Was ist neu

In der Stadt

Seniors
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04.08.2001
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In der Stadt

Die Stadt war grau und schmutzig. Feiner Regen durchzog die Straßen, der durch jede Kleidung drang.
Den Mantelkragen hochgeschlagen, den Hut tief ins Gesicht gezogen, so stand Gemut einsam auf dem einzigen Bahnsteig der Station. Die beiden Lichter des Zuges, der eben in der Ferne verschwand, waren das einzige, das sich bewegte.
Die Dämmerung hatte eingesetzt und wenn alles nach Plan lief, würde er vor dem Morgengrauen verschwunden sein, so dass er diese Stadt niemals bei Tageslicht sehen würde.
Er nahm den kleinen Aktenkoffer fest unter den Arm, dann verließ er mit festem Schritt den Bahnhof.
Der Platz vor dem Empfangsgebäude war menschenleer, im trüben Neonlicht hingen zwei schlaffe Fahnen an kurzen Masten, die offenbar das Wappen dieser Stadt zeigten. Ein müder Versuch, Besucher willkommen zu heißen. Er hörte einen Hund bellen, das verstärkte die ungesunde Stille nur noch. Ihn fröstelte.
Bis zum vereinbarten Termin hatte er noch etwas Zeit, also versuchte er, sich zu entspannen und ging los.
Er wusste , wo sich der Treffpunkt befand, man hatte ihm genauestens mitgeteilt, wie er dort hinkommen würde. Er hatte sich kurz gefragt, ob er den Ort vorher inspizieren sollte, doch er wäre sich lächerlich vorgekommen, wie in einem Kriminalstück der billigen Sorte. Er würde so vorgehen, wie es verlangt war, genau das erwartete er auch von der anderen Seite.
Er lief durch die Straßen und niemand begegnete ihm. Er kam an eine Bar, die noch geöffnet schien, und kehrte kurzerhand ein.
Die paar Gäste, die in der schummrigen Enge saßen, beachteten ihn kaum. Einzig der müde Barkeeper sah mit trüben Augen zu, wie er seinen Mantel ablegte und an den Tresen kam. Er legte den Koffer auf die Platte und bestellte einen Wodka mit Eis.
„Neu hier?“, fragte der Barkeeper als er den Drink rüberschob und seine fettigen Haare glänzten im Dämmerlicht.
Er war gar nicht an einer Antwort interessiert, sein Blick ging unstet über die paar Tische und blieb schließlich an den Zeigern einer Wanduhr hängen.
Gemut nickte nur leicht und sein Gegenüber war zufrieden.
Während er den Wodka trank, schaute Gemut sich um.
Ein fetter, schwitzender Glatzkopf mit einem roten Schlips, so kurz und breit wie der Stundenzeiger einer Uhr, saß zu seiner Rechten. Er stierte auf den Tresen vor sich, trank Whisky wie Wasser und murmelte leise vor sich hin. Dann und wann schüttelte er den Kopf, als wäre ihm etwas unverständlich und stürzte einen weiteren Drink herunter.
Zwei Hocker zu seiner Linken saß ein lässiger Jüngling mit schmutzig-grauem Teint, der soviel rauchte, als gelte es, einen Rekord zu brechen. Er sah hin und wieder zu Gemut herüber und als sich ihre Blicke kreuzten, lächelte der Junge verächtlich und senkte den Blick. Es war fast unmöglich, nicht zu ihm herüber zu schauen.
Im Hintergrund saß noch eine weitere Person, unerreicht vom schwachen Licht, so dass nicht einmal zu erkennen war, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelte. Schemenhaft saß sie im blauen Dunst, griff dann und wann zum Glas und schien Gemut unablässig zu beobachten.
Leichte Dean-Martin-Songs über allem.
Die Tür ging auf und Gemut erwartete, draußen ein Unwetter heulen zu hören. Doch stattdessen kamen zwei junge Mädchen herein, mit Lidschatten und grellgeschminkten Mündern und setzten sich an einen Tisch und gackerten.
Gemut beobachtete wie der Barkeeper eilig zwei Gläser mit Weißwein füllte und sie hinübertrug. Er selbst nahm noch einen Wodka.
Er döste, als der Drink vor ihn gestellt wurde, er döste immer noch, als er links eine Bewegung spürte. Doch als er sich umwandte und das Mädchen neben sich sitzen saß, durchzuckte ihn der Schreck.
