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Immer wenn ich Hühnchen esse oder warum der letzte Engel starb
Eluise! Eluise! In einer kühlen und dunklen Sommernacht, nur die schwach leuchtenden alten Laternen wollten gemeinsam mit einem müde scheinenden Mond ein wenig Licht spenden, hörte ich immer und immer wieder diese Stimme Eluise rufen. Manche Dinge vermag man, auch wenn man noch so sprachgewandt sein mag, einfach nicht zu beschreiben. Ich hörte diese Stimme nicht - und ich hörte sie doch. Ich war gerade in einem kleinen Dorf das früher meine Heimat war auf dem Weg in mein altes Zuhause. Von einer alten Kneipe, in der ich alte Freunde getroffen hatte, führte mich mein Weg zu meinem Elternhaus am Rande des Dorfes. Nicht nur diese Freunde, jeder der mich damals traf, wird versichern, dass ich keinen Alkohol trank und auch sonst bei Sinnen war. Ich hörte meine Schritte auf den Pflastersteinen, hörte den Schlüsselbund in der Hose klappern, und hörte selbst meinen Atem. Aber diese Stimme konnte ich nur “wahrnehmen” so als entstünde sie in meinem Kopf und so als wäre ich der einzige der sie wohl hören konnte - ich und Eluise, wer immer das auch sein mochte. Ein vorbeihuschender Schatten den ich gerade noch hinter meiner linken Schulter bemerken konnte, veranlasste mich schneller zu gehen. Es fing an leicht zu regnen, aber die Rufe verstummten. Ein wenig angefeuchtet erreichte ich den kleinen Nebenerwerbsbauernhof meiner Eltern. Jeden Schritt kann man in so einem alten Haus hören, und so versuchte ich mein Zimmer im ersten Stock auf Zehenspitzen zu erreichen um das knarren der alten Dielen zu verhindern und
niemanden zu stören. Dort legte ich meine Schlüssel und meine Brieftasche auf die Kommode, als ich durch das Fenster wieder einen Schatten sah. Neben dem Haus steht ein alter Kuhstall und ich hätte gewettet, dass sich jemand dort hineingeschlichen hatte. So leise wie ich hineinging, so leise verließ ich das Haus wieder.
Eine Feder, die an Größe und Schönheit alles übertraf was ich je zuvor gesehen hatte, lag vor der Stalltüre. Der Stall wurde damals schon kaum noch benutzt. Nur ein paar kleine Glühbirnen die an alten Kabeln von der Decke hingen, konnten den Stall noch schwach erhellen. Nachdem ich hineinging und das Licht einschaltete, führte mich eine deutliche Blutspur zu einem “etwas”.
Goldenes Haar, blaue Augen, blass-rote füllige Lippen und Flügel mit einer sicherlich erstaunlichen Spannweite. “Wer oder was bist du”? Sprach ich sie an. Und auf die Weise wie ich es diese Nacht schon einmal erlebt hatte, wurde mir geantwortet. Ohne ihre schönen Lippen zu bewegen erzählte sie
mir ihre Geschichte.
So gäbe es einen Krieg, die himmlischen Heerscharen auf der einen Seite - die Dämonen auf der anderen. Seit Erschaffung der Menschen bekämpften sich beide Armeen um der einen oder anderen Seite zum glorreichem Siege zu verhelfen. Um ein für allemal die Macht des Guten oder die des Bösen zu festigen. Ihre Kraft, also die der Engel, würden sie aus dem tiefen Glauben der Menschen schöpfen. Als dieser dann im Laufe der Zeit schwand, so schwand auch die Kraft der Engel. Sie verloren den Krieg und nur einer blieb übrig. Es wäre ihm - dem Herrscher der Dämonen, eine Genugtuung diesen letzten aller Engel selbst zu holen. Würde ich ihr Glauben schenken, sagte sie, so gäbe ihr dies die Kraft um fliehen zu können.
“Nun, du Traum jedes Hähnchengrill-Betreibers”, erwiderte ich, “bist du nicht viel eher die Doktorarbeit eines fleißigen Genetikers? Vielleicht warst du auch Statistin im Constantine Film. Oder ihr betreibt hier in der Nachbarschaft echt schräge Swingerclubs. Doch ich bin ungefähr so gläubig wie ein toter Stein. Warum erzählst du mir nicht deine wahre Geschichte?”
Kaum hatte ich ausgesprochen, so öffnete sich die Türe, ein kleiner Junge (etwa zwölf Jahre alt) schwarz gekleidet, betrat den Stall und ohne das er die Türe hätte berühren können, schloss sie sich wieder. Ich fand, dass es für einen Knöchelbeißer etwas spät für Hausfriedensbruch war. Doch der Trick mit der Türe beeindruckte, genau wie seine Stimme die mir inzwischen sehr vertraut war. Auch er bewegte seine Lippen nicht. “Wovor läufst du davon”? Er betrachtete Eluise dabei und seine Augen leuchteten als hätte er eine Laterne im Schädel. “Ihr habt längst verloren, wo willst du hin”?
Der Stall war, vom einen aufs andere, hell erleuchtet. Durch die Fenster konnte man unbeschreibliche, schwarze Kreaturen beobachten, die zu hunderten - nein zu Tausenden herbeigeeilt waren, um den letzten Kampf zu beobachten. Doch es gab keinen Kampf. Als Eluise bemerkte, dass ich anfing ihr zu glauben, konnte ich nur noch Verzweiflung in ihrem Blick erkennen. “Zu spät”, flüsterte sie. Für kurze Zeit hüllte sich der Raum in Dunkelheit, um dann so in seinen Normalzustand zurückzukehren, als wäre nie etwas gewesen. Kein Blut, keine Monster, keine Feder. Die eine kleine Glühbirne die neben meinem Gesicht hing, schien mich auszulachen, während sie mit letzter Kraft
versuchte mich zu blenden. Nichts war da, niemand war da.
Die Welt schien mir immer ein kalter Ort zu sein. Er war immer wärmer als ich dachte. Jetzt wird es kälter. Ausgeliefert und ohne Schutz stehen wir Mächten gegenüber, denen wir nicht gewachsen sind. Für mich hat sich also seit jener Nacht nicht viel geändert. Nur, dass ich seit jener Nacht kein Pessimist mehr bin, sondern ein Realist. Natürlich denke ich noch oft an die damaligen Ereignisse zurück. Immer wenn ich Hühnchen esse.
PS: Meine Brieftasche hat jemand in der Zwischenzeit geklaut.