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Im Treppenhaus

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10.03.2005
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Im Treppenhaus

Er ist auf den Stufen in die Knie gesunken, die Arme um seinen Körper geschlungen. Das Treppenhaus füllt sich mit seinen gepressten Atemzügen. Der Geruch von Schweiß und Aftershave liegt in der Luft.
Ich stehe nur da und starre. Starre und starre.
Blut sammelt sich in einer schwarzen Pfütze zwischen seinen Knien. Das Haar hängt ihm in wirren Strähnen ins Gesicht.
„Ben?“ Der Name kommt als Flüstern über meine Lippen.
Lauter, fordere ich mich selbst auf. Du musst lauter sprechen. „Ben?“ Es gelingt mir nicht.
Mein Blick fixiert Details. Matschverkrustete Schuhe. Blasse Haut. Blut, dass zwischen verkrampften Fingern hervorquillt.
Er hebt den Kopf.
„Sie sind hier.“ Sein Blick ist erstaunlich klar, aber seine Stimme klingt heiser und auf unangenehme Weise gealtert. „Sie... sie waren plötzlich da. Einfach so. Hinter mir. Anna. Ich glaube...“
Das Licht im Treppenhaus geht aus.
Im Lichtspalt, der durch meine angelehnte Haustür fällt, sehe ich ihn zusammenzucken. Er wendet den Kopf.
„Das Licht.“ Er keucht. „Was ist mit dem Licht? Anna, was ist mit dem Licht?“
Ich taste nach dem Schalter neben der Tür und finde ihn nicht.
„Zeitschaltmechanismus“, sage ich, immer noch eine Spur zu leise. „Nichts weiter.“
Kannst du es wieder anmachen?“ Ich höre einen Hauch von unterdrückter Panik in seiner Stimme. „Anna?“
Ich ertaste den Schalter. Die Neonröhren an der Decke beginnen summend zu leuchten.
Der Ausdruck in seinen Augen erschreckt mich. Er zittert. Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich wirklich jemanden vor Angst zittern sehe.
„Du brauchst einen Arzt“, sage ich.
Er blickt an sich hinunter. „Zu spät.“ Er streicht sich die Haare aus dem Gesicht. Seine Finger hinterlassen rote Streifen auf seiner Stirn. Sein Atem geht stoßweise. „Ich muss... Ich muss mich vor ihnen verstecken. Sie werden mich suchen. Anna. Sie suchen mich. Sie sind hier. Ich glaube.... ich habe sie hergebracht.“
Ich habe keine Ahnung, wovon er spricht.
„Oder die Polizei.“ Ich will mich umwenden.
„Nicht!“ Ben hebt die Hand. „Bleib hier.“
Ich halte inne.
„Der Ort, von dem ich dir erzählt habe. Der Ort. Erinnerst du dich?“
Ich schüttle den Kopf. „Ben, du blutest. Wir reden später. Erst muss ich-“
Er umschließt mit der Hand mein linkes Bein. „Hör mir erst zu. Okay? Es ist wichtig. Wirklich... wichtig.“ Er hustet.
Ich starre auf die dunkelroten Finger hinunter, die sich in den Stoff meiner Jeans graben. Sein Griff ist erstaunlich fest.
„Der Ort, von dem ich dir erzählt habe. Der... verbotene Ort. Anna. Erinnere dich. Das Gift, die Federn, die Rasierklingen.“
Das Licht geht aus.
Ich lege meine Hand auf den Schalter. Ein metallisches Klicken ertönt. Die Dunkelheit weicht dem dämmrigen Licht der Neonröhren.
„Ben“, sage ich. „Das ist lange her. Ich werde jetzt die Polizei rufen. Mein Telefon ist direkt hier vorne. Ich hole es kurz. Okay?“
„Nein, Anna. Warte. Hör mir zu.“
Sein Griff um mein Bein wird so fest, dass es schmerzt.
„Die Schatten. Erinnerst du dich an die Schatten? Die Fußspuren im Staub? Die verschlossenen Türen? Ich habe an ihnen geklopft, Anna. Ich habe die Schatten geweckt. Sie sind...“ Er hustet wieder. „Da waren Grabsteine. Da war ein Grabstein mit meinem Namen drauf.“
„Du bist verrückt“, sage ich nur.
„Gift. Ich habe es eingeatmet, die ganze Zeit. Es ist so schön da. So unendlich schön. Du hättest es sehen sollen... Ich hätte ihn dir gezeigt. Den Ort.“ Er hebt die Hand zum Mund. Ich bin mir nicht sicher, ob er hustet oder lacht. „Diesen Ort.“
„Die Verletzungen“, frage ich. „Hast du sie dir... selbst zugefügt?“
„Ich war zu lange dort, Anna. Viel zu lange. Sie sind auf mich aufmerksam geworden. Ich bin zu weit hinein gegangen. Ich habe an den verschlossenen Türen geklopft, Anna. Sieh, ich habe noch Staub an den Fingern. Der Staub ist von dort. Von dort.“
Er hält mir die linke Hand hin. Mit der rechten umklammert er weiterhin mein Bein.