Sie lächelte ihn an, doch die Art ihres Lächelns und ihre Aufmachung hinderten ihn daran, zurückzulachen.
„Na, Süßer! Dich habe ich hier noch nie gesehen!“
„Da könnte was dran sein“, gab er zurück und kam sich im selben Moment dumm vor.
Die Kleine mochte Anfang zwanzig sein und war im Grunde hübsch anzusehen. Sie trank einen Schluck Wein, fragte „Schon was vor, heute Abend?“ und schaute ihn über das Glas hinweg an.
„Ich bin verabredet.“
Augenblicklich drehte sie sich auf ihrem Hocker um und rutschte herunter. Dann stakste sie beleidigt zu ihrer Freundin zurück.
Keine der anderen Figuren im Raum hatte Notiz genommen von der Szene, außer derjenigen, die im Halbdunkel saß und sich nicht bewegt hatte. Jetzt stand sie auf und kam wie beiläufig herüber. Gemut musterte die Gestalt. Es war ein schmächtiges Männchen, das so klein war, dass er kaum auf den Barkhocker neben Gemut klettern konnte.
Als er es geschafft hatte, sah er ihn an und grinste.
„Schön Sie zu sehen, Kommissar“, krähte er.
„Fritz“, erwiderte Gemut. „Du wärst der letzte, den ich hier vermutete.“
Der Kleine, der in einem viel zu großen Anzug steckte, schnippte dem Barkeeper zu und der stellte eilig ein gefülltes Glas auf die Platte.
Er prostete und verkündete: „Manhattan, Kommissar. Schmeckt Klasse!“
„So. Seit wann darfst du Alkohol trinken?“
Sie saßen schweigend nebeneinander, wobei der Kleine nervös war und sich kaum beherrschen konnte, den Mund zu halten. Er bestellte noch einen Drink.
Schließlich fragte er Gemut leise: „Ist es da drin?“ und wies auf den Aktenkoffer, der noch immer vor ihnen lag. „Da drinnen?“
Der Kommissar lehnte sich weit vor, streckte sich und entspannte dann seinen Körper. Er beobachtete dabei unauffällig die Anwesenden.
„Fritz“, raunte er dann. „Das geht dich einen Haufen an, meinst du nicht?“
Dessen Laune verschlechterte sich augenblicklich. Er funkelte sein Gegenüber an und zischte: „Ach ja? Was denken Sie, was passiert, wenn ich das Telefon nehme und jemanden Bestimmtes anrufe?“
Gemut lachte leise. „Du willst mir drohen?“
Bis auf Dean Martin war es still in der Bar, es herrschte ein verqualmtes Schweigen. Als Gemut sich umschaute, drehte sich der arrogante Jüngling zur Seite.
Er wandte sich zu Fritz und blickte ihn auffordernd an. Der Kleine starrte zurück und sein Blick bekam einen fragenden Ausdruck. Als Gemut leicht mit dem Kopf schwang, begriff er endlich und bezahlte wortlos seine Zeche.
Gemut tat es ihm nach und gemeinsam standen sie auf und verließen das Lokal.
„Wer steckt hinter der Sache?“, wollte Gemut draußen wissen. Feuchter Nebel machte das Atmen schwer.
„Haben Sie das Geld dabei, Kommissar?“
Gemut machte einen Schritt auf den Kleinen zu. „Ich will dir mal was sagen, du Wicht! Dein Kommissar kannst du dir sparen, seit genau zwei Tagen und zwei Stunden bin ich Pensionär.“ Er sog scharf die Luft ein. „Und was das Geld betrifft, so werde ich nicht mit dir darüber verhandeln.“
Fritz kicherte, tänzelte dann vor Gemut auf dem Bürgersteig und rief: „Kommen Sie, Kommissar, kommen Sie nur! Sie werden erwartet.“
So gingen sie schweigen durch die leeren Gassen, der eine vorneweg wie ein kleines Äffchen und der andere hinterdrein wie sein Herr.
„Sie haben mich damals hops genommen, bei dem Jaworski-Coup, wissen Sie noch?“, fiepte der Kleine, während er rückwärts lief. „Hops genommen für zwei Jahre.“
„Wir hatten eine brauchbare Zeugenaussage, du wurdest erkannt, als einziger der Bande.“
„Der Juwelier.“
„Du hattest Glück, dass er überlebte. Du wärst noch heute im Knast, wenn er gestorben wäre. Wo führst du mich hin?“
„Das werden Sie sehen, Kommissar. Ich befolge Anweisungen.“
Gemut verlor den Überblick über das Gewirr von Wegen, durch die Fritz ihn führte. Er versuchte nicht mehr, sich die Anordnung der Hinterhöfe zu merken, die sie durchschritten, die Tunnel und geheimen
Pfade, von denen offensichtlich nur Fritz wusste.
