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Indimuni

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21.12.2004
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Indimuni

„…aus den Elementen die beiden Rassen eigen sind müssen sie geschaffen werden. Nur so wird es möglich sein den Feind endgültig zu schlagen. Doch wie dies zu bewerkstelligen ist, muss noch genau durchdacht werden. Die Zeit drängt und Fehler können wir uns nicht mehr leisten.“

Langsam ließ er das Manuskript sinken und schloss die Augen. Er verdrängt das Gefühl von Abscheu und Übelkeit, das ihn jedes Mal aufs Neue befiel, wenn er die uralten Worte auf dem halb zerfallenen Pergament las. Schließlich wandte er sich langsam von dem mit schweren, dunklen Samtvorhängen verschlossenen Fenster ab und schritt auf den Kamin zu wo er verharrte und in die erkaltete Asche blickte. Aus der Dunkelheit des Kamins fuhr ein kalter Windhauch herab und zerstob das Aschehäufchen, das im gemauerten Bett der Feuerstelle lag. Aschefetzen wirbelten durch die Luft und sanken auf ihn herab ohne dass er es zu bemerken schien. Lange stand er so da. Schließlich wandte er sich seinem Schreibtisch zu und griff nach dem Brief der, fein säuberlich gefaltet, in der Ablage neben der restlichen Korrespondenz lag. Mit langen, schlanken Fingern faltete er das Blatt auf und las die Botschaft zum wiederholten Male. Dann wandte er sich mit dem Blatt Papier in der Hand wieder dem Kamin zu und lies es dort in die aufgewirbelte Asche fallen. Ein Klopfen riss ihn aus seinem Tun heraus. Ein MeTakk stand in der Tür und hatte das Haupt in einer lächerlichen Position gesenkt. Vor sich auf einem Tablett lag ein weißer Umschlag. Sein Herz sank. Müde vollführte er eine Geste mit der rechten Hand und der MeTakk huschte wie eine Ratte zum Schreibtisch, platzierte Tablett und Umschlag auf selbigem, und verschwand wieder durch die schwere Tür nach draußen. Verdammt, diese verdammten MeTakk. Er ballte die Faust. Wann würden sie endlich erwachsen werden und sich wie Menschen verhalten und nicht wie getretene Hunde? Und die Adumani waren noch schlimmer, dieser speichelleckende Haufen, der nichts lieber tat, als den Mächtigen um die Füße zu tanzen und zu versuchen ihnen zu gefallen. Er schüttelte frustriert den Kopf und fischte den Umschlag von dem Tablett. Mit einem spitzen Nagel schlitzte er das blütenweiße Papier auf und zog die Botschaft hervor. Den Umschlag lies er achtlos zu Boden fallen. Irgendeiner der MeTakk würde ihn schon wegmachen. Er schlug das gefaltete Papier auseinander. Und blieb stehen. Wieder dieselbe Botschaft. Wieder die drei gefürchteten Worte. Er las den Brief nochmals doch die Botschaft veränderte sich nicht. Dreimal hatte er nun dieselbe Nachricht erhalten. Drei Briefe von verschiedenen Kontaktpersonen. Drei Briefe aus den unterschiedlichsten Regionen des Reiches. Wie in Trance schritt er wieder auf den Kamin zu und lies das Stück Papier auf den anderen Brief, der schon in der kalten Asche lag, gleiten. Kaum war es zur Ruhe gekommen, flammte es auf und entzündete auch den zweiten Zettel. Während der Rauch durch den Kamin abzog, vermutlich reinigten diese verfluchten MeTakk auch die Kamine, versuchte er sich zu erinnern, wann er zum letzten Mal solche Angst gehabt hatte. Er wusste es nicht mehr. Beinahe zitternd wandte er sich vom Kamin ab und setzte sich in dem großen, gepolsterten Sessel, der vor seinem Schreibtisch stand.
Hinter ihm im Kamin wehte die Hitze des Feuers einen angekohlten Fetzen Papier in den Kamin. Wäre jemand direkt davor gestanden und hätte darauf gewartet und genau hingesehen, hätte er vielleicht lesen können was auf ihm geschrieben stand. Es waren zwar nur drei Worte, aber sie hatten gereicht ihren Leser in Angst und Schrecken zu versetzen. Und während dieser Fetzen Papier für immer in der Dunkelheit verschwand, murmelte die Gestalt im Sessel: „Es hat angefangen… es hat wieder angefangen!“


Aus den Aufzeichnungen von Simion Beregorn
Geschrieben am 4. Tag des Monats Dariul, im Jahre 217 N.D

Ich beginne diese Eintragungen nicht weil ich es will. Mein Herr und Gott, mein Bruder und Freund, der Herrscher über Indimuni und Hüter der Schneide, hat mir aufgetragen, meine Erfahrungen, mein Wissen und meine Überlegungen niederzuschreiben, auf dass sie den Generationen nach der unseren eine Hilfe im immerwährenden Kampf gegen die Dunkelheit sein werden. Auch wenn ich nicht glaube, dass diese Aufzeichnungen auch nur die nächsten Jahre überleben werden, füge ich mich dem Willen, dessen der mein Leben mit Güte betrachtet und versuche so viel wie möglich von unserer Geschichte, der vergangenen und der gegenwärtigen, niederzuschreiben, damit in den Generationen die der unseren folgen, vielleicht EINER kommen wird, der es vermag den Fluch der auf dem Kaiserreich Indimuni lastet zu brechen. Doch um all dies zu verstehen muss ich am Anbeginn der Zeit beginnen. Schon heute sinkt das Wissen um die Geschichte unseres Landes in die Nebel des Vergessens und immer schwieriger wird es für die Erinnerer unser Wissen zu bewahren. Wer immer du es bist, der diese Zeilen liest, studiere sie gut, denn in ihnen liegen der Schlüssel zu deiner Vergangenheit und das Tor in eine friedliche Zukunft…

„Der Bote den ihr erwartet habt ist eingetroffen Maretan Indimuni“, sagte der MeTakk von der Tür her, in den großen, trotz seiner prunkvollen Einrichtung, leer und kalt wirkenden Raum hinein. Aus den Schatten nahe dem Kamin schälte sich die Gestalt eines großen, hageren Mannes und bedeutete ihm mit einem Nicken des Hauptes den Boten hereinzuführen. Mit einer ehrerbietigen Verneigung zog sich der MeTakk rückwärtsgehend aus dem Raum zurück – man wandte einem Indimuni nicht den Rücken zu. Erstens war es unverschämt den Mitgliedern der Herrscherkaste nicht das Gesicht zu zeigen und zweitens wusste man nie was diese Leute planten. Nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte wandte sich der Mann am Kamin um und schritt in Richtung des großen Schreibtisches. Seine Bewegungen wirkten weich und fließend, und es schien fast als würde er über den mit Marmorplatten verkleideten Boden schweben. Kaum hatte er den Schreibtisch erreicht und dahinter Platz genommen, wurde die Tür wieder geöffnet und der MeTakk trat herein, erneut mit einer tiefen Verbeugung und führte einen Mann hinter sich in den Raum. Der Neuankömmling verbeugte sich ebenfalls tief und sank auf eines seiner Knie. Mit einer nachlässigen Bewegung seiner linken Hand bedeutete Maretan dem MeTakk wieder zu gehen. Der Bote, wie ihn der MeTakk genannt hatte, blieb in seiner Verbeugung und wartet auf das Zeichen, sich wieder aufrichten zu dürfen.
„Ihr habt gefunden, wonach ich euch zu suchen beauftragte, Adumani?“ Die Stimme des Mannes hinter dem Schreibtisch klang hohl und hoch und hatte den typischen emotionslosen Tonfall der den Indimuni eigen war. Der Bote nickte, erhob sich aber nicht, denn das Zeichen das ihm solches erlaubt hätte war nicht gekommen.
„Wo befindet es sich jetzt?“ verlangte der Sitzende zu wissen. Der Bote machte eine Bewegung mit der Rechten in Richtung Fenster, gab aber keinen Ton von sich. Es war ihm nicht gestattet zu sprechen, nicht wenn der Indimuni es ihm nicht befahl.
„Ihr habt meine Erlaubnis zu sprechen.“.
„Die Person, nach der ihr sucht, befindet sich in Valadara, Maretan Indimuni“
„Wonach ich suche ist keine Person, Adumani. Es ist ein Ding, eine Sache, ein Gegenstand der mir gehört und mir abhanden gekommen ist.“
„Wie ihr es sagt, Maretan Indimuni“, kam die Antwort des Boten.
„In Valadara, also…“ ließ sich die Stimme wieder vernehmen.
„Indimuni, mit Verlaub…“
Die Linke des Angesprochen schoss in die Höhe und der Bote verstummte augenblicklich. Der Maretan Indimuni erhob sich und fischte ein Blatt Papier von einem kleinen Stapel und einen Griffel aus einer Ablage. Langsam näherte er sich in diesem gleitend, schwebenden Gang dem Boten und hielt ihm Stift und Papier hin.
„Seid ihr des Schreibens mächtig, Adumani?“
Der Bote nickte.
„Dann schreibt mir den Namen auf und auch euren, damit ich zu gegebener Zeit Euer gedenken kann.“ Der Bote nahm das Blatt und den Griffel entgegen, wobei er peinlich genau darauf achtete die Finger des Indimuni nicht zu berühren. Trotzdem konnte er die Kühle spüren, die von der blassen, fast weißen Haut ausging. Ohne zu zögern oder zu fragen, womit er denn schreiben sollte, da er ja keine Tinte hatte, legte er das Blatt auf den Marmorboden und streifte einen Ärmel seines Hemdes zurück. Mit einer schnellen, geübten Bewegung stieß er den Griffel durch die Haut in seiner Armbeuge. Als das Blut zu fließen begann zog sich der Indimuni ein paar Schritte zurück. Der Bote schrieb mit seinem Blut zwei Namen auf das Papier und legte, nachdem er fertig war, den Griffel daneben, sorgsam darauf bedacht das Papier und die darauf notierten Namen nicht zu beschmutzen. Dann schob er Papier und Griffel wieder in die Richtung, in der der Indimuni stand. Dieser hob beides auf und legte es vorsichtig auf den Schreibtisch.
„Ihr habt Eure Sache zu meiner Zufriedenheit getan. Ich werde mich an euch erinnern, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Geht eurer Wege.“
Schweigend erhob sich der Bote aus seiner knienden Position und verneigte sich tief, ehe er begann sich rückwärts zu entfernen. Als er die Tür erreichte, pochte er einmal kurz dagegen woraufhin sie von außen geöffnet wurde. Nachdem er den Raum verlassen hatte, schloss sie sich geräuschlos hinter ihm. Maretan verharrte kurz an dem Ort, an dem er stand, und blickte auf die geschlossene Türe. Dann wandte er sich dem Schreibtisch zu und nahm das Blatt mit den beiden Namen vorsichtig in die blassen, feingliedrigen Hände. Er warf nur einen kurzen Blick darauf, dann fing das Papier Feuer und begann zu verbrennen. Er zuckte nicht zusammen, schleuderte das Blatt nicht von sich, sondern hielt es in der Hand bis nur noch Asche davon übrig war. Anschließend wandte er sich wieder dem Tisch zu, nahm den Griffel und hob ihn an die Augen. Das Blut des Boten schimmerte rot gegen den elfenbeinernen Griffel und begann einen dicken Tropfen am einen Ende zu bilden. Maretan drehte den Griffel herum und hielt seinen Finger unter die nadelscharfe Spitze des Schreibwerkzeugs. Dann wartete er und beobachtete fasziniert, wie der Tropfen, dicken, roten Blutes langsam seine Flussrichtung änderte und auf die Spitze zufloss. Das Licht des Kaminfeuers und der wenigen Kerzen im Raum verlieh der Flüssigkeit eine brillante, rubinrote Färbung und ließ sie wie von einem inneren Feuer erstrahlen. Schließlich fiel der Blutstropfen auf den wartenden Finger und Maretan legte das Schreibwerkzeug vorsichtig wieder in die Ablage, aus welcher er ihn zuvor entnommen hatte. Den Finger mit dem Tropfen Blut auf der Kuppe führte er langsam an sein Gesicht und strich ihn auf seine Lippen, die sich urplötzlich im kräftigen Rot des Blutes erstrahlend vom übrigen bleichen Gesicht abhoben. Dann öffnete er seinen Mund und leckte das Blut langsam und genussvoll von seinen Lippen. Schließlich war alles Blut von seinem Mund verschwunden und er schloss ihn wieder. Er umrundete den Schreibtisch und sank in den Stuhl, der dahinter stand. Mit geschlossenen Augen schien er entspannt dazusitzen. Dann umspielte die Andeutung eines Lächelns seine Mundwinkel, und er murmelte fast unhörbar: „Oh ja, ich werde mich an euch erinnern, Aram Adumani. Ich werde mich an euch erinnern.“


Aus den Aufzeichnungen von Simion Beregorn
Geschrieben am 5. Tag des Monats Dariul im Jahre 217 ND

Seit 217 Jahren währt nun unser Kampf um die Einigkeit des Reiches und den Frieden. 217 Jahre voller Blutvergießen, Hass und Leid für das geplagte Volk. Und beständig nimmt unsere Bedrängnis zu, denn der Feind wird täglich stärker. Unsere Truppen und Späher berichten von immer mehr Scharmützeln und Übergriffen auf die Bevölkerung und die Berichte über seltsame Vorkommnisse in den Provinzen häufen sich. Und ich frage mich, ist die Ursache all dessen wirklich im Schnitt zu suchen, der unseren Kontinent teilte? Oder gibt es etwas, das wir nicht bedacht haben? Sicher ist, dass unser Leid mit dem Schnitt vor 217 Jahren begann. An dem Tag als die Erde bebte und sich die Schneide aus den Tiefen des Felsmeeres hob und das Land im Norden von uns trennte. Niemand kann es mehr sagen, denn alle die die Anfänge dieser neuen Welt erlebten, sind schon vor langer Zeit zu unseren Ahnen zurückgekehrt. Doch scheint die Schneide der Ausgangsort der Übergriffe zu sein. Vor allem die Provinz Safor die an ihrem Fuße liegt ist Ziel von Angriffen aus dem Dunkel. Wir wissen nichts von unseren Angreifern. Allein ihre Grausamkeit ist uns bekannt und mit dieser Grausamkeit erschließt sich uns auch das Wissen über ihre Andersartigkeit. Und obwohl die nördlichen Gebiete des Kaiserreiches auch vor der Zeit des Schnittes zum größten Teil unerforscht waren, mutet es doch seltsam an, dass es keine Aufzeichnungen über ähnliche Angriffe gibt, die vor die Zeit dieser einschneidenden Änderung in der Geographie unseres Landes zurückreichen. Haben unsere Vorfahren dieses Volk im Norden ebenfalls nicht gekannt? Oder hat erst der Schnitt die Fremden aus dem Norden zu dem gemacht was sie heute sind? Eine Rasse voller Hass auf alles was lebt. Ein Volk erstanden aus Kälte und Dunkelheit, das sich vom warmen Blut der unseren zu nähren scheint…


Als Aram aus dem Schatten des Palastes auf die Straße trat, kniff er von der Sonne geblendet die Augen zusammen. Dann wandte er sich, nach einem kurzen Blick über die Schulter, nach rechts und folgte dem breiten Boulevard, der von der Festung hinab in die eigentliche Stadt führte. Als er die prächtigen Paläste und Häuser, die hier auf dem Hügel der Reinigung, den die Festung bildete, hinter sich ließ und sich gleichzeitig vom Zentrum der Macht entfernte, schien es als würde die Luft wärmer und frischer werden, und als er schließlich an der Treppe der Erinnerung angekommen war und sich die Stadt, einem bunten Flickenteppich gleich, unter ihm ausbreitete, war auch der letzte Rest von Beklommenheit und Kühle verschwunden. Schnell stieg er die Stufen hinunter und bereits auf halbem Wege hatte sich seine Umgebung so sehr verändert, dass ein Fremder meinen konnte in einer völlig anderen Stadt zu sein. Wo am oberen Ende der gewaltigen Steintreppe mit ihren 333 marmorverkleideten Stufen prunkvolle Schlichtheit herrschte, tauchten, je näher man dem unteren Ende und damit dem Platz der Ehrfurcht kam, immer mehr und mehr Hütten und Buden in bunten Farben auf, aus denen Händler ihre Waren feilboten. Wenn man schließlich am Fuß der Treppe angekommen war und auf dem Platz der Ehrfurcht stand befand man sich mitten im größten der sieben Bazzaari der Stadt. Hunderte von Ständen, Buden und Hütten, hunderte von Stimmen die ihre Waren anpriesen, hunderte Händler die ihre Auslagen und Güter sortierten, polierten und ausbesserten wo es ging und in all dem tausende von Adumani und MeTakk die schlenderten, hetzten und die Waren bestaunten, betasteten und manchmal kauften. Aram verschwendete keinen zweiten Blick auf das Getümmel sondern zog trotz der sommerlichen Hitze seinen Mantel enger um sich und eilte, sich immer noch rechterhand haltend über den Bazzaar in Richtung eines der weniger noblen Adumani-Viertel die unmittelbar an den Platz der Ehrfurcht grenzten. Schließlich ließ er auch den Trubel des Marktes hinter sich und bog in eine Seitenstraße. Seine Schritte hallten leise auf den schwarzen, von unzähligen Füßen glatt polierten Pflastersteinen, wider. Etwa auf halber Höhe der Straße wandte er sich nach links und schlüpfte in eine noch kleinere Seitenstraße. Dort gelangte kein Sonnenlicht auf den Boden und in der Dunkelheit war es kühl und feucht. Aram hielt vor einer halbverrotteten Tür die trotz ihres verfallenen Eindrucks erstaunlich gerade in ihren Angeln hing. Er blickte sich um, ob jemand ihm gefolgt war und als er feststellte, dass dem nicht so war, klopfte er dreimal kräftig gegen das brüchige Holz. Nach einem kurzen Moment, glitt ein Panel im oberen Drittel zur Seite und zwei, unter dunklen buschigen Augenbrauen halbverborgene Augen musterten ihn kritisch. Aram schlug den Kragen seines Mantels, in den er immer noch gehüllt war zurück und das Panel schloss sich wieder. Kurz darauf hörte er wie zuerst der schwere Holzriegel zurückgeschoben wurde und dann erklang das Geräusch eines Schlüssels, der sich in einem Schloss drehte. Schließlich wurde die Tür geöffnet und Aram glitt hinein. Bork der Türsteher nickte ihm zu und machte sich wieder daran, die Tür zu versperren.
„Eine Stunde länger und du wärst hier nicht mehr reingekommen, Kurzer“, brummte er in seiner kehligen Stimme. Aram grinste den Koloss von einem MeTakk an und erhielt als Belohnung einen, nach Borks Maßstäben liebevollen Klaps auf den Rücken. Aram trieb es die Luft aus den Lungen und er stolperte mit einem Keuchen drei Schritte vorwärts in den dämmerigen Raum hinein, wo er von einem Mann bereits erwartet wurde.
„Was bildest du dir eigentlich ein?“ wurde er mit eisiger Miene und wütender Stimme von Ifta begrüßt. „Weißt du eigentlich wie spät es ist? Dir hätte sonst was passieren können. Er hätte dich leeren können, wie wir jetzt einen Humpen Mi’Karr miteinander leeren werden, du verrückter Hurensohn“
Lachend fielen sich die beiden Männer in die Arme. Nach dem obligatorischen Schulterklopfen packte Ifta Aram an den Schultern und schob ihn auf Armeslänge von sich.
„Ich bin froh, dass du wieder heil herausgekommen bist“, sagte er schließlich und schüttelte den Kopf. „Was hast du dir eigentlich dabei gedacht einen Auftrag von einem Indimuni anzunehmen?“ Er spuckte angewidert auf den Boden, gerade so als hätte er etwas Schmutziges im Mund gehabt.
„Ich hatte auch nicht geglaubt, jemals wieder aus diesem verdammten Grab von einem Palast herauszukommen, “ seufzte Aram, „aber was ich mir bei dem Auftrag gedacht habe ist etwas ganz anderes. Zumindest wird ein sehr bestimmter Jemand, der sich als Bürge für den Auftraggeber ausgegeben hat mir einige Fragen beantworten.“
Er blickte sich jetzt zum ersten Mal richtig in der Schenke um.
"Wo sind die anderen?"
"Weg!"
Aram blickte den Anderen an.
"Wie meinst du das?"
Ifta zuckte mit den Schultern und spuckte erneut aus.
"Weg eben. Sie haben sie geholt und weggebracht. Die Zeremonie soll morgen stattfinden."
Aram schluckte bittere Galle hinunter.
"Sie haben alle mitgenommen?"
"Mich nicht, wie du siehst, aber ich hatte auch mehr Glück als Verstand." Ifta grinste.
"Was ist passiert?"
Ifta zuckte wieder mit den Schultern und wandte sich um.
"Möchtest du einen Humpen Mi'Karr?" fragte er auf dem Weg zur hölzernen Theke. "Seit sie Ander mitgenommen haben ist es günstig wie noch nie."
"Was zum Bol ist hier passiert?"
Aram war dem Älteren nachgegangen und hatte ihn zornig an der Schulter gepackt. Ifta blieb stehen uns drehte sich langsam um. Zu seinem Entsetzen bemerkte Aram, dass seine Augen feucht glänzten.
"Sie waren plötzlich aufgetaucht. Maretan's Männer und haben alle mitgenommen. ALLE! Verstehst du? Einfach jeden der hier war." Er schluckte vernehmlich und holte tief Luft.
"Ander hatte uns keine fünf Minuten zuvor zum Nordtor geschickt um eine Ladung Mi'Karr abzuholen auf die er schon seit Tagen gewartet hatte. Bork und ich haben gesehen wie sie in Die Schwalbe gingen und, und dann..." er setzte ab und griff nach der Theke wie um sich festzuhalten. Aram blickte zu Bork, der an der Tür stand und nickte.
"Musste haarigen Affen zurückhalten, hat getobt wie wildes Birrhi, wollte hereinstürmen und alle retten versuchen. Wäre selber weggebracht worden."
Aram’s Augen waren bei der Erklärung des Türstehers immer größer geworden, erstens war es die wahrscheinlich längste Rede, die er aus dem Mund des grobschlächtigen Kerls je gehört hatte, und zweitens dämmerte es ihm, dass das wirklich alles passiert war.
"Wie viele insgesamt?" erkundigte er sich tonlos bei Ifta, der sich immer noch an die Theke klammerte.
"Achtzehn Männer und neun Frauen“, kam die Antwort, "und unter ihnen war Iana."
Den letzten Teil hatte er nur noch geflüstert. Aram lehnte sich an die Theke ab und schluckte um die aufkeimende Übelkeit zu bekämpfen. Er wandte sich Ifta zu und legte ihm die Hand auf die Schulter, die jedoch sofort wieder weggestoßen wurde, als der andere sich wütend aufrichtete.
"Großer Bol, Iana war dabei, und…" begann Aram und lies den Satz unvollendet als Ifta ihn aus zornfunkelnden Augen ansah.
"Ja, Ina und mit ihr mein ungeborenes Kind."
Ein paar Sekunden starrten sie sich gegenseitig an. Dann wandte sich Ifta wieder der Theke und den Fässern dahinter zu,
"Was ist nun“, fragte er gereizt, "willst du was zu trinken, während wir uns überlegen, was wir unternehmen, oder möchtest du mich weiter anglotzen?"


Aus den Aufzeichnungen von Simion Beregorn
Geschrieben am 8. Tag des Monats Dariul im Jahre 217 ND

In den Manuskripten in den Archiven des kaiserlichen Palastes fand ich Aufzeichnungen über ein Volk das hoch im Norden gelebt haben soll. Waldläufer und Jäger sollen sie gewesen sein. Hoch von Wuchs und von schlanker Gestalt. Der Handel war das einzige Verbindungsglied zwischen ihnen und dem Kaiserreich. Doch so spärlich der Kontakt auch war, er war vorhanden und sie schienen den unseren freundlich gesinnt. Doch sollen sie auch ein grausames Volk gewesen sein, das den Göttern des Winters und der Nacht huldigt. Ein starkes, stolzes Volk, bei dem die Schwachen keine Chance hatten. Schwächliche Säuglinge wurden getötet. Doch wie es mir scheint nicht aus Gnade um ihnen späteres Leid zu ersparen, sondern weil ihr Blut bei den grausamen Ritualen und Feiern die sie zu Ehren ihrer dunklen Götter abhielten benötigt wurde. Ascravius, der Schreiber aus dessen Hand dieses Manuskript stammt, berichtet, dass die Kjell, wie sich diese Nordmänner nannten, auf das Kommen eines ewigen Sommers warteten. Doch sollte der Sommer ihnen versagt bleiben, wenn sich nur ein einziger unter ihnen als schwach erweisen sollte. Denn ihre Götter würden sie prüfen und eine endgültige Entscheidung fällen. Sie haben auch eine Erklärung dafür, wie es zum Schnitt gekommen sein soll, und warum sich ihr Land in ewigem Winter befindet. Vielleicht finden wir in ihren Legenden und Sagen einen Hinweis der auch uns von Nutzen sein kann. Und doch, mir mutet solch ein Glaube grausam und barbarisch an, doch liegt es nicht an mir über sie zu urteilen. Noch ist es dein Platz, Leser, zu sagen ob sie gut oder schlecht waren. Eine einzige Stelle in diesem Manuskript verwirrt mich und ich kann nicht umhin, sie danach zu richten, was ich zu verstehen glaube. Es wird beschrieben wie sie mit ihren angeborenen Fähigkeiten Schneestürme zum Verstummen und Feuer zum Lodern bringen konnten. Ich glaube, dass ihre angeborenen Fähigkeiten der Magie unserer alten Meister ähnlich sein könnte. Wenn dem so sein sollte wundert es mich nicht mehr, dass wir den Angreifern, sollte es sich um die Nachfahren dieses Volkes handeln, nichts entgegenzusetzen haben. Wenn es noch Meister gäbe, könnte sie vielleicht etwas ausrichten, doch ist der letzte Meister am Hofe vor vier Jahren gestorben. Allerdings gibt es unter den Dienstboten ein Gerücht, dass sich trotz fehlender Bestätigung seit Jahren hält und seine Kreise macht. Ein einziger Meister soll noch leben, doch wo er ist, oder ob er schon zu den Ahnen heimgekehrt ist oder nicht, weiß niemand. Denn er hat den Hof im Zorn vor mehr als 20 Jahren verlassen und wenn man dem Gerücht des Gesindes Glauben schenken mag, so war der Grund für sein Verschwinden ein Disput mit dem Vater unseres geliebten Kaisers. Trotzdem, wenn sich mein Verdacht, was das Volk hinter der Schneide betrifft, erhärtet müssen wir die Wurzeln dieses Gerüchtes überprüfen und sollte sich nur ein Körnchen Wahrheit in dem Gewäsch der Boten und Mägde finden, müssen wir alles daran setzen herauszufinden ob er noch am Leben ist und wo er sich aufhält…