Aus der Tiefe des Treppenhauses dringt ein Geräusch.
Ich hebe den Kopf.
„Das sind sie“, sagt Ben. „Sie sind schon hier. Sie folgen meinen Fußspuren, so wie ich ihren gefolgt bin. Sie riechen das Gift. Oh Anna, ich hoffe, sie werden dir nichts tun.“ Er wendet sich um.
„Das ist Schwachsinn“, sage ich. „Lass mein Bein los.“
Er reagiert nicht.
„Sie kommen die Treppe herauf. Sie kommen. Kannst du sie hören?“
Das einzige, was ich hören kann, sind seine rasselnden Atemzüge.
„Sie sind gleich da.“
Das Licht geht aus.
„Sie wollen mich bestrafen.“
Ich starre einen Augenblick lang in die Dunkelheit, dann taste ich wieder nach dem Lichtschalter.
„Der Ort ist verboten. Ich weiß. Oh, ich weiß. Ich hätte dort nicht hingehen sollen. Aber Anna, du hättest es sehen sollen. Es ist so schön da. So wunderschön. Der Schnee. Du hättest den Schnee sehen sollen. So weiß. So unendlich weiß.“
Ich drücke den Lichtschalter. Wieder ertönt ein metallisches Klicken.
Das Licht bleibt aus.
„Du solltest jetzt lieber reingehen, Anna. Sie sind schon ganz nah.“
Der Griff um mein Bein lockert sich, dann zieht er die Hand ganz zurück.
Ich betätige den Schalter erneut.
Nichts.
„Geh rein, Anna.“
Da ist etwas. Da ist jemand auf der Treppe. Ich höre... Geräusche. Schritte?
Ich presse die Hand auf den Lichtschalter.
Nichts.
„Hallo?“, rufe ich in die Dunkelheit hinein. Ich nehme einen Hauch von Staub in der Luft wahr. Keine Antwort.
Da sind definitiv Schritte auf der Treppe. Ich kann sie hören. Da kommt jemand.
„Sie sind gleich da. Kannst du sie fühlen?“
Der Geruch von Staub wird intensiver. Ben hustet.
Auf der Treppe. Ganz sicher. Da ist jemand.
„Hallo?“, frage ich nochmal.
„Geh jetzt rein, Anna.“
Ich spüre einen Luftzug. Erst jetzt fällt mir auf, dass auch durch den Türspalt hinter mir kein Licht mehr fällt. Die Wohnung liegt in kompletter Dunkelheit.
Ich blicke zur Treppe hinüber, die Augen weit geöffnet und doch so gut wie blind. Der Geruch von Staub, von Alter und Fäule umfängt mich. Meine Atemzüge werden flacher. Ich starre in die Dunkelheit. Da ist etwas. Da ist etwas auf der Treppe. Ich kann seinen Schatten an der Wand sehen. Es kommt zu uns.
„Du solltest jetzt wirklich reingehen, Anna. Ich kann sie atmen hören. Sie sind hier. Sie sind hier, weil ich sie hergebracht habe.“ Jetzt bin ich mir sicher, dass er nicht hustet, sondern heiser kichert. „Ich habe sie hergebracht. Sie kommen zu mir. Sie wollen mich nicht mehr gehen lassen, verstehst du? Sie wollen mich nicht mehr gehen lassen.
Ich weiche einen Schritt zurück, spüre das kühle Holz der Wohnungstür an meinem Rücken.
Da kommt etwas. Näher. Ich kann seine Umrisse sehen.
Ben lacht immer noch.
Die Tür hinter mir gibt nach. Mit einem Fuß stehe ich in meiner Wohnung.
„Du musst jetzt reingehen, Anna. Du musst jetzt reingehen. Sonst siehst du sie und dann sehen sie dich auch.“
Er lacht jetzt aus vollem Hals.
„Mach die Tür zu, Anna! Geh rein und mach die Tür zu! Du darfst sie nicht ansehen!“
Aber ich kann nicht. Ich stehe einfach nur da und starre in die Dunkelheit. Ich kann Umrisse sehen. Ich atme Staub. Meine Augen brennen.
Da ist etwas. Nur noch wenige Meter vor mir. Die Linien werden schärfer. Der Schatten nimmt Konturen an, kommt näher, immer näher.
Der Geruch, mein Gott, der Geruch. Ich atme nicht mehr. Gleich kann ich ihn erkennen. Gleich kann ich ihn sehen. Die Dunkelheit gewinnt Form. Es geschieht. Ich kann es hören. Direkt vor mir. Der Schatten hat Augen. Mir wird heiß. Ich kann den Blick nicht abwenden. Ich muss es sehen. Ich will es sehen.
„ANNA, MACH DIE AUGEN ZU! SCHAU ES NICHT AN! DU DARFST-“
Der Satz reißt ab. Ich höre ein Geräusch, als ob eine Wasserbombe auf Beton zerplatzt, dann trifft mich ein Schwall warmer Flüssigkeit ins Gesicht. Der Bann bricht. Ich schließe die Augen, spüre den Geschmack fremden Blutes auf meinen Lippen. Mit dem Rücken pralle ich gegen die halb geöffnete Haustür. Ich stolpere einen Schritt zur Seite. Strecke den Arm aus. Taste nach Halt. Erwische den Lichtschalter.
Ein metallisches Klicken ertönt.
Die Neonröhren beginnen zu summen.
Ich spüre heißen Atem auf meiner Haut.
Es sieht mich.