Sie waren im schmutzigsten Viertel der Stadt, die Häuser ragten wie stumpfe Zähne in die Dunkelheit und aus den Fensterhöhlen flatterten hier und da abgerissene Gardinen.
Sie mussten über Unrat steigen, ein Kinderwagen stand auf dem Pflaster, Ratten huschten umher, gestört von ihren hohlen Schritten.
Vor einem Dreistocker blieben sie stehen. Fritz fingerte aus seinem Mantel einen Schlüssel hervor und öffnete damit die brüchige Tür.
Sie betraten den Hausflur, der kalt und feindselig wirkte. Ein mattes Licht fiel durchs Fenster, vom Mond oder von einer vereinsamten Straßenlaterne.
„Kommen Sie, Kommissar!“ Die Worte klangen wie vereist.
Sie gingen durch den Flur auf die andere Seite des Gebäudes und traten dort hinaus auf einen Hinterhof. Die Lampe stand hier, und sie beleuchtete einen Rosengarten, den Gemut als allerletztes erwartet hätte. Rasenflächen, gepflegt und kurz gehalten, angelegte Wege und Bänke an den Seiten. Und in der Mitte prächtige Rosen. Das Ganze machte den Eindruck eines Innenhofes in einem Seniorenheim der gehobenen Klasse.
„Das ganze Viertel ist verlassen“, flüsterte Gemut. „Im Umkreis von fünf Hektar beherrschen Ratten das Gebiet. Und dann das hier! Wie ist so etwas möglich?“
Fritz lachte wieder. „Hier ist vieles möglich.“ Und lief weiter über den hellen Weg.
Der Kies knirschte unter ihren Schuhen. Auf der anderen Seite des Parkes war die Fassade des Gebäudes frisch verputzt und sauber gestrichen. Sie betraten das Haus, das im Inneren ebenso apart wirkte wie äußerlich. Es war als hätten sie eine andere Welt betreten.
Eine Bewegung im hinteren Teil des Flures schreckte sie. Für einen Moment verharrten beide und lauschten. Es war nichts mehr zu hören, doch plötzlich trat eine Gestalt hervor und kam auf sie zu.
„Greuter!“, sagte Fritz. „Bleib, wo du bist, ich bin es nur.“ Und zu Gemut gewandt: „Es sieht nicht so aus, aber so leicht kommt hier niemand rein.“
„Wir sind gleich da“, fuhr er fort und es klang immer noch hohl. Er öffnete eine kleine Türe, hinter der sich eine Treppe verbarg, mit groben Betonstufen, die nach unten führten. Dort wurde dann plötzlich aus dem kahlen Gang ein bewohnbarer Flur und sie gingen durch Räumlichkeiten mit einer warmen und behaglichen Atmosphäre. Der Übergang war so abrupt, dass Gemut dieser Bereich vollkommen surreal vorkam.
„Was ist denn das hier, der Rückzugsort für einen Kriegsherrn?“, fragte er, um etwas von sich zu geben.
„Ja“, lachte Fritz schon wieder und hüpfte vorneweg, bis er an eine eichene Tür kam, vor der er stehen blieb. Er schaute Gemut ins Gesicht und warf ihm einen vielsagenden Blick zu. Dann drehte er sich um und klopfte an.
Er öffnete die Tür, ohne auf ein Zeichen von innen zu warten.
Es war schummrig da drinnen, nicht vollständig dunkel, aber nur erleuchtet von einer schwachen Lampe am anderen Ende des Zimmers. Die Luft war verräuchert und in den schweren Ledersesseln, die im Raum verteilt standen, lümmelten sich drei Männer. Gemut gegenüber hinter einem wuchtigen Schreibtisch, saß ein unglaublich fetter schwitzender Mann.
Die Tür hinter ihm fiel ins Schloss.
„Ah, willkommen!“, schnarrte der Fette. Er schien ständig grinsen zu müssen, ob er wollte oder nicht. „Kommissar Gemut, wir haben Sie erwartet. Kommen Sie, setzen Sie sich!“
Die Luft in dem Zimmer geriet in Bewegung, als er zu dem angebotenen Stuhl hinüberging.
„Wie geht es Ihnen?“
„Tun Sie nicht so, Klaasen! Sie wissen sehr genau, wie es mir geht.“
„Sieh an, sieh an. Der Kommissar.“ Der Dicke lehnte sich nach hinten und sein Lächeln wurde noch breiter. Vielleicht lag es auch nur daran, dass seine Haut sich straffte. „All die Jahre, in denen wir uns jetzt kennen, habe ich mir immer wieder die Frage gestellt, wie man Sie aus der Fassung bringen könnte.“ Er lachte ein kurzes, freudloses Lachen. „Manchmal war ich sehr wütend wegen Ihnen, sehr wütend. Ich habe Sie verflucht, wenn Sie uns wieder eine Ladung abgenommen hatten und ich habe mich gefragt: Wie schaffe ich es, dass Sie so wütend sein werden?“ Er sah sich rasch um. „Jetzt weiß ich es.“ Er fing wieder an zu lachen und diesmal stimmten die drei Kerle mit ein.
