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Immer diese Vorurteile
„So, meine Damen! Ich begrüße euch zur heutigen Aerobicstunde, und wir beginnen mit ein paar leichten Gymnastikübungen…“
„Ähm, Tschuldigung, Holger, aber wir haben hier eine Neue …“
„Eine N … Klar, weiß ich doch. Nee, ich hätt’ dich schon nicht vergessen. Und du heißt …“
„Kathrin.“
„Also, Kathrin, damit das klar ist: Ich hab’ dich nicht übersehen. Ich wollte dich sofort nach der Ansprache begrüßen. Das ist ein weitverbreitetes Vorurteil gegen Männer, dass wir keine Veränderungen in unserer Umgebung wahrnehmen und so. Dagegen verwahre ich mich aufs Schärfste. Ich kann es nicht ausstehen …“
„Können wir jetzt endlich mal anfangen“, seufzt eine aus der zweiten Reihe.
„Hier bestimme ich, wann angefangen wird, klar?“ Das Genörgel macht mich noch rasend.
„Ist ja gut, Holger, wir wollten doch nur …“
„Nee, schon klar. Männer wollen immer bestimmen, wo’s langgeht, ne? Denkt ihr doch, oder? Aber so nicht. Ich bin der Trainer, von mir erwartet man, dass ich den Laden schmeiße. Aber ist ja klar, dass ich so nur wieder eure bekackten Vorurteile bestätige. Ich könnte ausrasten!“
„Holger, das denkt hier keine von uns. Wir möchten nur gerne anfangen.“
„Kannst du mir mal gleich bei den Streckübungen helfen?“, mischt sich Sonja ein. „Nur am Unterschenkel festhalten …“
„Ha! Na logisch! Nur am Unterschenkel. Könnte ja aus Versehen hochrutschen, die Hand, ne? Männer sind ja auch alle Sexprotze, denken nur an das Eine. Vielleicht stell ich mir gerade insgeheim vor, euch alle in der Umkleide durchzunageln. Bin ja ´n Kerl. Da kann man nie vorsichtig genug sein, wie?“
„Holger, jetzt reicht es langsam wirklich. Wir wollen …“
„Da! Ihr habt hinter meinem Rücken getuschelt. Ha! Hättet ihr nicht gedacht, was? Männer können sich nur auf eine Sache zurzeit konzentrieren, häh? Kriegen nichts mit, was um sie geschieht, wie? Aber da seid ihr schief gewickelt!“
„Aber Holger, ich habe doch nur Sybille getröstet.“
„Getröstet!“
„Ja, sie hat doch Liebeskummer. Hatte sie letzte Woche auch schon.“
„Und? Denkst du, das wüsst’ ich nicht? Natüüürlich nicht. Männer haben ja kein Einfühlungsvermögen. Sind total unsensible Klötze. Kriegen nix mit. Logisch.
Ich will dir mal was sagen: ICH-HABE-MITGEKRIEGT-DASS-SYBILLE-LIEBESKUMMER-HAT! Kapiert?“
Das hat gesessen! Eine geschlagene Minute sagt keine ein Wort.
„So, da wir das jetzt geklärt haben, sollten wir nicht anfangen?“ Sabine. Natürlich.
„Anfangen? Okay.“ Ich nehme wieder meinen Platz ein. „Seht ihr? Kein Problem! Ich habe gehört, dass ihr anfangen wollt, und ich fange an. Kein Macho-Gehabe, kein Letztes-Wort-haben-Wollen und nichts. Seid ihr platt, hm?“
„So, mir reicht’s! Ich geh’ jetzt, bis du dich wieder eingekriegt hast.“ Sabine stolziert zur Tür.
„Warte, ich komm mit.“ Sonja rennt hinterher.
„Ich auch.“
„Ich auch.“
„Fein! Geht nur alle. Dann hab’ ich wenigstens einen Tag frei!“
Als sich die Tür hinter der Letzten geschlossen hat, muss ich erst mal an die Kühlbox. Wo ist denn dieses verdammte Bier? Nie findet man da drin etwas, so unübersichtlich, wie alles übereinandergestapelt ist. Ah, na logisch, genau in der Mitte. Wie soll ich es denn da sehen?
Was für ein Scheiß! Da nimmst du den Job als Aerobictrainer an, damit du in der Umkleide täglich ´n Haufen geiler Schnitten durchknallen kannst, und stattdessen kriegst du ´nen Haufen frigider Nörgelzicken. Manchmal ist das Leben aber auch echt zum Kotzen.