Sie erwachte nur langsam aus ihrem Schlaf. Die Drogen die man ihr gegeben hatte, vernebelten immer noch ihre Sinne und sie konnte ihr Blut in ihren Ohren rauschen hören. Langsam und vorsichtig tastete sie sich in Gedanken aus dem Dunkel des Schlafes, das sie wie ein feingesponnener Kokon umhüllte dem Licht des Wachens entgegen. Dann kamen ihre Sinne zurück. Zuerst nur zögernd, doch dann stürzten immer mehr Wahrnehmungen auf sie ein. Unter sich spürte sie kalten, harten Stein. Die Luft war schwer vom Duft verbrannter Kräuter und von einem beständigen Summen erfüllt. Als sie die Augen öffnete sah sie im ersten Moment nichts. Es war alles dunkel. Dann schälten sich langsam Konturen aus der Dunkelheit und sie erkannte, dass sie sich in einem großen Raum befand. Schwere Samtvorhänge bedeckten die gesamte Wand zu ihrer Rechten und auf der anderen Seite befand sich ein Kamin der so ungestalt und riesig war, dass er beinahe lächerlich gewirkt hätte, wüsste sie nicht wo sie sich befand. Sie tastete an sich herunter und fühlte die harte, straffe Wölbung ihres Bauches. Erleichtert atmete sie schließlich auf, das Kind hatte sich bewegt. Aber der Druck in ihren Lenden sagte ihr auch, dass es nicht mehr lange dauern würde bis das Kind auf die Welt drängen würde. Und das, wollte sie mit Sicherheit nicht hier erledigen. Vorsichtig schwang sie ihre Beine von der Tischplatte auf der sie lag hinunter und richtete sich auf.
"Ah, wach?!" erklang eine Stimme aus der Dunkelheit. Sie fuhr herum. Aus den Schatten löste sich die hochgewachsene Gestalt eines jungen Mannes und Iana sank auf die Knie und senkte den Kopf. Ein melodisches Lachen ertönte.
"Ich bitte dich“, klang da ein leiser Tadel in der Stimme?
"Steh auf und sieh mich an." Iana sprang auf die Beine und verfluchte sich selber dafür, denn ein stechender Schmerz jagte durch ihren Unterleib. Der Mann war in der Zwischenzeit näher gekommen und stand nun direkt vor ihr. Sie hielt den Blick gesenkt und wagte nicht ihm ins Gesicht zu sehen. Eine Hand packte sie am Kinn und riss ihren Kopf hoch, so dass sie ihm in die Augen blicken musste.
"Ich sagte, du sollst mich ansehen, oder irre ich mich?"
Sie nickte stumm und versuchte ihre Gedanken zu ordnen. Er ließ ihr Kinn los und sie senkte es, blickte ihn dann jedoch, von einer scharf nach oben schnellenden Augenbraue gewarnt, weiter an. Ein dünnes Lächeln spielte auf den bleichen Lippen ihres Gegenübers und er nickte zufrieden. Dann wandte er sich um und ging zu einem kleinen Tischchen in den Schatten am Kamin und kam mit zwei kostbaren Kristallgläsern zurück. Im einen befand sich einen blutrote Flüssigkeit welche die Facetten des Kristalls in allen möglichen Rottönen aufblitzen ließ, im anderen eine durchsichtige Flüssigkeit. Langsam schlenderte er auf die junge Frau zu, die mittlerweile ihre Hände schützend um ihren Bauch gelegt hatte.
"Mein Name ist Janiz, Indimuni wie du hinzufügen würdest“, er blickte sie unverwandt an.
"Dein Name ist Iana, wenn ich mich nicht irre."
Dann stand er wieder direkt vor ihr und lächelte sie an.
"Lass uns auf dieses Kennenlernen trinken." Das Lächeln das nicht von seinen Lippen gewichen war, wurde breiter. Er streckte ihr den Kelch mit der klaren Flüssigkeit entgegen und sie wich einen kleinen Schritt zurück. Er schüttelte den Kopf.
"Ich bitte dich, was willst du damit erreichen?" Er wirkte ehrlich enttäuscht.
"Wenn ich möchte, dass du trinkst dann trinkst du auch, meine Liebe" Erneut streckte er ihr den Kelch entgegen und diesmal nahm sie ihn.
"Auf die Zukunft“, sprach er einen Toast und leerte seinen Becher in einem Zug. Als er ihn absetzte, liefen Tropfen der roten Flüssigkeit über sein Kinn und befleckte sein Hemd. Iana hatte ihren Becher noch nicht angerührt und als ihr gegenüber seinen Mund mit einem kleinen weißen Tüchlein abtupfte machte er eine ungeduldige Handbewegung in ihre Richtung. Iana hob den Kelch und trank die kühle, süße Flüssigkeit und leerte, wie er den Becher mit einem Zug. Langsam kam er auf sie zu und nahm ihr den Becher aus der Hand. Er lächelte sie an.
"War doch gar nicht so schlimm, oder?"
Er ging mit den beiden Kelchen wieder zu dem Tischchen und stellte sie dort vorsichtig ab. Als er sich ihr wieder zuwandte, hatte sie ihre Hände bereits an ihren Unterlieb gepresst und ihre Stirn glänzte feucht. Er ging mit gemessenen Schritten auf sie zu und beobachtet sie mit einem Lächeln.
"Oh“, meinte er erstaunt.
"Der Trank beginnt zu wirken. Früher als ich erwartet, deine Zeit war näher als ich dachte."
Sie stieß einen heiseren Schrei aus und ihre Augen weiteten sich als Schmerzen durch ihren Körper jagten. Sie holte mühsam Luft und stellte fest, dass wenn sie ruhig weiter atmete, der Schmerz nicht ganz so schlimm war. In der Zwischenzeit hatte der Fremde sie erreicht.
"Es wird dich betrüben zu hören, dass du morgen nicht an der Zeremonie teilnehmen wirst, „ erzählte er im Plauderton, während sie von Schmerzen gepeinigt auf den Boden sank und ihre Hände in ihren harten Bauch krallte. Sie spürte Feuchtigkeit zwischen ihren Beinen und einen reißenden Schmerz in ihren Eingeweiden.
"Sicher bist du ganz enttäuscht deswegen“, sagte der Fremde und ging vor ihr in die Hocke. Zärtlich strich er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
"Aber das was du für mich vollbringst, ist unschätzbar mehr wert, als jeder Dienst bei der Zeremonie. Keine Angst die Schmerzen werden nur noch einen Moment dauern."
Er nahm sie in den Arm und wiegte sie sanft vor und zurück. Inzwischen hatte ein Zittern dem sie nicht Herr werden konnte, sich ihrer Hände und ihrer Beine bemächtigt. Sein Griff wurde unmerklich fester. Das Ziehen in ihrem Inneren war schlimm, doch sie nahm es wie von einem weit entfernten Ort wahr. Plötzlich war da etwas heißes Feuchtes zwischen ihren Beinen und sie spürte wie sich etwas in ihrem Inneren löste. Und schließlich nahm sie nur noch die beruhigende Stimme die zu ihr sprach wahr und die wich langsam einen warmen, verlockenden Dunkelheit in die sie sich erschöpft fallen ließ.


Magdar Alluba
Beriga am 18. Tag des Monats Eligon im Jahre 217 ND

Mein Kaiser,
die Nachricht, die ich überbringen muss ist niederschmetternd. Zehntausend unserer Armee sind vernichtet. Aus dem Dunkel kamen die Gegner wie Schatten und nur eine lähmende Kälte war unsere Warnung. Wir hatten nicht den Hauch einer Chance gegen die Fremden. Die Bollwerke sind verwaist und die Männer in Aufruhr. Die wenigen der Überlebenden haben schwere Verletzungen und ich bin nicht bereit auch sie zu opfern. In diesem Falle kann und werde ich euren Befehlen nicht Folge leisten. Die Provinz und die Länder an der Schneide sind nicht mehr zu halten und meine Liebe zu euch wird nur von der Verantwortung meinen Männern gegenüber übertroffen und ich werde sie nicht einem unsinnigen und tödlichen Befehl opfern. Mein Kaiser, ich werde die verbleibenden Truppen in die Sicherheit der Provinzstadt bringen und mich sobald ich ihrer Versorgung gewiss bin auf den Weg in die Hauptstadt machen um mich eurem Urteil zu stellen.

Gezeichnet, Magdar Alluba, von eigener Hand


Dara lag ganz still. Jede Bewegung schmerzte sie, sogar das leichte Heben ihrer Brust war eine Qual. Issa hatte sie schon oft geschlagen, das war normal für sie, aber so brutal wie heute war er noch nie gewesen. Während sie darüber nachdachte, versuchte sie zu verstehen warum er diesmal ausgerastet war. Sicher war der Teller den sie fallengelassen hatte neu und teuer gewesen, aber in einer Schenke fiel nun mal Geschirr zu Boden. Warum war er also so wütend geworden? Sie spielte die Szene noch einmal durch. Zuerst hatte sie den Gast bedient und mit ihm geschwatzt, so wie es sich für eine Schankmaid gehörte. Danach hatte sie sich um die anderen Gäste gekümmert während Issa um den Fremden herumscharwenzelte und vor ihm katzbuckelte. Als sie damit fertig gewesen war, hatte sie die Teller des Fremden abräumen wollen, und während sie sich noch gewundert hatte, dass weder die Speisen noch der Mi'Karr angerührt waren, hatte er sie am Arm berührt. Daraufhin hatte sie sich erschrocken umgedreht und einer der vielen Teller, die sie auf dem Arm hatte, war vom Stapel gerutscht und am Boden zerschellt. Der Fremde hatte sie angelächelt und sogleich war Issa gekommen, hatte sie gepackt, sich langatmig und geschwollen bei dem Gast entschuldigt und sie anschließend in die Küche gezerrt, wo er sie wortlos verprügelt hatte. Dann, als sie zusammengekrümmt auf dem Boden lag, war Maddi dazwischen gegangen. Die beleibte Köchin hatte sich vor Issa aufgebaut und die Hände in die Hüften gestemmt.
"Issa Adumani“, hatte sie drohend gesagt, "was nützt es dir wenn du sie tot schlägst? Sie ist fleißig und hat Anstand."
Sie hatte einen mitleidigen Blick auf Dara geworfen und den Kopf geschüttelt,
"Du hast sie aufgenommen und hast dich nun um sie zu kümmern“, stellte sie trocken fest und tippte dem Wirt mit einem hölzernen Kochlöffel auf die Brust.
"Und merk dir eines, niemand kann etwas für seine Eltern."
Dann hatte sie den verdatterten Wirt einfach aus der Küche geschoben und Dara auf die Beine geholfen.
"Geh auf den Zimmer und wasch dich. Leg dich ein paar Minuten hin und wenn du dich besser fühlst komm wieder herunter, Arbeit gibt's genug." Sie klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter und wandte sich dann wieder der Küche zu. Sofort erblickte sie eine Hilfskraft die ihre Aufgabe nicht zu Maddi's Zufriedenheit erledigen zu schien, denn mit einem lauten Ruf eilte sie dorthin und verlieh ihrem Missfallen mit einigen wohl gezielten Hieben mit ihrem Kochlöffel Nachdruck.
Dara hatte sich aufgerappelt und war in ihre Kammer unter dem Dach geschlurft. Jetzt sollte sie eigentlich wieder nach Unten gehen, sie war schon fast einen halbe Spanne hier und bemitleidete sich selbst. Mühsam, ein Stöhnen unterdrückend setzte sie sich auf ihrem Bett auf, als die Tür aufgestoßen wurde und Issa in ihre Kammer trat. Ängstlich duckte sie sich und versuchte sich klein zu machen. Aber Issa stand nur in der Tür und blickte sie aus traurigen Augen an. Dann schloss er die Tür hinter sich und kam zum Bett, wo er sich neben Dara setzte die ängstlich von ihm wegrutschte. Issa seufzte.
"Kind es tut mir leid, ich weiß nicht was über mich gekommen ist. Aber als du mit diesem Abschaum gesprochen hast, und er dich berührt hat, da hatte ich Angst um dich."
Dara starrte ihn mit offenem Mund an.
"Glotz nicht wie ein Karpfen an der Angel“, schnappte Issa, "Glaubst du ernsthaft, dass du siebzehn Jahre in meinem Haus leben kannst, mit mir sprichst und ich keine Zuneigung zu dir entwickeln würde?"
Er schüttelte den Kopf.
"Dummes Mädchen“, sagte er und streichelte liebevoll ihren Kopf.
"Du bist für mich mehr Kind, als dieser Tölpel von Ingtar es ist."
Er ließ ein frustriertes Schnauben hören.
"Auf dich kann ich mich wenigstens verlassen. Aber als du mit dem Indimuni gesprochen hast, da -" Er machte eine eindeutige Geste mit seiner Hand und ließ den Rest des Satzes unvollendet.
"Indimuni? Das war ein Indimuni?" unterbrach ihn Dara. Issa wirkte für einen Moment überrascht, dann verdunkelte sich sein Blick.
"Ja, das war einer von ihnen. Was glaubst du warum ich mich vor ihm zum Affen gemacht habe? Ich hätte ihn sofort aus der Schenke geworfen, wenn er nicht wäre, wer er ist."
Er ballte wütend die Faust und starrte grimmig zu Boden.
"Aber was macht ein Indimuni in unserer Schenke, Issa?" wollte Dara wissen.
Er zuckte die Schultern.
"Was weiß ich“, brummte er, "ich vermute sie suchen wieder Adumani und MeTAkk für ihre Zeremonie."
Mit diesen Worten stand er auf und fuhr Dara liebevoll über den Kopf.
„Nimm dir den Rest des Tages frei“, sagte er und verließ ihr Zimmer.
Dara blickte ihm schweigend nach, als er die Tür ihrer Kammer sorgfältig hinter sich schloss. Den Rest des Tages frei zu haben kümmerte sie nur wenig, sie wusste ohnehin nicht was sie hätte tun können. Vielmehr dachte sie über das eben Gehörte nach und versuchte sich die Stadt und die Zeremonie vorzustellen von der Issa gesprochen hatte. Doch es wollte ihr nicht gelingen. Zwar hatte sie von der Zeremonie gehört und wusste so gut wie jeder andere über dieses archaische Ritual bescheid, doch etwas in ihr sträubte sich dagegen sich die Prozedur vorzustellen oder auch nur daran zu denken. Das war schon immer so gewesen, seit sie sich erinnern konnte. Und noch eine Frage beschäftigte sie. Was hatte der Indimuni hier gewollt? Tief im Inneren ahnte sie den Grund seines Besuches und es war Nichts woran sie gerne dachte.


Aus den Aufzeichnungen von Simion Beregorn
Geschrieben am 3. Tag des Monats Maassu im Jahre 217 ND

… die Geschichte des Volkes hinter der Schneide wird immer rätselhafter. Ihre Riten und Gebräuche erschließen sich mir nicht und werden mit jeder gelesenen Schriftrolle, mit jedem gehörten Bericht von der Grenze grauenvoller und düsterer. Maretan, mein Schüler, hat eine Schriftrolle gefunden in der ihr Totenritual beschrieben wird. So scheint es, dass die Kjell ihre Verstorbenen weder verbrennen noch begraben. Vielmehr wird von einem „Leeren der Gerufenen“ gesprochen. Doch was dieses „Leeren“ sein soll, erschließt sich mir auch aus den anderen Aufzeichnungen nicht. Was sich jedoch gezeigt hat ist, dass es sich um ein gewaltiges Festmahl handelt bei dem der ganze Clan des Toten ein besonderes Mahl zu sich nimmt, welches nur an diesen Totenfeiern zubereitet wird. Ascravius beschreibt… „sie alle nehmen das Blut und das Fleisch des Lebens zu sich, während sie des Toten gedenken um seine Erinnerungen zu bewahren, seine Stärke in sich aufzunehmen und ihm seine Untaten und Fehltritte zu verzeihen...“ jedoch wird nirgends berichtet was mit dem Leichnam geschieht. Je mehr ich über dieses Ritual nachdenke desto unbehaglicher wird mir…


Aram stellte den Krug mit dem starken Mi'Karr ab und blickte Ifta, der Kreise in den übergelaufenen Schaum auf dem Tisch malte, finster an.
"Was hast du nun vor?"
"Was soll ich schon vorhaben? Nichts." Ifta hob den Krug, prostete Aram zu, und leerte ihn. Dann stand er auf und holte sich einen neuen. So ging das schon seit sie sich zusammengesetzt hatten. Aram nahm einen kleinen Schluck und genoss den fruchtigen, herben Geschmack, den das Getränk in seiner Mundhöhle hinterließ, und stellte den Humpen wieder vor sich ab. In die folgende Stille sagte Bork etwas von der Tür her. Aram drehte sich um.
"Leute kommen“, wiederholte der Türsteher. Aram erhob sich und lief zur Tür um durch die Klappe zu schauen.
Die Sonne musste bereits tief am Himmel stehen, denn in der Gasse vor der Schwalbe herrschte dämmriges Zwielicht. Dort wo die Gasse in die Straße, die vom Platz der Ehrfurcht zum Hafenviertel führte, mündete, standen vier Gestalten, die nur als Schatten wahrnehmbar waren. Aram kniff die Augen zusammen.
"Kannst du etwas erkennen?" wollte er von Bork wissen.
"MeTakk“, brummte der Riese, "Indimuni MeTakk, „ fügte er nach einem weiteren Blick hinaus dazu. Aram drehte sich um, als er ein Poltern hörte. Ifta war aufgesprungen und stürmte in Richtung Tür. Sein Gesicht hatte eine dunkelrote Farbe angenommen und in seiner Hand war ein Messer. Erschrocken sprang Aram zur Seite als der Andere auf ihn zustürmte während Bork, der sich ebenfalls umgedreht hatte, nur seine gewaltigen Arme mit einer Geschwindigkeit die man ihm nicht zugetraut hätte, nach vorne schnellen ließ. Ifta hatte keine Chance gegen die Wucht des Hiebs den der Türsteher ihm verpasst hatte und sank zu Boden.
"Haariger Affe dumm, „ grollte Bork, "wo vier da auch mehr."
Ifta rieb sich die Wange auf der sich bereits ein roter Fleck in Form eines gewaltigen Handabdrucks abzuzeichnen begann. Wortlos stand er auf und holte sich einen neuen Krug Mi'Karr. Aram warf noch einen raschen Blick durch die Luke an der Tür um festzustellen was die vier MeTakk am Ende der Gasse trieben. Doch die Gasse war leer und dunkel. Erleichtert atmete er auf und schob die Klappe zu. Er hatte sich noch keine zwei Schritte in Richtung Theke bewegt, als ein gewaltiger Schlag die schwere Tür traf und sie trotz der Riegel aufstieß. Bork fuhr herum und versuchte den Männern in der Türöffnung den Weg zu versperren. Zwei der vier Neuankömmlinge zogen Waffen unter ihren Umhängen hervor und stellten sich vor die anderen beiden. Ifta und Aram schnappten sich ihre Messer und wollten Bork gerade zu Hilfe kommen als eine der Gestalten ihre Kapuze zurückschlug und in den Lichtkreis der Petroleumlampe trat die über der Tür hing. Bork wankte drei Schritte zurück und sank auf die Knie. Ifta gab ein Stöhnen von sich und taumelte gegen die Wand. Aram konnte nicht anders als zu starren. Er kannte das Gesicht das unter der Kapuze zum Vorschein gekommen war. Die Frau trat an Bork vorbei und gab den MeTakk ein Zeichen woraufhin sie ihre Waffen wieder einsteckten. Wortlos ging sie an Aram vorbei auf Ifta zu. Sie legte ihm eine schmale Hand auf die Wange und seufzte. Dann wandte sie sich ab und zog sich einen Stuhl heran auf dem sie sich vorsichtig niederließ. Ifta machte einen zögernden Schritt in ihre Richtung und hob eine Hand wie um nach der Frau zu greifen, ließ sie aber sofort wieder sinken, als zwei MeTakk hinter ihn traten und er das seidene Geräusch von aus den Scheiden gleitenden Klingen hörte.
"Noch gehöre ich nicht ganz zu ihnen, deswegen kann ich euch warnen“, begann die Frau.
"Iana was haben sie…"
Ifta war kreidebleich und schien am Rande einer Ohnmacht. Aram überbrückte die wenigen Schritte die sie trennten und legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter.
Iana sah beide aus großen, dunklen Augen an. Ihre Haut war bleich und die Augen wirkten in ihrem schmalen Gesicht riesig und hatten einen fiebrigen Glanz. Sie schüttelte en Kopf.
"Es tut nichts zur Sache, Ifta Adumani. Ich bin nun eine von ihnen. Aber wie ich sagte ist die Verwandlung noch nicht ganz abgeschlossen. Sie ist weit genug fortgeschritten, so dass sie mich aus dem Palast lassen, aber noch nicht weit genug, als dass ich meine Herkunft vergessen hätte."
Sie machte eine Bewegung mit dem Kopf und die MeTakk verließen die Schenke um vor der Tür Wache zu stehen.
"Setzt euch." Aram und Ifta nahmen ihr gegenüber Platz und Bork begab sich zu den MeTakk vor der Tür und begann eine leise Unterhaltung mit ihnen.
"Ich bin hier um euch zu warnen“, begann Iana unvermittelt.
"Warnen wovor?" verlangte Ifta zu wissen, "wie haben sie dich...?"
"Das tut nichts zur Sache Ifta“, unterbrach Iana ihn. "Morgen werde ich dich nicht mehr kennen und werde Indimuni sein. Aber heute bin ich noch in der Zwischenwelt der Kasten. Deswegen bin ich hier."
Sie wandte sich an Aram und blickte ihm tief in die Augen.
"Sie haben etwas verloren und du kennst es. Du weißt wo es ist“, sie legte die Hände in ihren Schoß, Aram schüttelte den Kopf.
"Ich kann euch nicht alles sagen was ich euch gerne erklären würde. Nur soviel: Unternehmt nichts bei der Zeremonie morgen, es wäre euer Tod. Einige werden Morgen den Gnadenakt erhalten und das ist Besser als ins ewige Dunkel zu fallen."
Ifta schnaubte aber Aram verstand was Iana sagen wollte.
"Holt das was sie verloren haben und bringt es in Sicherheit. Sie sind uneins und das macht sie schwach. Wenn ihr Hilfe braucht und den Mut habt, bittet Gondra Indimuna um eine Audienz. Sie wird euch helfen, aber seht euch vor, vielleicht ist die Hilfe die ihr erhofft nicht die die ihr bekommt."
Sie stieß einen Pfiff aus und schlug die Kapuze wieder vor ihr Gesicht. Die drei MeTakk und Bork betraten wieder die Schenke und Iana erhob sich und ging Richtung Tür.
"Ich muss gehen, ich bin schon viel zu lange weg."
Sie drehte sich wieder um.
"Eines noch, hütet euch vor Janiz Indimuni, er plant etwas und das was er plant ist übel für jeden, Indimuni, MeTakk und Adumani. Hütet euch vor ihm."
Damit wandte sie sich um und gab den MeTakk ein Zeichen woraufhin sie sich um sie gruppierten. Als sie die Tür erreicht hatte, fand Ifta seine Sprache wieder. Er sprang auf und schrie:
"Das Kind, Iana, was ist mit dem Kind?"
Iana blieb stehen und legte eine Hand auf den Rahmen in dem wenige Minuten zuvor noch die schwere Tür gehangen war. Und ließ sich kraftlos dagegen sinken. Für einen Moment verharrte sie in dieser Position während Ifta einen zögernden Schritt auf sie zu tat. Dann spannten sich ihre Schultern und sie drehte sich zu ihm herum, um ihn aus vor Zorn blitzenden Augen anzusehen.
"Ich weiß es nicht. Janiz, er hat es."
Aram blickte mitfühlend zu Ifta hinüber der kreidebleich wieder auf den Schemel gesunken war und sein Gesicht in den Händen vergraben hatte. Seine Schultern bebten auffällig.
"Warum warnst du uns Iana? Du hättest keinen Grund mehr das zu tun"
wandte er sich wieder an die Frau in der Tür, die immer noch wütend zu ihnen herübersah.
"Ich habe einen Grund, Aram. Er hat mir mein Kind genommen und wird es benutzen wie man ein Werkzeug benutzt.“
Ihre Züge wurden weicher und mit sanfter Stimme fuhr sie fort.
„Er plant etwas. Ich weiß nicht was, aber ich befürchte, dass er unser Kind dazu braucht. Und das kann und will ich nicht zulassen auch wenn mir schon bald die Hände endgültig gebunden sein werden."
Sie wandte sich an Ifta, der sein Gesicht immer noch in seine Hände vergraben hatte.
„Ifta, auch wenn wir nichts mehr gemein haben, außer die Erinnerungen an die Zeit die wir geteilt haben, ich bitte dich, versuche unser Kind zu beschützen.“
Mit diesen Worten verließ sie die Schwalbe.


