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Immer wenn es regnet
Wohin man sah Regen. Dieser dämliche, beschissene, saudumme Regen. Aber was hätte sie auch erwarten sollen an einem Tag wie diesem. Zwei Tage war es her, dass sie in die neue Stadt gezogen waren. Beim Gedanken an den Abschied fühlte sie den dicken Klos in ihrem Hals. Ihre ganzen Freunde hatte sie zurückgelassen, nur weil ihr Vater eine andere Arbeit bekommen hatte, hier, in dieser hässlichen, verregneten Stadt.
Mit 18 Jahren weggezogen, fort, in eine völlig ungewisse Zukunft. Sie hatte so viel verloren. Niemand konnte es ihr ersetzen. Dann auch noch den Bus verpasst, am ersten Schultag im neuen Gymnasium. Und kurz darauf hatte es angefangen zu regnen wie aus Kübeln. Schon auf dem Weg von der Bushaltestelle zum Vordach der Sparkassenfiliale war sie klatschnass geworden. Da stand sie nun in ihrer weißen Bluse, nass bis auf die Haut und zitterte ein wenig. Noch eine viertel Stunde bis der Bus kommen würde.
Plitsch Plitsch Platsch viel der Regen auf das Dach. Sie lehnte sich an die Wand und strich ihre dunklen Haare aus dem Gesicht. Als sie aufblickte stand jemand neben ihr. Er war vom südländischen Typ, ziemlich groß und der drei Tage Bart stand ihm ausgezeichnet. Dunkle Locken umrahmten sein auffallend sympatisches Gesicht. Er sah sie an, und ihr Herz blieb kurz stehen. In seinen dunklen Augen sah sie etwas, das sie wie magisch anzog. Ihr Puls ging schneller. Ihre Augen fanden seine, und ihr war, als ob ein Traum wahr würde. "Ich bin Anna". Sie wusste nicht, warum sie das gesagt hatte.
Er lächelte schüchtern. "ich bin Max, aus dem Schoß der Kolchose", flüsterte er, und sie musste grinsen. "Ehrlich wahr man?" Die Antwort blieb er schuldig, und das war auch gut so. Sie hatte es kapiert, sie war Hip Hop Fan und er einer der wenigen, die wirklich etwas davon verstanden. Er trug keine breite Hose und auch kein extra großes Basecap, doch trotzdem strahlte er so viel davon aus dass ihr fast ehfürchtig zu Mute war. Bilder fluteten an ihr vorbei. Szenen, wie sie mit ihm am See chillte,mit ihm durch die Satdt streifte, bei den Konzerten hinter die Bühne kam und wie er bis spät in die Nacht am Schreibtisch saß und sich die Seele vom Leib schrieb.
Eine undefinierbare Sehnsucht ergriff sie. Sie sah hoch. Er sagte immer noch nichts. Oh bitte sag doch etwas. Der Regen prasselte und auf das Vordach und umschloss die beiden wie auf einer Insel der schäumende Ozean. "Anna ich fänd's schön mit dir auszugehen, ich könnt mich echt dran gewöhnen dich öfters zu sehen" sagte er und sah ihr in die Augen. Sie spürte seine Wärme und spürte auch den Ernst, der dahinter stand. Sie war wie weggetreten. Was sollte sie sagen? Es gab nichts zu sagen...Sie zog ihn an sich und hauchte " An sich mach ich dass nicht", dann verschwamm alles zu Strudel von nasser Haut unter ihren Lippen, weichen Barthaaren, seinen Lippen, Küssen Regen und Wärme. Sie hätte aufhören sollen aber wozu?
Da quietschte es plötzlich. Der Bus war da. Warum ausgerechnet jetzt? Sie riss sich los und gab ihm einen letzten Kuss. "Max ich muss" war alles was sie über die Lippen brachte, dann rannte sie völlig benommen hinaus in den Regen.
Als die Türen sich zischend hinter ihr schlossen realisierte sie, was eben geschehen war. Warum war sie gegangen? War sie nicht in der Lage, die Welt sich ein einziges mal sich selbst zu überlassen? Nein, das war sie nicht, und sie hasste sich dafür. Sie blickte sich um und sah das Vordach kleiner werden. Max war verschwunden.
Am nächsten Tag nahm sie wieder den zweiten Bus, genau wie am übernächsten und schließlich auch die zwei folgenden Wochen. Max aber sah sie nie wieder. Und immer wenn es regnet muss sie an Max denken, und daran, wie es war an ihrem ersten Tag in dieser Stadt und wie hart das Leben einem zuweilen mitspielt, wenn es eine leichtfertig getroffene Entscheidung derart hart bestraft.