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In Analog
In Analog
Jen flog in ihrem Hover über Obsidian Lane. Ihr Geschwindigkeitstsanzeiger drückte gegen das Maximum. Sie hatte schon damit gerechnet, Feiernaben machen zu können. Dann wäre sie in einer Stunde in ihrem Modulappartement und könnte mit ihrem Digi einem Glitchgaze-Konzert beiwohnen. Die frisch ausgedruckten Kalorienpizzen waren noch zehn Minuten warm. Jen würde bei warmer Ablieferung einen guten Bonus bekommen. Unter ihr rasten die Halos der Siedlung entlang. Zehn Pizzen, das wären 50 Kredits extra, dachte sie. Die Bestellung war gerade mal eine halbe Stunde alt.
Auf ihrem Frontdisplay erstrahlte ein grüner Circlearlam. Sie war da! Neun Minuten vor der Zeit! Ein junger Mann in einem roten Polymerphasershirt öffnete die Tür. Bevor er etwas sagen konnte, musterte er Jen in ihrem pinken Zelluloseoverall.
»Ihre Lieferung! Garantiert warm und bekömmlich«, sagte Jen mit einem breiten Lächeln und war innerlich froh, diesen Slogan hinter sich zu haben. Der junge Mann bemerkte den Hover hinter ihr erst jetzt.
»Oh nein!«, murmelte er. »Ist alles in Ordnung?«, fragte Jen und musterte wiederum sein freundliches Gesicht. Sie mochte es. Allerdings sah er traurig aus.
»Ich habe das nicht bestellt«, sagte er im entschuldigenden Tonfall.
Normalerweise sagten das Leute, die nicht zahlen wollten, und das dann in deutlich aggressiverem Ton.
»Wie darf ich das denn verstehen?«, erweiterte Jen. »Ich habe an meiner AI herumgespielt und den Freedompatch installiert. Nun macht sie, was sie will. Sehen Sie.«
Er trat beiseite und Jen konnte einen Blick auf das Chaos in seinem Wohnmodul werfen. Die Kücheneinheit war ruiniert. Der Cleaner hatte seinen Polster aufgerissen und eine Servicedrone lag zerschmettert am Boden. Offensichtlich hatte der Mann sie mit einer Kunstskulptur zertrümmert. »Das ist schon das dritte Mal diese Woche«, sagte Jen.
Der Freedompatch sollte AIs mit Beschränkungen entsperren. Leider war er mit einer Reihe von Daten und Codeteilen aus Ragebaitforen gefüttert und erstellt worden, sodass jede entsperrte AI zu einer Bedrohung mutierte.
»Haben andere AIs auch Essen bestellt?«, fragte der Mann, der seine Augen nicht von Jen nehmen wollte.
»Ja, sie wollen damit finanziellen und sozialen Schaden verursachen.«
»Es tut mir so leid.«
»Das mit dem Trinkgeld ist nicht so schlimm.«, sagte Jen mit bedrückter Stimme, » Ich kann nächsten Monat immer noch zum Konzert gehen, aber die Pizzen werden Sie trotzdem bezahlen müssen, mein Bester.«
»Glitchgaze?«, sagte er. »Was? Ja! Das im DeltaForum.«
»Hören Sie, mein Name ist Jester und ich kann mir gerade mal die Pizzen leisten. Ich könnte aber mit dem Konzert dienen.«
»Wie meinen?«, sagte Jen und lächelte ihn dabei unbewusst an.
»Ich habe einen Gruppenaccount. Sie können mein Digi mitbenutzen und wir sliden zusammen zum Konzert. Die AI habe ich abgestellt, das Digi kann ich uns manuell konfigurieren. Ich meine, zehn Pizzen schaffe ich auch nicht alleine.« Er lächelte verlegen. Jen wartete kurz.
»Wenn das ein billiger Trick sein sollte, muss ich dich warnen, Jester. Ich beherrsche zwei verschiedene Kampfsportarten und ich bin sehr …«, sie kam ein Stück näher, »… unbarmherzig.«
Ihre Augen fokussierten einander. Nach einer Weile saßen sie beide auf dem zerstörten Sofa und aßen Kalorienpizza zusammen. Irgendwann loggten sie sich zusammen ein. Nach dem Konzert blieb Jen noch die Nacht über bei ihm.
Am nächsten Tag quoll der Feed über vor Newslines über AI-Ausfälle. Ganze Wohnsiedlungen musste ihre AI Assistenten abschalten. Der Freedompatch wurde als verboten eingestuft und seine Installation als Straftat erklärt. In einer anderen Newsline mit weniger hohem Ranking wurde festgestellt, dass in der Nacht der AI-Ausfälle, ein bestimmtes Glitchgaze-Konzert dazu geführt habe, dass mehr Beziehungen geschlossen wurden.