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In der Warteschleife
Bumm.
Das ist das Geräusch, dass es macht, wenn ich Eva ihren kleinen, zierlichen Kopf von dem nackten Körper blase. Zurück bleibt nur ein Torso wie jeder andere und ein blutiger Fleck mitten im Paradies. Vielleicht sogar noch am Apfelbaum. Ob ich, Adam, dann wohl auch verstoßen werde, oder ist der Apfel die größte aller Sünden? Solche und ähnliche Fantastereien laufen mir im wilden Bildersturm durch meinen Schädel, der unter der bunten Flut von Vorstellungen zu bersten droht und dann wohl nur noch so aussähe, wie Evas Haupt in der gerade erdachten Schöpfungsgeschichte. Ich frage mich oft, ob die Menschen um mich herum auch solche Gedanken haben, oder ob ihre kleinen Hirne alle tot sind und eher unseren hochgelobten Computern gleichen, die vorgeschriebene Befehle verfolgen. Wir haben ein Problem, wir suchen Möglichkeiten, wir lösen es. Lösen wir es nicht teilen wir mit, dass die Eingabe wohl einen Fehler aufweisen muss, denn das ist die einzige mögliche Erklärung, wie etwas so perfektes nicht an sein Ziel gelangen kann. Und wie gerne möchte ich auch in diesem Moment einen solchen Gedanken haben. In diesem Moment, indem ich einmal mehr in einem dieser entzückenden, neu eingerichteten fast food Läden sitze und die Verhaltensweisen der anderen während der Nahrungsaufnahme studiere, aber das Problem ist, dass niemand außer mir sich in diesem Raum aufhält. Laut der wunderschönen Keramikuhr über dem Eingang zur Kundentoilette bin ich vor einer halben Stunde durch den Eingang marschiert, mit dem Willen beseelt mir ein aufgeweichtes Brötchen und ein süßes Getränk zu gönnen, denn man gönnt sich laut Werbung sonst nichts. Und wir wissen, dass uns die Werbung nur das Wesentliche suggeriert. Also los, gönnen wir uns was.
Nun, bis dahin war ja auch noch alles in Ordnung. Ich trank einen Schluck trüber, gestreckter Kapitalistenbrause und las in der neusten Ausgabe eines großen Tagesblattes die Geschehnisse von gestern. Meine Augen fielen langsam zu, da ich mich die ganze Nacht vor dem Fernseher herumgedrückt habe, um nicht in einem Bett mit meiner Frau schlafen zu müssen. Ergo hab ich mich auch da gedrückt und schließlich tut man immer alles zweimal im Leben. Wirklich überraschend war die Welt jedoch, als ich dann vor fünf Minuten wieder aufwachte, denn niemand außer mir war, wie bereits gesagt, in diesem Etablissement ohne Klassenunterschiede.
Schlimmer wurde es, als ich schließlich genau vor einer Minute die Räumlichkeiten verlies, um einen Blick nach draußen zu werfen. Dort war auch niemand. Busse und Autos standen bewegungslos mitten auf der Straße und warteten auf ihre Fahrer. Neben der goldenen Eingangstüre, unter der ich stand, sah ich sogar einen leeren Kinderwagen, indem ein angebissenes Brötchen lag und weit und breit war nicht eine einzige Taube, die sich darüber her machte. Ich ging also wieder rein und dachte nach. Dafür brauchte ich genau 2 Minuten und siebenunddreißig Sekunden. Genau den Zeitraum, den es gedauert hat, dass sich diese Gedanken hier entwickeln konnten. Angst hatte ich rückblickend keine. Verwundert? Ja, aber Angst? Nein. Warum ich keine hatte ist ganz leicht zu erklären, da ich genau wusste, dass ich wie Tausende anderer Menschen gerade in einer Warteschlange stehe. Man wartet immer auf irgendwas und man wartet nie alleine, da es mindestens immer einen gibt, der genau das gleiche will. Was blieb mir also anderes übrig, als mich wieder an meinen Platz zu setzen und darüber nachzudenken, wie ich Eva den Kopf von den Schultern trenne, denn wäre ich noch im Paradies, so müsste ich mir wohl kaum Gedanken darum machen, ob einer der vielen Menschen um mich herum bemerkt, dass ich während des Zeitungslesen eingeschlafen bin und mir ein Bissen im Hals stecken geblieben ist. Ich warte einfach mal und schaue was passiert.