Gemut sagte: „ Bringen wir es hinter uns!“
„Das hätten Sie gern, was? Aber lassen Sie mir doch auch meinen Spaß! So wie ich jahrelang zusehen musste, wie Sie es genossen. Wollen Sie etwas trinken?“
„Nein, danke!“
„Oh, wir haben alles hier, alles, was die Fantasie Ihnen zeigen kann.“
„Das bezweifele ich nicht, Klaasen. Sie haben es sich hier sehr gemütlich eingerichtet. Von allem das Beste, so wie wir Sie kennen.“ Er lächelte. „Und wir haben uns immer gefragt, wo Sie wohl steckten.“
Der Fette lachte. „Ja, das glaube ich. Und es macht mich immer noch froh, wenn ich mir eure dummen Gesichter vorstelle. Wie Ihr euch fragt: Verdammt, wie macht er das nur, seine Bande funktioniert wie eine Armee, doch von dem Feldherrn ist nichts zu sehen.“
„Und nun führen Sie mich hierher. Sie zeigen mir Ihr Versteck, Klaasen. Das kann nur eines bedeuten...“
„Ach, Kommissar...Herr Gemut! Sie nehmen sich eine klein wenig zu wichtig. Sie sind nicht mehr im Dienst, Sie haben den wohlverdienten Ruhestand erreicht. Und dass Sie nicht in Unehren entlassen wurden, daran sind wir nicht unbeteiligt.“
„Was soll das heißen?“
„Tja.“ Er schaute sich um wie ein Zauberer vor seinem besten Trick. „Sie nahmen es im Laufe Ihrer Karriere mit dem Gesetz nicht immer hundertprozentig genau, nicht wahr?“
„Sie machen mir Vorwürfe, Klaasen? Gerade Sie, der Sie so gut wie alles auf dem Kerbholz haben, war das Strafgesetzbuch hergibt. Sie setzen eine ganze Großstadt seit Jahrzehnten unter Drogen, zig Tote gehen auf Ihr Konto. Sie zeigen weder Skrupel noch Reue, Sie sind verantwortlich für Angst und Schrecken in unserer Stadt! Ihre Bande betreibt einen florierenden Handel mit allen möglichen Drogen, ohne dass wir etwas effektives haben ausrichten können“
„Das ist eine Schlacht, die Sie nicht mehr zu schlagen haben, Gemut.“
„Sie faseln von Gesetzesübertretungen, weil ich Ihre Handlanger ein paar Male unsanft angefasst habe?“
„Davon rede ich nicht.“ Das Lächeln von Klaasen schien einzufrieren. „Davon rede ich ganz und gar nicht.“
„So?“
Für einen Moment herrschte Totenstille in dem Raum. Einer der Männer steckte sich mit einem goldenen Feuerzeug eine Zigarette an. Unbeholfen richtete Klaasen sich auf und lehnte sich zu Gemut herüber. Die beiden Männer mussten etwa in demselben Alter sein, doch im Unterschied zu Gemut war Klaasens Haut ohne Falten und feist.
„Uns fehlt Geld!“, zischte der Dicke.
„Tatsächlich?“
„Was passiert mit den Drogen, die beschlagnahmt werden bei Razzien, sofern sie nicht mehr als Beweismittel dienen?“
„Sie werden vernichtet, verbrannt. Unter Zeugen.“
„Natürlich. Eine sichere Sache, nicht wahr?“
„Ja, der Stoff wird verbrannt. Kommen Sie, Klaasen, worauf wollen Sie hinaus?“
„Ach, hören Sie, das wissen Sie doch ganz genau! Zwei Personen, die die Aufgabe haben, Millionenwerte zu vernichten. Zwei Mann, die, wenn sie sich einig sind, einen Reingewinn machen können, von dem jeder Geschäftsmann träumt. Sie hatten nicht nur die Mittel, sich den Stoff zu besorgen, sie hatten auch die Beziehungen, ihn loszuwerden. Na klar, Sie zogen durch Ihr Revier und verhökerten, was Sie gestohlen hatten. Es hat eine Weile gebraucht, bis wir dahinter kamen, wer da wild verkauft in unserem Bereich .“
Der Dicke lehnte sich selbstgefällig nach hinten und Gemut hatte den Eindruck, dass das Lächeln jetzt echt war.
„Ist schon Weihnachten?“; fragte Gemut.
„Wir waren alle ziemlich sauer auf Sie, Gemut. Alle waren sauer. Die Mitglieder wurden immer aufgebrachter, immer...“ – er suchte nach dem passenden Wort – „...immer wütender. Doch ich hielt sie zurück. Ja, glauben Sie mir, Sie wären ein toter Mann, wenn ich nicht gewesen wäre. Einige Mitglieder wollten Sie umbringen. Sie waren alle sehr, sehr wütend.“
