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Im Wald

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24.06.2001
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Im Wald

"Denn müd ging auf den Matten
Die Schönheit nun zur Ruh,
Es deckt mit kühlen Schatten
Die Nacht das Liebchen zu."
(aus: Joseph von Eichendorff, "Die Nacht")

Die Scheinwerfer des schwarzen Wagens betasteten stumm und flüchtig wenige Bäume des Waldes. Es schien, als beugten sich die großen alten Bäume ein letztes Mal wie finstere Giganten zu ihm herunter und umkreisten ihn wortlos wie blicklose Druiden. Ich hatte mir, so erinnere ich mich, eine Zigarette aus einer der zerdrückten Päckchen, die stets im Handschuhfach lagen, herausgekramt und den Knopf des Zigarettenanzünders gedrückt, um sie anzustecken. Als das Licht der Scheinwerfer erlosch und auch der Motor erstarb, spendete sie glimmend den einzigen Lichtschein im Wageninneren und im dunklen Wald. Alles war still und ich spürte, wie sich Blicke auf mich hefteten, meine Stirn hinunter, über die Wangenknochen hinweg und den Hals hinunterglitten.

Ich schaute sie an, um in ihren Blicken zu lesen, was sie fühlte, um zu sehen ob ich ihren Geschmack getroffen hatte. Sie lächelte, oder zumindest glaubte ich sie lächelte, denn schwarze Schatten huschten rasch und fast unmerklich über das matte Gesicht, das im Mondlicht weiß erschien, weiß wie ihr ganzer Körper. Doch ihre Augen blieben kalt, Abziehbilder der frischen Herbstnacht, die das Leben mit ihren eisigen Fingern zum Erstarren brachte. Schwarz und tief und unergründlich, wie eine Höhle, die in die Verdammnis führte, betrachteten sie mich und ich wusste von da an was Sünde war. Ihre Blicke fesselten die meinen, wortlos führte ich die Zigarette zu den Lippen, ohne mich abzuwenden, ohne zu blinzeln. Ich wollte nicht zittern, aber ein Frösteln durchschauderte dennoch meinen ganzen Körper. "Bist du nun glücklich?" fragte ich sie.
In ihr Gesicht war wieder diese Leere getreten, wie ich sie schon so oft gesehen hatte, wenn ich auf die Jagd ging. Wie der gebrochene Blick eines erlegten Rehs. Und ihre Augen sagten: "Ja. Ich bin glücklich." Doch ihr Herz blieb kalt, so kalt wie ihre Haut. In ihren Augen schien es kurz aufzuglühen, wie helle Flammen, wie ein Abbild ihres Herzens, das nur für mich brannte, als sie in ihrem Sitz zusammensackte und Mondlicht in ihr Auge trat.
Sie trug ihr schwarzes Kleid, das ich schon oft und so gerne an ihr gesehen hatte, wenn ich ihr hinterherschlich. Es glitzerte so wie Sterne glitzern, wenn die Nacht wolkenlos ist und man sich ergriffen aus dem Fenster lehnt. Man kann nicht umhin zu staunen, wenn man die Sterne an ihrem Kleid sieht, das so schwarz ist wie die Schatten des Waldes. Ich hatte die Handbremse gezogen, um aussteigen zu können und sie an den Weiher zu führen. Es waren doch schließlich unsere Flitterwochen und niemand sollte uns stören. Niemand. Ich öffnete die Tür ruckhaft und ließ sie mit einem Knall wieder zuschlagen, lachend, denn der Schlag durchdröhnte die Stille des Waldes und irgendwo dort draußen kreischte ein aufgescheuchter Vogel. Langsam, sie liebevoll betrachtend, ging ich um den Wagen herum zur Beifahrertür und öffnete sie. Dann nahm ich ihre reglosen Arme, die mich hilflos umklammerten, und ihre Beine und trug sie hinaus in die frische Nacht. Und wir schauten uns an wie Verliebte, als ich sie so in den Armen hielt. "Verzeihung", murmelte ich, denn ich war mir sicher, sie hätte "Lass los." gesagt. Doch die Stille wurde nicht durchbrochen, nicht durch ihren Atem, nicht durch ein einziges Wort von ihr, erst als ich auch ihre Tür zuwarf, war die Stille dahin.

