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Immer wenn es regnet

HGD

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11.12.2001
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Immer wenn es regnet

Immer wenn es regnet

So schnell sie in mein Leben trat, so schnell verließ Anna es wieder. Anna, immer wieder Anna. Noch nie hatte ich so viele Annas auf einem Fleck getroffen, wie in der kurzen Zeit, als ich meinen Bruder besuchte.

Wir sind Zwillinge. Er studiert in Freiburg und ist dort in einer Verbindung. Katholisch und nur noch im Namen Deutsch, so ohne Säbel, Degen und Fechten. Buxen oder Currys sagt mein Bruder zu den Leuten, die Narben vom Fechten haben, Bibelschmeißer nennen ihn diese. Seine Bundesbrüder, also die, die auch in seiner Verbindung sind, sagen alle „Regengott“, wahrscheinlich wegen diverser Annas und dem Lied vom Freundeskreis. Er war in der Schulzeit auch schon ein Arschloch. Aber vielleicht liegt es diesmal auch nur daran, dass seine Freundin jetzt Anna heißt.

Ich stieg am Donnerstag in Freiburg aus dem Zug, und ein junger Flegel sprach mich sofort an. Er sagte mir seinen Namen, doch dann auch sofort, dass alle ihn nur „Troy“ nannten, wie das Fanta-4-Lied, weil es ihm so gut gefiel. Er war noch Fux, also Probemitglied bei der Verbindung, und mein Bruder hatte ihn gebeten, mich vom Bahnhof abzuholen. Im Verbindungshaus wuselten eine Menge Männer mit Strippen um den Oberkörper, ihren Bändern herum oder schäkerten mit Frauen, die irgendwelche Gläser einräumten. Irgendwie sah es schon cool aus, all diese Menschen zu sehen, die allein vom Äußerlichen schon zu verschieden wirkten, ihnen eine Freundschaft überhaupt zuzutrauen. Faszinierend, wie sie miteinander redeten und Insidersprüche austauschten, nur weil ihr Band dieselben Farben hatte. Troy stellte mich vor und ein Typ mit zwei gekreuzten Bändern sagte mir, dass man mir meinen Bruder ansehen würde, auch wenn wir zweieiige Zwillinge wären. So wie eigentlich jeder, wenn mein Bruder oder ich das Geheimnis unserer Verwandtschaft lüfteten. Der Typ mit den gekreuzten Bändern hieß Anton, doch das war auch nicht sein richtiger Name. „Das ist eine alte Tradition, als Verbindungen noch verboten waren, quasi Spitznamen.“ Anton war Österreicher und mein Bruder nannte ihn immer seinen besten Freund, wenn er von Freiburg erzählte. Er war Fuxmajor, was bedeutet, dass er auf die Probemitglieder aufpasste. „Kennst du schon Anna?“ Ich wollte „Nein“ sagen, denn ich hatte die Freundin meines Bruders noch nicht kennen gelernt, doch da drehten sich gleich zwei Frauen vom Gläsereinräumen um. Anton lachte und erklärte, dass mehrere Frauen hier Anna hießen. In diesem Augenblick kam mein Bruder die Treppe herunter und umarmte mich. Wir hatten uns mehrere Monate nicht gesehen, denn ich arbeite ein Hamburg. Er nahm einer der Annas bei der Hand und stellte mir seine Freundin vor, nur um sich gleich wieder zu verabschieden. Er musste noch einkaufen, denn der Grund für mein Kommen war eine Party am Samstag, die seine Verbindung ausrichtete. Seine Anna bot an, sich um mich zu kümmern und fragte, ob ich Lust hätte beim Einräumen zu helfen. Um ehrlich zu sein: nein, aber etwas Besseres wusste ich mit mir in der fremden Stadt nicht anzufangen.

Nach zehn Minuten waren wir fertig und die andere Anna, die nicht mit meinem Bruder zusammen war, konnte diesen Status wohl nutzen, sich zu verabschieden. Ob ich die Stadt sehen wollte? Ja, wollte ich. Denn die andere Anna war richtig süß, und so ging ich mit ihr in die Freiburger Innenstadt. Zu Glück stand H&M nicht auf dem Programm, denn ich hasse diesen Laden, voll mit seinen von schwitzenden Teenagern anprobierten Teilen. Wir lachten viel und sie erzählte mir, dass es insgesamt fünf Annas gab, die in der Verbindung meines Bruders regelmäßig verkehrten. Sie bestätigte meine Vermutung zur Legendenbildung des Regengottes damit, dass es vor ihrer besten Freundin, der Anna meines Bruders, eine weitere Anna gegeben haben soll. Die Geschäfte schlossen und ich war verliebt in die andere Anna.