„So, so, davon habe ich all die Jahre nichts gemerkt. So oft ich auch mit Ihrer Bande zu tun hatte, niemand machte mir gegenüber eine Andeutung.“
„Nur der innere Kreis wusste, dass Sie sich an unserem Geld bereichert hatten. Und wie ich schon sagte, die habe ich zurückgehalten. Jungs, habe ich gesagt, Jungs, unsere Zeit wird kommen. Einen kühlen Kopf und Geduld brauchen wir. Und schauen Sie, wir sind an unser Ziel gelangt.“
„Sie haben’s mit Taktik, was Klaasen?“
„Ich muss gestehen, als ich erfuhr, dass Sie vorhatten, in den Ruhestand zu gehen, da wurde auch ich ein wenig panisch. Und als mir zugetragen wurde, dass Sie einen Flug nach Chile gebucht hatten direkt nach Ihrer Pensionierung, da wurde ich wirklich unruhig. Ich hatte meine Leute jahrelang vertröstet, ich hatte ihnen versprochen, dass die Gelegenheit kommen würde, Ihnen das gestohlene Geld wieder abzunehmen. Ausgegeben hatten Sie es noch nicht, davon hätte ich Kenntnis erhalten. Doch nun wollten Sie sich aus dem Staub machen. Sie wollten sich heimlich verdrücken.“
„Tja, so was kommt vor“, bemerkte Gemut tonlos.
„Ganz genau, so was kommt vor. Und ich musste handeln. Ihr Flug geht morgen in aller Frühe, nicht wahr?“
Gemut nickte.
„Wenn Sie den ersten Zug aus dieser Stadt heraus nehmen, dann müssten Sie locker Ihren Flieger bekommen.“
Sie hatten ihn doch beobachtet, er hätte es wissen müssen. Doch er machte sich keine Sorgen, es würde alles klappen. Er hatte alles im Griff.
„Wir haben also noch ein wenig Zeit. Wissen Sie, ich habe nachts in meinem Bett gelegen und konnte wegen Ihnen nicht schlafen. Vier Stunden am Stück zu liegen ist an sich schon eine Qual für mich, alles was länger ist, halte ich nicht aus vor Schmerzen. Doch zu der Zeit konnte ich gar nicht schlafen vor Sorgen. Dann sickerte durch, dass Sie zwei Tickets gebucht hatten, zwei Tickets! Und ich begann zu überlegen: Sie sind geschieden, seit fast zwei Jahrzehnten, keine Kinder, keinerlei Freunde. Sie sind ein Einzelgänger, wie im Film. Und trotzdem buchten Sie zwei Tickets für diese Reise.“
„Ja.“
„Warum nur?“
„Sagen Sie’s mir!“
„Für Ihren damaligen Komplizen? Nein, das konnte nicht sein, der ist schon lange versetzt, kein Kontakt mehr.“
„Na und?“
„Sie buchten zwei Tickets, weil Sie zu zweit waren. Ganz klar. Und warum waren Sie zu zweit, obwohl Sie doch keine Freunde hatten?“
„Ich platze vor Spannung!“
„Weil Sie – verdammt noch mal – eine Freundin haben, von der wir nichts wussten. Sie haben sich irgend so ein Liebchen zugelegt, vor denen ich meine Männer immer warne.“
„Sie ist nicht irgend so ein Liebchen!“
„Ist sie wohl, und das wissen Sie auch. Nun, als wir das einmal wussten, war der Rest nicht mehr schwer. Voila und da sind Sie schon, um Ihre Freundin freizukaufen. Haben Sie das Geld dabei?“
„Haben Sie meine Freundin dabei?“
„Sie ist in sicherem Gewahrsam. Sobald wir das Geld haben, können Sie sie in Ihre Arme schließen.“
„Na, dann ist ja alles klar.“
„Das Geld?!“
Gemut wies mit dem Blick auf den Koffer zu seinen Füßen.
„Da drinnen?“, fragte der Dicke.
Gemut nickte.
Klaasen machte eine unwillkürliche Handbewegung, überlegte es sich dann jedoch anders. Einer der Kerle, die noch immer teilnahmslos im Sessel gelümmelt und geraucht hatten, schraubte sich langsam hoch und schlich zu seinem Chef. Er flüsterte ihm etwas ins Ohr und der verzog das Gesicht.
Nachdem der Mann sich wieder gesetzt hatte, schnarrte Klaasen: „Guido hier meint, dass ihm das zu einfach vorkommt. Und wissen Sie was, Gemut?“
Gemut zog die Augenbrauen hoch.
„Ich meine, er hat Recht.“
„Das müssen Sie mir erklären!“
„Gemut, ich kenne Sie! Sie sind nicht so dämlich wie andere Bullen, Sie kennen sich aus. Und ich glaube nicht, dass Sie das Geld so mir nichts dir nichts aus der Hand geben. Sie haben etwas vor.“
„Was soll ich denn vorhaben?“
