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Im Sand
Ich frage mich, wo die Sonne bleibt.
Mit der linken Wange liege ich auf dem Boden.
Ich kann fühlen, wie kleine Steinchen, Sand und Kies meinen Kopf bedecken. Meinen Körper.
Mein Blick geht geradeaus, übers Wasser, direkt auf den Horizont zu.
Ich kann nicht alles erkennen. Der Nebel liegt an diesem Morgen noch über dem Wasser und läßt sich von den ersten zarten Sonnenstrahlen noch nicht so recht vertreiben. Alles wirkt um neunzig Grad verkehrt herum.
Ich versuche, meinen Kopf aufzurichten und einen Blick auf die Szenerie zu erhaschen.
Es geht nicht. Ich spüre die Muskeln nicht mehr, um ihn zu bewegen. Ich spüre überhaupt keinen Muskel mehr. Keine Arme, keine Beine.
Ich schaffe es noch irgendwie, zu atmen. Mit jedem Stoß, den ich aus meinen Lungen presse, wirbelt der Staub vor meinem Gesicht auf.
Er beißt in den Augen und nimmt mir zusätzlich die Sicht auf den Horizont.
Dabei geht doch langsam die Sonne auf.
Ich möchte sie so gerne nochmal sehen.
Nach und nach bemerke ich, wie es unter meiner linken Wange warm wird. Als hätte ich mir in die Hosen gepinkelt.
Die Kieselsteinchen, der Staub, der Sand - alles, was sich unmittelbar vor meinem Gesicht befindet, beginnt langsam, sich rot zu färben.
Ich beobachte den Nebel und starre durch ihn hindurch. Der Horizont steht immer noch senkrecht.
Langsam beginnen die Vögel, den neuen Tag zu begrüßen. Sie singen ein fröhliches, vielstimmiges Lied. In ihren Worten höre ich Hoffnung und Zuversicht.
Ich muß husten. Es tut so wahnsinnig weh, daß ich glaube, es zerreißt mich. Ich wirbele eine riesige Staubwolke auf und huste ein paar der mittlerweile roten Kieselsteine zur Seite. Ein paar Vögel hören auf zu singen.
Das könnte ab jetzt öfter passieren. Ich schaffe es nicht mehr, durch die Nase zu atmen.
Der Nebel hängt tief. Er schweigt.
Er wartet auf die Sonne, die seinem Dasein zumindest für den Moment ein Ende bereiten wird. Sie läßt sich noch Zeit in dieser Morgendämmerung.
Ich bin der Nebel.
Das Licht bahnt sich langsam seinen Weg durch die Abermillionen von kleinen Tröpfchen, die diesen Morgen in einen sanften, grauen Schleier hüllen. Es dauert nicht mehr lange.
Der große, kreischend rote Ball erhebt sich über der Wasseroberfläche. Nein, links von der Wasseroberfläche.
Wie lange mag es wohl dauern, bis er sich aus seinem Bett geschält hat? Minuten? Stunden?
Das spielt keine Rolle. Für mich sind es nur noch Sekunden. Wie gerne würde ich jetzt eine Hand auf die Stelle meines Körpers pressen, die mich dazu bringt, mein Gesicht zu einer schmerzerfüllten Fratze zu verzerren. Doch meine Hände sind unbeweglich.
Ich spüre einen süßlichen Geschmack auf meiner Zunge. Als ich den Mund öffne, färbe ich damit noch mehr Sand rot.
Die Sonne hat jetzt das gleiche Rot wie der Sand unter und vor meinem Gesicht.
Sie beginnt langsam, den Nebel zu vertreiben. Ich kann den Tröpfchen zusehen, wie sie im gleißenden Licht des großen Feuerballs eingehen. Und ich kann hören, wie du aufstehst. Ich erkenne deinen Gang. Langsam zwar, doch grazil wie eh und je. Wie damals. Wenn ich doch nur den Kopf drehen könnte. Dann würde ich nochmal deinen makellosen Körper sehen, deine langen Beine, deinen knackigen Hintern, die tolle Figur und die langen Haare.
Ja, das mit dem Hören klappt noch. Gut genug, um zu bemerken, daß die Schrittgeräusche verstummen und sich kurz darauf mein Auto entfernt.
Die rote Sonne hat sich langsam aus ihrem Wasserbett getraut und hat ihren Weg nach links allmählich vollendet.
Sie ist nicht mehr rot, sondern gelblichweiß. Sie schickt eine Lichtgranate nach der anderen. Sie vertreibt den Nebel für mich.
Ich kann direkt in sie hineinsehen. Ihr gleißendes Licht beißt in meinen Augen.
Plötzlich fällt mir das Atmen nicht mehr so leicht.
Ich verschwende den Rest meines Lebens mit Husten, anstatt ins Licht zu sehen.
Zwei-, dreimal schaffe ich es noch.
Dann klappt das Atmen nicht mehr.
Ein paar kurze Japser.
Dann reiße ich die Augen auf.
Noch einmal sehe ich direkt in das Licht. Dann wird alles dunkel.
Leck mich, mein Schatz.
Ich habe die Sonne gesehen.