Aus den Aufzeichnungen von Simion Beregorn
Geschrieben am 8.Tag des Monats Maassu im Jahre 217 ND

Wir haben es geschafft! Endlich haben wir es geschafft! Einer der Botenvögel brachte die Nachricht, dass einer der Angreifer gefangen genommen wurde und sich bereits auf dem Weg in die Hauptstadt befindet. In wenigen Wochen wird er sich hier befinden und ich kann überprüfen ob es diese Verbindung zwischen den Angreifern und den Kjell wirklich gibt, oder ob sich hier nur der wandelnde Geist eines alternden Mannes eine Lösung ausgedacht hat um etwas zu erklären was er nicht begreifen kann. Nein, ich wage nicht eine Minute an der Wahrheit zu zweifeln. Es ist wie es ist. Einer der Fremden ist in unsere Hände geraten und zum Wohl unseres Reiches werde ich alles tun was ich tun muss um das Heil unseres Volkes zu bewahren. Ich muss und werde einen Weg finden unsere Grenzen an der Scheide zu beschützen. Maretan widerspricht mir. Er wirft mir Kurzsichtigkeit und Hass auf das Unbekannte vor. Törichter Knabe der er ist. Wie ich in seinem Alter ist er voller Überzeugung von sich selbst und seiner Unfehlbarkeit. Auch er wird lernen müssen, dass er nur ein Werkzeug ist, dass ich und unsere Kaiser, dem der Junge wie mir selbst eingeschworen ist, verwenden werden, wie es zum Wohl des Reiches notwendig ist…


Da Ifta nach Iana’s Besuch keine rechte Lust hatte sich auch nur ansatzweise mit ihm zu unterhalten und Bork von Haus aus kein Gesprächspartner war mit dem er sich hätte unterhalten können, verließ Aram die Schwalbe und trat in die Dämmerung hinaus. Auf der Gasse blickte er überlegend nach links, in Richtung des Bazzar, wandte sich dann jedoch vehement in die andere Richtung. Ihm stand nicht der Sinn nach dem Gewühl der Menschen die sich immer noch zwischen den Ständen und Buden tummelten. Stattdessen ging er in Richtung des Hafens und hing seinen Gedanken nach. Schließlich passierte er die Grenze in das Hafenviertel und wandte sich zielstrebig in Richtung seiner Bleibe. Nach unzähligen Kreuzungen, Abzweigungen und Brücken, erblickte er schließlich die im grellen Rot der Gewürzhändler gestrichene Fassade des Lagerhauses in dem er übernachtete. Der grobschlächtige Kerl, der an der Tür Wache hielt, grunzte etwas Unverständliches und trat einen Schritt zur Seite, damit Aram passieren konnte. Drinnen empfing ihn das übliche Dämmerlicht der Lagerhäuser, das stets eine Mischung aus vereinzelten, durch die Ritzen in den Holzwänden fallenden Sonnenstrahlen und der Dunkelheit fensterloser Räume war. Die Sonne hatte die Wände aufgeheizt und die Luft war stickig und warm. Der Geruch der in großen Säcken gelagerten Waren war betäubend stark. Aram sog die Luft ein und grinste. Karra, dachte er, wie passend. Iskk schien im Moment eine richtiggehende Glückssträhne zu haben, dass er sich ein ganzes Lagerhaus voll Karra leisten konnte. Er tastete sich durch die Düsternis und kam schließlich an die Leiter die nach oben, in die Dachsparren führte, wo ihm Iskk ein Fleckchen zugewiesen hatte als er ihn darum gebeten hatte. Besser als nichts, dachte er sich als er sich auf den Holzdielen ausstreckte und einen zu einem Bündel zusammengerollten Mantel als Kissen unter den Kopf schob. Er schloss die Augen und atmete den Duft der schweren Kräuter, die die Grundlage von Mi’Karr bildeten tief ein und versuchte sich zu entspannen. Langsam sank er in diesen Dämmerzustand der nicht Schlaf und nicht Wachen war und der die Heimat von Visionen und Erinnerungen ist. Und dann kamen sie. Nach so langer Zeit kamen die Erinnerungen an seine Kindheit wieder und stürzten auf ihn ein. Er sah Eschta, seine kleine Schwester durch die große Eingangshalle auf ihn zulaufen um sich auf den Arm nehmen zu lassen. Er sah seine Mutter wie sie ihm vom oberen Ende der Treppe her zulächelte und er sah seinen Vater und seinen Bruder im Arbeitszimmer sitzen und sich über die Kosten für Aram’s Ausbildung streiten. Er sah seine Schwester wie sie durch die Eingangshalle auf ihn zu rannte und ihr Gesicht an seiner Brust barg, während heißer Tränen ihre Wangen hinunterliefen. Er sah seinen Vater mit gramgebeugten Gesicht über dem leblosen Körper seiner Mutter stehen und hilflos seine Hände öffnen und schließen. Er sah seinen Bruder der mit ausdruckslosen Augen auf das Blut an seinen Händen blickte, seinen Vater wie er den Körper seinen Mutter zudeckte und sich zu seinem Bruder umdrehte und auf ihn zutrat. Er sah seine Schwester wie sie auf ihren Vater zulief und etwas schrie. Er sah seinen Bruder zurückweichen. Er sah das metallische Aufblitzen als sein Vater den Dolch hob um ihn gegen seinen Bruder zu schwingen. Er sah wie seine Schwester zwischen die beiden Männer trat und der Dolch sie in ihren Hals traf. Er sah wie sein Vater schreckensbleich wurde und auf die Knie sank um seine Tochter in den Arm zu nehmen. Er sah seinen Bruder der seinen Vater ins Gesicht schlug und nach dem Dolch griff. Er hörte wie er den Mund öffnete um ihnen zuzurufen, dass sie doch bitte aufhören sollten und das alles wieder gut werden würde. Er hörte wie sein Vater etwas zu ihm sagte, dann sah er den Dolch mit dem seine Schwester getötet worden war auf den knienden Mann zurasen und begann er zu laufen. Er rannte wie noch nie in seinem Leben. Er stürme die Treppe hinunter und durch die Eingangshalle, in der die MeTakk ängstlich zusammenstanden und zur Eingangstür blickten. Er sah die Gestalt die an der Tür stand und in die Halle trat. Er spürte wie der Fremde ihm eine kalte, feingliedrige Hand auf die Schulter legte und ihm aus der Halle schob. Er spürte die Hitze des Sommertages als er die kühle Luft des marmornen Hauses verließ und auf den Boulevard hinaus trat. Er erinnerte sich wie er neben dem Mann herging, der ihn immer weiter weg von seinen Eltern und seinen Geschwistern, immer weiter weg von seinem bisherigen Leben führte. Er erinnerte sich, wie er sich umdrehte und dort wo der Palast seiner Eltern stehen sollte, eine lodernde Flammenwand sah. Dann griffen die Finger die seine Schulter nicht verlassen hatten, fester zu und er konnte die Stimme des Fremden hören.
„Keine Angst Aram Adumani, du wirst leben und ich werde mich an dich erinnern.“
Mit einem Schrei öffnete er die Augen und setzte sich auf. Schweißtropfen rannen ihm über das Gesicht während er hastig nach allen Seiten blickte, orientierungslos. Als er einordnen konnte wo er sich befand ließ er den Atem in einem langen Zug entweichen und ließ seinen Oberkörper wieder auf die Jutesäcke sinken. Nach wenigen kontrollierten Atemzügen hatte sich sein Puls wieder beruhigt und er starrte an die aus schweren Balken gezimmerte Decke seines Quartiers. Warum waren diese Bilder gerade jetzt aufgetaucht, fragte er sich und krümmte sich auf seinem Lager zusammen. Er angelte nach einem der Jutesäcke und zog ihn an sich, barg ihn an seiner Brust und schloss die Augen. Vielleicht würde der Schlaf ja doch noch kommen.


An meine geliebte Schwester Adumani Indria,
Bernholm am 38. Tag dem Monats Maassu im Jahre 217 ND

Meine Grüße und mein Wohlwollen entbiete ich dir. Ich hoffe deine Schwangerschaft verläuft einfach wie es meine bisher war, und dass dein Kind gesund das Licht der Welt erblicken wird.

Adumani, ich bin so aufgeregt. Auch ich bin schwanger und die Ärzte haben den Tag der Geburt in der letzten Woche des Mirr oder in der ersten Woche im Daakk vorausgesagt. Ferrin hat mich umarmt und mich geküsst als ich ihm die Nachricht brachte. Das war seit Monaten der erste Beweis seiner Liebe oder seines Wohlwollens, seit ich meine Fehlgeburt hatte. Oh, meine liebe Adumani… ich wünschte du könntest hier bei mir sein und meine Freude teilen. Ich wollte wir könnten beieinander sein wenn unsere Zeit kommt. Ich würde dir helfen dein Kind in die Welt zu bringen, so wie du mir bei meinem helfen würdest. Doch leider bist du so weit weg von mir und ich weiß, dass es nicht möglich ist, dass du zu mir kommen könntest. Deshalb werde ich an dich denken und zu den Göttern für dich und dein Kind beten. Und ich hoffe, dass du das Selbe auch für deine kleine Schwester machen wirst.

Deine dich liebende Schwester
Gala Askarion, Kaiserin des Reiches von eigener Hand


Dara versuchte sich eine widerspenstige Haarsträhne mit ihrem Ärmel aus dem Gesicht zu wischen ohne etwas von dem schmutzigen Spülwasser in dem sie ihre Hände hatte, ins Gesicht zu bekommen, als die Küchentür aufging und Issa eintrat. Maddi blickte kurz von ihrer Arbeit hoch und runzelte die Stirn, sagte jedoch nichts. Issa würdigte die Köchin auch keines Blickes sondern trat direkt an Dara’s Seite und beugte sich zu ihr hinunter.
„Geh in die Stadt, “ flüsterte er, „und komm nicht vor Einbruch der Dunkelheit wieder.“ Damit wandte er sich auch schon wieder ab und verschwand durch die Tür zur Schankstube. Dara starrte ihm mit offenem Mund nach. Maddi wandte den Kopf mir hochgezogener Augenbraue zur Tür und bedachte danach Dara ihren Raubvogelblick, der bei diesem Vorgang von erstaunt zu misstrauisch wechselte. Die zuckte nur mit den Schultern.
„Er hat gesagt, ich soll in die Stadt gehen und nicht vor Einbruch der Dunkelheit zurückkommen.“
Maddi seufzte und schüttelte den Kopf.
„Irgendwann wird sich der Kerl vor lauter Geheimniskrämerei noch den Hals brechen.“ Sie zog ihre Hände aus dem Trog in dem sie eben noch Brotteig geknetet hatte und fischte in ihrer Schürze nach Münzen.
„Wenn du schon in die Stadt gehen musst, dann kannst du auch etwas sinnvolles machen“, grummelte sie und warf Dara, die ihre Hände so schnell wie möglich aus dem schmutzigen Spülwasser gezogen hatte, ein paar kleine Münzen zu.
„Bring ein wenig Mi’Karr und etwas Gelbwurz mit wenn du wiederkommst.“
Dara fing die Münzen auf und verstaute sie in ihrer Schürze. Dann schnappte sie sich ihren Umhang vom Pfosten neben der Hintertür und schlüpfte nach Draußen. Maddi rief ihr zwar noch etwas hinterher, aber sie konnte es nicht mehr verstehen, weil sie schon ganz von den Gerüchen und Geräuschen der Stadt um sie herum gefangen war. Wie eine Woge schwappte der Lärm der Marktschreier und der Stadtbewohner über ihrem Kopf zusammen und schien alle anderen Klänge um sie herum auszulöschen. Valadara war zwar keine große Stadt, zumindest nicht wenn man sie mit Indimuni, Mannon oder Beriga verglich, trotzdem war Valadara nicht klein und unbedeutend, sonder war der größte Warenumschlagplatz des gesamten Reiches. Am Fuße des Eldrischen Zentralmassivs gelegen, war der Ort wie von selbst aus dem Bodengeschossen, nach dem vor Ewigkeiten ein findiger Händler festgestellt hatte, dass er gar nicht von einem Ende des Kontinents zum Anderen reisen musste um seine Waren zu verhökern. Der Händler Vala Adaram beschloss, seinen Stand am Kreuzungspunkt der drei größten Handelsstraßen des Reiches aufzuschlagen um auf die anderen Händler, die kreuz und quer von einem Markt zum anderen reisten, zu warten, und sie um ihre Waren zu erleichtern. Auf diese Art und Weise hatte Vala Adaram innerhalb kürzester Zeit einen nennenswerten Vorrat an Ölen, Tran, Eispfeffer und Jadestein aus dem Norden aufgekauft, welchen er zu gleichen Teilen im Tausch gegen bare Münze und Kristallsalz und Leder aus dem Osten, wertvolle Hölzer, Vieh, Edelsteine und dunkle Weine aus dem Süden eintauschen konnte. Die verbliebenen und eingetauschten Waren in Verbindung mit klingender Münze nutzte er um exotische Gewürze und Arzneien von den Inseln zu erwerben, die mit den Händlern aus dem Süden kamen und auf den Märkten im Norden und in Bernholm, wie Indimuni zu dieser Zeit noch hieß, einen guten Preis einbringen würden. So kaufte und verkauft Vala Adaram Waren aus allen Teilen des Reiches ohne auch nur einen Schritt zu machen und nach einigen Jahren hatte er so viel seines Wohlstandes in Wein, reichhaltigem Essen und Räucherwerk investiert, dass er seines beträchtlichen Umfanges wegen, auch nicht mehr dazu in der Lage gewesen wäre. Bald folgten auch andere Händler seinem Beispiel und ließen sich an der Kreuzung nieder und bald holten sie ihre Frauen und ihre Haushalte nach um sich dauerhaft dort anzusiedeln. Nach den Frauen und den Dienern kamen die Handwerker und das andere Volk, das dafür sorgt, dass die Wohlhabenden all die Dinge bekamen, ohne die sie nicht mehr leben können. So wuchs der Ort zuerst zu einem Dorf und dann zu einer Stadt. Und da jeder der dorthin ging, oder dort seine Waren bezog sagte, er habe seine Waren bei Vala Adaram gekauft entstand schließlich der Name Valadara der bis heute geblieben war, an dessen Ursprung sich jedoch niemand mehr erinnern konnte.
Dara ging zielstrebig in Richtung des Marktes wo sie nach etwas Feilschen das verlangte Mi’Karr und die Gelbwurzeln kauft die sie in dem Korb, den sie vorsorglich mitgenommen hatte verstaute. Dann beschloss sie, da bis Sonnenuntergang noch etwas Zeit war, noch etwas länger über den Markt zu schlendern und sich umzuschauen. Sie kam ohnehin viel zu selten in die Stadt, ohne dass sie für Maddi etwas besorgen musste. Deswegen hatte sie heute auch kein schlechtes Gewissen sich Zeit zu lassen. Immerhin hatte Issa gesagt, sie solle erst zu Einbruch der Dunkelheit wieder zu Hause sein. Während sie zwischen den Ständen entlang schlenderte und die fremdartigen Dinge, die da feilgeboten wurden bewunderte, hatte sie plötzlich das Gefühl beobachtet zu werden. Als sie jedoch einen Blick über ihre Schulter warf, konnte sie im Gewühl der Menschen nichts entdecken, was ihr sonderlich aufgefallen wäre. Leicht verärgert über sich selbst wandte sie sich wieder dem Stand vor ihr zu und bestaunte die stählernen Klingen die auf dem roten Samt vor ihr lagen. Als sie sich etwas tiefer über die Dolche und Messer beugte, um ein besonders fein gearbeitetes Stück zu bestaunen, bemerkte sie eine schattenhafte Bewegung aus den Augenwinkeln und einen Schatten der über den polierten Stahl vor ihr huschte. Mit einem unterdrückten Schrei richtete sie sich auf und fuhr herum. Eine dicke MeTakk mit einem großen Korb wich erschrocken einen Schritt zurück und blickte Dara unsicher an. Dann hastete sie weiter. Dara blickte sich nervös um, konnte aber wiederum nichts entdecken und trotzdem - sie hatte das Gefühl beobachtet zu werden. Ein Blick in Richtung der Sonne zeigte ihr, dass sie sich sowieso auf den Weg in die Schenke machen musste. Also griff sie ihren Korb und hastete nach Hause. Sie konnte zwar auch weiterhin niemanden entdecken der ihr folgte, doch das Gefühl, dass da jemand war, der sie beobachtete, blieb bis sie die Küchentür hinter sich geschlossen hatte.


Magdar Alluba
Bernholm am 38. Tag des Monats Mannum im Jahre 217 ND

Mein Kaiser,
es schmerzt mich, dass meine jahrzentelange Treue weniger zu gelten scheint, als eine Entscheidung die ich – wie Ihr wisst, allein zum Wohle der Soldaten – gegen Euren Befehl traf. Doch ich beugte mich schweigend eurem Urteil und habe mein Amt, meine Aufgabe und meine Überzeugung Euch zu Füßen gelegt. Heute schreibe ich Euch nicht als Magdar Alluba, Euer oberster Heerführer und militärischer Berater, sondern als Magda Alluba, der einsame, alte Mann, der alleine in seinem riesigen Haus am Rande der Innenstadt sitzt und auf seinen Tod wartet. Eine Sache lässt mir dennoch keine Ruhe und ich hoffe, dass Ehr meine Worte mit Eren Beratern teilt und urteilt ob meine Sorge nur aus der Langeweile, Trauer und Verbitterung entstehen oder ob eine tatsächliche Gefahr für das Reich besteht. Als wir unseren Dienst an der Schneide taten und versuchten das Reich gegen die Angreifer zu verteidigen, konnten wie den Feind niemals auch nur verletzen, geschweige denn zu fassen bekommen. Kein einziges der unzähligen Scharmützel konnten wir zu unseren Gunsten entscheiden. Und doch hat mein Nachfolger bereits in seinem ersten Monat als Heerführer etwas erreicht, was mir und meinen Männern in fünfzehn Jahren nicht gelingen konnte. Ich stelle seine Fähigkeiten mitnichten in Frage, doch mutet mir die Tatsache an sich aufs Äußerste erstaunlich an. Wie ich hörte befindet sich der Gefangen bereits auf dem Weg nach Bernholm wo er von den Beratern des Königs aufs Genaueste befragt werden soll. Ich hoffe für uns alle, dass dieses Vorhaben erfolgreich sein wird. Trotzdem mahne ich zur Vorsicht. Vielleicht ist es wirklich nur die Grille eines alten Mannes, doch etwas mutet mir sehr sonderbar an.


Magdar Alluba, von eigener Hand

Janiz trat aus dem Schatten des Stalles und blickte auf das Schild über der Tür, die in die Schenke führte. Er merkte sich den Namen und machte sich auf den Weg zurück nach Indimuni. Sie war es. Soviel hatte er feststellen können. Und dass sie diejenige war, deren Existenz er seit Jahren vermutet hatte, daran bestand nun kein Zweifel mehr. Zu ähnlich waren die Gesichtszüge, zu scharf ihre Sinne. Kein anderer Mensch hätte ihn bemerken können wenn er es nicht gewollt hätte, und trotzdem hatte sie seine Anwesenheit instinktiv gespürt. Am Stadtrand wandte er sich von der Straße weg und folgte einem unscheinbaren Weg, der geradewegs in das nahe liegende Gehölz führte. Als er am Saum des kleinen Wäldchens angekommen war blieb er stehen und wartete. Irgendwo schrie ein Vogel und im Gebüsch raschelte es. Ein einzelnes Reh, das in der Dämmerung aus dem Wald trat um zu grasen, bemerkte ihn und verschwand mit einem weißen Aufblitzen seines Hinterteils wieder im Dickicht, und Janiz wartet immer noch. Schließlich schüttelte er den Kopf und sprach in den Wald hinein.
„Wie lange soll ich noch hier warten, bis ihr euch endlich zeigen wollt?“
Das Schweigen das seinen Worten folgte wurde vom Knacken dürrer Äste unterbrochen und aus dem Gestrüpp trat ein hagerer Mann, der eine hölzerne Keule in der Hand hielt.
„Was wollt ihr hier?“
Janiz hob die Hände vor sich und meinte:
„Sollte nicht eher ich euch fragen, was IHR wollt? Immerhin wolltet ihr mich ausrauben.“
Ein schiefes Grinsen teilte das Gesicht des Mannes mit dem Knüppel und enthüllte dabei eine Reihe schwarzer Zähne.
„Nun ja, Euer Vorschlag hat etwas für sich.“
Er kratzte sich am Kopf und musterte Janiz, der mit dem Rücken zur nun fast schon untergegangen Sonne stand, und deshalb nur als schwarzer Umriss wahrzunehmen war, von oben bis unten.
„Gerade jetzt haben meine sieben Gefährten ihre Bogen gespannt und ihre Pfeile auf Euch gerichtet. Seid also so nett und legt eure Wertsachen vor Euch auf den Boden.“ Er machte eine Bewegung mit seinem Knüppel und bezeichnete die Stelle auf der Janiz die Gegenstände platzieren sollte. Dieser schaute ihn jedoch nur einen Moment stirnrunzelnd an und machte eine nachlässige Bewegung mit der rechten Hand, woraufhin der Mann seinen Knüppel fallen ließ und seine Augen hervorquollen. Gleichzeitig erklang aus dem Gebüsch zweimal ein kurzes klar vernehmliches Knacken. Janiz ging gemächlich auf ihn zu und begann ihn zu umkreisen.
„Erstens sind da im Gebüsch nur zwei weitere MeTakk versteckt und Zweitens glaube ich nicht, dass ich etwas besitze, das du jemals wieder gebrauchen könntest.“
Der Mann war in der Zwischenzeit auf seine Knie gesunken und fasste sich mit beiden Händen an die Kehle. Winzige Eiskristalle hatten sich auf seinen Brauen und Wimpern gebildet und seine Haut hatte im Dämmerlicht einen bläulichen Schimmer angenommen.
„Indimuni verzeiht…“ stieß er zwischen zwei rasselnden Atemzügen hervor. Janiz hob seine Hand und der Mann viel vornüber. Langsam ließ sich Janiz auf die Knie herunter und packte, ohne die Kälte die von der Haut des Räubers ausging zu beachten, ihn an den Haaren an den Haaren. Mit einem harten Ruck riss er ihn nach hinten und ein kurzes trockenes Knacken war zu vernehmen. Dann ließ er den Kopf wieder los, wischte sich angewidert seine Hände an seiner Hose ab und richtete sich auf. ER rief ein Wort in einer abgehackt klingenden Sprache und die Schatten am Waldesrand schienen sich zusammenzuziehen und auf die Leiche zuzufließen. Als die wabernde Dunkelheit den Toten erreicht hatte, begann dieser wie unter Krämpfen zu zucken. Und plötzlich lag er wieder still. Janiz verzog die Lippen und entfernte sich ein paar Schritte. Er zog einen Bogen Papier aus der Innentasche seiner Weste und tippte mit der Kante nachdenklich gegen seine Unterlippe. So stand er einen Moment da und schien zu warten. Schließlich ließ er das Papier sinken und wandte sich wieder der Leiche des Räubers zu.
„Steh auf, es gibt etwas zu tun…“ forderte er den Körper auf und verlieh Worten mit seiner Stiefelspitze Nachdruck. Langsam richtete sich der Tote auf und während er torkelnd auf die Beine kam, veränderten sich seine Gesichtszüge. Die Falten glätteten sich und die gebrochenen Augen nahmen wieder Glanz an. Die Wangen bekamen wieder Farbe und mit jedem Schritt den der Tote tat, wirkte er kraftvoller und sicherer. Bei den beiden Gestalten die jetzt aus dem Dickicht traten hatte sich die Verwandlung ebenfalls vollzogen und als sie schließlich vor Janiz standen, nickte dieser zufrieden.
„Bringt diesen Brief zu Issa Adumani. Ihm gehört die Schenke hinter dem Marktplatz.“
Er reichte den Brief an den Räuber der die Keule getragen hatte und der steckte ihn gehorsam in eine Tasche seiner Hose.
„Er wird euch etwas geben, was ich haben will. Bringt es mir nach Indimuni und ich warne euch. Wehe es geht kaputt…“
Die drei Wegelagerer nickten und verschwanden in Richtung Valadara. Janiz starrte ihnen kurz nach und trat anschließend in den Schatten des Gehölzes und verschmolz mit der Dunkelheit. Als wenig später das Reh wieder aus dem Dickicht spähte, konnte es nichts Ungewöhnliches oder Beunruhigendes erkennen und begann zu grasen.


Aus einem Manuskript des Ascravius, (Alter unbekannt, aber vermutlich aus dem 1. Jahrhundert AD)

„… könnte man unsere Welt aus großer Höhe betrachten, würde man erkennen, dass die vorherrschende Farbe ein tiefes, dunkles Blau ist. In diesem Blau eingebettet, liegen Flecken von Braun, Grau und Grün. Auch Rot und Weiß sind vorhanden, doch längst nicht in dem Ausmaß wie die anderen Farbtöne. Das Blau sind die Meere, die den größten Teil unserer Welt bedecken und die verschiedenen Länder und Völker von einander trennen. Die Braunen und andersfarbigen Bereiche sind die Inseln und Kontinente auf denen die Menschen unserer Welt ihre Heimat gefunden habe. Im Zentrum liegt die Landmasse die wir den Zentralkontinent nennen, jener Kontinent auf dem unser eigenes Volk leben. Im Norden verändert sich die Farbe unseres Landes von Braun und Grün zu Weiß und Grau. Dort im Norden beginnt der nördliche Eisgürtel und an seinem Rand lebt, das Volk der Kjell, über die ich schon in früheren Aufzeichnungen berichtet habe. Im Süden hingegen grenzt, getrennt durch einen mehrere hundert Meilen breiten Streifen See, der südliche Kontinent an den unseren. Dort befinden sich ausgedehnte Wüsten und tiefe Wälder aus denen schroffe Berge ragen. Dort lebt ein Volk von einer Hautfarbe die dunkler ist als die unsere. Vielleicht liegt dies daran, dass die Sonne im Süden häufiger am Himmel zu stehen scheint und kräftiger auf das Land und seine Bewohner leuchtet. Ein weiterer Unterschied im Aussehen sind die mandelförmigen meist schwarzen Augen die bei dieser Rasse vorherrschen. Doch trotz aller körperlicher Unterschiede, ist doch die Art ihrer Gesellschaft die größte Seltsamkeit, die unsere beiden Völker trennt. Ihr Staatssystem ist zwar wie bei uns ein Kaiserreich, doch wird die Herrscherlinie nicht durch den erstgeborenen Sohn, sondern die letztgeborene Tochter weitergeführt. Die älteren Geschwister werden während ihrer Thronbesteigung zu ihren Sklaven und legen alle ihre Titel und Ämter ab, nur um sofort wieder in sie eingesetzt zu werden. Ich vermute, dass dies ein rein symbolischer Akt ist, da mir nicht bekannt ist, dass jemals einer dieser Sklaven bestraft worden wäre. Diese Sklaven der Kaiserin,, oder wie die Bewohner jenes Landes sie nennen, der Hohen Frau, werden allgemein Imperii genannt. Das Reich selbst nennen sie das Imperium der Sonne...“