„Irgendeine Finte, ein Trick. Sie wollen uns übers Ohr hauen. Ganz mächtig übers Ohr hauen!“
„Klaasen, Sie gehen mir gehörig auf den Sender, wissen Sie das? Geben Sie jetzt meine Freundin frei und lassen Sie mich dann endlich in Ruhe!“
Der Dicke zuckte nur kurz mit seinem kleinen, fetten Finger, schon sprangen Guido und noch einer aus den Sesseln auf und stürzten auf Gemut zu. Einer riss ihn an seinem Kragen hoch, der andere gab ihm von hinten einen spitzen Hieb in die Nieren. Gemut sackte zusammen, doch er wurde gehalten von Guido. Ein Faustschlag traf ihn unter dem rechten Auge und gleich darauf ein weiterer im Magen.
Der Schmerz war auszuhalten, doch das Gleichgewicht verließ ihn vollends. Als der Handlanger des Fetten ihn losließ, fiel er nach hinten auf seinen Stuhl zurück. Blut lief ihm übers Gesicht, er atmete schwer. Er sah Guido zu, wie er den Koffer nahm, ihn auf den Schreibtisch legte und aufschnappen ließ. Er öffnete ihn und schob ihn hinüber zu Klaasen.
Der schaute nur kurz auf den Inhalt.
„Eins Komma fünf Millionen, ja?“
„So ist es, wie Sie es verlangten, Klaasen.“
Der Dicke wog leicht seinen Kopf hin und her. „Ich weiß nicht. Das ist mir alles ein bisschen zu einfach, verstehen Sie? Ich erwarte Kampf von Ihnen, Kampf um das Geld. Üble Tricks, Haken, die Sie schlagen...“
„Ich bin nicht von Ihrer Sorte, Klaasen. Mir liegt das nicht. Ich will meine Freundin wieder haben und dann bin ich verschwunden. Ohne Wiedersehen. Das Haus in den Anden ist bezahlt, uns bleibt genug zum Leben. Ich habe gar keinen Grund, Schwierigkeiten zu machen.“
Klaasen stierte vor sich hin. „Da ist was dran. Der Betrag, der uns abhanden gekommen ist im Laufe der Jahre, war fast doppelt so hoch. Ich hätte nicht gedacht, dass Sie soviel davon haben beiseite schaffen können. Kompliment!“ Er lächelte.
Gemut wischte sich das Blut aus dem Gesicht und sah hinüber zu Guido. Der beobachtete seinen Chef und als er sachte und widerwillig nickte, sprang Guido sofort auf und verließ das Zimmer.
Stille, als die Tür klappte, nicht einmal die Uhr tickte. Klaasen saß fett in seinem Sessel und konnte nicht anders, als zu lächeln, seine Gehilfen lümmelten im Zimmer und beobachteten Gemut. Und der säuberte sich noch immer das Gesicht.
„Haben Sie ihr etwas angetan, bringe ich Sie um!“, flüsterte er nebenbei.
Klaasen konnte nicht reagieren, denn die Tür wurde geöffnet und eine junge Frau hereingestoßen. Sie hatte eine frauliche Figur und der Hochmut in ihren Augen erlosch, als sie Gemut sah.
Er stand auf und beide gingen aufeinander zu. Bevor sie sich umarmen konnten, änderte Gemut die Bewegung, hakte seine Freundin unter und zog sie mit in Richtung Tür.
Jetzt verlief alles schweigend. Gemut öffnete die Tür und schob seine Freundin hinaus. Er erwartete einen Befehl Klaasens, einen Schrei, einen Fluch. Doch nichts dergleichen.
Fritz schaute fragend ins Zimmer. Er blickte zu Klaasen und mit einem Gesicht, das immer noch lächelte gab der mit einem Nicken zu verstehen, die beiden ziehen zu lassen. Guido und seine Gehilfen hatten zweifellos ein wenig Spaß erwartet und waren enttäuscht.
Gemut legte einen Arm um die Frau – eine Geste der Freude. Er war noch immer aufs Höchste angespannt. Als sie im Rosengarten waren, den Kiesweg entlang liefen, hörte er Schritte hinter sich. Eilig folgte ihnen jemand.
Er wagte nicht, sich umzusehen. Ein Schuss, selbst das war nicht auszuschließen. Was hatte Klaasen zu verlieren? Niemand wusste, wo er war, seine Spur war nicht mehr zu verfolgen. Wenn er jetzt getötet würde – niemand würde es je bemerken.
Als es neben ihnen keuchte, wandte er sich vorsichtig um. Fritz lief neben ihnen.
„Warten Sie, Kommissar!“, keuchte er. „Ich fahre Sie zum Bahnhof.“
Selten in seinem Leben hatte Kommissar a.D. Gemut Erleichterung so körperlich gespürt wie in diesem Augenblick. Er lächelte zu Fritz hinab und drückte seine Freundin fester.