Der Weiher, der von uns lag und schon im Winterschlaf dahindämmerte, schien kalt zu sein, wie erstarrt. Hohe Farne umschlossen ihn, natürlich, denn niemand sollte uns stören, wir wollten doch alleine sein. Sie raschelten leise und bewegten sich leicht, wenn ein Windstoß sie erfasste. Wie eine kühle sanfte Hand streichelte der Wind mein Haar, zerzauste es und begrüßte mich, als wären wir alte Freunde. Doch ich hasste den Wind, wenn er an meinem Hemd zerrte und es wie ein Segel blähte. Da lag sie friedlich in meinen Armen und in ihren Augen tanzten wieder die freudigen Flammen, die ich ersehnte, jedesmal, wenn ich sie ansah und sie den Blick erwiderte. Dunst schwebte über dem nächtlichen Weiher wie der Geist der ersten Pioniere. Der Gedanke daran erheiterte mich und erst schmunzelte, dann kicherte ich, bis sich ein Schwall schallenden Lachens aus meinem Mund ergoß und die Stille, die wie ein Fluch über dem Walde lag, durchbrach. Immer und immer wieder hielt ich ein, um Luft zischend zwischen die Zähne zu saugen und kurz zu lauschen, ob niemand in der Nähe sei, der unsere Eintracht stören konnte. Der Wald, die Geliebte und ich. Ein Schauspiel in drei Akten. Gibt es ein happy end? Natürlich, was denken Sie denn? Die Helden sterben und der Bösewicht überlebt, wie im richtigen Leben. Das müssen Sie gesehen haben! Doch niemand wollte mein Schauspiel betrachten, niemand kam, dabei war es doch die Uraufführung. Melancholie ließ sich in mir nieder und nistete hinter den Gedanken, ich schluchzte, als ich an das Wasser trat. Das andere Ufer war kaum zu erkennen, verschwommen, im Abenddunst verklärt und niemand war da, der mein Wehklagen hören konnte. Ich war allein. "Verstehst du mich?" fragte ich sie und ihr Blick blieb leer und unbelebt, als wohnte keine Seele in ihm.
Ich legte mich neben sie und schaute durch Tränen in das kühle murmelnde Wasser, das sich mit mir unterhielt, in einer Sprache, die mir unbekannt war. Eine Eule heulte mit großen gütigen Augen irgendwo auf einem Baum und schaute herunter, was die flügellosen Kreaturen der Nacht dort unten am Weiher trieben. Wild schrie ich sie an und keifte wie ein altes Weib in die Dunkelheit hinein, doch auch die Eule antwortete nicht. Sie entschwand flatternd in die Nacht, die ihr Zuhause war. Ich muss irgendwann eingenickt sein dort am Weiher und die Leuchtziffern meiner Armbanduhr warfen ein gespenstisches Licht, als ich sie nach dem Aufwachen betrachtete, so wie wohl Menschen einen Außerirdischen betrachten würden, wenn sie ihn sahen. Ich schaute auf das Ziffernblatt, schaute noch einmal und konnte nicht begreifen. Die Nebel lichteten sich vor meinen Augen und ich erkannte, dass die Zeiger übereinander lagen. Sie standen auf Mitternacht.

Nun war es totenstill und selbst das Wasser hatte seine Monologe aufgegeben. Ich wollte sie noch einmal sehen, bevor ich die Tat melden und alles gestehen würde. Das Einschussloch. Ihre Haut war seiden und wächsern, die Beine traten unter dem schwarzen Kleid hervor, das mit Sternen bestückt war. Sie hatte auf dem Weg zum Weiher einen der eleganten Stöckelschuhe verloren, ich würde ihn suchen gehen, denn er war ein Beweismittel. Gegen mich. Das Einschussloch. Meine Blicke glitten langsam über ihren blassen Körper, von den Beinen hoch und höher noch. Ich war fasziniert. Es schien fast, als würde sie noch leben und als würde sie den Ausflug zum Weiher genießen. Das Einschussloch. Der Wind, der kühl durch die Baumreihen strömte, hatte sich sanft gelegt und man konnte nicht den leichtesten Windhauch auf der Haut spüren. Mein Blick tastete sich weiter nach oben, um ihre Augen zu suchen und ein letztes Mal mit ihnen in Kontakt zu treten und ich schaute sie an, gebannt von ihrer Schönheit.
Das Geschoss war in die Stirn eingedrungen, knapp oberhalb der Augenbrauen. Das Einschussloch. Es war nicht mehr zu sehen, es war einfach verschwunden. Ich kroch langsam auf sie zu und beugte mich über sie, um sie mir genauer zu besehen. Die Augen waren geschlossen. Und als mein Schatten auf ihr zartes Gesicht fiel, schien sie zu lächeln. Glück durchströmte mich plötzlich, denn das Einschussloch war nicht mehr zu sehen. Sie schlug die Augen auf. Rot und starr, durchdringend. Und das Gesicht verzerrte sich zu einem Grinsen, als sie mich in ihrem Griff einschloss. Ich starrte in eine steinerne Maske aus Hass und Zärtlichkeit. Sie führte meine erkaltete Zigarette zu den Lippen, als sie mich ansah und sich erhob. Sie hatte sie die ganze Zeit in der Hand gehalten und neben mir gewacht. "Bist du nun glücklich?" fragte sie mich. Und ich schluckte die Antwort wie eine bittere Medizin hinunter, da sie mich entsetzte. Meine Gedanken überwältigte ein Wort, das hinaus wollte, hinaus an die frische Waldluft. Ich dachte "Ja." und sagte nichts. Die Eindrücke umschwirrten mich und ich wünschte, ich wäre in meine Träume zurückgekehrt, oder besser noch, nie aufgewacht. Plötzlich stand ich vor einem Traualtar und der Pfarrer blickte uns beide gütig in die Augen, in die Herzen. Und die Gemeinde wartete auf das erlösende "Ja." Doch es kam nicht. Schon war das Bild wieder verschwunden und der stille Wald empfing mich wieder wie einen alten Freund. Die kalte Zigarette lag abgebrannt neben mir am Waldboden. Sie war verschwunden. Die letzten Worte hallten nach. "Bist du nun glücklich?" Seitdem besucht sie mich immer nachts in meinen Träumen und stellt wieder und wieder dieselbe Frage. Dann kehre ich an den Weiher zurück und denke daran, dass ich mir das Rauchen abgewöhnen muss.