Sonnenstrahlen fielen durch das Fensterglas, und ließen den Staub, der in Flocken durch die kalte Luft wirbelte klar und deutlich sichtbar werden. Egal wie sehr sich die Bediensteten des Palasts der Lichter auch versuchten ihn zu beseitigen, immer schwebten die Flocken durch die Luft. Funkelnden Punkten gleich taumelten sie sich windend und von jeglichen Mächten unbeherrscht, durch die Korridoren, Wohnungen und Kammern, landeten auf Tischen, Betten, Kaminen und sogar auf den schlafenden Bewohnern des Palastes, und überzogen alles was sie berührten mit einem grauen, pelzigen Mantel. Es sollte ein kalter, klarer Morgen werden und der heranbrechende Tag schien sein Bestes zu geben um so frostig wie die vorangegangene Nacht zu werden. Eldarius schlurfte langsam durch die in sich verschlungenen Korridore auf die Räume der Kaiserin zu, die nun jeden Tag ihr Kind gebären sollte. Er schüttelte seinen Kopf und murmelte Flüche und Beschimpfungen vor sich hin. Er konnte – und wollte – den Standpunkt der Frau nicht verstehen. Was war der Grund um jedes zweite oder dritte Jahr schwanger zu werden und die Strapazen die dieser Zustand mit sich brachte auf sich zu nehmen. Nein, er konnte die Hohe Frau Medara nicht verstehen. Es gab doch schon eine Thronerbin und je mehr Geschwister sie bekam desto schwieriger würde ihre Regentschaft werden. Vor allem wenn das nächste Kind ein Mädchen sein würde. Natürlich könnte es, in dem Fall, dass es einmal keine Erbin geben sollte, unangenehm werden, dachte er. In so einer Situation würde der Titel der Kaiserin, der Imperialen Sonne, der Hüterin des Lichts, der Bewahrerin des Morgenrots, und wie die Titel alle lauteten, an die jüngste weibliche Verwandte übergehen. Eldarius schüttelte den Kopf, denn so eine Situation musste zwangsläufig die eine oder andere Schwierigkeit mit sich bringen. Wer konnte schon beweisen welches Mädchen fünf Minuten früher zur Welt gekommen war? Gerade dann, wenn sie von den entgegengesetzten Enden des Kontinents kamen… Immer noch lautlos grummelnd und fluchend erreichte er schließlich die schwere, Eichenpforte die zu den Räumen der Kaiserin führten. Als er sie öffnete fand er, neben der Herrin selbst, nur Prinzessin Dialah, die einzige Tochter, die dem Haus der Sonne geboren worden war –im Moment zumindest, fügte er in Gedanken hinzu - vor. Mit einem kurzen Nicken in ihre Richtung, wandte er sich der Herrin zu, deren immenser, angeschwollener Bauch sich deutlich unter den seidenen Laken ihres Bettes abzeichnete. Mit einem vagen Lächeln bedeutete sie ihm näher zu kommen und nahm seine Hand in ihre. Ihre Haut war kühl, fast kalt, aber er macht sich keine Sorgen, das war bei jeder vorangegangenen Schwangerschaft genauso gewesen und so lächelte er sie strahlend an.
„Nun, nun“, sprach er, „meiner Herrin scheint es gut zu gehen. Ihr scheint eure Sache sehr gut zu machen.“
Ein leises Kichern klang an sein Ohr und als er sich umdrehte, sah er Prinzessin Dialah, die sich gerade mit allerlei Grimassen dagegen wehrte in lautes Gelächter auszubrechen. Erstaunt, die Frage andeutend zog er eine seiner buschigen Augenbrauen nach oben. Dialah brachte ihre entgleisten Gesichtszüge schließlich unter Kontrolle und wandte sich dem Mann zu.
„Ich vermute, dass ihr für diese Sache natürlich besser geeignet wärt, stimmt’s nicht?“
Und nach einem strengen Blick ihrer Mutter fügte sie schuldbewußt noch das obligatorische „Ehrwürdiger“ hinzu. Eldarius verzog keine Miene sonder schenkte ihr, das was er für sein strahlendstes Lächeln hielt.
„Würde ich diese Arbeit erledigen, meine Liebe“, meinte er in einem etwas näselndem Tonfall, mit dem er möglicherweise die allzeit bemühten, allzeit höflichen und mit Hingabe kratzbuckelnden Lakaien zu imitieren schien, die der Kaiserin jeden Wunsch von den Augen abzulesen versuchten, „würde niemand sie besser machen, nicht einmal eine Frau und schon gar nicht deine Mutter.“
„Also denkt ihr tatsächlich, dass der Mann auch in diesem Bereich besser ist als die Frau. Ihr meint, dass es die Aufgabe, nein, eher das Recht des Mannes sei Kinder zu bekommen?“
Eldarius nickte.
„Dann wünsche ich euch viel Freude mit den Nebenwirkungen. Monatliche Schmerzen, den Ärger mit dem Stillen, die Schmerzen im Rücken und den ganzen Rest. Vielleicht finden die Männer auch einen Weg die ganze Sache ohne die Frauen zu erledigen, das wäre doch was. Stellt euch nur vor das ganze lästige, schmutzige Herumgezappel und die vielen akrobatischen Verrenkungen die einer Schwangerschaft voraus gehen würden ganz wegfallen, wäre das nicht wünschenswert? Für Männer in einem gewissen Alter müsste es doch eine Wohltat sein zu wissen, dass sie auf das ganze anstrengende Getue verzichten könnten.“
Und nach einer kurzen Pause fügte sie noch hinzu: „Ehrwürdiger.“
Eldarius stand wie vom Donner gerührt da und starrte sie an.
„Zumindest hat sie irgendetwas in Darul gelernt“, kam die Stimme der Hohen Frau Medara leise unter den Laken hervor, bevor die Schwangere in schallendes Gelächter ausbrach, welches ihren Bauch bedrohlich auf und ab hüpfen ließ. Und als Eldarius den unschuldigen Ausdruck in Dialah’s Augen sah musste auch er grinsen und begann auch zu lachen. Dialah stürzte um das Bett herum und flog in die ausgebreiteten Arme des alten Mannes und Eldarius umarmte sie heftig.
„Du bist zurück“, flüsterte er in ihr Ohr, „Endlich bist du zurück.“
„Und nun bleibe ich auch eine gewisse Zeit um dir auf die Nerven zu gehen. Ich werde dich nie mehr verlassen, Vater.“
Ihr Wiedersehen war jedoch nur von kurzer Dauer, denn die Hohe Frau keuchte plötzlich erschrocken. Als sich Dialah und Eldarius ihr zuwandten, schüttelte sie ihren Kopf. Mit erstickter Stimme schickte sie Eldarius aus dem Zimmer. Dieser wollte protestieren, wurde aber sofort von seiner Tochter unterbrochen.
„Beweg deine Beine und schick Assta her“, befahl sie ihm mit herrischem Ton. Eldarius plusterte sich auf und wurde, bevor er überhaupt ein Wort herausbrachte wieder unterbrochen, diesmal jedoch von der Hohen Frau.
„Ich würde tun was dir Dialah aufgetragen hat, alter Mann. Oder haben sich deine Forschungen mittlerweile auf die Angelegenheiten des Kindbetts ausgeweitet?“
Eldarius erbleichte und trat so schnell er nur konnte den Rückzug an, wobei er stammelte, dass er sofort nach Assta schicken würde. Dann war er verschwunden und die beiden Frauen blickten auf die geschlossene Zimmertür. Medara seufzte und fragt:
„Findest du es nicht ein wenig seltsam, dass die Männer zwar ihren größten Spaß an der Verursachung von dicken Bäuchen und brüllenden Säuglingen haben, sich aber aus der ganzen Angelegenheit, die zwischen der Empfängnis und dem Zeitpunkt, wenn die Kinder alt genug sind in die Ausbildung zu gehen, völlig heraushalten?“
Dialah schnaubte abfällig.
„Wahrscheinlich sind sie der Meinung, dass sie schon im Bett genügend Schwerstarbeit geleistet haben, dass sie sich erst ein Jahrzehnt später um ihre Kinder kümmern müssen.“
Die Hohe Herrin starrte nachdenklich an die Zimmerdecke.
„Weißt du was“, begann sie schließlich, „wenn ich daran zurückdenke, WIE sich Eldarius vor neun Monaten dabei anstrenge musste, vermute ich tatsächlich, dass du recht hast…“
Dialah wirkte nur eine Sekunde schockiert bevor beide Frauen in Gelächter ausbrachen.


Aus einem Manuskript des Ascravius, (Alter unbekannt, aber vermutlich aus dem 1. Jahrhundert AD)

„…so seltsam uns ihre Kultur jedoch auch scheinen mag, so haben sie was die Kriegsführung und die Wissenschaften betrifft, die unsere bei weitem überholt. Ihre expansive und schnelle Kriegsführung hat ihnen in der Zwischenzeit den gesamten Südkontinent und die Archipele im Westen eingebracht. Die Hohe Frau – ihre Kaiserin – scheint mit eiserner Hand zu regieren und trotzdem von all ihren Untertanen geliebt zu werden. Meine Besuche in diesem Land und meine Gespräche mit seinen Bewohnern, brachten kein einziges abfälliges oder wütendes Wort über ihre Herrin zu tage. Im Gegenteil, wann immer ich ihren Namen erwähnte, schienen die Menschen mit denen ich sprach von einer tiefen Liebe erfüllt zu werden, die sich auch in ihrem Gesicht spiegelte. Ich finde das sehr bemerkenswert und werde zu einem späteren Zeitpunkt sicher noch einmal auf diese Tatsache zurückkommen und meine Gedanken darüber zu Papier bringen. Ein weiterer interessanter Punkt in der Kultur dieses Landes, ist das Heerwesen. Das Militär ist voll und ganz auf Vererbung ausgerichtet. Wie in einer eigenen Kaste, bleiben die Soldaten und Offiziere unter sich und lassen nur Kinder in ihre Reihen, damit sie zu Kämpfern und Pagen ausgebildet werden. Das Absonderlichste jedoch ist die Tatsache, dass in den Imperialen Streitkräften Männer und Frauen absolut gleichberechtigt sind. Ein Soldat erzählte mir, dass der letzte Heerführer eine Frau gewesen sein soll. Ihr Name war Haami Gasspat und nach ihrem Tod war sie im Auftrag der Kaiserin in der Gruft des Palastes bestattet worden. Eine gewaltige Ehre, da die Kaiserin sie durch diesen Akt zu einem Mitglied der imperialen Familie machte…“


Das Wetter hatte innerhalb weniger Minuten umgeschlagen. Wo eben noch Sonne war, spannte sich nun ein grauer, wolkenverhangener Himmel uber das Land das zu Füßen der mächtigen Mauern des Palastes lag, und kündete jedem vom nahenden Regen. In dem Moment als die Sonne hinter den Wolkenschleiern verschwunden war, begann die Kälte, wütend an Eldarius’s Knochen zu nagen und er wusste, die Schmerzen in seinen gichtigen Fingern und rheumatischen Beinen würde noch zunehmen, sollte die Sonne nicht wieder auftauchen. Ächzend erhob er sich und schloss das Buch das aufgeschlagen vor ihm auf seinem Schreibtisch lag. Er schlurfte zum Kamin, in dem bereits ein fröhlich vor sich hin flackerndes Feuer brannte. Er starrte in die tanzenden Flammen und seufzte wohlig, als die Wärme des Feuers seine alten Knochen verwöhnte und zumindest ansatzweise die Kälte aus ihnen vertreiben zu schienen. Das war ein Tag gewesen, dachte er sich im Stillen. Der neugeborene Prinz lag nun gestillt an der Brust seiner Mutter und es war ihm gleich, im Moment zumindest, dass die Frau die ihm das Leben geschenkt hatte die Hohe Frau Medara war oder eine billige Dorfschlampe, die ihren Körper für ein Kupferstück an den Erstbesten verkaufte der des Weges kam. Die Hohe Frau schlief den tiefen Schlaf einer jeden Frau die weiß, dass sie großes vollbracht hat indem sie einem neuen Menschen das Leben geschenkt hat. Er musste lächeln, als er an den Anblick des gerade erst geborenen Prinzen dachte; an den erbosten Blick in den kleinen blauen Augen und den wütenden Schrei über die Ungerechtigkeit dem warmen, weichen Bett, in dem er neun Monate vor sich hin geschlafen hatte, entrissen worden zu sein. Es gab keinen Zweifel, dass der Neugeborene ein glückliches leben führen würde. Sogar die Engel hatten ihn begrüßt und willkommen geheißen. Er sah noch jetzt das Kind vor sich, den großen, schimmernden Gestalten die über der Bettstatt der Hohen Herrin schwebten, zuwinken und glucksende Freudenlaute ausstoßen. Eldarius wandte sich lächelnd vom Feuer ab und durchquerte den Raum. Es war bald an der Zeit, dass sein Sohn seinen Namen erhielt.

Aus einem Manuskript des Ascravius, (Alter unbekannt, aber vermutlich aus dem 1. Jahrhundert AD)

„… eine weiter Tatsache die unsere beiden Völker unterscheidet ist der Umgang den die einzelnen Bevölkerungsschichten miteinander pflegen. Formalitäten und Umgangsformen werden bei offiziellen Anlässen zwar großgeschrieben – ich möchte hier nur am Rande darauf hinweisen, dass der Briefverkehr der zwischen dem Imperium der Sonne und unserem Kaiserreich besteht, zu einem Großteil nur aus Worthülsen und ausschmückenden Floskeln, ohne rechten Inhalt besteht. Formulierungen wie, <das leuchtende Antlitz der Sonne möge euren Ländereien und euren Untertanen eine gesegnete und reiche Ernte bescheren, auf dass, der Reichtum und die Lieblichkeit des Landes, das unter eurer weisen Führung liegt…> sind für unser Verständnis von Höflichkeit ein wenig zu übertrieben…Trotzdem, obwohl die Menschen diese Reiches auf Förmlichkeiten und Höflichkeiten großen Wert legen, so finden diese Tugenden im häuslichen oder informellen Rahmen keine Anwendung. Dort herrschen Sprache und Umgangsformen wie sie hierzulande nur unter Knechten und Bauern gebraucht werden. Selbst in der kaiserlichen Familie werden Schimpfworte und Beleidigungen gebraucht und sobald der offizielle Anlass beendet ist, werden sogar hohe Würdenträger und Botschafter – zumindest was ihre Sprache betrifft – zu wahren Barbaren…“


„Du bist ein närrischer alter Ziegenbock!“
„Und du solltest lernen dich zu benehmen, junger Mann!“
„Warum sollte ich? Ich bin immerhin schon fast siebzehn!“
„Fast siebzehn! Na das ist ja toll. Er ist fast siebzehn. Hat’s jeder gehört? Er ist fast siebzehn!“
Leises Gelächter war im Raum zu hören, als einige der älteren Männer in ihre Bierkrüge oder Weinbecher prusteten. Zand starrte in das gerötete Gesicht von Hamil, den Obersten Wächter des Palasts der Lichter und ballte wütend die Fäuste.
„Ich habe mindestens so hart wie die anderen Männer gearbeitet“, fuhr er ihn an, „warum soll ich dann auch kein Bier wie die anderen bekommen?“
„Weil“, seufzte Hamil, „du ein Junge bist, und Jungen dürfen kein Bier trinken, es ist dir noch nicht erlaubt bei den Männern zu sitzen. Du kennst die Regeln genauso gut wie ich.“ Er blickte den Knaben von oben bis unten an.
„Nein“, verbesserte er sich selbst, „wahrscheinlich kennst du sie mittlerweile besser als ich, sooft wie du sie brichst, beugst oder einfach ignorierst, das kann nicht nur zufällig passieren.“ Aus dem Raum war erneut Gelächter zu hören und Zand fühlte wie sein Gesicht heiß wurde.
„Aber ich,...“
„Komm mir nicht schon wieder mit ABER, oder ich werde wirklich sauer. Und auch wenn du siebzehn bist, du bist noch kein Mann!“
„Als Prinz des Imperiums der Sonne BEFEHLE ich dir mich einen Krug Bier trinken zu lassen“, brüllte Zand und bereute das Gesagte in dem Moment in dem die Worte seine Lippen verlassen hatten. Jegliches Geräusch im Raum verstummte schlagartig und Hamil’s Gesicht verlor jede Farbe. Er presste die Lippen so fest zusammen, dass sie wie blutleere Striche in seinem Gesicht wirkten.
„Du wagst es?“ zischte er mit mühsam unterdrückter Wut, als er sich näher zu Zand beugte, „Du kleiner,... ich sag dir was. Du gehst da rüber und holst dir deinen Humpen Bier und ich werde dir den prinzlichen Arsch versohlen, dass du ihn den Rest deines Lebens nicht mehr in der bisher gewohnten Art und Weise gebrauchen kannst. Haben wir uns verstanden?“
Während dieser Rede war das Schweigen lautem Gelächter gewichen und Zand starrte den Obersten Wächter mit einer Mischung aus Panik, Angst und Wut an, die sich deutlich auf seinem jugendlichen Gesicht spiegelten. Dann, plötzlich schien er etwas hinter Hamil zu bemerken, sein Gesichtsausdruck veränderte sich zu Erstaunen und Freude, er nickte, drehte sich um und verschwand so schnell ihn seine Beine tragen konnten aus der Wachstube. Allerdings nicht ohne dem alten Wächter noch einen wütenden Blick zuzuwerfen.
„Immer noch Ärger mit den Kindern, Hamil? Es scheint du hast dich nicht zu deinem Vorteil verändert, zumindest was die Figur betrifft“, flüsterte eine lachende Stimme in Hamil’s Ohr. Mit den geübten Reflexen eines erfahrenen Kämpfers fuhr er herum, packte den Neuankömmling an der Schulter und riss ihn herum. Solcher Art festgenagelt blickte Dialah ihn lachend an und meinte:
„Genauso wie immer.“
„Du aber auch“, grummelte Hamil, „schleichst dich immer noch von hinten an mich ran.“
„Bist du so alt geworden, dass du Angst hast tot zusammen zu brechen wenn ich mich von hinten anschleiche?“
Mehrere Männer lachten lauthals los, verstummten aber als Hamil ihnen einen Blick zuwarf, der für jeden der auf den Gedanken kommen sollte, dass er das Gehörte lustig fand, mehrere äußerst unangenehme Zukunftsplanungen beinhaltete.
„Ich hätte dich töten können, aus reiner Gewohnheit.“
„Hast du aber nicht.“ Kam die Antwort. „Ich hoffe, das ist kein Zeichen von Schwäche den einen schwachen Obersten Wächter könne wir hier nicht brauchen. Aber ich muss zugeben, dass du wirklich an Gewicht und Alter zulegst, jetzt wo ich dein Gesicht aus dieser Nähe sehen kann. Hoffentlich ist es mit deiner Weisheit genauso.“
„Hör sofort auf damit mich zu veralbern, das funktioniert bei mir nicht junge Dame“, meinte Hamil grinsend, sie hatte sich überhaupt nicht verändert, „ich halte dich immer noch in meinem stahlharten Griff gefangen.“
Dialah’s Grinsen wurde noch breiter, sie vollführte eine blitzschnelle Bewegung mit der Rechten, brachte das linke Knie hoch und drehte sich - die Linke gleichzeitig anziehend - um die eigene Achse. Hamil war gezwungen sie loszulassen und musste sich aufgrund der Geschwindigkeit mit der Dialah die Bewegungen gemacht hatte, ebenfalls um die eigene Achse drehen und verlor, als die Prinzessin ihm freundschaftlich auf den Rücken klopfte endgültig die Balance. Hamil schlug lang hin und blieb bewegungslos auf dem Boden liegen bis sich das Gelächter gelegt hatte. Dialah ging in die Knie und half ihm aufzustehen, während er sie ausgiebig beschimpfte.
„Hör auf, Hamil, du verdirbst unsere Prinzessin noch mit deiner Gossensprache“, riefen ihm mehrere Männer zu.
„Keine Angst, das meiste hab ich von IHR gelernt“, schimpfte Hamil zurück, was eine weitere Woge von Gelächter hervorrief. Als er stand und das Mädchen anblickte, grinste Dialah immer noch bis über beide Ohren.
„Du warst ein guter Lehrer, Meister Hamil.“
„Ich hab dir gar nichts beigebracht“, schnappte er, „du hast spioniert.“
„Nichts desto trotz habe ich von dir den einen oder anderen Trick gelernt. Du warst wirklich ein guter Lehrer, vor allem was die Lektionen die du gemeinsam mit der Bäckerin...“
„Ich weiß gar nicht was du damit meinst“, unterbrach sie der Oberste Wächter eine Spur zu schnell, „sie wollte nur,... ich meine, ... also...“
Er ließ den Satz unvollendet, als das Grinsen auf Dialah’s Gesicht wieder breiter wurde.
„Du kleine Bestie, du hattest keine Ahnung!“
Sie blickte ihn unschuldig an, die blauen Augen weit aufgerissen, so als würde sie jeden Moment die fürchterliche Strafe erwarten. Hamil verdrehte die Augen.
„Bei den Göttern, guter Lehrer,...“ brummelte er, „ der Albtraum eines jeden Lehrers und die größte Sehnsucht jedes Meisters ist wahr geworden – ein Schüler hat nicht nur Stroh zwischen den Ohren, sondern ein Gehirn. Und mehr noch, er hat etwas von mir, seinem Lehrer, gelernt…“ Er schloss verträumt die Augen und starrte mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen in die Luft. Dann drehte er sich um und nahm sie in die starken Arme.
„Du würdest es mir nicht glauben wenn ich dir sagen würde, dass ich dich wahnsinnig vermisst habe, oder?“ fragte er.
Dialah lachte laut auf.
„Sicher würde ich dir Glauben“, kicherte sie in sein Ohr, „jeder vermisst den einzigen Gegner der ihm ebenbürtig ist.“
„Ha!“


Haami Gasspat, Oberste Heerführerin der Imperialen Legionen an die Hohe Frau Medara, Hüterin des Lichtes, Bewahrerin des Morgenrots und Imperiale Sonne, am 13. Tag des Monats Arugal im Jahre 1602 ND

Hohe Frau,
vergebt wenn ich ohne Umschweife anspreche, was mir auf dem Herzen liegt, und mich nicht mit den gebotenen Förmlichkeiten aufhalte. Immer habt Ihr mich mehr als Frau und Freundin behandelt, und nicht, wie es meinem Stand gebührt, als Dienerin des Imperiums und als Werkzeug in Eurer Hand. Aus diesem Grund vertraue ich auch darauf, dass Ihr mir nachsehen werdet und diesen Brief nach dem Lesen anderen Augen unzugänglich machen werdet.

Herrin, in den nördlichen Provinzen an der Küste machen sich Gerüchte über Fremde breit, die nicht aus dem imperialen Volk zu kommen scheinen. Sie sind von hellerer Haut und kräftigerer Statur als unser Volk es ist. Sie kommen in kleinen Gruppen in die Dörfer und verschwinden so urplötzlich wie sie aufgetaucht sind. Ich kann nicht sagen woher sie genau kommen, oder wer sie sind, doch mehrere Fischer beschwören auf Euren Namen, dass sie in schlanken Schiffen über das Meer kommen. Die Existenz des Landes nördlich des Meeres ist uns allen nicht fremd, doch nur selten fanden einzelne Schiffe und Personen den Weg an unsere Küsten. Wie Euch in Eurer Weisheit bekannt ist, stellen die Brudermörder-Klippen ein zu großes Hindernis auf dem Seeweg dar um einen stabilen Handelspakt mit den Bewohnern des Reiches, welches sich Indimuni nennt, zu schaffen. Warum also sollten plötzlich mehrere Schiffe von dorther kommen und an unseren Küsten halten? Bisher schien es erwiesen zu sein, dass der Seeweg nur den Mirioi’th’Kalee – den Seeleuten – zugänglich zu sein. Sollten etwa die Fremden einen Weg durch Brudermörder’s-Klippen gefunden haben, den unsere Flotte trotz ihrer langen, verlustreichen Bemühungen nicht entdecken konnte? Und warum kommen sie heimlich, und in kleinen Gruppen in unser Land, nur um nach kurzer Zeit wieder abzusegeln? Wüsste ich es nicht besser, würde ich Euch vor einem geplanten Invasionsversuch warnen, doch scheinen mir selbst diese Barbaren vom nördlichen Kontinent nicht dumm genug, uns angreifen zu wollen. Was mir jedoch weitaus mehr Sorgen bereitet, als diese Mögliche Gefahr aus dem Norden, ist die Gefahr die Eurem Imperium von Innen heraus droht. Die Generäle sind unruhig und die Neuigkeiten über die Fremden an unseren Küsten hat diese Situation noch verschlimmert. Einige sprechen sogar offen darüber, die Legionen der Sonne über das Meer zu senden und das Land Indimuni zu einem Teil des Imperiums der Sonne zu machen. Auch scheint es, dass Dabar durch seinen neuen Leermeister seltsame, - oder besser – für einen Prinzen des Imperiums, unschickliche Ansichten entwickelt. So hat er seinen Unterricht bei seinem alten Lehrer völlig eingestellt und widmet sich dem Studium alter Texte. Das allein mag meine Befürchtungen noch nicht bestätigen, doch schien der Prinz hinter Eurem und meinem Rücken die Ansichten der erwähnten Generäle gutzuheißen, sogar zu fördern.

Hohe Frau,
Ich werde Euch Bericht erstatten sobald sich mein Verdacht erhärtet, dass man etwas plant, das sich gegen das Wohl des Imperiums und Eurer Familie richten wird. Sollte er sich bewahrheiten, werde ich in Eurem Namen die notwendigen Schritte einleiten.

Eure Euch liebende
Haami Gasspat, von eigener Hand

P.S. Ich beglückwünsche Euch zu Eurer Schwangerschaft und bete für Eure Gesundheit und die Eures Kindes. H.G.


Die wiedergekehrte Kälte hinderte Dialah in keinster Weise daran durch das Labyrinth aus Hallen, Treppenfluchten, Gewölben und Gängen, aus denen der Palast der Lichter bestand, zu streifen. Das kaiserliche Schloss war über die Jahrhunderte gewachsen, als jede Hohe Frau einige Gebäude hinzufügten, da und dort einen Raum veränderten und diese und jenes gemacht hatte, so dass Der Palast der Lichter heute von außen an einen überdimensionalen Tintenfisch erinnert, der auf den felsigen Hügelkuppen über der Bucht von Dallad ruhte. Als Zentrum und Hauptstadt des Imperiums der Sonne hatte er natürlich auch spezielle Gänge, Alleen und Straßenzüge die nur zu offiziellen Anlässen genutzt wurden, aber auch andere, gewöhnliche, die, davon abhängig wie oft, oder von wem sie benutzt wurden, entweder breit und sauber, oder eng und staubig waren. Dialah bevorzugte auf ihren Streifzügen durch das elterliche Schloss zweifelsohne letztere. In diesen Gängen schienen immer geschäftige Menschen zu sein, schwatzend, eilend wie die Bienen in einem Bienenstock. Da waren Putzfrauen, Stubenmädchen, Köche, Bäcker, Schneider, Pagen, Wächter und ... die Anderen. Dialah runzelte die Stirn, sie hatte nie herausgefunden wer oder was die Anderen waren, oder woher sie gekommen waren. Aber sie waren ohne Zweifel hier. Sie konnte ja nicht einmal beschreiben was es war, das sie von all den Menschen in Der Feste unterschied. Aber da war etwas in ihren Bewegungen und im Blick ihrer Augen, das Dialah kalte Schauer über den Rücken jagte und sie frösteln ließ. Als sie einmal ihren Vater gefragt hatte, tat er es als das normale Fragen und Geistersehen, hervorgerufen durch ihre überschäumende Phantasie, seiner Tochter ab.
„Solche Dinge gibt es in der Feste nicht, Liebes“, pflegte er in solch einem Fall zu sagen und beendete damit die Diskussion.
Aber jetzt, als Dialah nach langer Zeit wieder durch die Gänge der Feste ging schien es ihr, als wären da sogar mehr von den Anderen als früher. Sie wunderte sich darüber und fragte sich warum das wohl so war, aber bevor sie in der Lage war den Gedanken zu einem Ende zu spinnen fand sie sich vor der Tür, die in die Gemächer ihres ältesten Bruders führte, wieder. Sie beschloss ihn zu überraschen, er wusste ja noch nicht dass sie wieder zuhause war, öffnete die Tür und betrat den dunklen Raum dahinter. Dunkle Farben dominierten die Einrichtung. Kissen waren auf den Diwanen verstreut, da brannte in fröhliches Feuer im Kamin. Aber irgendetwas stimmte hier nicht. Die Tür am anderen Ende des Raumes öffnete sich und ihr ältester Bruder stürmte heraus. Als er bemerkte, dass sich noch jemand im Raum befand, blieb er stehen und wandte seinen Kopf in ihre Richtung.
„Wer ist es denn nun schon wieder? Habe ich denn nicht angeordnet, dass ich nicht gestört werden möchte?“
„Ich bitte tausendmal um Vergebung euch eure kostbare Zeit zu stehlen , hoher Herr, aber da wartet eine bezaubernde Dame vor eurer Tür, die den Wunsch hat euch zu sehen“, sagte Dialah mit verstellter Stimme, die den unterwürfigen Tonfall eines Dienstboten perfekt wiedergab. Ihr Bruder runzelte die Stirn und kam langsam näher.
„Eine bezaubernde Dame?“ fragte er.
„Ist es nicht ein Bisschen früh für sie? Jetzt schon hier aufzutauchen“, fuhr er zu sich selbst sprechend fort. Dann wandte er den Kopf erneut in Dialah’s Richtung und starrte sie an. Es war wie immer wenn sie den blinden Blick ihres Bruder auf sich ruhen sah und in seine trüben, milchigen Augen blickte, sie war sich nicht ganz sicher, dass er sie tatsächlich nicht sehen konnte.
„Dabar, ich bin es“, rief sie ihn in ihrer normalen Stimme an, „es hatte ein Scherz sein sollen, ich wusste ja nicht, dass du noch Besuch erwartest.“
Er schüttelte den Kopf und lächelte.
„Jetzt wo ich darüber nachdenke, konnte es eigentlich niemand anders als du sein, obwohl ich sagen muss, dass mich diese schleimende Stimme ziemlich verwirrt hat.“
Er drehte sich um und bedeutete ihr zu folgen. Als er sie in sein Arbeitszimmer führte, bemerkte die junge Frau die eine oder andere Veränderung in den perfekt gereinigten Räumen ihres Bruders. Kleine Gegenstände standen auf anderen Tischen, Bücher waren in anderen Regalen als sie sich erinnerte und viele andere Kleinigkeiten die anders waren, die sie aber nicht beim Namen nennen konnte. Die Sache die sie jedoch am meisten verwunderte war, dass ihr Bruder nicht allein war. Der hochgewachsene Mann erhob sich als sie den Raum betraten. Dabar deutete unbestimmt in seine Richtung.
„Das ist mein ... Lehrer, ja, ich denke, dass dieser Titel gut passt. Sein Name ist Oricussa. Das ist meine Schwester Dialah.“
Er stellte sie vor und ging zu einem der Tische auf denen unzählige aufgeschlagenen Bücher und Karten lagen. Dialah versucht ihm zu folgen, aber ohne gesehen zu haben, dass er sich bewegt hätte, stand Oricussa plötzlich vor ihr und nahm mit einem Lächeln ihre Hand.
„Es erfreut mein altes Herz eine Dame eurer unvergleichlichen Schönheit kennenlernen zu dürfen“, sagte er in einer leisen, fast flüsternden Stimme, beugte sich nach unten und berührte mit seinen Lippen flüchtig ihren Handrücken. Sein Kopf war kahl und die Haut eingefallen und gelblich. Ein Gefühl des Ekels würgte Dialah im Hals als er sich wieder aufrichtete und ihre Hand losließ, am liebsten wäre sie sofort in eines der Bäder gegangen und hätte sich die Hand geschrubbt. Oricussa schien recht alt zu sein, strahlte aber nichts desto weniger Stärke und eine kühle Distanz aus. Das Lächeln auf seinen Lippen erreichte seine dunklen Augen nicht.
„Wie war doch gleich noch mal euer Name, meine Teuerste? Ich habe ein äußerst schlechtes Namensgedächtnis, das Alter, ihr versteht“, erkundigte er sich nach einem Augenblick.
„Dialah“, antwortete sie, all ihre Kraft zusammennehmend, sie wollte weg von diesem widerlichen Kerl, fuhr jedoch, um eine leichte Konversation bemüht fort, „ und was bringt ihr meinem Bruder bei?“
„Das Lesen“, erwiderte Oricussa lächelnd, “nur das Lesen.“
Dialah starrte ihn verblüfft an.
„Ihr beliebt zu scherzen!“
Oricussa lächelte noch breiter und entblößt eine Reihe spitzer Zähne.
„Wie kommt Ihr darauf, meine Teuerste?“
„Aber Dabar ist doch, ich meine, er kann nicht sehen. Ich dachte, dass jeder wüsste, dass man sehen muss um lesen zu können.“
„Oh, meine Liebe, es gibt andere Möglichkeiten zu sehen, ohne das menschliche Auge bemühen zu müssen“, erklärte Oricussa mit einer vagen Handbewegung in Richtung der unzähligen Bücher.
„Ihr meint“, es war unfassbar, was Dialah gerade gehört hatte, „Ihr meint, ihr lehrt ihn die Magischen Künste?!“
„Ach du meine Güte“, Oricussa schien ehrlich erschrocken, hatte aber immer noch mit diesem öligen Grinsen im Gesicht, „ich würde niemals ein so gefährliches Wort für die bescheidenen Fähigkeiten, die ich Eurem Bruder zu vermitteln versuche, verwende.“ Er wandte sich an den jungen Mann der am Tisch stand und auf die Seiten de aufgeschlagenen Bücher blickte.
„Meint Ihr nicht auch, Dabar?“
Dabar lachte leise, sagte jedoch nichts. Dialah blickte sich mit wachsendem Unwohlsein um.
„Ich glaube“, begann sie, wurde jedoch sofort von Oricussa unterbrochen, der sie besorgt ansah.
„Was ihr müsst schon gehen? Wie Schade, wo es doch eine so große Freude war euch kennenlernen zu dürfen.“
Mit diesen Worten wandte er sich vonihr ab und schien Dabar etwas in einem der Bücher zu zeigen oder zu erklären. Dialah verließ langsam den Raum. Als sie die Eichetüren hinter sich geschlossen hatte, schien eine zentnerschwere Last von ihr zu fallen und sie begann zu rennen.


