stiegen beide aus, ohne den Messias eines weiteren Blicks gewürdigt zu haben, nur als der Zug anfuhr, dreht sich die Frau noch einmal um, zwei fragende Augen, die den Zug absuchten.
danach sind sie irgendwie im Büro, im nächsten Absatz sie alleine. Dann die Nachricht, der Chef sei tot.
Mir persönlich ging das zu schnell, die Brüche erschienen mir zu radikal. Fühle mich hier eines Teiles der Geschichte beraubt, den ich gerne gelesen hätte. :)

Abschließend aber noch etwas lobendes: die Idee, wie dein Prot zum Messias geworden ist, finde ich grandios! Trotz seiner Absurdität glaubhaft und herrlich in Szene gesetzt.

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo Weltenläufer,

herzlichen Dank für Deine Rückmeldung, die mich ungemein motiviert, mit etwas zeitlichem Abstand nochmals Hand an den Text anzulegen.

Was mich etwas verunsichert. ist wie unterschiedlich das Echo der Kommentatoren ausfällt. Das Spektrum reicht von zu kompliziert/zu zerfaster bis zu Deiner und Ricks Aussage, die ihr an der Anzahl der Protagonisten sowie den Verschachtelung Gefallen gefunden zu haben scheint.

Du hast mit feinem Gespür herausgefunden, dass der eigentliche Einfall der Geschichte die Einleitungsszene war:

Abschließend aber noch etwas lobendes: die Idee, wie dein Prot zum Messias geworden ist, finde ich grandios! Trotz seiner Absurdität glaubhaft und herrlich in Szene gesetzt.

Die zweite Konstante war die Persönlichkeit Weiths. Dass ich den Messias (implzit) bezüglich seines Ablebens in Schutz nehme, muss ich allerdings relativieren:

Unter all dem Schwachsinn, den er da unters Volk schreit, findet sich so manches, gegen Ende eben auch die zu Recht von Dir geforderte Brücke, allerdings in Miniausführung.

Womit wir bei dem Thema Länge wären. Die Geschichte hat einiges an Kürzungen hinter sich und ich hatte -regelmäßig mit dem Vorwurf der Überlänge konfrontiert- bewusst ein gedrängtes Ende geschrieben.

Werde aber deine Überlegungen gerne nochmals aufgreifen, vielleicht lässt sich ja minimalinvasiv noch etwas machen.

herzlichen Dank für Deine Anmerkungen nochmals,

AE

 

Hallo AlterEgo,

dass Du gut schreibst, ist evident, das brauche ich nicht eigens zu erwähnen.

Es fiel mir jedoch, abgesehen von dem sich etwas zu rasch abwickelnden Schluss, was ja bereits angemerkt wurde, folgendes auf: die Frauenfigur bleibt vergleichsweise blass, emotionslos. Sie arbeitet offenbar als einzige Mitarbeiterin für einen Chef, umsorgt ihn, gießt die Blumen usw., lässt sich von ihm zum Essen einladen, ohne Lust drauf zu haben, und noch nicht einmal, als er zu geizig ist, ein Taxi zu nehmen, lässt sie ihn stehen und nimmt sich selbst eins. Während der gemeinsamen Fahrt lässt sie sich von ihm in der dunklen U-Bahn unter den Rock fassen, ohne ihm eine zu knallen. Nach seiner Ermordung denkt sie an nichts anderes als an ihr Gehalt und einen neuen Arbeitsplatz. Wie abgestumpft kann man denn sein?? Nicht so recht schlüssig, oder hab ich was übersehen?

Liebe Grüße
enigma

 

Womit wir bei dem Thema Länge wären. Die Geschichte hat einiges an Kürzungen hinter sich und ich hatte -regelmäßig mit dem Vorwurf der Überlänge konfrontiert- bewusst ein gedrängtes Ende geschrieben.
Die vorherigen Versionen kenne ich nicht.
für mich hätte die Geschichte ruhig noch etwas länger sein können. Allerdings nur dann, wenn sich der Konflikt dabei auch weiter zuspitzt/ die Brücke klarer gespannt wird ;)

@enigma:

lässt sie sich von ihm in der dunklen U-Bahn unter den Rock fassen, ohne ihm eine zu knallen
das zumindest stellt sich der Messias nur vor ;)

 

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