Im Flieger dann endlich, entflohen der trüben Stadt und dem Land des Dunstes, hatten sie Zeit, sich zu unterhalten.
„Du hast ihnen das Geld gegeben?“, fragte sie über dem Atlantik.
Er nickte.
„Du hast dein ganzes Geld für mich hergegeben?“
Er lächelte.
„Was hast du getan? Wie hast du sie übers Ohr gehauen?“
Sie mussten flüstern, die anderen paar Passagiere in der Business Class schliefen.
Er lächelte noch immer, als er sagte: „Ich hatte immer schon vertrauensvolle Posten bei der Kripo. Schon immer übertrug man mir gerne Aufgaben, mit denen man andere nicht behelligen wollte.“
Sie sah ihn fragend an.
„Es gab eine Zeit, in der ich einer anderen Abteilung unterstellt war. Ich war früher – vor deiner Zeit – in der Abteilung Falschgeld beschäftigt.“
Er zwinkerte ihr zu.
Sie lächelte und blickte verständnislos in die Wolken.

 

Hi Hanniball!

Gute Story. War echt gepannt wie es augeht. Ziemlich clever von Gemut. da wär auch mein einziger Kritikpunkt. Die namen. Irgendwie wollten sie mir einfach nicht gefallen.

Prima Sache! :)

 

Hi Hanniball!