Aus einem Manuskript des Ascravius, (Alter unbekannt, aber vermutlich aus dem 1. Jahrhundert AD)

„… wie ich bereits in einem früheren Abschnitt dieses Manuskripts erwähnte, sind die wissenschaftlichen Errungenschaften unserer südlichen Nachbarn, den unseren überlegen. Ich würde hier nicht so weit gehen und behaupten, dass sie unsere Bemühungen, die Welt und die Kräfte, welche sie antreiben, bei Weitem übersteigen, doch würde ich einen Besuch in den Bibliotheken und Skriptorien des Palasts des Lichts als sehr lehrreich empfinden. Die große Entfernung, die räumliche und die kulturelle, einerseits, und die Gefahren der Reise, werden diesen Wunsch jedoch nie erfüllbar machen. Doch ich schweife ab… Die wissenschaftlichen Errungenschaften des Imperiums der Sonne, beschränken sich nicht nur Fragen des Verständnisses der Welt, sondern auch geistige Bereiche wie Astrologie, Theologie und Philosophie wurden von den Gelehrten jenes Landes untersucht und aufgeschrieben. Allerdings scheint mir ihre Vorstellung von Religion sehr sonderbar… doch habe ich vor diesem Bereich ein eigenes Kapitel zu widmen und möchte hier nicht näher darauf eingehen. Andere Bereiche, wie Mathematik und die Naturgesetze wurden ebenfalls von ihnen erforscht und für die tägliche Anwendung nutzbar gemacht. So haben mir Seeleute der Mirioi’th’Kalee berichtet, dass in den Handelshäfen des Imperiums, gewaltige Lastkräne zum Einsatz kommen, die nur von einem einzigen Mann bedient werden. Durch ein System von Seilen und Ketten, die über verschiedene, unterschiedlich große Räder und Rollen geführt werden, ist es diesem einzelnen Mann möglich, Lasten die das Gewicht von mehreren Tonnen haben, zu bewegen. Ein anderes faszinierendes Konzept scheinen die Bewohner des Südkontinentes zu verwenden um weite Teile der Wüsten urbar zu machen und in fruchtbares Land zu verwandeln. Das Wasser wird von einem Punkt aus an jeden Punkt der Felder gebracht zu werden. Sie sollen sogar eine Vorrichtung in Form einer Schraube zu haben, die das Wasser bergauf pumpen kann… zu gerne würde ich diese Dinge mit eigenen Augen sehen und hier, in unserem Land zum Einsatz bringen. Doch bisher ist es mir nicht gelungen diese Ideen nachzuvollziehen und nachzubauen. Wie können verschieden große Rollen dafür sorgen, dass ein einzelner Mann zum Beispiel so große Lasten bewegen kann, wie der Seefahrer mir berichtete…“


Der Palast der Lichter und all ihre Bewohner verhielten sich wie Ameisen in ihren Bau. Hektische Betriebsamkeit herrschte in den Küchen, den Gemächern, wo allzu junge, dralle Zofen ihre Herrinnen in samtene Gewänder halfen und nicht weniger üppige Dienerinnen ihren Herrn aus selbigen zu befreien suchten. Chaos herrschte auf den Gängen, wo sich jeder emsig von hier nach dort laufend auf die Füße trat und mit einem beiläufig über die Schulter gerufenen „Verzeihung“ schon wieder auf den Weg der aufgetragenen Erledigungen machte. Die Hektik und Betriebsamkeit rührte daher, dass heute der Tag war an dem das jüngste Mitglied der imperialen Familie dem Volke präsentiert werden sollte. Die Zeremonie der Namensgebung sollte im Zentrum des Palastes, dem Sonnentempel, stattfinden und für die Schaulustigen sollte alles, bis ins kleinste Detail vorausgeplant und vorbereitet sein. Der gewaltige Raum war bereits vor Tagen mit Kerzen in den unterschiedlichsten Größen, Farben und Formen dekoriert worden und der Thron, der am höher gelegenen Ende des Saales stand, schimmerte und blinkte wie poliertes Gold, obwohl der Schatzmeister – hinter vorgehaltener Hand selbstverständlich – erklärt hätte, dass der Thron zwar nur aus Holz, seine Legierungen und Verzierungen allerdings aus feinstem Blattgold waren. Der Altartisch, der die Mitte des Raumes bezeichnete war überladen von Blumen und Geschenken für DEN EINEN und eine stetig wachsende Menschenmenge füllte das Heiligtum mit Getratsche und Flüstern.
Dann als die beiden gewaltigen Torflügel, die das Heiligtum vom Rest der Feste trennten, aufschwangen, stimmte der Chor eine Hymne zur Ehre des EINEN an, das Geräusch der sich unterhaltenden Menschen verstummte und die Hohe Frau betrat, in ein blassgelbes Kleid gehüllt den Tempel. Während sie, den Kopf des Säuglings an ihrer Brust mit einer schlanken, feingliedrigen Hand stütztend, zum Thron schritt, nickte sie lächelnd den Anwesenden zu. Ihre drei anderen Kinder folgten ihr in gebührendem Abstand. Dem Alter nach folgen sie ihrer Mutter und nahmen am unteren Ende des Thrones Platz. Als das Getuschel der Gäste endgültig verstummt war stand die Hohe Frau auf, hielt das Baby in die Höhe und verkündete den Namen des jungen Prinzen.
„Sein Name ist Ilail.“
Dann trat sie an den Altar und bettete das Kind, welches mit wütendem Blick und geblähten Backen die Prozedur über sich ergehen ließ, zwischen den Blumen und Geschenken auf dem weichen Tuch des Altares und verneigte sich tief. Die Menschen in der Halle taten es ihr gleich und als jeder in die Knie gesunken war erhob die Hohe Herrin ihre Stimme.
„Du, der du DER EINE bist, nimm dieses Kind als eine Gabe zu deiner Ehre und als nimm ihn an als Sohn, der deinen Namen preisen und in deinem Geiste leben und handeln soll. Er soll ein Teil der Zukunft unsers Reiches sein, wenn ich diese Welt verlasse um in deinen Armen in die Ewigkeit zu ziehen. Segne ihn mit deiner Liebe und schenke ihm den Ratschluss deiner Weisheit.“
Während sie sprach, fiel ein einzelner Sonnenstrahl durch das Fenster, das sich über dem einfachen, steinernen Altartisch öffnete und tauchte das Kind in strahlendes Licht. Dann, leicht wie Schneeflocken senkten sich in diesem Strahl, Blüten auf das Kind und betteten es auf ein Bett aus perfekten Rosen. Der Knabe lachte und gluckste vor Freude und streckte, wie um etwas das nur er sehen konnte, die kleinen Hände aus. Als die Hohe Frau und die Gäste die Blicke hoben, sahen sie eine glänzende, strahlende Gestalt in dem Lichtstrahl über dem Altar schweben. Die Gestalt spreizte zwei strahlendweiße Schwingen, und der Glanz ließ die versammelte Menge die Augen abwenden, der Junge auf dem Tisch lachte und gluckste. Das heilige Wesen schenkte ihm ein warmes Lächeln und während die Menge auf die Knie sank und ihre Ehrbezeugungen murmelte, schwebte es nieder, küsste das Kind auf die Stirn und bezeichnete es mit dem Siegel des EINEN. Als der Engel sich der Mutter des Knaben zuwandte und sich vor ihr verbeugte, stießen die Menschen im Heiligtum Laute des Unglaubens und der Freude aus. Doch dann verschwand das Lächeln aus dem Gesicht des himmlischen Wesens und es wandte den Kopf als wäre irgendetwas nicht so wie es sein sollte. Sein strahlendes Gesicht wandte sich einer der hinteren Ecken zu und sein Blick schien die Schatten unter dem Balkon, der den gesamten Tempel umspannte, zu durchbohren, dann verzerrte sich das wunderschöne Gesicht, das so gütig und liebevoll auf das Kind geblickt hatte, zu einer Maske des Hasses und der Wut. In seiner Hand hielt er plötzlich ein Schwert, das in kaltem, blauen Feuer brannte, seine Augen wurden groß und die Hand hob sich in einer gleichzeitig erschrockenen und befehlenden Geste dieser Ecke entgegen. Mit zwei drei Flügelschlägen durchquerte er den Raum, aber es war zu spät. Noch ehe jemand die Bedeutung des Tuns verstanden hatte, rief der Engel, in einer Stimme die zwar wie Musik klang, aber voller Entsetzen und Wut war: „NEIN...“
Medara beugte sich einer plötzlichen Eingebung folgend vor, um den immer noch lachenden Knaben vom Altar zu heben, als sie einen brennenden Schmerz unterhalb ihrer rechten Brust spürte. Sie hörte die Menge vor Schreck und Wut aufschreien, sah den Engel in weißem Rauch vergehen und als sie an sich herunter sah, immer noch nicht begreifend, was denn nun geschehen war, erkannte sie einen einzelnen Pfeil aus ihrer Brust ragen. Sie bemerkte wie von weit weg, dass das Blut, das aus der Wunde floss ihr Kleid in dunklem Rot färbte. Als sie ihren Blick hob, bemerkte sie Dialah die mit bleichem Gesicht und weit aufgerissenen Augen auf sie zulief. Und während sie noch die Hand nach ihrer Tochter ausstreckte, brach sie auf dem kalten Marmorboden des Heiligtums zusammen.


Pergament aus dem Nachlass von Haami Gasspat, Oberste Heerführerin der Imperialen Legionen, gefunden in ihren Unterlagen, am 23. Tag des Monats Darawnn’th im Jahre 1602 ND, sieben Tage nach ihrem Tod

„… Oricussa!…“


Der Tod der Hohen Herrin war ein Schock für die Bewohner des Palastes der Lichter, und da man den Meuchelmörder bis jetzt nicht gefunden hatte, war es sehr unwahrscheinlich, dass man ihn jetzt noch greifen würde. In dem Labyrinth, welches die Gänge, Keller und Gemächer des Palastes bildeten, war es nur zu leicht etwas oder jemanden verschwinden zu lassen. Schon manch einer wurde Jahre nachdem man ihn das letzte Mal gesehen hatte, entdeckt und nur die wenigsten waren noch am Leben ,oder so gut erhalten, dass man sie sofort erkennen konnte. So verschwendete niemand auch nur noch einen Gedanken daran, den Mörder zu ergreifen und als die Suche, trotz besseren Wissens nicht eingestellt wurde, wandte sich die Aufmerksamkeit dem neuen Prinzen zu, dessen Namensgebung immer noch eine Quelle der Spekulationen und ein beliebter Inhalt des Getratsches war. Dialah bekam von all dem nichts mit. Ihre Aufgabe war es nun einerseits sich auf ihr neues Amt vorzubereiten, und andererseits ihren kleinen Bruder Ilail großzuziehen. Sie war die einzige Tochter der Hohen Frau Medara und somit die neue Kaiserin des Imperiums der Sonne. Eldarius hatte ihr mitgeteilt, wann ihre Krönung stattfinden würde, hatte sich verneigt und war wieder verschwunden. Von diesem Zeitpunkt an war sie von einer Heerschar von Lehrern, Zofen, Dienern und jungen Adligen umschwärmt worden und hatte nicht einmal Zeit gefunden Dabar oder Zand zu sehen. Um Zand machte sie sich wenig Sorgen, immerhin war er bei Hamil und der würde nicht zulassen, dass er sich in Dummheiten stürzen würde. Mehr Unbehagen bereitete ihr Dabar und sein neuer Lehrer. Oricussa erinnerte sie an die Anderen die in den Gängen des Palastes herumliefen. Etwas war anders an ihm und sie konnte es nicht in Worte kleiden. Und überhaupt, wo sie darüber nachdachte, konnte sie sich nicht daran erinnern Dabar oder seinen Lehrmeister auf der Namensgebung gewesen. Was Ilail betraf hatte sie sich schlichtweg geweigert, das Kind auch nur eine Minute aus den Augen zu lassen, geschweige denn es einer Amme anzuvertrauen. Vorsichtig nahm sie den Knaben aus seiner Wiege und trat, ihn auf ihrem Arm leicht schaukelnd an das Fenster. Sie summte leise als sie hinaus sah, konnte jedoch nicht sagen ob es tat um den Kind zu beruhigen oder sich selbst von ihren düsteren Gedanken abzulenken. Sie blickte in das verblassende Abendlicht, das die Landschaft zu Füßen des Palastes der Lichter in einen rotgoldenen Schein tauchte. Unter den Bäumen begannen sich Teiche von Dunkelheit zu formen die langsam, immer mehr Substanz gewinnend, nach und nach bis an die Felsen des Palastfelsen heran krochen und alles unterhalb der Befestigungsanlagen in Dunkelheit tauchten. Die Prinzessin schaute zu, tätschelte Ilail’s Köpfchen und legte ihn schließlich zurück in die Wiege. Sie küsste seinen Kopf und deckte ihn vorsichtig zu. Dann trat sie erneut ans Fenster und beobachtete die Sterne, wie sie sich langsam aus der Dunkelheit des nächtlichen Himmels schälten und nach und nach immer zahlreicher aufstrahlten. Und plötzlich hatte sie das Gefühl, dass irgend etwas schreckliches geschehen würde. Das Gefühl überkam sie wie eine Woge von Übelkeit und sie schlang die Arme um sich selbst, wie um sich festzuhalten. Haami, erinnerte sie sich, hatte immer gesagt, dass ein guter Soldat solchen Gefühlen trauen musste, wenn er überleben wollte. Dialah fröstelte. Sie legte ihre Hand auf das kalte Fensterglas und wünschte sich, dass ihre Mutter jetzt hier sein könnte. Ihre Mutter war eine Kriegerin gewesen. Sie hätte gewusst, was nun zu tun wäre. Aber sie selbst war keine Kriegerin, nur ein Mädchen das Angst hatte. Und als die Sonne ganz verschwunden war und sich die Dunkelheit über das gesamte Blickfeld ausgebreitet hatte, sankt sie in die Knie und hielt die Tränen nicht mehr zurück.


Aus einem Manuskript des Ascravius, (Alter unbekannt, aber vermutlich aus dem 1. Jahrhundert AD)

„…jeder der die Geschichte unseres Reiches kennt, weiß um die Magi die von Zeit zu Zeit in den Diensten der Kaiser standen. Zu bestimmten Zeiten in unserer Geschichte sollen sogar spezielle Schulen für sie gegründet worden sein, damit sie ihre Künste und Fähigkeiten schulen und erproben konnten, bevor sie in den Dienst des Kaisers traten. Ihre Fähigkeiten waren bescheiden im Vergleich zu den magischen Kräften, welche die Zauberkundigen des Imperiums der Sonne zu entfesseln vermögen. Und trotzdem ist die Magie indiesme Reich nicht, oder nur sehr beschränkt geduldet. Die meisten Magier sind zugleich auch Priester und es wird behauptet, dass sie übernatürlichen Fähigkeiten ihren Ursprung nicht im Zauberer haben, sondern durch die tiefe Verbindung mit ihrem Gott entstehen. So ist es nicht verwunderlich, das gerade ihre religiösen Zeremonien von magischen Ritualen erfüllt sind. Es wird zum Beispiel ein Wesen mit Flügeln erschaffen, welches ganz spezielle Kinder bei ihrer Namensgebung berührt um bereits im Voraus anzudeuten, dass dieses Kind von ihrem einen Gott gesegnet ist. Erstaunlicherweise scheinen solche Kinder tatsächlich wesentlich kräftiger und intelligenter zu sein als andere und oftmals werden sie in ihrem späteren Leben, wichtige Säulen der dortigen Gesellschaft. Stirbt ein solches Kind nach seiner Namensgebung, wird auch dies als gutes Omen gedeutet. Nicht der Schmerz über den Verlust ist das Gefühl das bei den Eltern vorherrscht, sondern die Freude, dass dieses Kind von ihrem Gott so geliebt wurde, dass er es aus dem Leid auf Erden erlöst hat…“


Oricussa öffnete die verborgene Tür in seinem Schlafzimmer und verschwand in der Finsternis dahinter. Er zündete keine Kerze an, er hatte kein Verlangen nach Licht, er benötigte es nicht. Immerhin war er diesen Weg schon unzählige Male gegangen. Er lächelte in der Dunkelheit, kein sehr vertrauenerweckendes Lächeln und zählte die Stufen unter seinen nackten Füßen. Nach einer kurzen Zeit fühlte er den Luftzug der aus einem der unzählbaren Korridore die in der Dunkelheit verborgen lagen, wehte. Er wandte sich nach Links und begann erneut die Stufen zu zählen. Als er die fünfzehnte Stufe erreicht hatte, blieb erstehen und berührte einen Stein in der Wand. Eine weitere geheime Türe schwang auf und er schlüpfte durch den schmalen Durchgang in eine kleine Kammer. „Nun“, dachte er mit einem diabolischen Grinsen, „bin ich wieder einmal zu Hause.“ Und in der Dunkelheit begann er zu lachen. In der Zwischenzeit zählte Dabar seine Bücher. Mittlerweile hatte er viele verschiedene Exemplare und seit er in der Lage war in ihnen zu lesen hatte sich eine neue Welt für ihn eröffnet. Er schlug einen der in schweres Leder geschlagenen Bände, die vor ihm auf dem Tisch seiner Schreibstube lagen, auf und begann zu lesen. Seine blinden Augen starrten unbeweglich auf die Seiten und er sammelte seinen Geist. Eigentlich war das Prinzip zu einfach. Jedes geschriebene Wort setzte ein gedachtes oder gesagtes voraus und wenn man darum wusste konnte man die Worte in seinem Kopf fühlen. Die Schriftzeichen leuchteten vor seinem, geistigen Auge auf und als er die Seite umschlug, wandelten sie sich in den Text der auf der folgenden Seite geschrieben stand. Er lächelte. Niemand konnte empfinden, oder verstehen was es für jemanden, der sein ganzes Leben in der Dunkelheit zugebracht hatte, bedeutete ein Buch lesen zu können. Das was Oricussa ihm beigebracht hatte, war das Größte das er sich vorstellen konnte. Er war bei den anfänglichen, schmerzhaften Versuchen an seiner Seite gestanden hatte ihn getröstet und bestärkt, hatte ihm Mut zugesprochen und unermüdlich mit ihm geübt. Oricussa, der seine Launen und Wutausbrüche ertragend stets hilfreich und wartend an seiner Seite war. Oricussa, mit dem er die Kulturen ferner Länder studierte, ihre Gesellschaft, ihren Glauben und ihre Politik genauso selbstverständlich besprach als die Geschäfte im Imperium. Oricussa, der einzige wahre Freund den er je gehabt hatte. Und trotzdem, irgendetwas an seinem Lehrmeister beunruhigte Dabar. Er konnte es nicht mit Worten benennen, es war mehr ein Gefühl, ein Nicht-Richtig-Sein das Oricussa umgab. Manchmal wirkte seine Stimme scharf wie die Schneide eines Küchenmessers und gleichzeitig weich wie ein Daunenkissen. Und manchmal, manchmal meinte Dabar in der Stimme seines Lehrers einen Hunger zu erkennen, der ihm fast schon Angst machte. Er seufzte tief als er das Ende des Abschnittes erreichte, den er gerade gelesen hatte, schloss das Buch und die Dunkelheit hatte ihn wieder. Es war immer noch anstrengend die Magie zu gebrauchen. Oricussa hatte ihn zwar auf die Schmerzen und die Erschöpfung vorbereitet, aber Gehörtes ist immer weniger schlimm als selbst Erlebtes. Dabar wusst, dass er noch es nicht gewohnt war seinen Geist auf diese Art und weise zu gebrauchen, aber er wollte lernen. Bald schon würde er in der Lage sein ein ganzes Buch zu lesen, ohne müde zu werden oder Kopfschmerzen zu bekommen. Und hatte Oricussa nicht von Anfang an gesagt, dass wenn er erst ein Buch lesen konnte, dann würde er alles tun können? Bücher waren nur der Anfang. „Heute ein Buch, morgen die Welt“, dachte Dabar schmunzelnd und begann über diesen unsinnigen Gedanken zu lachen.


Aus den Aufzeichnungen von Simion Beregorn, geschrieben am 12. Tag des Monats Massuu im Jahre 218 ND

Ich gebe es nur ungern zu, doch bin ich mit meiner Weisheit fast am Ende angelangt. Der Gefangene ist immer noch von der Schneide her unterwegs nach Bernholm und die schlechten Nachrichten von der Schneide her werden immer zahlreicher. Mittlerweile haben sogar die Mirioi’th’Kalee Beriga, Mannon und Innamon von ihren Handelsrouten gestrichen. Ihre Siski haben uns wissen lassen, dass die Anderen, oder Y’llch, wie sie die Angreifer nennen, dort bereits Fuß gefasst haben. Sogar südlich der Brudermörder-Klippen sollen sie bereits sein. Das lässt mich stutzig werden. Alle Berichte die ich bisher erhalten habe, hatten mich darauf schließen lassen, dass dieses Volk dem unseren so unähnlich ist, dass es sich niemals unter die normale Bevölkerung mischen könnte. Doch das was die Seeleute erzählt haben bringt meine Theorie ins Wanken. Was wäre wenn diese Y’llch von den Mirioi’th’Kalee tatsächlich gesehen wurden? Was wäre wenn sie uns gar nicht so unähnlich sind und sich problemlos als Menschen ausgeben könnten? Und was wäre wenn sie wirklich menschlicher Natur sind? Ich wage nicht zu behaupten, dass sie echte Menschen sind, dafür zeichnen die Berichte aus den Heerlagern ein zu fremdartiges Bild von ihnen, aber zumindest scheinen sie zumindest etwas menschliches zu besitzen, denn etwas Wahres muss auch an den Berichten der Seeleute sein…“