 
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Hallo Feline,

eigentlich bin ich kein Freund von "Das kann alles Mögliche gewesen sein"-Horrorstories, aber dein "Treppenhaus" ist straff und kurzweilig erzählt und überaus spannend.

Der Ort, von dem ich dir erzählt habe. Der... verbotene Ort. Anna. Erinnere dich. Das Gift, die Federn, die Rasierklingen.“

Die einzige Stelle, an der mir der Dialog etwas zu gestelzt daher kommt. Auch, weil "ein verbotener Ort" ziemlich ausgelutscht ist.

Aber sonst ... hat's gefallen.

Grüße

Jan-Christoph

 

Hi Feline,
schade! Das ist das erste was mir am Ende deiner Geschichte in den Sinn gekommen ist. Spannung ist da. Du baust ein gutes Bild auf, einen guten Moment, aber das war es leider. Wo ist die Geschichte? Staub? Schatten? Wo war der Ort? Was ist das für ein Ort? etc.
Wenn dies ein Ausschnitt aus einer längeren Geschichte wär, würde ich den Rest auf jeden Fall noch lesen wollen, aber so reicht mir das leider nicht. Hier ist sehr viel verschenkt, weil man nämlich gerne deine kg liest, weil man wissen will, wo er war, wer die sind. Aber auf die Antwort muss man leider verzichten.

Eine Anmerkung: Die Idee mit dem Treppenhauslicht, das immer wieder ausgeht find ich gut, nur weiß ich nicht, ob das dann wirklich Neonröhren sind ;)

Ich hebe de Kopf
- da fehlt ein n

Ich hebe de Kopf.
„Das sind sie“, ...Er wendet den Kopf
- Kopf, Kopf ; da sind zwar ein paar Wörter dazwischen, klingen tut es aber dennoch nicht gut

Einen lieben Gruß...
morti

 

Hi Jan-Christoph!

Wow, die Geschichte hat Dir gefallen. Das freut mich. Freut mich ungemein.

Dass "verbotene Orte" ausgelutscht sind, wusste ich gar nicht... Obwohl... Jetzt, wo du's erwähnst, kommt mir der Begriff bekannt vor. Ich frage mich, woher ich das habe.
(Ich komme noch drauf.)

Vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren!

Schöne Grüße,
Feline

 

Oh, noch ein Kommentar. Juchu.