Tobias Rösch

 

Wow! Das muss ich erst einmal verdauen ... Wahnsinnsatmosphäre. Stilistisch bis ins kleinste Detail gelungen, eine sprachliche Glanzleistung.

Nur ein Kritikpunkt: Anfangs, wenn man sich in die Geschichte hineinliest, scheint der Protagonist allein zu sein in diesem finsteren Wald und dann kommt der Übergang zur Person, die sich neben ihm im Wagen befindet, etwas plötzlich. Ich musste die Stelle zwei mal lesen, um zu begreifen, dass es sich um eine bisher Unbekannte handelt ... vielleicht kannst du das ja noch ändern, indem du das Mädchen / die Frau nicht gleich als "sie" bezeichnest, dann weiß man auch wer gemeint ist.

Ansonsten wie gesagt schaurig schön. :baddevil:

 

Stilistisch nicht schlecht.
Etwas mehr Absätze wären schön. Das Auge liest halt schon mit... :rolleyes:
Ansonsten; tolle Geschichte!!! <IMG SRC="smilies/thumbs.gif" border="0">

Griasle
stephy

 

Ja, mehr gefällt die Geschichte auch sehr... Nichts was mich stört.

 

Erinnerte mich ein bisschen an "Where the wild roses grow".
Wirklich gute Atmosphäre und einige starke Passagen bzw. Beschreibungen - sooo erzeugt man sanften Grusel, müssen nicht immer Kettensägenroboter sein... ;)

Das einzige, was ich zum Aussetzen hätte: Die Form. Absätze und Leerzeilen würden sich erheblich besser machen, als solche Wortschlangen.

Das ist aber wirklich der einzige Kritikpunkt, davon abgesehen: Super Geschichte!

 

Die "optische Schönheit" ist jetzt hergestellt... ;)

Toby

 

Ja, ich kann mich nur anschließen, eine wunderbare Geschichte, sehr atmosphärisch.
Wie Rainer schon geschrieben hat, wären ein paar Absätze schön gewesen.
Und noch eine Kleinigkeit, die meinen Lesefluss etwas beeinträchtigt hat: Gibt es ein happy end? Natürlich, was denken Sie denn?..................Das müssen Sie gesehen haben!
Ich finde, das sind überflüssige, störende Einschübe.

Günter

 

@GKL: Danke für deine Kritik! Du erwähnst diese "Einschübe", die immer wieder vorkommen und den Lesefluss stören... Hm, ich würde sagen, dass das nicht unbedingt unnötige Elemente sind, die ich einsetzte. Denn dieses Mittel bietet die Möglichkeit, dem Leser mitzuteilen, dass es um die geistige Gesundheit des Erzählers nicht gerade gut bestellt ist. Normalerweise geht man beim Lesen einer Geschichte davon aus, dass der Erzähler in etwa so gebildet und geistig stabil (was immer das sein mag) ist, dass man seinen Ausführungen Vertrauen schenken kann. Hier ist das nicht so: denn der Erzähler ist ja ganz offensichtlich ein Fall für die Psychiatrie - und diese Tatsache muss dem Leser natürlich erst einmal vermittelt werden...

Toby

 

Hallo Toby,

mir geht es nicht um die "immer wieder vorkommenden Einschübe", sondern speziell um die oben genannten, die mich gestört haben.
Ich denke, die Leser hätten auch ohne diese Hinweise erkannt, dass der Protagonist deiner Geschichte ein Psychopath ist.

Günter

 

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