Zand war sich sicher, dass er kein Geräusch verursacht hatte. Aber trotzdem verhielt sich der Glatzköpfige so als ob er sich sicher war, dass ein unerwünschter Eindringling anwesend war. Er kauerte sich noch tiefer hinter den Stapel alter Bücher und wartete. Oricussa begann irgendetwas vorzubereiten das Zand nicht sehen konnte aber ein leises Zischen lies erkennen, dass der Alte etwas zu kochen schien. Der Junge blickte vorsichtig über den Bücherstapel, konnte aber nur den Rücken des alten Mannes sehen. Er hatte den neuen Lehrer seines Bruders vom ersten Augenblick nicht ausstehen können und war sich ziemlich sicher, dass Oricussa ähnlich über ihn dachte. Der deutete mit einer Hand auf die Tür die in das Zimmer führte und murmelte ein paar kurze Worte in einer fremden, krank klingenden Sprache. Der Schlüssel drehte sich im Schloss ohne dass Oricussa ihn berührt hätte und der Spalt zwischen dem Holz der Tür und dem Stein der Wände leuchtet in einem krankhaften Violett auf und Zand begriff, dass niemand diesen Raum würde betreten können, solange dieser Zauber nicht aufgehoben worden war und, er schluckte, keine würde ihn verlassen können. Oricussa hatte begonnen in dieser fremden Sprache zu sprechen und Zand verspürte den Drang sich zu übergeben. Der Zauberer zündete einige wenige, schwarze Kerzen an und trat in die Mitte eines Kreises der von den Kerzenflammen gebildet wurde. Zand begriff nicht was hier vorging, war sich aber auch sehr sicher, dass er es nicht verstehen wollte. Zand duckte sich noch tiefer hinter die Bücher, aber immer darauf bedacht nichts zu verpassen und wünschte sich niemals hier her gekommen zu sein. Irgendetwas ging hier vor und er hatte kein Recht darüber Bescheid zu wissen. Nachdem er kurze Zeit in dieser Position verbracht hatte hob Oricussa beide Hände und verstummte und in dem Moment als er die Hände mit den ausgestreckten Handflächen sinken ließ wurde es kalt. Unglaublich kalt. Zand begann zu frösteln als ein eisiger Wind aufkam und ihn streifte. Er hielt den Atem an und beobachte voller Grauen wie sich die Roben Oricussa’s bauschten und das Licht der Kerzen dunkler wurde. Das Licht wurde dunkler? Es war nicht so, dass die Kerzenflammen von dem unnatürlichen Wind ausgelöscht wurden waren, vielmehr schienen sie dunkler zu werden, weniger Licht zu verströmen. Aber bevor Zand sich auch nur annähernd angemessen über dieses Phänomen hatte wundern können, begannen die Schatten im Raum auf die Mitte des Kreises zu zufließen und sich dort zu treffen wo Oricussa stand. Für einen Moment schienen sich die Schatten wie eine zweite Haut um den Körper des Mannes zu legen, doch dann trat er zurück und eine Gestalt blieb zurück die sich verdichtete. Oricussa beugte sein Haupt und ging auf die Knie, nicht wagend den wabernden Schattenmann anzusehen. Als er sprach, fühlte wie die Worte in seinem Kopf erklangen ohne den Umweg über die Ohren zu nehmen.
„Was kannst du mir heute berichten?“
„Herr und Meister“, hob Oricussa an, wurde von dem Angesprochenen jedoch mit einer schroffen Geste unterbrochen.
„Ich weiß wer ich bin“, meinte er kühl. „Doch nun erzähle mir was ich zu hören erwarte.“
„Die Hohe Frau ist tot, und um die Anderen werde ich mich in den nächsten Tagen kümmern“ brachte der kniende Oricussa hervor und Zand begriff, dass der Mann eine wahnsinnige Angst vor diesem Schattenwesen hatte.
„Was kannst du mir von dem Mädchen berichten?“
„Der Junge hatte Recht, Indimuni. Sie ist genau wie er gesagt hatte, ist sie ein hübsches Mädchen und hat einen wachen Verstand. Sie würde eine gute Hohe Frau abgeben wenn wir sie auf unsere Seite bringen könnten.“
Die Schattengestalt lachte schallend.
„Narr, wie willst du das Mädchen auf unsere Seite bringen ohne sie zu einem seelen- und hirnlosen Y’llch zu machen? Du weißt, dass der Prinz nur auf dich hört, weil du ihm versprochen hast ihm sein Augenlicht wiedergeben zu können. Aber das Mädchen… womit würdest du SIE ködern wollen?“
Oricussa schluckte hörbar und schüttelte den Kopf.
„Mach dir keine Sorgen um die nächste Hohe Frau“, befahl der Schatten.
„Es wird keine Hohe Frau mehr geben, wenn du deine anderen Aufgaben richtig machst. Wie sieht es mit den Generälen aus?
„Sie sind bereit Herr, sie sind begeistert von der Idee eine Invasion auf der anderen Seite des Meeres zu beginnen. Sie sind der Meinung, dass sie sich schon viel zu lange nur um kleine Scharmützel und Räuberbanden kümmern mussten und es dürstet sie nach Schlachten und Krieg.“
„Und wie machen sich deine Pläne die Hohe Frau durch einen Hohen Herren zu ersetzen?“
Oricussa entspannte sich und man merkte, dass er Spaß daran hatte über dieses Thema zu sprechen. Er ging sogar soweit sich die Hände zu reiben, bevor er zu sprechen begann.
„Was das betrifft habe ich den Prinzen voll und ganz überzeugt. Der Unterricht zeigte sich fruchtbar, gerade wenn es um die Rolle der Frau in anderen Kulturen ging. Ganz besonders fasziniert war er von der Tatsache, dass eine Frau nur soviel wert war wie ihr Gemahl.“
Er kicherte.
„Die Y’llch die wir in den Palast de Lichter eingeschleust haben, zeigen ebenfalls Wirkung, Herr. Die Stimmung in den Quartieren der Dienerschaft wird stündlich unzufriedener. Wenn alles so weiterläuft, haben wir unser Ziel in wenigen Wochen erreicht.“
„Unser Ziel?“ Die Stimme des Schattens war wie Seide die über eine Klinge glitt.
Oricussa bemerkte seinen Fehler und korrigierte hastig seine Aussage.
„Euer Ziel, Herr. Ganz allein Euer Ziel.“
Er verbeugte sich tief.
„Wenn Ihr eine Frage erlaubt, Indimuni?“
„Stell sie, Oricussa. Aber erwarte dir keine Antwort.“
„Herr“, Oricusse befeuchtete sich mit der Zunge die Lippen. „Verzeiht, wenn ich zu neugierig erscheine, aber was hat ein aufstand oder Bürgerkrieg hier, mit eurem Kampf in Indimuni zu tun?“
Der Schatten schwieg und schien sich noch weiter zu verdichten. Aus der Dunkelheit schälten sich mehr und mehr Konturen hervor und schließlich trat eine schlanke, hochgewachsenen Gestalt aus der Schattensäule hervor, berührte Oricussa an der Schulter und verschwand wieder in der Dunkelheit. Oricussa war bei der Berührung erbleicht und seine Augen hatten einen gierigen Glanz angenommen.
„Das sollte dir als Erklärung genügen“, sagte der Schatten.
Oricussa warf sich auf den Boden und stammelte: „Ja Herr, danke Herr.“
„Kümmere dich um deine Aufgaben“, befahl der Schatten und begann zu zerfasern wie Rauch im Wind. Kurz bevor seine Gestalt völlig verblasst war, wandte er sich noch einmal an Oricussa und fragte in einem schneidenden Tonfall:
„Wirst du dich nun endlich um das Kind kümmern, das hinter dem Bücherstapel hockt, oder soll ich das erledigen?“
Dann verblasste er. Oricussa lag auf dem Boden und atmete tief aus und ein, versuchte seinen rasenden Puls wieder unter Kontrolle zu bringen. Dann begann er zu schluchzen und krümmte sich zusammen. Seine Fäuste hämmerten auf die Bodenbretter und unartikulierte Laute kamen über seine Lippen. Schließlich stand er auf und, für den Bruchteil einer Sekunde blickte Zand in ein Gesicht dessen Ausdruck so voller Grauen und Angst war, dass man das was einem selbst Angst bereiten sollte nur allzu leicht übersehen konnte. Nicht jedoch Zand der dem Lehrmeister seines Bruders wie hypnotisiert in die Augen blickte und einen Hunger und eine Gier nach etwas, das kein Mensch je verstehen würde, darin erkannte. Zand er duckte sich tiefer hinter seine Bücher aber Oricussa schien die letzte Anweisung seines Meisters nicht wahrgenommen zu haben. Als der Mann das Zimmer verlassen hatte zählte Zand langsam bis 100 und verließ die Deckung hinter den Büchern. Als er die Tür erreicht hatte, legte er sein Ohr daran und lauschte auf Geräusch auf der anderen Seite. Dort herrschte Totenstill. Vorsichtig drückte er die Klinke nach unten und öffnete die Tür einen Spaltbreit, gerade soviel, dass er in den anderen Raum blicken konnte. Dort herrschte Dunkelheit. Erleichtert atmete er auf und trat in den anderen Raum. Kaum hatte er die Tür hinter sich zugezogen, flammte vor ihm ein Feuerball auf der in der Luft zu schweben schien. Entsetzt wich Zand an die Tür zurück.
„Du hast wohl gedacht ich hätte dich vergessen?“
Geblendet vom Licht des Feuerballs konnte Zand nicht mehr als den Umreiß einer Hand erkennen, die die Flammen mühelos auf der Handfläche zu balancieren schien.
„Schade, und ich hatte gedacht wir könnten Freunde werden.“
„Ihr kommt nicht weit“, wollte Zand brüllen, „ich habe euch gesehen und ich werde dafür sogen, dass ihr für den Tod meiner Mutter bestraft werdet.“ Er wollte dem Glatzköpfigen noch so vieles ins Gesicht sagen. Doch er kam nicht mehr dazu. Bevor er seinen Mund öffnen konnte, bewegte sich der Feuerball mit gewaltiger Geschwindigkeit auf ihn zu und er sah noch wie sich eine neue glühende Kugel bereits in der Hand Oricussa’s zu bilden begann. Dann traf ihn der Feuerball mit voller Wucht mitten ins Gesicht…


Pergament aus dem Nachlass von Haami Gasspat, Oberste Heerführerin der Imperialen Legionen, gefunden in ihren Unterlagen, am 23. Tag des Monats Darawnn’th im Jahre 1602 ND, sieben Tage nach ihrem Tod. Hierbei handelt es sich vermutlich um das Fragment eines Briefes an die hohe Frau Medara der jedoch nicht abgeschickt wurde. Das Pergament ist zerrissen, so dass der erste und letzte Abschnitt es Briefes fehlen.

„…die heutige Sitzung des Heerrates hat erneut gezeigt, dass der Einfluss der Generäle, welche sich eine Invasion Indimuni’s wünschen, beständig wächst. Des Weiteren befürchte ich, dass die Missstimmung in den Reihen der Soldaten schon bald zu einem Aufstand führen könnte, wenn nicht rigorose Maßnahmen ergriffen werden. Mir ist nicht klar woher oder wodurch diese Unzufriedenheit in den Legionen herrührt und auch meine Verbindungsleute in den einzelnen Kompanien konnte mir darauf keine Antwort geben. Sicher ist nur, dass der Auslöser der Situation ein Streit über die weiblichen Offiziere gewesen zu sein scheint. Im Anschluss weitete sich die Unzufriedenheit der Männer auf den Sold und das Essen aus. Mittlerweile beklagen sie sogar die Tatsache, dass sie seit Jahren nicht mehr im Kampf eingesetzt worden waren, sondern nur zum Ordnen von kleinen Unruhen herangezogen wurden. Zumindest in diesem Punkt bin ich mir sicher, dass die Generäle die einfachen Soldaten angestachelt haben, um mehr Gewicht hinter ihre Forderung nach einer Invasion zu legen.

Ich habe weiters sämtliche Verbindungsmänner und Kontaktpersonen im gesamten Imperium angewiesen mir jegliche ungewöhnliche Sichtung von Fremden zu melden. In den letzten sieben Tagen erreichten mich insgesamt 54 Berichte über solche Situationen, den Großteil davon aus den Küstendörfern und den Städten am Meer. Die Fischer sind beunruhigt und die einfachen Leute begegnen den Fremden mit Vorsicht und Angst. Es gibt sogar Gerüchte über Entführungen und verschwundene Personen, immer dann, wenn eine Gruppe der Fremden in einem der Dörfer aufgetaucht war. Könnte ich nicht davon ausgehen, das die Flotte von Indimuni dazu nicht in der Lage ist, würde ich sagen, dass während unsere Generäle eine Invasion fordern und planen, diese bereits in unserem eigenen Imperium in vollem Gange ist…“


In der Dunkelheit der hereingebrochenen Nacht starrte Dialah an die Decke ihres Schlafgemachs. Sie lag bewegungslos unter dem dicken, daunenen Bettzeug und dachte nach. Den Versuch einzuschlafen hatte sie schon vor Stunden aufgegeben. Schließlich richtete sie sich auf und streckte vorsichtig einen Fuß unter den Decken hervor. Huh, das war kalt. Sie tastete nach dem Gewand das an der Seite ihres Bettes lag und kleidete sich unter der Bettdecke an. Dann stand sie auf und ging in das Nebenzimmer, in dem Ilail ruhig und sicher, von seiner Nähramme bewacht, schlief. Sie beobachtete den Jungen kurz und ihr Gesicht bekam einen liebevollen Ausdruck. Dann verließ sie den Raum um etwas umher zu gehen, vielleicht würde sie das müde machen, damit sie wenigstens ein paar Stunden Schlaf bekäme. Sie könnte ja auch in den Küchen vorbeischauen und sich ein Glas Milch holen, vielleicht begegnete ihr ja auch ein Page dem sie diesen Auftrag geben konnte. Der Korridor auf dem sie sich befand war nur von einigen, wenigen Kerzen erleuchtet und deren Flammen warfen sich bewegende Schatten an die Wände. Als sie verschiedene Türen passierte konnte sie die nächtlichen Geräusche der Feste wahrnehmen. Jemand schnarchte, ein Kind das weinte und die beruhigende Stimme seiner Mutter die es zu trösten versuchte und manchmal auch das Stöhnen und Schnaufen eines Paares beim Liebesakt. Dialah lächelte, sie liebte dieses Schloß, es war ihr Zuhause. Als sie an der Tür der Gemächer ihres ältesten Bruders vorbeikam blieb sie stehen. Aus dem Inneren konnte sie gedämpfte Stimmen hören die sich zu streiten schienen. Lautlos näherte sie sich der Tür und, nach kurzem Überlegen, legte das Ohr an das vom Alter geschwärzte Holz.
„Es musste getan werden“, hörte sie zuerst die Stimme Oricussa’s und dann das ungläubige Lachen ihres Bruders.
„Es musste getan werden? Oricussa, ich habe dir vertraut, aber du bist nichts weiter als...“
„Dabar“, unterbrach Oricussa ihn mit einer Stimme die zwar ruhig klang, aber mit Sicherheit keinen Widerspruch dulden würde, „es musste getan werden. Könnt ihr das Ziel nicht erkennen, das ich Euch in den letzten Stunden dargelegt habe? Ihr müsst lernen zu verstehen, dass man Opfer machen muss!“
Dialah lauschte gebannt. Was sie da hörte war ungeheuerlich und machte ihr Angst, doch sie konnte sich nicht überwinden wieder in ihr Zimmer zu gehen. Sie musste einfach wissen was da drinnen vor sich ging?
„Verdammter Teufel“, hörte sie Dabar’s wütende Erwiderung.
„Du kannst das nicht tun! Du kannst nicht einfach meine gesamte Familie auslöschen! Weder Zand noch Dialah und schon gar nicht Ilail. Himmel, er ist noch keine zwei Wochen alt! Das Kind ist weder für dich noch für mich eine Gefahr…“
Dialah schluckte bitter Galle hinunter die Angst drückte ihr das Herz in der Brust zusammen.
„Er ist keine Gefahr, noch nicht, mein Gebieter. Er könnte sich später jedoch zu einem großen Problem für unsere Pläne entwickeln“, versuchte Oricussa zu erklären.
„Es muss einfach getan werden, denkt doch an all das was ihr gewinnen könntet wenn ihr...“
Dialah hatte genug gehört. Sie wich zurück als hätte sie sich an dem Holz der Tür verbrannt.
So schnell sie konnte rannte sie in ihre Gemächer zurück. Und schloss die Tür hinter sich. Aufgeregt rannte sie ins Nebenzimmer um nach Ilail zu sehen konnte in der Dunkelheit jedoch nichts erkennen. Als sie es schließlich geschafft hatte sich bis zum Kamin vorzutasten, begann sie mit einem Schürhaken die erkaltete Asche von den letzten Resten der Glut zu schieben, damit sie wenigstens ein wenig Licht hatte. Als die Glut dem Luftzug im Kamin ausgesetzt wurde, leuchtete sie hell auf und aus einigen Resten schlugen sogar kleine Flammen. Es war zwar immer noch nicht so hell, als hätte sie einige Kerzen entzündet, aber das dämmrige Licht reichte ihr aus um ihre Umgebung zu erkennen. Erleichtert stieß sie ihren Atem aus. Es war niemand hier gewesen, der Raum sah genauso aus wie sie ihn verlassen hatte. Die Amme lag immer noch zusammengesunken auf ihrem Stuhl neben der Wiege und schlief tief und fest und Dialah wurde bewusst, dass sie die Frau auch unter keinen Umständen wecken wollte, sollte ihr Plan erfolgreich sein. Sie würde Ilail nehmen und aus dem Palast der Lichter verschwinden. Vielleicht würde sie sich bis zum Hafen durchschlagen und auf einem Schiff der Mirioi’th’Kalee untertauchen. Die Seeleute waren bekannt für ihre Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft. Ein Mitglied der imperialen Familie das um sein Leben fürchtete würden sie gewiss nicht abweisen. Sie trat einen Schritt auf die Wiege zu, besann sich dann jedoch eines Bessern und huschte in ihr Gemach. Dort begann sie Schubladen und Schränke um Kleider, Decken ,Tücher und Windeln in eine ihrer größeren Taschen zu stopfen. Als sie damit fertig war, schulterte sie die Tasche und kehrte in das Nebenzimmer zurück. Als sie an die Wiege herantrat, knackte ein Scheit im Kamin und sie fuhr erschrocken herum. Und während sie sich bewegte, geschah es. Aus den Augenwinkeln glaubte sie einen Schatten hinter der Wiege wahrzunehmen, der jedoch verschwunden war, als sie sich umdrehte. Sie machte erneut einen Schritt auf die Wiege zu und die Temperatur im Raum schien schlagartig zu fallen. Ihr Atem kondensierte urplötzlich vor ihrem Gesicht und der Teppich unter ihr verursachte bei jedem Schritt ein knirschendes Geräusch. Panik ergriff sie und sie stürzte auf die Wiege zu. Ihre Tasche rutschte ihr von der Schulter und schlug im Fallen gegen den Schaukelstuhl auf dem die Amme lag. Die Frau rutschte leblos zu Boden und kam auf dem Boden zu liegen. Ihr Hals war in einem unnatürlichen Winkel verbogen und Dialah starrte in die stumpfen, geweiteten Augen der Frau zu ihren Füßen. Dialah nahm dies jedoch nur am Rande wahr, ihre einzige Sorge galt im Moment ihrem kleinen Bruder der sicher in seiner Wiege schlief. Sie stellte fest, dass dieser Gedanke völlig irrational war, denn in einem Bereich ihres Bewusstseins wusste sie bereits welcher Anblick sie in der Wiege erwarten würde. Als sie die Spitzenvorhänge zurückzog sah sie das kleine, blasse Gesicht ihres Bruders der die Wangen wie zu einem Wütenden Schrei gebläht hatte.
Seine Haut war rosig und sich konnte sogar den Geruch der Seife wahrnehmen mit der die Amme ihn erst wenige Stunden zuvor gebadet hatte. Doch als sie seine Wange mit ihrer Hand berührte zuckte sie unwillkürlich vor der Kälte die sie spürte zurück. Sie hatte zu zittern begonnen und griff noch einmal nach ihrem Bruder um ihn aus der Wiege zu heben. Und wieder fühlte sich die Haut des Säuglings eiskalt an. Tatsächlich spürte Dialah einen stechenden Schmerz an ihren Fingerspitzen und als sie ihre Hand anblickte begannen sich ihre Fingerkuppen weiß zu färben. Ilail’s Haut war so kalt, dass sie sich daran verbrannt hatte. Dieser Gedanke riss sie aus ihrer Trance. Die Temperatur im Raum war in den Wenigen Minuten ins schier Bodenlose gefallen. Ihr Atem kondensierte nicht mehr vor ihrem Mund sondern bildete fast schlagartig kleine Eiskristalle an ihren Lippen. Und gefrorene Tränen brannten auf ihren Wangen. Als sie zur Tür laufen wollte, fühlten sich ihre Bewegungen langsam und fahrig an. Und sie war müde, stellte sie fest, so unglaublich müde. Wenn sie sich nun hinlegte könnte sie einfach schlafen, überlegte sie sich, aber die selbe Stimme die ihr gesagt hatte, was sie in der Wiege finden würde, verkündete ihr nun mit heiterer Gelassenheit, dass jetzt stehen zu bleiben ihr sicherer Tod wäre. Als schlurfte sie, alle ihre Kräfte aufbringend, in Richtung der Tür. Als sie die metallene Klinke hinterdrückte um die Tür zu öffnen schrie sie vor Schmerz auf, denn das Metall war unvorstellbar kalt. Aber sie biss die Zähne zusammen und führte die Bewegung zu Ende. Und schließlich hatte sie es geschafft. Am ganzen Körper zitternd stolperte sie in den Gang vor ihrem Gemach und ließ sich gegen die Wand sinken. Mühsam zwang sie sich ihren Atem zu beruhigen und versuchte ihr Zittern und Zähneklappern unter Kontrolle zu bringen. Während sie am kalten Steinboden saß und versuchte das gerade Erlebte zu verstehen, hörte sie wie sich eine Türe öffnet und Oricussa’s Stimme die in etwas in einem wütenden Tonfall sagte und dann wie die Tür zugeschlagen wurde. Es war genau in diesem Moment als die Angst zuschlug und sie alles andere vergaß. In diesem Moment zählte nur noch eine Sache, nur ein Gedanke raste durch ihren Kopf. ‚Ich muss am Leben bleiben und meine Familie rächen! Sie werden bezahlen, aber ich MUSS AM LEBEN BLEIBEN!’ Dieser Gedanke erfüllte sie m t einem Hass den sie zu empfinden nicht für möglich gehalten hatte und mit dieser Wut kam eine Kraft die die Kälte in Knochen schlagartig vertrieb und sie vor Energie sprühen ließ. Langsam erhob sie sich, warf ihren Umhang um sich und schlüpfte durch eine der Türen die den Dienstboten vorbehalten waren. In dem schmalen, nur spärlich beleuchteten Gang angelangt, wandte sie sich in Richtung der Küche und verließ von dort aus über den Dienstboteneingang den Palast der Lichter. Als sie in der Dunkelheit den Weg über die Klippen in Richtung Hafen nahm, erfüllte sie immer noch dieser einzelne Gedanke. „ICH MUSS AM LEBEN BLEIBEN, ICH MUSS MEINE FAMILIE RÄCHEN!“


Aus den Aufzeichnungen des Simion Beregorn
Geschrieben am 34. Tag des Monats Maasu im Jahre 217 N.D

„In dem Manuskript des Ascravius fand ich eine Legende der Kjell. Vielleicht hilft sie mir ihre Kultur besser zu verstehen und unter Umständen könnte sie auch ein Schlüssel in unserem Kampf gegen die Fremden von hinter der Schneide sein. Es war nicht einfach den Text zu übersetzen, da das Manuskript von Mäusen zerfressen und vom Alter brüchig war. Der Dialekt in dem es geschrieben ist, ist unserer Sprache zwar sehrähnlich und doch gibt es Unterschiede in der Grammatik und den Wortbedeutungen. Trotzdem habe ich versucht den Text zu transkribieren und die fehlenden Abschnitte und Wörter so gut es ging zu rekonstruieren…

In jenen Tagen als die Erde neu, und die Völker, bis auf das der Kjell, noch jung waren, stieg der Meister ein letztes Mal zu seinen Kindern in die Tiefe. In der Verborgenheit seiner Himmelsfeste hatte er die Zukunft geschaut und sein Herz, welches älter als die Berge selbst war, schmerzte ihn in seiner Brust. Er sprach mit seinen Kindern, doch sie verlachten ihn wegen seiner Angst. So sandte er seine Gedanken in Gestalt zweier Raben aus, die das Werk seiner Hände und seines Willens von Ost nach West und von Süd nach Nord durchfliegen sollten. Über die höchsten, gletscherverhüllten Berge flogen sie, über die tiefsten und gewaltigsten Ozeane, durch dunkle Wälder voller seltsamer Pflanzen und voller Kreaturen die die Bezeichnung Tiere kaum zu verdienen schienen, flogen sie, um zu finden was zu suchen sie ausgesandt worden waren. Zwei seiner Kinder suchten sie, rein und makellos an Herz und Seele, welche die Kraft hatten die Zukunft, welche der Meister gesehen hatte und die sein Herz so schmerzen ließ, zu verändern. Sie flogen und flogen aber fanden nichts. Als nun die Jahre ins Land zogen, die Jahrzehnte vergingen und die Jahrhunderte trunkenen Greisen gleich vorbeischlenderten, geschah es aber, dass dem Hause Taa ein Knabe geboren wurde der von seiner Mutter den Namen Goov bekam, den er bis zu seinem schrecklichen Ende tragen sollte. Goov wuchs unter dem aufmerksamen Blick der Raben heran und als die Zeit für ihn gekommen war sich ein Weib zu nehmen, wählte er Isaa aus dem Hause Arn. Zwei Häuser, mächtig und einflussreich wie keine anderen der damaligen Zeit, verbanden sich, doch nicht aus Gier nach Land und Macht, denn damals war es schimpflich aus solchen Motiven sich den Gefährten zu suchen, sondern aus der Kraft der Liebe. Als das junge Paar in einer Feier, wie sie heute noch ihres gleichen sucht, von den stolzen Eltern den Brautpreis erhalten hatte, öffneten sich vor den erstaunten Augen der Würdenträger, Verwandten und Sklaven die gewaltigen Türen der Festung und ein Fremder trat in den Brautsaal. Gehüllt in ein strahlendweißes Gewand, welches die Augen blendete, das zeitlos schöne Gesicht mit den alten klaren Augen umrahmt von weißem Haar, trat er auf die Liebenden zu und küsste sie auf die gebeugten Stirnen. Den Beiden erschien die Berührung leicht wie ein Windhauch und köstlich wie der reinste Honig, der aus den Tiefen der im Tabori-Massiv gelegenen Wiesen kam, wo einzig und allein auf dieser Erde die Blume Iridial zu finden war. Später wusste niemand, weder Würdenträger noch Verwandter, weder Gast noch Sklave zu sagen, woher der Fremde gekommen war oder wohin er verschwunden war, und kein einziger wusste zu sagen wer er gewesen war. Doch ließ er für das Paar zwei Gaben, wunderbar wie keine Gaben die je geschenkt wurden, weder damals noch heute, zurück. Isaa fand am Kragen ihres Brautkleides eine Rosenblüte, gefertigt aus reinstem Gold, von solcher Reinheit dass niemand sagen konnte woher es denn gekommen war. Die Blüte selbst war so fein und zart gearbeitet, dass selbst die Schmiede an den Höfen der Königreiche im Osten, die solchen Tand fertigten, noch tausend Jahre später vor Neid und Wut über sie erbleichten und bei ihrem Anblick in Tränen der Freude ausbrachen. Um den Hals Goov‘s fand sich an einer Kette, so dünn, dass Spinnenfäden dick und plump dagegen wirkten und deren einzelne Glieder doch so unzerbrechlich wie kein anderes Werk aus irgendeines Meisters Hand, sei es nun Mensch, Zwerg oder Elbe, zeigten, ein Herz aus dem selben, unendlich reinen Gold wie Isaa’s Rose, welches im Rhythmus seines eigenen Herzschlags zu pulsieren schien. Als die Jahre vergingen wuchs die Liebe zwischen den Beiden beständig weiter und die Gaben des Meisters, was sie zweifellos waren, denn der fremde musste wohl der Meister selbst gewesen sein, und wie die Menschen in ihrer Umgebung sich sicher waren, nährte diese Liebe und ließ die Beiden wann immer sie zusammen waren, was immer war, denn nie sah man die Zwei getrennt von einander, in einem Lichtschein strahlen welcher die Herzen aller Anwesenden rührte. Nur sie allein wussten tief im Inneren um die Kraft der Gaben und Goov schrieb dieses Wissen in das Buch „Hindoa“ – was in der Sprache der damaligen Zeit „Herz“ bedeutete, um das Wissen seinen Nachkommen für die Zeit in der es gebraucht wurde, zu bewahren. Doch geschah es, dass Isaa erkrankte und die Kunst der Ärzte, Magier, Hexen und Heiler, sie genauso wenig gesunden ließ, wie die Kraft von Goov’s Liebe, der weinend, betend, bittend und hoffend an ihrem Bett Wache hielt. In dem Maße wie Isaa von ihrer Krankheit verzehrt wurde, alterte und schließlich durchscheinend wie mit Rauch getrübtes Glas wurde, verlor die Blüte an Glanz, und als schließlich die Zeit kam da sie ein letztes Mal die Augen schloss, war aus dem goldenen Schmuckstück eine echte, perfekt konservierte Rosenblüte geworden. Goov trauerte um seine geliebte Gefährtin und bettete sie mit allen Ehren, und der größten, geliebt gewesen zu sein zur Ruhe. Die Blume aber trug er in den höchsten Turm des Hauses Taa, wo er sie in einem polierten Holzkästchen, gebettet auf mitternachtsblauer Seide verwahrte. Dorthin zog er sich zurück um in der Betrachtung der Blüte, dem einzigen was ihm von seiner geliebten Isaa geblieben war, Trost zu finden. Doch das Volk von Taa, vor allem die Weiber und die tratschenden Sklaven, verlangten dem Herrn von Taa ein neues Weib, denn ein Mann galt zu jener Zeit nur nach den Kindern die er seinem Weib und seinem Land schenkte. Und als das Trauerjahr vorüber war, ging Goov auf eine Neues den Bund ein. Lathaa hieß seine neue Gefährtin und aus einem mächtigen Haus war sie. Sie war es auch die, über dem Wissen Isaa in Schönheit und Güte nie gleichzukommen, schließlich den Verstand verlor und sich mit Gift das Leben nahm. Doch dies gescha erst viele Jahre später. Lathaa liebte Goov genauso wenig wie er sie, und so war der Bund nur Zweck und doch gültig vor den Menschen Taa’s. Auch teilte keiner, nicht Lathaa noch Goov je das Bett des Anderen. Goov nicht, weil er sie nicht liebte und es ihm als Schmach erschien sie für seine Lust zu benutzen, wie manch heranwachsende Bauer es mit Schafen oder Schweinen tut. Sie begehrte ihn nicht weil andere ihr Bett teilten. Und so gebar sie dem Herrn von Taa vier Kinder, ohne je seinen Samen empfangen zu haben. Der Älteste war I’llwein, der bald schon starb und große Trauer im Hause Taa und bei den Hintersassen hinterließ. Nach seiner Geburt gebar Lathaa Ulise und Saataa, Zwillinge vom Aussehen und doch so verschieden , dass es jeden verwunderte. Saataa verstand es ihre Mutter in Schlechtigkeit und Verderbtheit stets zu übertreffen. Ulise erbte indes von ihrem Vater die Güte und Sanftheit die dem Hause Arn bis zu seinem Untergang zu eigen waren. Ihr Vater war, wie auch der Saataa’s, Isaa’s Bruder, der den Reizen Lathaa’s erlegen war. Das letzte ihrer Kinder jedoch war Roan von Taa, ein Jüngling wie es viele gab in jener Zeit, der Liebe fand in den Augen seines Vaters, der ihn nicht zeugte, ihn jedoch als seinen Erben einsetzte, auf dass das Geschlecht der Taa nicht zugrunde gehe. Über diesen Ereignissen jedoch war Goov zum Alten, zum Greis dem die Trauer um sein geliebtes Weib das Herz zerfraß, geworden. Zuerst war die Veränderung in ihm nur selten wahrzunehmen, doch schon bald konnte er sich nicht mehr in der Nähe auch nur des leisesten Anzeichens von Glück und Liebe aufhalten. Getrieben von seiner unstillbaren Trauer um Isaa, schloss er sich in den höchsten Turm des Hauses Taa ein und verfluchte den Meister, verfluchte seine Familie. Doch schlimmer noch, er verfluchte sein Volk, die Kjell, und er verfluchte die Gabe, die ihm solchen Schmerz bereitete. Mit einem einzigen Ruck riss er die unreißbare Kette um seinen Hals entzwei, und schleuderte das ihm verhasste Geschenk aus dem Fenster, von wo aus sie in die Tiefe stürzend in den Fluten des Meeres versank. Goov stürzte sich aus demselben Fenster aus dem er die Gabe geworfen hatte. Zerschmettert lag sein Körper auf den Klippen, bis er von den Gezeiten und dem widerlichen Getier der See bis zu Unkenntlichkeit zerstört worden war. Das goldene Herz indes sank auf den Grund des Meeres, wo es verborgen vor dem Wandel der Welt liegen blieb und bis heute ruht. Der Fluch jedoch den er getan hatte, stürzte die Welt ins Chaos. Berge brachen auf uns spuckten Feuer, das Meer selbst erhob sich und verheerte die Küsten. Am schlimmsten war jedoch die Kälte die Goov’s Frevel folgte. Denn seine Worte hatten den Meister so geschmerzt, dass sein Herz vor Gram und Kummer erkaltete. Und so wie sein Herz zu Eis wurde, wuchsen die Gletscher und bedeckten das Land. So kommt es, dass wir in der Kälte leben und Schnee und Eis unsere ständigen Gefährten sind. Erst wenn das Goldene Herz wieder gefunden ist und der Meister sich mit uns versöhnt, wird uns Goov’s Tat verziehen sein. Dann werden die Gletscher weichen und wir in einem ewigen Sommer, der keine Kälte kennt, leben.