Hi Morti!

Ich verstehe, was Du meinst. Ich habe mich lange gefragt, ob ich die Geschichte so stehen lassen kann, ohne Erklärung, ohne Hintergrund.

Viele meiner Geschichten sind (leider) so.
Ich setze mich an den PC und will nur diese eine Szene schreiben, nichts weiter, keine Vorgeschichte, kein Danach, nur DAS, sons nichts.
Für mich funktioniert das natürlich blendend. Für den Leser offensichtlich nicht.

Das Problem ist: In meinem Kopf sind Welten, auf dem Papier ist so wenig Platz.
Vielleicht bin ich hier auf KURZgeschichten.de einfach falsch, was das angeht.

Aber es freut mich, dass du die Geschichte wenigstens spannend fandest. Ich habe noch nie etwas derartiges geschrieben, hatte Angst, dass es nicht wirkt.

Die Idee mit dem Treppenhauslicht, das immer wieder ausgeht find ich gut, nur weiß ich nicht, ob das dann wirklich Neonröhren sind
Okay, ich habe keine Ahnung von Lampen.
Ich bin gerade allen Ernstes nach draußen gerannt um nachzusehen. Bei mir im Treppenhaus hängen Glühbirnen, das stimmt. Aber wo ist das Problem mit Neonröhren? Irgendwas mit der Zündspannung? Zu hoch? Zu unökonomisch? Ich habe echt keinen Schimmer. (haha. wortspiel - schimmer - verstehst du? schimmer. ho. ho.)

Und danke auch für die Rechtschreibfehler. Werden sofort korrigiert und der Kopf kommt auch weg.

Schöne Grüße,
Feline

 

ich steh total auf den letzten satz.

geile geschichte.

 

Okay Feline (schöner Name übrigens, erinnert mich an Knäckebrot), machen wir's kurz und schmerzvoll: Die Geschichte ist Müll. Leider.:(

Du sagst ja selbst, dass du relativ spontan und impulsiv schreibst und das merkt man. Kurze knappe Sätze allein erzeugen nunmal null Spannung und wenn die wertvollste Info des Textes schon im Titel steckt, dann ist irgend etwas gewaltig schief gelaufen.

Am Ende der extrem kurzen, aber für meinen Geschmack viel zu langen "Handlung" bin ich genauso schlau wie zu Beginn. Was passiert da überhaupt? Wer sind die beiden Prots und was machen sie da? Wer sind sie und warum soll mir das Ganze Angst machen? Streikt das E-Werk oder warum geht andauernd das Licht aus? :confused:

Du siehst schon, ich steh bei dir gewaltig auf dem Schlauch. Vielleicht klärst du mich ja auf.

Verbleibe mit verwirrten Grüßen,
Marvin

 

Hi Marvin!

schöner Name übrigens
Danke!
erinnert mich an Knäckebrot
Oh.

Die Geschichte ist Müll.
OH.
Ich glaube, dass ist das vernichtendste Urteil, dass ich jemals in meinem ganzen Leben für irgendwas bekommen habe.
Aber das ist gut. Du bist ehrlich. Das ist meine Chance, Kritikfähigkeit zu zeigen. ;)

Also, ich nehme folendes mit:
* die kurzen Sätze stören
* zu wenig Handlung, dafür aber zu breit gewalzt -> dadurch kommt keine Spannung auf
* flache, für den Leser uninteressante Protagonisten

Am gravierendsten ist jedoch folgender Punkt:

Was passiert da überhaupt?
Ist das erst gemeint?
Versteht man wirklich nicht, was geschieht?
Ich meine, okay, man weiß nichts über den "Ort" oder das Ding, das die Treppe raufkommt.
Aber man versteht schon, dass da ein Mann vor der Tür der Protagonistin kauert, der schwer verletzt ist, der Todesangst hat, der verrückte Dinge von Monstern erzählt, die die Prot als Lügen abtut, so lange, bis am Ende eines erscheint und ihn holt?
Ich meine, klar, das ist nicht der Plot des Jahrhunderts, aber man VERSTEHT ihn, oder nicht?

Ich habe jetzt *wirklich* Angst, dass dem nicht so ist.

Vielen Dank auf jeden Fall, Marvin, fürs Lesen und die Ehrlichkeit. Ist wie eine Spritze, erst tut's weh, dann hilft's.

