In der Bahnhofshalle
Die gewölbten Wände des Bahnhofsgebäudes schlossen sich zu einem hohen Tunnel zusammen, Gesprächsfetzen hingen in der Luft, unterbrochen von dem Donnern der einfahrenden Züge.
Langsam füllte sich der Bahnsteig mir gegenüber.
Das Knacken der Lautsprecher, dann die Durchsage:
"Der Zug in Richtung Hannover auf Gleis 4 hat eine halbe Stunde Verspätung."
Unterdrücktes Fluchen, hastige Blicke auf die Uhr, wild gestikulierende Menschen, dann lief eine Gruppe von versetzten Fahrgästen dem Ausgang zu, um Busse oder Taxen zu nehmen.
Auch ich blickte nervös auf meine Armbanduhr: 17.35 Uhr.
Durch das grelle Kunstlicht hatte ich jegliches Gespür für Zeit verloren.
Meine Augen wanderten suchend über Treppen, Bahnsteige, Zeitungs-und Imbissstände.
Er musste sich wohl verspätet haben.
Plötzlich fiel mein Blick auf eine Gruppe von Obdachlosen, die sich zwischen ein paar Fahrkartenschaltern zusammengekauert hatten.
Unmittelbar darüber wurde in schreienden Neonfarben Reklame für Haarschampoo ausgestrahlt.
Es waren teilnahmslose Gestalten, die sich nun nach mir umdrehten und mich mit leeren Augen musterten.
In dem Moment wurden mir Gerüche sie schaler Urin, Schweiß und uralter Schmutz bewusst.
Ich wurde angerempelt; eine kleine, alte Frau torkelte an mir vorbei. Zurück blieb eine Fahne von Alkohol. Mir wurde übel.
Wo blieb mein Vater? Er hätte längst dasein müssen.
Ich beobachtete, wie einer von den Stadtstreichern eine Spritze hervorzog und bereit war, sie anzusetzten. Ich ging auf die Gruppe zu und stand nun unschlüssig vor ihnen.
Schließlich sagte ich leise zu dem jungen Mann mit der Spritze: "Hey, du, ich würde das nicht tun."
Er blickte mich erstaunt an und sagte dann gereizt: "Das ist mir klar, Mädchen, und jetzt hau ab!"
"Warum tust du das?" Ich deutete auf die Spritze.
"Was geht dich das an? Geh nach Hause zu deiner Familie, vergiss das Ding hier! Geh dahin, wo du hingehörst, in so eine glückliche Familie, die alles hat..."
Er brach ab und entblößte seinen Arm. Er war übersät von Nadeleinstichen. "Hast du keine Familie oder Freunde?", fragte ich verzweifelt.
Er lachte bitter auf: "Was ist das? Das ist doch alles Quatsch. Aber du, geh zurück in deine Welt und lass mich in Ruhe."
Es trat eine Pause ein, ich unterließ meine plumpen Fragen, da sagte er plötzlich ganz sanft, und es sah so aus, als wenn er zu sich selbst spräche: "Ich habe allen vertraut, doch das ist sinnlos, hörst du? Es ist nicht für alle Platz in deiner Welt, Mädchen. Das Leben ist sinnlos. Es fängt an, geht weiter und ist zu Ende. Die Wege der Menschen trennen sich, jeder muss in seine Welt..."
Einige Passanten liefen an uns vorbei. Manche warfen einen abschätzenden Blick in unsere Richtung, andere ignorierten uns einfach.
In plötzlicher Panik griff ich nach seinem Arm: "Komm, komm doch, ich bringe dich weg von hier!"
Er schüttelte mich ab und schrie: "Geh endlich, geh weg!"
Um die nächste Ecke bog ein Mann mit wehendem Mantel und klimpernden Autoschlüsseln in der Hand. Mein Vater.
Er sah sich die ihm sich bietende Szene an und nahm meine Hand. Erst weigerte ich mich, da brüllte er: "Komm mit! Das geht uns hier nichts an. Das ist nicht unser Problem."
Ohne mich umzusehen ging ich mit meinem Vater.
Als wir auf die Straße traten, spürte ich kühle Luft, Autos fuhren vorüber, hinter warm erleuchteten Fenstern bewegten sich Silhouetten von Kindern mit ihren Eltern.
Ich spürte die Hand meines Vaters und dachte: Wie hätte ich ihm helfen sollen? Er hatte recht; es ist doch alles sinnlos.
- Und er stach zu -