Könnte dieses Goldene Herz der Schlüssel zu unserem Sieg sein? Oder die Legende wirklich eine Wahrheit über den Schnitt enthalten? Vielleicht finde ich in den Archiven noch weitere Schriften des Ascravius… Ich muss eine Antwort finden!“


Als Aram schließlich von den Geräuschen des Tages und vom Lärm der Arbeiter geweckt wurde, stand die Sonne bereits hoch am Himmel. Gereizt schob er seine behelfsmäßige Decke zur Seite und setzte sich auf seinem Lager aus leeren Säcken auf um sich den Schlaf aus den Augen zu reiben. Die Erinnerungen, die ihn in der vergangenen Nacht wieder heimgesucht hatten, ließen ihn erschöpft und mit bleischweren Gliedern erwachen. Zögernd er hob er sich und glättete mit den Händen umständlich seine Kleidung. Nachdem er sich so gut es ging repräsentabel gemacht hatte, kletterte er von seinem Lager hinunter in den eigentlichen Lagerraum. Nach einem kurzen Wortwechsel mit einigen der Arbeiter, trat er hinaus auf die Straße und machte sich auf in Richtung der Schwalbe. Es versprach ein schöner, sonniger Tag zu werden. Trotz der – für seine Verhältnisse – frühen Stunde schien die Sonne kraftvoll vom Himmel und Aram wusste, dass die Temperatur in der Stadt in wenigen Stunden fast unerträglich sein würde. Als er sich durch das Gewirr von Straßen und Gassen arbeitet, überlegte er fieberhaft, wie er Ifta beruhigen konnte. Der Mann war gestern Abend schier vor Leid von Sinnen gewesen. Nun gut, es passierte nicht jeden Tag, dass man sein ungeborenes Kind und seine Frau verliert, schon gar nicht an Indimuni, aber Ifta neigte zu überstürzten Handlungen und wenn Bork und er selbst ihn nicht beschwichtigen konnten, würde er sicher ebenfalls bei der Zeremonie anwesend sein. Allerdings auf der falschen Seite. Aram wagte sich gar nicht auszumahlen, wieviele Menschen dieses Mal geleert werden würden. Unwillkürlich stellten sich die Härchen auf seinen Armen auf und schüttelte sich um das mulmige Gefühl das sich seiner bemächtigt hatte, zu vertreiben. Er war schon bei unzähligen Leerungen anwesend gewesen, aber die Art wie diese Prozedur funktionierte jagte ihm jedes mal aufs Neue eiskalte Schauer über den Rücken. Und gerade heute musste er allen seinen Mut zusammennehmen, da Menschen die er kannte und zum Teil sogar mochte den Mittelpunkt des grausigen Spektakels bilden würden. In einem entlegenen Teil seines Gehirns meldete sich noch ein anderer Gedanke zu Wort und versuchte beharrlich Aram’s Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Was hatte Ifta gesagt, als er vom Palast zurückgekommen war? Maretan’s Männer waren plötzlich aufgetaucht und hatten jeden der sich in der Schwalbe befunden hatte mitgenommen. Irgendetwas kam Aram seltsam vor. Er war zwar kein Experte was Politik und vor allem die Machtkämpfe und Intrigen die zwischen den einzelnen Familien der Indimuni betraf, aber er meinte zumindest Maretan inzwischen einigermaßen zu kennen. Als er weiter darüber nachdachte, kam er zu dem Schluss, das die Verhaftung von neunzehn Menschen in einer Schenke, ganz und gar nicht der Art von Maretan entsprach. Gut, Maretan war ein Indimuni, und schon aus diesem Grund konnte man ihm nicht trauen, aber er war auch eines der wenigen Familienoberhäupter, das seine MeTakk und die ihm eingeschworenen Adumani mit einer gewissen Art von Respekt behandelte. Allerdings vermutete Aram, dass er dies nur tat um sicherzugehen, dass er damit nur vermeiden wollte, sich seinen Wein selbst einzuschenken. Unwillkürlich musste er kichern, als er sich den Indimuni dabei vorstellte wie er auf Knien eine Latrine reinigte. Was sofort zur nächsten Überlegung führte. Waren die Indimuni den Menschen ähnlich? Ja, ein wenig. Wenn sie den Menschen ähnlich waren, hatten sie doch sicher auch ähnliche Bedürfnisse wie Adumani und MeTakk? Auch diese Frage beantwortet er für sich selbst mit einem Ja. Aber wie weit ging diese Ähnlichkeit in Bedürfnissen? Sexueller Art waren sie mit Sicherheit vorhanden, es gab genügend Intakkuri, deren Vater ein Indimuni und deren Mutter eine Adumani oder eine MeTakk waren. Aber – und so kehrte er gedanklich wieder zur Latrine zurück - benutzten Indimuni einen Abort? Alleine die Vorstellung wie der immer so unnahbar und gefühllos wirkende Maretan mit geraffter Robe über einem Donnerbalken kauerte und sein Gesicht in der Ausübung eines menschlichen Grundbedürfnisses verzerrte, trieb ihm vor Lachen die Tränen in die Augen. Mühsam kämpfte er den Drang lauthals zu lachen nieder und wischte sich die Tränen aus den Augen. Als er schließlich an der Schwalbe ankam, war seine Heiterkeit bereits wieder verflogen und mit ernstem Gesicht klopfte er an die Tür, die sich ihm, nach einem prüfenden Blick von Bork, schließlich öffnete. Drinnen erwartete ihn ein sturzbetrunkener Ifta, der fröhlich singend auf der Theke hockte und einen Krug mit schäumendem MiKarr durch die Luft schwenkte. Aram warf Bork einen fragenden Blick zu, woraufhin sich dessen Mine verfinsterte.
„Haariger Affe säuft seit gestern Abend“, brummte er.
„Bork musste zweimal zwei Mal Überbleibsel aufwischen.“
Der breitschultrige Mann verzog angeekelt das Gesicht und fächerte sich mit der Rechten Luft zu.
„Haariger Affe stinkt aus dem Maul wie Bork aus Hintern“, fügte er grinsend hinzu und auch Aram konnte sich ein Schmunzeln ebenfalls nicht verkneifen. Ifta hatte seinen Platz an der Theke verlassen und war schwankend auf die beiden Männer an der Tür zugetorkelt.
„Aram, mein Freund“, nuschelte er und legte dem Angesprochenen die Hand auf die Schulter.
„Komm und trink wasch mit mir.“
Aram schob Ifta’s Hand zur Seite und griff sofort wieder zu um den schwankenden Mann am Umfallen zu hindern.
„Ifta, wir müssen gehen. Die Zeremonie fängt bald an.“
Ifta wandte ihm sein Gesicht zu und blickte ihn aus geröteten Augen an.
„Wasch für eine Dscheremonie?“ verlangte er misstrauisch zu wissen. Aram starrte ihn an.
„Die Zeremonie, Ifta. Heute! Du hast mir gestern davon erzählt.“
Aber Ifta weigerte sich an diese Tatsache oder an irgendetwas was passiert war zu erinnern. Bork löste dieses Problem schließlich indem er Ifta am Kragen hochhob und wie ein Kätzchen nach draußen trug. Aram hörte einen wütenden Schrei und ein klatschnasser Ifta und ein übers ganze Gesicht grinsender Bork kehrten wieder in den Schankraum zurück. Ifta warf ihm einen bösen Blick zu und schritt zur Theke wo er sich erneut einen Krug einschenkte und in einem Zug hinunterschluckte. Mit zornfunkelnden Augen musterte er Bork der wieder seinen Platz an der Tür eingenommen hatte und wandte sich dann an Aram.
„Was ist“, schnautzte er ihn an, „wollen wir los? Oder soll ich mich wieder vor Kummer betrinken?“
Aram nickte und er und Ifta verließen die Schwalbe. An der Tür packte Bork ihn an der Schulter und blickte ihn ernst an.
„Aram, pass auf haarigen Affen auf. Hässliches Gesicht von ihm würde mir fehlen, wenn er Dummheit macht.“
Aram klopfte dem Türsteher auf die Schulter und lächelte ihm aufmunternd zu. Dann hastete er hinter Ifta nach, der schon fast die Hauptstrasse erreicht hatte.


An meine geliebte Schwester und Kaiserin Gala Skarion
Mannon, am 7. Tag des Monats Elidor im Jahre 217 ND

Oh, geliebte Gala, wie schrecklich! Wie kann ich weiterleben? Was soll ich tun? Orthon ist tot und mit ihm starb auch meine Seele. Wie kann ich ohne den Mann der mir alles bedeutet hat nur weiterleben. Wie soll ich das Kind, das unter meinem Herzen wächst, ohne seine starke und gütige Hand, erziehen? Der einzige Trost der mir in meinem Leid im Moment bleibt, ist das Wissen, dass Orthons Sohn gesund zu sein scheint. Di morgendliche Übelkeit ist vergangen und er strampelt und tritt mich wenn ich schlafen möchte. Außerdem bin ich behäbig und plump wie eine Bauerndirne geworden. Ich warne dich, geliebte Schwester, lache mich nicht aus, denn dir wird dieses Schicksal auch noch drohen. Ach könnten wir doch nur zusammen sein, so wie in unseren Kindertagen, als wir jedes Geheimnis teilten und uns gegenseitig in den Arm nahmen, wenn unsere Amme uns schalt. Doch du bist heute so weit fort von mir und Orthon wird ebenfalls nie mehr wiederkehren. Sein Knappe erzählte mir, dass die Angreifer über das Eis gekommen sind, im Schutz der Dunkelheit und Orthon als Einzigen in der Gruppe töteten. Alle anderen blieben am Leben und kehrten heil von der Robbenjagd zurück.

Wie bin ich froh, dass ich Bargo und Willa an meiner Seite habe. Du erinnerst dich an die Beiden doch gewiss noch, oder liebste Gala? Sie sind die Beiden die Vater aus dem Eiswasser zog, kurz bevor er starb. Zumindest sind SIE bei mir und kümmern sich um mich, wenn es mir schlecht geht. Willa ist eine fähige Heilerin und ihre Kräutertinkturen wirkten Wunder bei meiner morgendlichen Übelkeit. Und Bargo, auch wenn er etwas wortkarg und mürrisch erscheint, erzählt mir Geschichten und Legenden eines Volkes das sich Kjell nennt. Ist dir ein solches Volk bekannt, liebste Schwester? Als einzigen Anhaltspunkt über ihre wirkliche Identität habe ich die Medaillons die sie tragen. Beide aus schwarzem, glänzendem Stein und in Form eines auffliegenden Raben. Aber was rede ich für Unsinn und stelle Nachforschungen und Vermutungen über meine beiden liebsten Freunde an. Sie sind für mich da und kümmern sich um mich und dieses Wissen sollte mir genügen. Also sorg dich nicht allzu sehr um mich, wie du lesen kannst geht es mir schon wieder besser. Dir zu Schreiben ist fast so als, wärst du bei mir, und ich kann deine blitzenden Augen und dein schelmisches Lachen vor mir sehen.

Schreib mir bald zurück geliebte Schwester!
Adumani Indria von eigener Hand


Als Dara am nächsten Morgen in die Küche kam, war Maddi bereits auf den Beinen und knete den Teig für das Brot, welches ab Mittag die Bäuche der Gäste füllen sollte. Sie warf ihr einen kurzen Blick zu und wandte sich dann wieder ihrem Teigklumpen zu. Dara nahm sich einen Becher, füllte ihn mit Milch, schnappte sich eine Scheibe kalten Braten vom Vorabend und einen Kanten Brot und ließ sich auf einen Schemel sinken um hastig ihr Frühstück hinunter zu schlingen. Während sie vor sich hin kaute, trat Issa in die Küche und musterte sie. Dann zuckte er die Schultern und verschwand wieder in der Gaststube. Maddi machte mit dem Kopf eine Bewegung in seine Richtung, die Dara als „geh ihm nach, er will etwas von dir“ interpretierte. Frustriert leget sie das Brot und den Becher mit Milch weg und folgte dem Wirt in die Schenke. Der Mann stand hinter der Theke und nahm gerade einen Lappen zur Hand. Die Schankstube war bis auf drei Männer leer. Als sie eintrag hob einer der drei den Kopf und blickte sie mit kalten Augen an. Dara empfand augenblicklich Abscheu ihm gegenüber und wäre am liebsten wieder in die Küche geflohen, aber Issa warf ihr einen Lappen zu und so gesellte sie sich zu ihm hinter die Theke um Zinnbecher zu polieren. Während sie die Becher polierten, räusperte sich Issa und fragte sie, ob sie gestern auf dem Markt etwas Seltsames bemerkt hätte.
„Was meinst du“, wollte Dara wissen. Issa zuckte mit den Schultern und fuhr fort seinen Becher zu polieren. Einer der Männer, der der Dara eben gemustert hatte, stand auf und kam schlurfend an die Theke. Issa musterte ihn mit unverhohlener Abneigung.
„Wann seid ihr so weit“, verlangte der Mann zu wissen. Issa spuckte auf den Boden, gab aber keine Antwort.
„Unser Herr wird unzufrieden mit euch sein, wenn ihr seinen Befehl nicht Folge leistet. Und das wollt ihr doch nicht, oder?“
Issa warf, den Lappen auf die Theke und stapfte in die Küche. Dara senkte den Blick und polierte mit äußerster Konzentration den Becher den sie gerade zur Hand genommen hatte. Kurze Zeit später kam Issa mit zwei Bechern und einem Kanten Brot zurück. Er reichte Dara einen davon und teilte den Kanten Brot zwischen sich und dem Mädchen auf. Er ward dem Mann vor dem Tresen einen Blick der nichts als blanken Hass zeigte, zu und wandte sich an Dara.
„Komm Kind, wir essen erst einmal. Dann werden wir uns um unsere hochverehrten Gäste kümmern.“
Dara wunderte sich über Issa’s Verhalten. Nahm aber dankbar den Becher in dem heißer Tee war. Vorsichtig, um sich nicht zu verbrühen nahm sie einen Schluck. Der Tee war herrlich. Sicher eine von Maddi’s speziellen Kräutermischungen, dachte sie sich und trank mehr. Issa hatte seinen Becher zwar in der Hand, hatte aber noch nicht getrunken. Als sie einen weiteren Schluck nahm, stellte Issar seinen Becher ab und wandte sich ab. Dara biss in den Kanten Brot und ließ es sich schmecken. Mit vollem Mund wandte sie sich an Issa.
„Willst du nicht frühstücken?“
Als er sich umdrehte hatte Issa Tränen in den Augen und schüttelte den Kopf.
„Es tut mir so leid, Kind“, murmelte er, „so unendlich leid…“
Dara hatte gerade einen weiteren Schluck genommen und starrte zuerst auf Issa dann auf den Becher. Das was sie schmeckte waren nicht nur die Kräuter die Maddi immer verwendete. Sie erkannte auch etwas anderes darin, einen Geschmack der ihr völlig unbekannt war. Irgendwie wie Erde, aber schärfer und bitterer, der von dem Aroma des Kräutergemischs überlagert wurde. Ihre Zunge fühlte sich pelzig an und wollte von Issa wissen, was denn los war. Aber ihre Worte kamen ihr nur schwer über die Lippen. Sie wollte den Becher absetzen verschätzte sich jedoch in der Entfernung zum Tresen und ließ ihn fallen. Alles drehte sich plötzlich und Issa packte sie am Arm, damit sie nicht hinfiel. Kraftlos sank sie zu Boden und bevor alles Schwarz wurde, sah sie Issa’s Gesicht über ihrem.
„Es tut mir so leid…“
Wortlos nahmen die drei Gäste die schlaffe Gestalt des Mädchens und schlurften durch die Tür davon. Maddi, die gerade die Tür zum Schankraum geöffnet hatte, sah nur wie sich die Eingangstüre der Schenke schloss. Issa saß zusammengesunken an einem Tisch und starrte ins Leere, von Dara war keine Spur zu sehen. Maddi runzelte die Stirn. Irgendetwas stimmte hier nicht
„Issa Adumani, was ist hier los?“
Issa hob den Kopf und starrte sie verständnislos an. Maddi trat auf ihn zu und stemmte die Hände in die Hüften.
„Was ist hier los?“
„Dara“, gab der Mann tonlos zur Antwort.
Maddi blickte in Richtung der Tür, dann auf den Mann vor ihr und dann in Richtung Theke. Als sie die beiden Becher dort stehen saß, atmete sie scharf ein und durchquerte mit überraschender Behändigkeit den Gastraum. Vorsichtig nahm sie einen Becher und tauchte die Zungenspitze in die Flüssigkeit daran. Angewidert verzog sie das Gesicht und spuckte auf den Boden.
„Schwarzrinde und Grabdistel, und das in so einer Konzentration, wer auch immer davon getrunken hat, wird mit unbeschreiblichen Kopfschmerzen aufwachen und sich vermutlich die nächsten drei Tage übergeben…“
Sie drehte sich zu Issa um und stellte in der selben Bewegung den Becher wieder auf die Theke.
„Also?“ verlangte sie zu wissen.
Issa schüttelte den Kopf.
„Maddi“, begann er mit brüchiger Stimme, „es war ein Befehl, ich musste es tun.“
Er senkte den Kopf und vergrub ihn in seinen Händen. Die dicke Köchin konnte seine Qual spüren blieb aber unbarmherzig.
„Warum um alles in der Welt musstest du dem Armen Kerl dieses Giftgemisch geben. Er wird nie wieder in deine Schenke kommen. Wenn er Dara schief angeschaut hat, dann hättest du ihn doch einfach rauswerfen können. Du hättest ihn nicht gleich für die nächsten Stunden ins Reich der Träume schicken müssen.“
Issa sah sie verständnislos an.
„Wie?“
„Na du hättest den Kerl einfach rausschmeißen können, der Dara belästigt hat.“
Issa schüttelte den Kopf.
„Maddi, der Trank war für Dara“, erklärte er tonlos. Aus dem Gesicht der Köchen wich jede Farbe.
„Für Dara?“
Issa nickte gequält.
„Für DARA?“
„Ja, für Dara, ich konnte nichts tun...“ versuchte Issa zu erklären wurde aber sofort von Maddi unterbrochen die sich wie eine Bärin vor Issa aufbaute und in ankeifte.
„Warum hast du Dara diesen Trank gegeben?“ verlangte sie zu wissen und stieß ihm einen Finger in die Brust. Issa krümmte sich zusammen und langte in seine Tasche um etwas herauszuholen. Aber Maddi war nicht zu bremsen.
„Weißt du eigentlich was für eine Wirkung Grabdistel auf eine Frau haben kann? Immerhin wird diese Kraut dazu verwendet Kinder wegzumachen“, sie holte Luft und ihr gewaltiger Busen hob sich wie ein Blasebalg, „was wenn sie nun keine Kinder mehr bekommen kann, welcher Mann wird sie noch haben wollen?“
Sie schüttelte den Kopf und wollte mit ihrer Tirade fortfahren, aber Issa wedelte mit einem Brief vor ihrem Gesicht herum und schrie nun ebenfalls.
„Glaubst du ich hätte das getan, wenn es eine andere Möglichkeit gegeben hätte? Glaubst du wirklich ich würde Dara’s Leben aufs Spiel setzen?“
Maddi schnappte sich den Brief und begann zu lesen, während Issa weiter versuchte sich zu rechtfertigen.
„Immerhin hat er gedroht, dich und mich umzubringen wenn er Dara nicht bekommt“, jammerte er, „was hätte ich den tun sollen, seine Leute waren hier und haben mir den Brief gebracht und was darin steht kannst du ja selbst sehen.“
Maddi ließ das Papier sinken und schleuderte es schließlich angewidert von sich. Mit Mordlust in den Augen packte sie Issa am Kragen und hob ihn so mühelos hoch, als wäre er ein Kind.
„Was bist du doch für ein Narr, Issa Adumani“, zischte sie bedrohlich, „Erinnere dich an den Tag als du Dara gefunden hast.“
„Maddi, lass mich…“
„ERINNERE DICH!“
Issa versuchte ihre Hände von seinem Kragen zu lösen, aber die Köchin hielt ihn wie in einem Schraubstock.
„Erinnerst du dich daran, wie du vor der Hintertür den Korb gefunden hast? Erinnerst du dich, wie du Dara das erste Mal auf den Arm genommen hast und als sie ihre ersten Schritte gemacht hat?“
Sie schüttelte den Wirt.
„Ja, ich erinnere mich“, schrie dieser, „lass mich bitte runter…“
Aber Maddi hatte sich in Rage gebracht und war nicht bereit irgendetwas an Issa’s aktueller Position zu ändern.
„Dann kannst du dich auch sicher daran erinnern, dass immer wieder ein Indimuni aufgetaucht ist und sich nach Dara erkundigt hat. Wenn du mich fragst, Issa Adumani, waren die Abstände zwischen seinen Besuchen zu unregelmäßig. Also muss es ein Versuch gewesen sein, nicht entdeckt zu werden.“
Sie schüttelte den Wirt erneut.
„Was also sagt uns das, Issa Adumani? MIR sagt es, dass unsere kleine Dara einerseits von einem Indimuni geschützt wurde, der nicht wollte, dass jemand herausfindet dass sie existiert. Und was sagt uns das noch? Es sagt uns, dass dieser Brief nicht von diesem Indimuni stammt.“
Sie ließ Issa los und der sank auf den Boden. Mit aufgerissenen Augen blickte er die Köchen in.
„Du meinst…“ begann er.
„Genau! Ich meine, dass irgendein Indimuni Dara gegen einen Konkurrenten einsetzen möchte. Und das, Issa Adumani, hat die Kleine nicht verdient.“
Issa schluckte und massierte seinen Hals.
„Aber was hätte ich denn tun sollen, Maddi“, wollte er trotzig wissen.
„Du hättest zum Beispiel behaupten können, dass es hier kein Mädchen gibt, auf das diese Beschreibung passt!“
Die Köchin hatte mittlerweile ein hochrotes Gesicht bekommen und schnaufte bedrohlich. Issa erhob sich und wischte seine Hände an seiner Schürze ab.
„Nun ist es jedenfalls zu spät, und ich kann nichts mehr daran ändern. Also geh wieder an die Arbeit.“
Maddi lächelte kalt.
„Du kannst vielleicht nichts mehr tun, alter Mann, aber ich weiß was ICH tun kann.“
Damit wandte sie sich um und stapfte in Richtung der Küche. Kurz vor der Tür hielt sie inne und drehte sich wieder um.
„Ich brauch zwei Pferde. Zwei gute Reitpferde. Eines davon sollte mein Gewicht tragen können.“
„Ich verstehe nicht…“
Maddi lachte.
„Das wäre nicht das erste Mal, Issa.“
Sie stemmte die Hände in die Hüften und blickte den Wirt herausfordernd n.
„Ich werde etwas packen und mache mich dann auf den Weg. Bring die Pferde zur Hintertür. In einer Stunde bin ich reisebereit.“
Issa blickte sie aus großen Augen an. Dann begann er schallend zu lachen.
„Wie bitte?“ stieß er zwischen zwei Lachern hervor, „DU willst versuchen Dara diesen drei Schlägern wieder abzunehmen?“
Er wischte sich die Tränen aus den Augen und stützte sich mit einer Hand an der Wand ab. Maddi musterte ihn kühl.
„Du musst verrückt sein, Frau. Völlig verrückt. Wie kommst du nur auf die Idee etwas tun zu können, was ich mir nicht zutraue? Oder bist du jetzt völlig…“
Mitten im Satz brach er ab und starrte mit aufgerissenen Augen auf die Hand mit der er sich an der Wand abstützte.
In dem schmalen Spalt zwischen Zeigefinger und Ringfinger steckte ein Messer dessen Spitze sich in die Wand gegraben hatte. Er starrte die Köchin an, sie schien sich nicht bewegt zu haben.
„Ich traue mir das zu, Issa Adumani“, sprach sie ruhig von der Küchentür her, „weil ich dazu ausgebildet wurde, es zu können.“
Plötzlich stand sie neben ihm und zog das Messer aus der Wand. Mit geübtem Griff ließ sie es in ihrem Ausschnitt verschwinden.
„Was glaubst du warum wir hier in deiner Schenke nie Schwierigkeiten haben?“ fragte sie mit zuckersüßer Stimme.
„Wir haben hier deswegen nie Schwierigkeiten, weil die Kerle Angst vor mir haben.“
Mit diesen Worten knöpfte sie den obersten Knopf ihrer Bluse auf und entblößte ihre Rechte Brust. Issa keuchte und starrte zuerst die Brust und dann das Gesicht der Frau vor sich an. Dort wo der üppige Busen in die Achselhöhle überging, befand sich eine schwarze Tätowierung. Ein schwarzer Kreis mit einem Ring herum. Das Auge der Agaah. Das Zeichen derjenigen die alles sehen und nie gesehen werden. Maddi schloss ihre Bluse und blickte Issa fragend an.
„Werden die Pferde in einer Stunde hier sein?“
Issa nickte und schloss seinen Mund. Dann hetzte er in Richtung der Tür und verschwand auf der Straße. Maddi blickte ihm nach und lächelte. Irgendwie, dachte sie, würde sie den Mann vermissen. Während sie ihre Sachen zusammensuchte und in einer Tasche verstaute, hoffte sie inständig, dass sie die Richtige Entscheidung getroffen hatte. Immerhin war sie vor dreiundzwanzig Jahren offiziell aus dem Dienst entlassen worden. Und bis auf wenige Gelegenheiten hatte sie seitdem nicht mehr als Attentäter gearbeitet. Dann schüttelte sie verärgert den Kopf und stopfte weiter Bündel, Tiegel und Beutelchen in ihre Tasche. Wovor sollte sie sich fürchten? Immerhin war sie eine Agaah, und nicht nur das. Sie war FallAgaah, eine Meisterin und Lehrerin und diesem Titel erreichte man nicht indem man ängstlich oder zweitklassig war. Egal wie viel Übung ihr fehlen mochte, sie war immer noch dieselbe Frau, die sie vor dreiundzwanzig Jahren war. Als Issa kurze Zeit später mit den Pferden zurückkam, küsste sie ihn zärtlich auf die Wange und sagte ihm Lebwohl.
Der Wirt blickte sie mit großen Augen an und flüsterte:
„Pass auf dich auf Köchin, trotz allem habe ich dich immer geliebt.“
Maddi erwiderte lange Zeit schweigend seinen Blick.
„Und ich liebe dich seit dem Tag als ich dich das erste Mal gesehen habe, Issa Adumani“
Mit diesen Worten wandte sie das Pferd und machte sich auf den Weg um Dara zu befreien.