Schöne Grüße,
Feline

 

Feline schrieb:
Am gravierendsten ist jedoch folgender Punkt:

Ist das erst gemeint?
Versteht man wirklich nicht, was geschieht?
Ich meine, okay, man weiß nichts über den "Ort" oder das Ding, das die Treppe raufkommt.
Aber man versteht schon, dass da ein Mann vor der Tür der Protagonistin kauert, der schwer verletzt ist, der Todesangst hat, der verrückte Dinge von Monstern erzählt, die die Prot als Lügen abtut, so lange, bis am Ende eines erscheint und ihn holt?
Ich meine, klar, das ist nicht der Plot des Jahrhunderts, aber man VERSTEHT ihn, oder nicht?

Ich habe jetzt *wirklich* Angst, dass dem nicht so ist.


Nun, ähm ... teils, teils! :hmm:

Mir war es soweit schon klar, dass Ben am Ende stirbt oder sie zumindest davon ausgeht. Allerdings dachte ich bis zum Schluss, das Ganze könnte letztendlich nur ein Hirngespinst von ihm (oder ihr) sein. Meine Aufmerksamkeit war da wohl schon etwas eingeschränkt. :Pfeif:

Na egal, schön jedenfalls, dass du es sportlich nimmst. Beleidigend sollte meine Kritik in jedem Fall nicht sein. Ich steh halt nicht so auf nebulöse Texte, die (fast) alles meiner, durchs Fernsehen geschädigten Fantasie überlassen.

MfG, Marvin

 

Hey Feline,

Sein Blick ist erstaunlich klar, aber seine Stimme klingt heiser und auf unangenehme Weise gealtert.
Wie klingt die Stimme? „Auf unangenehme Weise gealtert“. Was soll ich mir darunter vorstellen? Du beschreibst hier nicht den Sinneseindruck der Protagonistin, sondern ihre Schlussfolgerung aus diesem Sinneseindruck. Als Leser muss ich also –wenn ich mir die Szene vorstellen will- den Prozess umkehren und mich fragen: Wie klingt eine „auf unangenehme Weise gealterte“ Stimme. Und –nicht nur, dass mich dieser Denkprozess aus dem Lesefluss reißt- ich weiß es auch einfach nicht. Dünn? Faserig? Hauchig? Kratzig?
Das kann manchmal funktionieren und ist keinesfalls per se schlecht –versteh mich nicht falsch. Dieser Kniff wird oft gemacht, wenn der Autor eine schöne Formulierung „loswerden muss“ und wenn das Bild so klar ist, dass es dem Leser den „Denkprozess“ (Ja, wie hört er sich nun an?) abnimmt. Aber hier finde ich es misslungen.

Ich habe keine Ahnung, wovon er spricht.
Nichts anderes habe ich erwartet. Das killt den Drive. Du hast da grade einen panisch-brabbelnden Typen eingeführt. Und die Protagonistin sagt: Ich weiß nicht, was er meint.
Jau, klar.

„Oder die Polizei.“
Stell dir die Szene mal vor. Du sagst „Du brauchst einen Arzt“. Dann labert er rum, klingt total panisch und aufgelöst. Du bist fasziniert und gleichzeitig erschrocken von seinem Gerede. Und dann weißt du noch, was du eben –es kommt dir wie eine Ewigkeit vor- gesagt hast und schließt ganz cool an: „Oder die Polizei.“
Wenn der Protagonistin die Situation schon nicht beängstigend erscheint, wie soll sie mir dann Angst einjagen, also jemandem, der schön im Hellen sitzt, Zigaretten raucht und mit einem Ohr den Gilmore-Girls lauscht.

Ich will mich umwenden.
Umwenden? Umdrehen wäre das gebräuchlichere Wort.

Die Dunkelheit weicht dem dämmrigen Licht der Neonröhren.
Ich hab weichende Dunkelheit mindestens einmal zu oft in meinem Leben gelesen.

Sein Griff um mein Bein wird so fest, dass es schmerzt.
Deine Erzählerin ist gefühlskalt.

Er wendet sich um.
Verzeih, den raineresken Wortwitz. Aber schreibst du über Menschen oder über Hamburger?

