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Im Treibsand...

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21.05.2006
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Im Treibsand...

"Worüber sollen wir reden? Du vertraust mir nicht - du glaubst mir nicht. Jedes Wort, das ich auspreche, wird gedreht, gewendet, seziert. Du glaubst mir nicht einmal, das mein Gewissen wie die Hölle selbst brennt und mich foltert, mich täglich foltert... Aber das ist nicht deine Schuld, Vater, nicht deine Schuld - darin bin ich mir sicher. Wenn ich nur die Fähigkeit besäße, mich richtig auszudrücken; dir all das sinngemäß wiederzugeben, was in meinem Inneren nistet, dann - vielleicht - könntest du mich verstehen, dann vielleicht würdest du mir glauben, mir vertrauen... "
Danach brach Gregors Stimme ab; jede Regung entwich dem Gesicht - bloß noch ein kaum wahrnehmbares Wimmern, das seine Lippen aufzittern ließ, drang aus seinem Mund. Ansonsten - regungslos - wie eine Figur aus Wachs. Und erst nach Sekunden der Stille waren wieder genügend Kräfte in ihm vereint:
"Du erzählst mir häufig von deinen Sorgen und mir bleibt nichts anderes übrig, als zu lauschen... du erzählst so davon, als wären deine Sorgen der Mittelpunkt jeden Geschehens. Ob ich dir klar machen kann, das ich selbst mit nicht unbedeutenden Leiden zu kämpfen habe, weiß ich nicht... Ich bin letztlich auch gequält, sicherlich habe ich Probleme anderer Natur, aber, was ich sagen will... Nun ja... Ich habe einen Hang zum Misstrauen, einen grausamen Hang zum Mistrauen - ganz sicher, Vater, mein Charakter ist krank, widerlich krank, so widerlich, das ich es nicht ertrage, ihn mit mir rumschleppen zu müssen. Ich misstraue jedem Menschen, der mir begegnet und kann dieses Misstrauen niemals abschütteln. Selbst in Träumen verfolgt es mich... Ja, neulich träumte ich von einem Mädchen, das ein solch feines und hübsches Gesicht hat, das man bloß, nach Atem ringend, still steht und dem Herzschlag lauscht. Jeder Junge meines Alters will sie flachlegen... ich bin nicht anders... ich habe schon häufiger darüber nachgedacht, das ich, sollte es mal wirklich so kommen, die Gelegenheit ohne jeden Zweifel nutzen würde. Jedoch im Traum, im Traum war es anders... Meine Arme ihre Hüften umschlingend, mit der Nase an ihrem Haar riechend, zog ich sie an mich und flüsterte ihr ein paar Zärtlichkeiten ins Ohr. So gewöhnlich wie Schnee im Winter. Als sie indes etwas antwortete wie: "Ich weiß doch... Das brauchst du mir nicht zuzuflüstern!", da witterte ich eine Unmenge an Arroganz, wurde in diesem jähen Augenblick zornig, schüttelte und rüttelte sie, griff nach irgendwas, schlug, schlug immer wieder, sieben, acht Mal und erwachte, in Schweiß gebadet... Verstehst du... Dieses Misstrauen übernehme ich von dir und das sind meine Leiden. Damit muss ICH leben. Dazu bin ich auf dieser Erde verdammt. Warum erzähle ich das?"
Sich über den spärlichen Bart streichend, suchte er nach Antwort, da er in seinen eigenen Reden den Faden verloren hatte. Den Faden fand er nicht; einzig den Wunsch nach einer Zigarrette. Er zündete sie sich an, sah sich um, als wäre er zum ersten Mal an diesem Ort und roch einen Gerucht von leicht angebrannten Nudeln, die wahrscheinlich vergessen vor sich hinbruzzelten, während im Zimmer nebenan der Fernseher brabbelte... Da war der Faden wieder:
"...Weil ich...", es schien ihm schwer zu fallen, er wich noch einmal zurück, zappelte ein wenig unsicher, "...dir das Ausmaß meiner Leiden vor Augen führen will. Damit es endlich - verflucht noch mal - in deinen Kopf rein geht, Vater, das ich nicht fähig bin, das ich nicht die Kraft habe, meine Leiden und deine Leiden gleichzeitig ertragen zu müssen. Dazu bin ich schlicht und ergreifend nicht fähig..." Gregor schrie nicht, er heulte beinahe, als er diese Worte sprach, die schon immer aus ihm raus wollten. Er verfiel in einen wimmdernden kaum zu verstehenden Ton, der mehr und mehr dem Quieken eines Meerschweinchens glich. Fast wäre er einmal umgeknickt vor Kraftlosigkeit und hätte auf dem Boden kauernd, den Kopf in seinen Knien vergraben. Aber er hielt sich, wollte es jetzt beenden:
"Ich liebe dich doch, Vater, ich liebe dich. ICH bin nicht egoistisch... ich habe meine eigenen Sorgen. Ich kann dir nur nicht immer zuhören, weil mir die Kraft fehlt, deine Sorgen zu tragen. Ich kann sie nicht alle tragen. Ich gehe schon an meinen eigenen Sorgen zugrunde. Aber bitte - glaube mir das Eine - ich bin kein Egoist. Tag und Nacht an dich denkend, mit brennendem Gewissen, gemartert, kann ich nicht mehr nur zusehen... bitte, lass uns das beenden... ich will dich wiederhaben..."
Abschließend warf er noch einen letzten Blick in sein Spiegelbild, strich über dessen Wange, ließ den Finger, Flecken ziehend, über dessen Haar streichen, als wollte er es fühlen - doch nichts. Hinter der geschlossenen Tür reif seine Mutter ihn: "Abendessen Gregor! Abendessen!" und er ging, noch einen Blick in sein eigenes Gesicht werfend, voller Zweifel, mit wem er gerade gesprochen hatte.​

