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In meinem Büro
Plötzlich stand es da. Dieses Ding auf meinem Schreibtisch im Büro. Erst dachte ich, es sei ein Geschenk: Vielleicht, so mutmaßte ich, hat es mir ein Freund oder auch ein Arbeitskollege unbemerkt, als Zeichen seiner Zuneigung, auf meinen Platz gestellt. Aber wieso gerade so etwas?
Ich dachte sogar, ich hätte eine schüchterne Verehrerin mit einem ausgefallenen Hang zu Kuriositäten. Ja, es hätte ihr doch, so zog ich in Betracht, eine gutmeinende hier angestellte Komplizin dabei helfen können, dieses merkwürdige Etwas unbemerkt in das Büro zu schmuggeln. Doch warum versuchte dann niemals jemand mit mir Kontakt aufzunehmen? Warum gab es keine Botschaft? Keiner konnte mir sagen, woher es kam, und niemand wollte es geschickt oder mir auf den Schreibtisch gestellt haben. Niemand meldete sich deswegen. Vielleicht hatte es auch eine der Putzfrauen hier vergessen. Doch wieso sollte eine Putzfrau diesen Gegenstand mitgenommen und hier abgestellt haben?
Man könnte meinen, es stamme aus einem dieser Weltläden. Doch dann müsste es aus einem stammen, der sich gänzlich auf Absonderlichkeiten spezialisiert hat.
Dort muss es Schrumpfköpfe, bunt bemalte Ketten aus Knochen von unbenannt bleibenden Tieren und schwarze Phiolen geben, alles unter schwachem Licht in nicht katalogisierten Regalen verstaut.
Das ist naiv, aber so stelle ich mir seine Herkunft vor. Denn es scheint ganz so, als sei es von einem indigenen Stamm angefertigt worden sein.
Für ein Götzenabbild andererseits wirkt es allzu profan. Sein Gewicht liegt nicht im Heiligen, sondern viel mehr in seiner schieren Gegenwärtigkeit.
Es ist nicht besonders ansehnlich, klobig, recht schwer, von rundlicher Form, doch gerade nicht rund genug um als Kugel durchgehen zu können.
Auf der Rückseite ist es mit dunkelbraunem Fell überzogen, das mir echt erscheint: Der Pelz sieht fast so aus wie der eines Bären.
Auf der Vorderseite ist die Oberfläche bis auf wenige kleine Einbuchtungen völlig glatt und kalt. Ich habe sein Fell lange nicht angegriffen. Doch es erschien mir, ganz im Gegensatz zu der Vorderseite, weich und warm. Zwei Augen sind angedeutet.
Ich habe beschlossen, es zu behalten, beziehungsweise es einfach
dort an seinem Platz - auf meinem Schreibtisch - stehen zu lassen. Denn mein Schreibtisch machte ohnehin immer einen viel zu leeren, fast sterilen Eindruck. Ich gewöhnte mich sogar an dieses Ding, das eigentlich recht hässlich war. So sehe ich es fünf Tage die Woche, beinahe zehn Stunden täglich: Verrichte meine Arbeit und trinke meinen Kaffee vor ihm, schaue es an.
Meine Kollegen beachten es nicht, ich glaube es erscheint ihnen nicht besonders interessant. Mich dagegen fesselt es auf eine Weise, die ich nicht erklären kann.
Ich ertappe mich manches Mal dabei, mir vorzustellen, dass es mir bei meinen Tätigkeiten zusieht.
Auch Abends muss ich zuweilen an dieses Objekt denken.
Ich sitze dann in meinem Lehnstuhl, wenn das Haus schon schläft, rauche und frage mich, woher es kam und wie lange es noch bei mir sein wird.
Dann skizziere ich in meinem Geist, auf der Suche nach seinem Zweck, seine Beschaffenheit und folge den Mustern auf der glatten Oberfläche wie Hieroglyphen, die es nur noch zu entschlüsseln gälte.
Doch die Zeichen bleiben mir verschlossen.
Ich sitze da und überlege mir, was mich schaudern macht, wenn ich über sein Fell streiche.
Ich weiß nicht, ob mir dieser Gegenstand unheimlich oder angenehm ist. Ob es ein Gefühl von Schauer oder Erregung ist, dem ich anheimfalle. Wenn ich darüber nachdenke, bleibt nur diese fahle Indifferenz.
Im Büro sehe ich es dann am nächsten Tag lange an, und es sieht mich an, und ich frage es, was es denn von mir will.
Doch weder hat es Ohren, um mich zu hören, noch einen Mund, um mir zu antworten.
So starrt es mich ruhig mit seinen unbeseelten, reinen Augen an und bleibt.