Deine Geschichte habe ich mit wachsender Spannung gelesen.
Allerdings erst, als Gemut die Kneipe verlassen hatte - bis dahin zog es sich schon ein bisschen.
Was mir aufgefallen ist: der Stil dieser Geschichte ist sehr "filmisch" - das soll heißen, dass er sich sehr auf die äußere Handlung beschränkt, was ich ein wenig schade finde. Vielleicht wäre ein Ich-Erzähler besser gewesen (gemein oder?), nein, stilistisch habe ich nicht viel auszusetzen, allerdings auch nicht viel hervorzuheben. Besonders gelungene Formulierungen findet man genauso wenig wie missglückte.
Aber wie geschrieben: Schön zu lesen und sehr flüssig.

Die Geschichte an sich finde ich, wie schon angedeutet, zu lange. Es passiert eigentlich eher wenig und ich finde, das rechtfertigt nicht unbedingt diese Länge.

Insgesamt würde ich sagen: kurzweilig.

Noch ein paar Bemerkugen oder Vorschläge:

doch die Art ihres Lächelns und ihre Aufmachung hinderten ihn daran, zurückzulachen.
Sehr schön.

Sie trank einen Schluck Wein, fragte „Schon was vor, heute Abend?“ und schaute ihn über das Glas hinweg an.
Gefällt mir nicht. Wirkungsvoller finde ich:
Sie trank einen Schluck Wein und schaute ihn über das Glas hinweg an.
"Schon was vor, heute Abend?"
Das nimmt dem ganzen etwas die Eile, verstehst du, was ich meine?

Sie hatte eine frauliche Figur
Finde ich sehr unpassend, eine Frau zu beschreiben.

hatten sie Zeit, sich zu unterhalten.
Streichen.


In diesem Sinne
c

 

Hallo Hanniball,

Spannend ist die Geschichte.
Am Stil habe ich nichts zu meckern. Sie ist toll erzählt und mir hat es Spaß gemacht sie zu lesen.
Allerdings habe ich eine mehr hammermäßige Auflösung erwartet.
Das mit dem Falschgeld finde ich etwas zu einfach.

Aber dennoch: Eine handwerklich gute Geschichte.

Gruß
3

 

Hallo Ihr!

Kurz vor Weihnachten kehre ich heim :D
Dank für eure Mühen, danke dir, Scharker, es freut mich, dass du was anfangen kannst, zumindest mit der Geschichte. Die Namen gefallen mir übrigens auch nicht so recht, aber ich bin der Meinung, dass schon allein der Name ein wenig über die Figur aussagen soll (obwohl, ja, so richtig viel kann man nicht lesen darüber), zumindest bei Gemut habe ich mir was gedacht :cool:

Chazar, alter Freund, ich bin gerührt, ehrlich, dass jemand festhält an mir.
Spannung sollte sein, allerdings nicht erst ab Fritzens Auftritt, sondern auch in dem Lokal. Bei dieser Szene übrigens gab ich mir besondere Mühe, ein wenig Atmosphäre zu zaubern, na ja.
Der Film: Ein Kumpel sagte, er war beim Lesen der Story an einen alten Schwarz-Weiß-Film erinnert, ich finde das trifft es ziemlich genau, sollte auch so sein.
Die Ich-Perspektive: War schon beabsichtigt, so wenig wie möglich von der Motivation des Prot rauszulassen, wäre ja sonst alles verraten worden. ;)

Übrigens, wie stehts mit deinem Beitrag zu besagtem Wettbewerb?

Heh, Dreimeier. Schön, dass du dir meine Story angetan hast, freue mich, dass sie dir größtenteils gefallen hat, die Pointe ist schwach, das muss ich leider bestätigen, mir fällt aber ums Verrecken keine bessere ein.

Dass es dir Spaß gemacht hat, die Geschichte zu lesen, finde ich ein ziemliches Kompliment, zumal ich in den letzten Monaten unter erschwerten Bedingungen und offensichtlich Unsinn zusammengeschrieben habe.

Danke!

Viele Grüße von hier!

 

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