„Du solltest jetzt lieber reingehen, Anna. Sie sind schon ganz nah.“
Ich wollte dich gerade loben, dass dir Bens Passagen wirklich gelungen sind, dann kommt er hier mit „geh lieber rein“. Das passt doch nicht. Das sagt man zu Kindern, wenn’s anfängt zu regnen. Aber nicht, wenn Monster die Treppe hochkommen.

Sie wollen mich nicht mehr gehen lassen.
Du willst doch deutlich machen, dass Ben „lauter“ wird, oder? Also wie wäre es mit dem üblichen Mittel, dem Ausrufezeichen?

Ja, halb-offenes Ende. Grauen aus der Tiefe, alles mysteriös, „Mach die Augen zu“. Namenloses, waberndes Grauen. Das sind schon bekannte Motive. Zwei Sachen stören mich vor allem: Die Protagonistin ist einfach zu cool. Ich weiß, du willst das wahrscheinlich irgendwie steigern, mit aufkommender Panik, aber du fängst da auf zu „niedrigem“ Niveau an. Panik ist ansteckend. Die Situation ist außergewöhnlich.
Und das ist auch schon fast das zweite: So eine Geschichte lebt NUR von der Atmosphäre. Da ist gar nichts anderes, kein Plot, keine Charaktere, nichts. Bens Part ist dir da (bis auf eine Ausnahme) wirklich gut gelungen. Das ist eine Gratwanderung hin zur Lächerlichkeit, die dir hervorragend gelingt. Aber einfach die Protagonistin und da komm ich wieder zu meinem Lieblingspunkt: Der Erzählperspektive. Wenn du es objektiv und plastisch machen willst, wenn es dir eher um die Außenansicht geht, dann mach’s aus der dritten Person. Wenn es dir um Gefühle und vor allem um Gedankengänge, um Assoziationen und Sinneseindrücke geht, dann mach’s in der ersten Person. So wie jetzt ist es nicht Fisch und nicht Fleisch.
Wenn du dich da für eins entscheiden würdest, hättest du (fast zwangsläufig) die Atmosphäre und damit eine gute Geschichte.
So ist sie für mich weit weg von Marvins „Müll“ aber ebenso weit weg von Proofs „überaus spannend“. Die Geschmäcker sind halt verschieden.

Gruß
Quinn

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo...

Da ich gewissermaßen einige Erfahrung mit Horrorzeug in kurzer Form habe, stelle ich hiermit, und nicht nur für mich sprechend, sondern ganz klar und allgemein fest:
Diese Geschichte ist weit davon entfernt, Müll zu sein.

Natürlich sind "verbotene Orte" ausgelutscht. Aber Lovecraft und Poe haben diese bereits ausgelutscht, als keiner von uns ans Schreiben dachte. Kings Mic-Mac Friedhof kam nach den beiden, und DANACH kam noch einiges mit verbotenen Orten. Auch erwartete ich von der Aufzählung von Federn, Klingen usw. etwas mehr Background. Aber ich MUSS ihn nicht haben. Was wir hier sehen, ist eine Geschichte, die 4 Dinge schafft, wofür ich applaudiere:

1. Sie ist spannend. Obwohl wir keinen anderen Ort als ein Treppenhaus aufsuchen, nur 2 Prots haben - und die tun nix ausser reden. Und bluten. Find ich klasse.

2.Sie erklärt nicht soviel. Die Erwähnung von Klingen und Federn schreit nach Details, aber sie kommen nicht- und das ist gut so.

Denn-

3. Diese Geschichte hat Atmosphäre! Ein simpler Schauplatz, alltäglich. Erlöschendes Licht. Protagonisten, die nicht Wesley oder John heissen. Klarer Stil, keine Zicken, sichere Schreibe, keine Rückblenden, wenig überflüssiges.

4. Diese Geschichte hat Atmosphäre! Hatten wa schon? Kann man nicht oft genug sagen.


Ein paar Worte sind vielleicht über, und ein, zwei Formulierungen dünsten geradezu Lovecraft aus, aber ansonsten...geil.

 

Sachen, die ich streichen würde:

»Das Haar hängt ihm in wirren Strähnen ins Gesicht.«

»wirren« weg. Kling abgegriffen.

„Der Ort, von dem ich dir erzählt habe. Der... verbotene Ort. Anna. Erinnere dich. Das Gift, die Federn, die Rasierklingen.“

» Erinnere dich« weg. Das ist so Lovecraft-mäßig. So redet keiner.