Ich ging allein zum Verbindungshaus zurück und dachte in meiner träumerischen Art an eine gemeinsame Zukunft und an die schmerzhafte Fernbeziehung zwischen Hamburg und Freiburg. Als ich vor der Eingangstür stand, tropfte der plötzliche Regen an mir herunter. Mein Bruder öffnete und schleuste mich an der Bar vorbei in sein Zimmer, wo ich duschen und mich umziehen sollte. Alle wollten gleich noch in der Stadt feiern, weil der Aufbau abgeschlossen war und vorher zum Vorglühen zur anderen Anna.

Als ich mit dem Pulk vom Verbindungshaus bei der anderen Anna einfiel, kam ich mir schon wie ein Teil dieser Gruppe vor, weil jeder glaubte mich zu kennen wie meinen Bruder, womit sie in vielen Dingen sicherlich Recht hatten. Doch in Annas kleiner Studentenwohnung saß ich abseits und starrte auf meine Fingernägel. Die andere Anna sah mich und bot an, mir mal wieder ne richtige Maniküre zu verpassen. Warum soll man aus irgendeinem Grund nein sagen, wenn man mit seiner Traumfrau allein im Badezimmer sitzen kann? Doch erst Samstag sollte ich die andere Anna wiedersehen.

Wir hatten zusammen die erste Schicht an der Garderobe und schon Schluss, als der große Ansturm mit dicken Daunenjacken darauf zuströmte. Wir tranken Cocktails und tanzten erst beiläufig und dann heftig miteinander. Die andere Anna erzählte mir ihr Leben, wie sie sich in einen Bundesbruder von meinem Bruder verliebt hatte, weil er ihrem Exfreund so ähnlich war. Nicht ähnlich sah, wie sie immer wieder betonte. Wie sie auf ihn hereingefallen war. Wie sie Verständnis fand bei allen in der Verbindung. Wie sich langsam eine Freundschaft entwickelte zwischen diesem Typen und ihr. Wie sie ihn nun für einen großartigen Menschen hielt und froh war, dass er endlich ruhiger geworden war. Es klang nach meinem Bruder, es war mein Bruder. Er vögelte nun ihre beste Freundin. Ich weiß nicht, ob es daran lag, dass sie immer betrunkener wurde, aber als die Party nur noch aus Leuten wie ihr bestand, küsste sie mich und sah mich an. Wir lächelten und sie steckte mir ihre Zunge in den Mund und sagte, dass sie so was seit der Schulzeit nicht mehr gemacht habe.

Sonntag nahm ich den letzten Zug nach Hamburg, mit dem Wissen, die andere Anna nie wiederzusehen. Denn wie kann ich meinem Bruder sagen, dass ich mehr von Anna will als Shopping und Maniküre? Ich bin zwar elf Minuten älter, aber doch nur seine Schwester.

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Hallo HGD!

Deine GEschichte hat mir gefallen, trotz des recht traurigen Schlusses. Die überraschende Pointe lässt mich die ganze Vorgeschichte dann in einem anderen Licht sehen. Beim ersten Lesen kam sie mir sehr langatmig vor (vielleicht weil Verbindungen für mich nichts unbekanntes sind).

Ein kleiner störender Fehler im letzten Absatz:

Schoppen
- ich vermute, Du meinst shoppen oder?

LG

Jo

 

Hallo HGD,

wie Jobär empfand ich die Geschichte anfangs als etwas zu langatmig. Ich fragte mich, wofür ich diese ganzen Informationen überhaupt brauche und wann es endlich zur Sache kommt.
Im Nachhinein gibt natürlich alles einen Sinn.
Die Wendung hat mir ausgesprochen gut gefallen. Du schaffst es sehr gut die Gefühle deiner Prot. darzustellen ohne kitschig zu werden. (Und das ist ja manchmal ganz schön schwierig.)
Das Ende hat mich dann doch ziemlich traurig gemacht.

Fazit: Hat mir sehr gefallen!

LG
Bella

 

hallo hgd,

abgesehen von meiner tief verwurzelten abneigung gegen schlagende verbindungen/burschenschaften fand ich deine geschichte gut. dein stil gefällt mir. und ... wirklich nachvollziehen kann ich das mit der maniküre ... hat mein erster freund auch immer gemacht bei mir ... sogar jetzt, 15 jahre danach krieg ich noch eine wohlige gänsehaut, wenn ich daran denke *g* ...

liebe grüsse

h.

 

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