 

Hallo nackter Otto,

von Neuling zu Neuling quasi ein herzliches Willkommen.

Deiner Profilangabe entnehme ich, dass du "erst" 18 bist. Sieht man das im Zusammenhang mit dem abgelieferten Text, so ist da erhebliches Potetial vorhanden. Ich hoffe, du besitzt genügend Kraft und Ausdauer, deine Fähigkeiten auszubauen.

Bevor es an die herbe Kritik geht, noch ein weiteres Positivum: Mir gefällt die Pointe. Ich hatte schon mit irgendeinem Quatsch gerechnet, wie dass er sich nun in den Kopf schießt. Aber nein, das mit der Mutter und dem Spiegel ist super.

Nun aber etwas Kritik:

Der Text ist schwer zu lesen. Ein paar Absätze würden ohne inhaltliche Veränderung hier schon helfen. Ferner nervt., die penetrante Verwechslung von das und dass.

Der Monolog des Protagonisten ist eine einzige Anklage. In der Einseitigkeit des geschilderten Leides (Selbstmitleides?) bedeutet das ebenfalls Anstrengung. Das haben Texte so an sich, die eine Neigung zu Therapie / sich etwas von der Seele schreiben haben.

Und das ist der Punkt, an welchem du aufpassen musst. Der Intensität des Textes entnehme ich, dass das sehr viel wahres aus deinem richtigen Leben drinstecken könnte. Du hast ihn aber in ein Forum gepostet, in welchem Leser unterwegs sind, die nicht primär an deiner Lebengschichte oder deinen Problemen interessiert sind. Was du hier einstellst, sollte allgemeineren Ansprüchen genügen, als ein "sich etwas von der Seele schreiben". Die entsprechende Verpackung zu entwerfen, aber dennoch authentischen Inhalt drinzuhaben, das ist eine Kunst. Eine Kunst, die du hier lernen kannst, vorausgesetzt, du bringst die Bereitschaft mit, an dir zu arbeiten. Dein Protagonist trägt mit seiner "Spiegel-Rede" den Keim dieser Bereitschaft in sich.

Noch etwas zur Sprache. In diesem Punkt hast du dir etwas zuviel vorgenommen. Irgendwo zu Anfang fiel das Stichtwort eloquent. Dein Prot. leidet unter der Vorstellung, nicht eloquent genug zu sein, sich auszudrücken (seinem Übervater gegenüber). Die entsprechenden Anstrengungen sind dann aus seiner Ausdrucksweise abzulesen. Dennoch ist mir dieses Vorgehen zu akademisch. Der Junge Mann steht am Rande seiner psychischen Belastbarkeit. Da ist kein Platz für wohlgesetzte Worte.

Ansonsten genug fürs erste, würde mich freuen mehr von dir zu lesen zu bekommen,

schöne Grüße,

AE

 

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