»„Der Ort ist verboten. Ich weiß. Oh, ich weiß. Ich hätte dort nicht hingehen sollen. Aber Anna, du hättest es sehen sollen. Es ist so schön da. So wunderschön. Der Schnee. Du hättest den Schnee sehen sollen. So weiß. So unendlich weiß.“«

» Ich weiß. Oh, ich weiß.« und » So wunderschön. Der Schnee.« weg. So redet immer noch keiner, oder wenn, muss klar werden, dass er sich auf der Schwelle zum Tod oder Wahnsinn befindet, und zwar von langer Hand eingeführt. Aber ich würde es ganz lassen…zu viele So schön und ich weiß

»„Du solltest jetzt lieber reingehen, Anna. Sie sind schon ganz nah.“«

Erwähnte Quinn bereits. Recht hat er!

Generell würde ich ihn nicht so oft Anna anweisen lassen, rein zu gehen. Zwei Mal. Maximum.

 

Natürlich sind "verbotene Orte" ausgelutscht. Aber Lovecraft und Poe haben diese bereits ausgelutscht, als keiner von uns ans Schreiben dachte.

Ich meine das Bezeichnende, nicht das Bezeichnete.

 

Hi Feline.

Ich muss mich Jack hier anschließen.
Der Stil ist prägnant, flott, und äußerst atmosphärisch. Zu viele Details würden alles kaputt machen.
Der letzte Satz zeigt genau die Wirkung, die er zeigen soll.

Also Müll ist für mich wirklich etwas (völlig) anderes. Und Marvins Frage nach dem streitenden E-Werk finde ich auch nicht wirklich passend. Würde man in einem übernatürlichen Text dieser Art erklären, dass das Licht wegen dieser fremden Macht nicht mehr anspringt, und dass es eigentlich nicht am E-Werk liegen kann, dann würde man ihn zerstören.

Hat mir sehr gut gefallen, das kurze Stück!

Grüße

Cerberus


EDIT: Wenn du Lust hast, such mal nach der Geschichte "Der Sarkophag" auf dieser Seite. Sie ist schon einige Jahre alt und der Autor kommt mir nicht in den Sinn. Ansonsten ist sie vom Aufbau her (nicht aber von der Handlung) ziemlich ähnlich.

 

Hi Quinn!

Wie klingt eine „auf unangenehme Weise gealterte“ Stimme.
Anfangs habe ich nicht verstanden, was Du meinst, aber ich glaube, es dämmert. Da es wirklich den Lesefluss zu stören scheint, werde ich es umformulieren.

Und die Protagonistin sagt: Ich weiß nicht, was er meint.
Jau, klar.
Wird gestrichen.

und schließt ganz cool an: „Oder die Polizei.“
Deine Anmerkungen sind wirklich hilfreich. Das ist mir beim Durchlesen auch komisch vorgekommen, aber ich hab's dann - warum auch immer - trotzdem gelassen.
Jetzt kommt's weg.

Umwenden? Umdrehen wäre das gebräuchlichere Wort.
Im Ernst?
Ich benutze "umwenden" so häufig.
Man wendet sich um. Oder wendet man wirklich nur Autos, Bettwäsche und Pfannkuchen? Ich in mir nicht mehr sicher.

Ich hab weichende Dunkelheit mindestens einmal zu oft in meinem Leben gelesen.
Was gibt's denn da noch für hübsche Phrasen? Das Licht vertreibt die Dunkelheit? Es wird hell? Ich kann wieder sehen? Das Licht geht an? Dämmriges Licht flutet den Raum? Licht lässt Schatten verblassen? Löst Schatten auf? Erfüllt das Treppenhaus? Die Lampen beginnen zu leuchten?
Mein Kopf steckt voller Standardsätze. Zutreffendes bitte ankreuzen. :hmm:

Deine Erzählerin ist gefühlskalt.
Ja.

Also wie wäre es mit dem üblichen Mittel, dem Ausrufezeichen?
Ich habe immer ein bisschen Angst vor jedem Ausrufezeichen, das ich setzen muss. Ich habe als Kind zu viele Comics gelesen.

Was die Perspektive angeht. Ich muss es mal versuchen, muss es SEHEN, um zu wissen, ob es besser funktionieren würde.
Vielleicht ist die Prot wirklich zu gefühlskalt. Ich wollte sie die ganze Zeit - eigentlich von Anfang an - neben ihm in die Knie gehen lassen, um ihm näher zu sein. Aber es ergab sich einfach nicht.
Sie bleibt stehen, ER streckt die Hand aus, und sie will eigentlich nur weg von ihm. Das ganze hatte bem Schreiben eine ziemliche Eigendynamik. Genaugenommen habe ich ihn ihr Bein umklammern lassen, damit sie nicht weg kann. Damit sie nicht zum Telefon kommt.
Ich glaube, es lag daran, dass ich sie anfangs erstmal starren ließ. Nicht helfen, nur stehen und starren. Aus der Verhaltensweise findet sie irgendwie nicht mehr heraus.

Deine Anregungen sind sehr hilfreich und werden mich noch ein bisschen länger beschäftigen.
Vielen Dank!


* * *


Hi Jack!

Wow, was für ein netter Kommenta! Ich sitze hier und lächle.
Deine Anmerkungen werde ich bei meiner nächsten Überarbeitungen definitiv berücksichtigen.

Eine Sache jedoch:
Ich verstehe nicht, was euch alle an diesem "Geh lieber rein" stört. Ist das wirklich ein typischer Eltern-mit-erhobenem-Zeigefinger-Satz?
Und selbst wenn... Ben ist doch sowieso vom Bluten und Kichern schon ganz verwirrt. Da gefällt mir dieser irre Kontext eigentlich ganz gut.

Auf jeden Fall Danke für die Mühe, die Du Dir gemacht hast.

* * *


Hey Cerberus!

Freut mich sehr, dass Du den Text mochtest.
Ich habe mir die Geschichte "Der Sarkophag" durchgelesen - Du hast Recht, da sind Parallelen.
Da ist dieses große, unbekannte, dunkle, namenlose, uralte, mit dem menschlichen Verstand kaum erfassbare Böse. Und ein Prot, der keine Ahnung von gar nichts hat. Die Geschichten endet sogar damit, dass sich die beiden zum ersten mal in die Augen blicken.

Wenn "Der Sarkophag" vor einer Woche hier erschienen wäre, hätte man mir bestimmt vorgeworfen, ich hätte da was geklaut. Mm.

Na ja, Hauptsache, Du hast Dich nicht gelangweilt.


Schöne Grüße und ein fettes DANKE,

Feline

 

Hallo Feline,

ich kann mich leider einigen meinen Vorrednern nicht anschließen, denn ich finde die Geschichte wirklich spannend und ich bin auch nicht der Meinung, daß du das Ganze hättest noch mehr ausbauen sollen. Liegt daran, daß mir Geschichten gefallen, die vieles offen lassen - da kann man sich als Leser dann selbst seine Gedanken machen; es gibt plötzlich keine Richtlinie des Autors mehr, sondern der Leser ist gefragt (der darf ruhig auch mal eine Story weiterspinnen, er ist ja nicht doof! :)).

"Im Treppenhaus" ist meiner Meinung nach gerade deshalb interessant und noch viel spannender, weil man eben die Vorgeschichte nicht kennt und weil man nicht weiß, wie es weitergeht.

Hinzu kommt, daß mir Dein Schreibstil sehr gefällt; Du baust gekonnt Spannung auf.

Ich hab für meinen Teil Deine Geschichte wirklich sehr, sehr gern gelesen!
Weiter so! :)

Gruß
stephy

 

Also "Müll" ist die Geschichte auch in meinen Augen nicht, ich war sogar richtig gefesselt. Am Ende lief meine Spannung allerdings ins Leere, was ich auf der einen Seite sehr schade finde, auf der anderen Seite aber auch sehr gut. Es regt die Fantasie an, ich denke über eine so offene Geschichte mehr nach als über eine, wo mir jedes Detail vorgekaut wurde.

Wenn du möchtest könntest du die Geschichte nocheinmal schreiben, aus seiner Perspektive, wie er den "verbotenen Ort" findet und darin eben ein bisschen mehr aufklären.

Perfekt ist die Geschichte sicherlich nicht, aber insgesamt hat sie mir gut gefallen.

Viele Grüße,
Sometimes

 

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