Aus den Aufzeichnungen von Simion Beregorn
Geschrieben am 28. Tag des Monat

„… ich scheine mich mit meinen Nachforschungen im Kreis zu drehen. Die Schriften des Ascravius beschränken sich auf sinnlose Beschreibungen der Welt und der Völker auf ihr. Ist es nicht lachhaft, dass der größte Gelehrte unseres Kaiserreiches verschwunden ist aus unseren Bibliotheken und nur noch Fragmente seines Wissens zugänglich sind. Zu sehr hätte mich interessiert, wie er die Zeit des Schnitts beschreibt und ob er auch Aufzeichnungen über die Auswirkungen machte. Soweit mir bekannt ist, lebte er genau zu der Zeit als diese Katastrophe über unsere Welt hereinbrach und als Zeitzeuge wären seine Ausführungen von unschätzbarem Wert für mein Arbeit…“.


Aram hatte Ifta schließlich eingeholt und die beiden gingen in Richtung des Platzes der Erinnerung wo die Zeremonie stattfinden würde. Als sie sich der großen freien Fläche am Fuß der Treppe des Erwachens, die in den Palastbezirk der Indimuni führte, näherten, füllten sich die Straßen mit Menschen die in die selbe Richtung strömten. Anscheinend war hier ein Spektakel geplant worden. Aram bekämpfte das leichte Gefühl der Übelkeit, als er sich die Verurteilten vorstellte und die Angst die sie haben mussten. Am Platz angekommen, zwängten sie sich durch die tratschenden und begierig wartenden Menschen bis nach Vorne an die Absperrung, die den Zeremonienbereich vom Volk trennte. Zeremonienbereich! Aram schüttelte bei dem Gedanken unwillkürlich den Kopf. Die Indimuni bezeichneten das ganze als Zeremonie aber in seinen Augen war das nichts anderes als ein beschönigender Name für Hinrichtung. Während er noch nachdachte, zupfte Ifta ihn am Ärmel und machte eine Bewegung mit dem Kopf in Richtung der Treppe. Am oberen Ende waren hochgewachsene Gestalten in dunklen Roben aufgetaucht und hatten begonnen die 777 Stufen hinab zu schreiben. Kaum hatte Aram sie bemerkt, wandten sich auch die Menschen in seiner unmittelbaren Umgebung der Treppe zu, und wie die Wellen die ein Kiesel im Wasser verursacht breitete sich Schweigen auf dem Platz aus. Glockenschläge erklangen. Siebenundzwanzig dunkle, tiefe Schläge die die Anzahl der Personen, die in der Zeremonie geleert werden würden, verkündete. Als der letzte dumpfe Ton verhallte, begannen die Indimuni zu singen. Es war ein klagender, hoher Ton, der die Luft über dem Platz erfüllte und die Haare an Arams Unterarmen richteten sich auf. Dann ertönten erneut Glockenschläge. Diesmal jedoch waren sie hell und klar und verkündete die Anzahl derjenigen die erweckt werden würden. In der ehrfürchtig schweigenden Menge begannen die Menschen zu tuscheln und je mehr klare Glockenschläge erklangen, desto lauter wurde das Raunen, bis es schließlich wie eine Glocke über dem Platz hing und nur vom Gesang der Indimuni, die das letzte Drittel der Treppe erreicht hatten, übertönt wurde. Dort blieben die Gestalten stehen und ihr Gesang verhallte. Am östlichen Ende des Platzes kam Bewegung in die wartende Menschenmenge und ein freier Bereich formte sich, als die Menschen vor der zweiten Prozession die sich dem Zeremonienplatz näherte, zurückwichen. Siebenundzwanzig Gestalten in schwarzen Roben führten sechsundzwanzig Personen in weißen Gewändern nach vorne, vor die Menge. Als sie die Absperrung passierten konnte Aram die ersten Gesichter ausmachen und sie Personen die er kannte, zuordnen. Ander war dort und seine Frau, die mit hängenden Schultern neben ihrem Wächter herschlurfte. Aram erinnerte sich an ihre Augen, die vor Schalk blitzten wenn er einen Witz machte und ihre scharfe Zunge, die niemals stillzustehen schien. Nun waren ihre Augen glanzlos und ihre Zunge schwieg. Ander hingegen hatte sein Haupt hoch erhoben und blickte die Menschen am Rande des Weges herausfordernd an. Schließlich war auch der letzte Verurteilte auf dem Podest in der Mitte des Zeremonienplatzes angekommen, Aram erkannte ihn und musste bittere Galle hinunterschlucken. Es war Ingar, der Sohn des Wirtspaares. Ein Junge von nicht einmal 14 Jahren, der mit vor der Brust gefesselten Händen und in das weiße Gewand der Verurteilten gehüllt vor ihm auf dem Podest stand. Trotzdem blickte der Junge weder ängstlich noch verzweifelt drein. Vielmehr hatte er ein Lächeln auf den Lippen, das Aram zwar nicht trösten konnte, ihm aber doch verriet, dass Ander oder seine Frau geistesgegenwärtig gewesen waren ihm etwas zu verabreichen, das ihn nicht merken lassen würde, was mit ihm passieren würde.
Ifta der neben Aram stand knirschte mit den Zähnen als er die Reihen absuchte, Iana aber nicht entdecken konnte. Die Indimuni hatte die Distanz zwischen sich und den Verurteilten zurückgelegt und reihten sich vor den weißgekleideten Gestalten und ihren dunklen Begleitern auf. Es waren insgesamt Sieben Indimuni die so Aufstellung bezogen. Aram nickte schweigend. Sieben, das passte. Ein Vertreter für jede Familie, der Sprecher und derjenige der die Zeremonie durchführen würde. Einer der Indimuni trat noch vorne an den Rand des Podestes und begann mit lauter, klarer Stimme zu sprechen.
„Ihr wisst, warum wir heute hier zusammengekommen sind. Nicht weil wir trauern wollen, sondern weil heute ein Tag der Freude ist. Siebenundzwanzig Adumani und MeTakk wurden des Verrats angeklagt und siebenundzwanzig Adumani und MeTakk werden heute die Beschränkungen ihrer Kasten überwinden.“
Er senkte die Arme und trat wieder in die Reihe zurück. Die Menschen vor der Absperrung schwiegen erwartungsvoll, aber es folgten keine weiteren Worte. Die Ansprache war zu Ende und nun würden siebenundzwanzig Menschen ihre Familien verlieren und ihre Familien um Mütter, Väter, Brüder und Schwestern gebracht werden. Die Indimuni indes waren an die Seite getreten und bis auf den Zeremonienmeister befanden sich nun nur noch die weißgekleideten Gestalten im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Der Zeremonienmeister streifte seine tief ins Gesicht gezogenen Kapuze zurück und Ifta keuchte neben Aram. Der konnte seinen Augen selbst kaum trauen. Nicht Maretan oder Janiz oder Gondra waren es, deren Gesicht unter dem dunklen Stoff erschien, stattdessen blickten die kalten, wie in Marmor gehauenen Züge von Iana in die Menge. Bedächtig wandte sie sich um und der erste in der Reihe wurde zu ihr geführt. Es war Ander und immer noch waren seine Schultern gestrafft und sein Blick herausfordernd. Als er vor Iana stand legte diese eine Hand auf seine Schulter und bedeutet ihn sich vor ihm auf den Boden zu knien. Anscheinend leistete der Wirt jedoch Widerstand, denn die Gestalt hinter ihm, packte ihn an den Haaren und riss seinen Kopf nach Hinten. Als sein Hals entblößt war, schritt die Zeremonienmeisterin an die Arbeit. So schnell, dass Aram nicht mehr als ein metallisches Aufblitzen wahrnahm, schlitzte sie ihm mit dem Messer die Kehle auf. Anders Augen quollen aus den Höhlen und ein roter Streifen erschien auf seinem Hals. Langsam sank er in die Knie als das Rot seinen Hals hinab zu laufen begann und sein weißes Gewand rot färbte. Arams Magen begann zu revoltieren. Er hatte dieser Barbarei noch nie zusehen können. Kurz bevor Anders Augen brachen, blitzte wieder Metall und Iana legte ihre nun blutende Handfläche auf die Wunde an Ander’s Hals und mit einem Stöhnen erhob sich dieser wieder. Der Schnitt an seinem Hals war verschwunden und sein Bewacher führte den schwankenden Mann zurück in die Reihe. So ging es weiter. Die Verurteilten wurden einer nach dem Andere vor Iana geführt, das Messer in ihrer Hand blitzte auf und das Blut begann zu fließen. Einer nach dem Anderen wurde wieder zurück in die Reihe geführt und Aram der seinen Abscheu und seine Übelkeit kaum noch verdrängen konnte, dachte bereits, dass er die Zeremonie viel schlimmer in Erinnerung hatte, als das Spektakel eigentlich war, als schließlich die Gestalt in Schwarz vor Iana trat, die keinen Verurteilten bei sich hatte. Langsam schlug sie ihren Umhang auseinander und ein kleines Bündel, ganz in Weiß kam zum Vorschein. Ifta packte Aram an der Schulter und starrte, während Tränen über seine Wangen rannen, starr noch Vorne. Aram schluckte. Was in diesem Bündel zum Vorschein kam, war nichts anderes als ein Säugling, erst wenige Tage alt. Seine Gedanken überschlugen sich und sein Magen hob sich. Das Neugeborene vor ihm konnte erst wenige Tage, wenn nicht sogar erst Stunden alt sein, was bedeutete, dass es nur Iana’s und Ifta’s Kind sein konnte. Der Mann, der seinen Arm umklammerte, musste zu dem selben Schluss gekommen sein, den mit einem Aufschrei versuchte er sich nach Vorne zu stürzen, wurde aber von den Menschen um ihn herum gepackt und festgehalten. Das Messer blitzte und das zornige Schreien des Kindes verwandelte sich in ein heiseres Gurgeln. Aram fühlte wie die Übelkeit die Überhand über seine Kontrolle erlangte und übergab sich. Das Schreien verstummte. Er hörte Iana’s Stimme, die klar verkündete.
„Das Kind war es nicht wert erweckt zu werden.“
Dann trat die Gestalt mit dem blutgetränkten Bündel nach hinten und ließ dort das toten Kind achtlos zu Boden fallen. Aram würgte und schnappte nach Luft. Und während der nächste Verurteilte zu der Frau, die einmal eine gute Freundin war, geführt wurde, sank er zu Boden und hieß die Dunkelheit die ihn umhüllte willkommen. Alles war besser als dieses Gemetzel länger anblicken zu müssen.


Aus einem Manuskript des Ascravius (Alter unbekannt, aber vermutlich 1. Jahrhundert AD)

„… das dritte Volk der Bekannten Welt lebt weder auf dem Zentralkontinent noch auf der südlichen Kontinentalmasse. Dieses Volk lebt auf dem Wasser in schwimmenden Städten und nennt sich in seiner eigenen Sprache Mirioi’th’Kalee, was in unserer Sprache „Leute der See“ bedeuten würde. Diese Menschen sind ein altes, stolzes Volk, mit einem Reichtum an Wissen, der sich mit dem unseren nur schwer vergleichen lässt. Doch haben sie keine Bibliotheken und verfügen nicht einmal über die grundlegenden Kenntnisse einer eigenen Schrift. Alles Wissen wird mündlich von Vater zu Sohn und von Mutter zu Tochter überliefert. Zudem scheinen sie über eine Art kollektives Gedächtnis zu verfügen. Es ist schwierig zu erklären, doch ist es so, dass die Kinder der Mirioi’th’Kalee weniger zu lernen scheinen, als sich vielmehr wieder zu erinnern. Eine einmal gezeigte Sache beherrschen sie vom ersten Versuch an so, als hätten sie sich an die Handgriffe erinnert. Diese Seeleute sind ein freundliches Volk mit einem komplizierten Gesellschaftssystem. Neben den Sha’Shamaá und den Kalee’cKamaa die ihre Schiffe leiten, sind auch die Siski von Bedeutung, denn sie sind die Händler und Botschafter bei den anderen Völkern. Die Ausbildung zum Siski dauert lange Zeit und nur die wenigsten Mirioi sind dafür geeignet. Die Siski nämlich sind die einzigen der Mirioi’th’Kalee die die Fähigkeit zu lügen besitzen. Lügen oder die Unwahrheit zu sagen ist ein unbekanntes Konzept in der Kultur des Seevolks. Da sie aber großteils Händler sind, brauchen sie die Siski, da sich das Lügen und Betrügen gerade im Handel als unabdingbar erwiesen hat. Ein Händler der dem Käufer berichtet, dass seine Ware zum Teil verdorben ist, oder dass die Stoffe nur zweite Wahl sind, wird nie genügend Geld verdienen um seine Familie zu ernähren oder es auch nur zu bescheidenem Wohlstand bringen. Aus diesem Grund hat jedes Schiff der Mirioi’th’Kalee auch einen Siski an Bord …“


Dialah saß auf den Klippen über Boahd’Kalee und blickte über das Meer nach Süden. In die Richtung ihrer Heimat. Die Entfernung war zu groß, als dass sie die Küste des Südkontinents hätte erkennen können kennen, aber immerhin stimmte die Richtung. Und wenn sie die Augen zusammenkniff und ganz leicht öffnete, konnte sie glauben, dass sie am Horizont eine verschwommene Linie ausmachen konnte, die die heimatliche Küste sein musste. Aber sie wusste, dass das nicht Stimmte. Brudermörders-Klippen lagen mitten im Ozean und die Entfernung nach Arrata betrug mindestens hunderfünfzig Meilen. Sie wandte den Kopf und blickte nun nach Norden wo sie tatsächlich einen verschwommenen Streifen am Horizont ausmachen konnte. Indimuni lag dort, nur knappe hundert Meilen entfernt. Seltsam, dachte Dialah, warum hat es nie einen engeren Kontakt mit den Menschen in Indimuni gegeben? Immerhin betrug die Entfernung zwischen den beiden Reichen nicht einmal 300 Meilen und Brudermörders-Klippen waren zwar gefährlich, aber man könnte sie auch umschiffen. Ein Wind kam auf und mit ihm kamen auch die Geräusche aus der Stadt unter ihr wieder. Dialah blickte nach unten und betrachtete das Bild das sich vor ihr ausbreitete. Boahd’Kalee war die einzige Stadt der Mirioi’th’Kalee, die zumindest zum Teil, auf dem Festland gebaut war. Auch wenn man die schroffen Felsnadeln von Brudermörders-Klippen auch nicht unbedingt als Festland bezeichnen konnte. Auch wenn es viele Gebäude gab, die sich Schwalbennestern gleich an die Felschen schmiegten, bestand der Großteil der Stadt aus Schiffen, Booten und Stegen, die sie miteinander verbanden. Flöße waren gebaut worden und zu großen, weiten Plätzen zusammengefügt worden. Auf anderen Flößen befanden sich Gärten und sogar ein Paar Felder. Auch eine Weide gab es auf der braune Kühe grasten. Und alles auf dem Wasser. Dialah erinnerte sich mit Schaudern an ihre ersten Tage in Boahd’Kalee zurück. Die ständige Bewegung des Bodens hatte ihr Übelkeit verursacht und ihr schlaflosen Nächte bereitet. Aber alles war zu diesem Zeitpunkt besser gewesen als im Palast der Lichter zu bleiben. An ihre Flucht konnte sie sich nur bruchstückhaft erinnern. Sie war zum Hafen gelaufen und hatte sich an Bord eines Schiffes versteckt. Als die Besatzung sie gefunden hatte, war sie vor den Kalee’cKama und die Sha’Schaá gebracht, die sie nicht gerade mit Begeisterung empfangen hatte. In ihrer fließenden Sprache hatten sie ihr mit vielen Handzeichen zu verstehen gegeben, dass sie nicht willkommen war und wollten von ihr eine Erklärung warum sie an Bord sei. Sie hatte versucht eine zusammenhängende Geschichte zu erzählen. Doch die sprachlichen Barrieren waren zu groß, als dass die beiden Mirioi sie hätten verstehen können. So wurde der Siski des Schiffes geholt und Dialah musste ihre Geschichte ein weiteres Mal erzählen. Mit ausdruckslosen Gesichtern hatten die drei Mirioi sie gemustert. Als sie geendet hatte, sprach der Siski mit dem Kalee’cKama und der Sha’Shamaá. Während sie lauschten, verfinsterte sich das Gesicht der Windweberin und der Kale’cKama ballte die Fäuste. Nachdem die Übersetzug beendet war wurde ein kurzer Befehl gegeben und der Siski verneigte sich vor den Schiffsherren, bedeutet Dialah ihm zu folgen und verließ mit ihr im Schlepptau die Kabine. Als sie auf dem Deck angelangt waren, wandte er sich Dialah zu und gab ihr zu verstehen, dass sie mit nach Boahd’Kalee genommen werden würde. Sollte sie jedoch weitere Hilfe benötigen, müsse sie sich an den Thaug wenden. Dialah fiel ein Stein vom Herzen und sie umarmte den Siski überschwänglich, der ihr zaghaft auf die Schulter klopfte und sie anschließend von sich schob.
„Geh in den Laderaum und schlaf etwas. Die Fahrt wird noch eine Zeitlang dauern und hier oben bist du der Beatzung nur im Weg.“
Vier Tage nach diesem Gespräch hatte sie der Siski wieder an Deck geholt und auf den Horizont gedeutet.
„Dort“, hatte er gesagt, „dort sind Brudermörders-Klippen.“
Und tatsächlich konnte sie in der Ferne die gewaltigen Felsnadeln erkennen. Wenige Stunden später waren sie in den Hafen von Boahd’Kalee eingelaufen, der Kalee’cKama und Sha’Shamaá hatten sie zum Abschied auf die Wangen geküsst. Der Siski hatte sie zu einem Haus gebracht in dem sie vorerst bleiben konnte. Er hatte ihr auch erklärt, dass die Herren des Schiffes mit dem sie gekommen war, ihre Angelegenheit vor den Thaug bringen würden, und dass sie später auch gerufen werden würde um vor dem Rat Zeugnis abzulegen. Dann war er verschwunden. Dialah war von einer alten Frau ins Haus geführt worden, man hatte ihr ein kleines Zimmer zugewiesen und dann war sie alleine. Sie hatte gewartet. Nach ein paar Stunden hatte sie ihr Zimmer verlassen und sich auf die Suche nach der Hausherrin gemacht. Als sie die Frau schließlich gefunden hatte, wurde ihr erklärt, dass es noch Tage oder sogar Wochen dauern konnte, bis der Thaug vollständig versammelt werden sein würde, und erst dann würde man sie rufen. Dialah sank das Herz. So lange würde es dauern bis sie wissen würde ob man ihr helfen würde…
Die Alte hatte ihr die Hand auf die Schulter gelegt und sie in die Küche geführt wo sie, beständig in der schnatternden, gurrenden Sprache der Mirioi schwatzend, ein Mal bereitete und das Mädchen anschließend ins Bett schickte.
Am nächsten Morgen war Dialah von den Geräuschen der fremden Stadt geweckt worden. Ihre Hausherrin hatte sie nicht finden können, aber auf dem Tisch in der Küche war ein karges Frühstück bereitgelegt worden. Dialah nahm ein paar Bissen und machte sich auf, die Stadt zu erkunden. Schließlich war sie hier oben gelandet und hatte ihren Gedanken nachgehangen. Sie hatte immer noch keine Ahnung was sie vor dem Rat der Mirioi’th’Kalee sagen wollte. Sollte sie das Seevolk bitten mit ihr in den Kampf zu ziehen und ihren Bruder und seinen Lehrer aus dem Imperium zu vertreiben, oder sie zu töten? Würde das funktionieren? Oder sollte sie vielleicht die Mirioi um Asyl bitten, zumindest solange bis sie selbst wusste, was sie unternehmen würde? Dialah wandte ihren Blick wieder in Richtung ihrer Heimat und Tränen liefen über ihre Wangen als sie unwillkürlich an ihre Mutter und den kleinen Ilail dachte. Und was war mit Zand, sie hatte nicht einmal mit ihm gesprochen als sie in den Palast der Lichter zurückgekommen war. Und Eldarius? War auch er in Gefahr? Drei klare Glockenschläge hallten von der Stadt herauf. Das war die Ankündigung. Der Thaug hatte sich zusammengefunden und schon bald würde sie vor dem Rat der Mirioi’th’Kalee ihre Geschichte erzählen müssen. Sie erhob sich und streckte ihre Beine behutsam, vom langen Sitzen auf den Felsen waren sie taub geworden. Mit einem letzten Blick nach Süden machte sie sich auf den Weg in die Stadt.


Aus einem Manuskript des Ascravius (Alter unbekannt, aber vermutlich 1. Jahrhundert AD)

„…interessant ist die Tatsache, dass die Gesellschaft der Mirioi’th’Kalee vom Leben auf den Ozeanen bestimmt ist. So verfügt jede Familie über mindestens ein eigenes Schiff. Die Kinder werden frühzeitig von zuhause weggegeben um auf den Schiffen einer befreundeten Familie das Seefahrerhandwerk zu lernen und später auf dem Schiff der eigenen Familie mitarbeiten zu können. Die Familie stellt den Mittelpunkt in der Gesellschaft der Mirioi’th’Kalee dar. Dies erscheint eine durchaus übliche Art der Lebensführung zu sein, ist sie doch auch bei unserem eigenen Volk üblich, doch erwächst aus de Familie auch jegliche andere gesellschaftliche Struktur und sogar die Verwaltung und Regierung des gesamten Volkes, gründet sich auf diese zwei Pfeiler – Familie und Schiff. Jeweils sieben Familien bilden eine Sippe und der Zusammenschluss von sieben Sippen wird ein Clan genannt und alle Clans wiederum bilden den Thaug – der eine Art Hohen Rat darstellt. Im Thaug werden Angelegenheiten, die für das gesamte Volk von Bedeutung sind, diskutiert und entschieden, wobei jeder Clan zwei Stimmen hat, und die Mehrheit der Stimmen entscheidet. Die Leiter des Thaug sind der Mi’Kalee’cKama und die Miabi’Sha’Shamaá, wörtlich übersetzt der Tausendste-Seesinger und die Tausendste-Windweber, (wobei ich vermute, dass das Zahlwort „Mi“ welches Tausend bedeutet, eher auf die Wichtigkeit des Amtes als auf die Anzahl der Sprecher im Thaug hinweist). Diese Ämter repräsentieren die gesellschaftliche Struktur der Mirioi’th’Kalee. Als kleinste Einheit ist die Familie zu nennen, jede Familie besitzt zumindest ein Schiff. Jedes Schiff wird von einem Kalee’cKama und einer Shà’Shamaá geleitet. Jede Familie wählt aus allen Schiffsherren einen Kalee’cKama und eine Shà’Shamaá die die Familie repräsentieren. Aus diesen Gewählten bestimmt die Sippe und in der Folge der Clan seine Vertreter im Thaug. Im Gegensatz zum Thaug und der Familie, werden die Vertreter die in den Rat der Sippe oder des Clans aufgenommen werden nicht gewählt, sondern erhalten ihr Amt durch ihre Erfahrung. Das jeweils älteste Paar wird im Rat der Sippe spricht im Clansrat für seine Sippe. Und das älteste Paar im Clan tritt vor den Thaug. Was das Amt des Mi’Kalee’cKama und der Miabi’Sha’Shamaá betrifft, so folgt die Ernennung einem komplizierten Wahlverfahren, in dem jede Familie eine Stimme abgibt. Im Anschluss gibt der Thaug seine Stimmen ab und der Ausgang der Wahl wird errechnet. Wird ein eindeutiges Ergebnis gefällt, haben die Gewählten ihr Amt auf Lebenszeit inne. Ich finde dieses fremde Konzept einer Wahl durchaus interessant. Vielleicht hätte es in bestimmten Bereichen unserer Staatsform auch ein geringfügiges Potential…“


Das erste was Aram auffiel als er die Augen öffnete, war der Geruch. Kerzenwachs vermischte sich mich Kräutern und Rauch zu einer beinahe heimeligen Mischung. Als sich seine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatte, begannen sich Konturen aus dem Halbdunkel zu schälen und er erkannte seinen aktuellen Aufenthaltsort. Er befand sich in dem Zimmer in dem er vor wenigen Tagen Maretan die Information über die Küchenmagd in Valadara überbracht hatte. Er blickte sich nervös um. Was hatte er hier zu suchen? Wie war er hierher gekommen? Vorsichtig setzte er sich auf und streifte die Wolldecke, mit der man ihm zugedeckt hatte ab.
„Ah“, erklang eine bekannte Stimme aus dem Dunkel und mit ihr löste sich der Umriss des Indimuni aus den Schatten.
„Ihr seid wach, Aram Adumani“, stellte Maretan fest.
Aram glitt von dem Divan auf dem er gelegen hatte und sank auf die Knie. Genau so wie es das Protokoll vorsah. Er senkte den Kopf gerade weit genug um Maretan aus den Augenwinkeln beobachten zu können, ohne ihm die Panik die ihm ins Gesicht geschrieben stehen musste zu zeigen. In der Zwischenzeit war der Indimuni näher gekommen und stand nun direkt vor dem knienden Mann. Dann wandte er sich abrupt ab und entfernte sich aus Arams Blickfeld. Er konnte die Schritte des Indimuni einen Moment lang durch den Raum verfolgen ehe sie abbrachen und durch das Geräusch einer Flüssigkeit die jemand einschenkte, abgelöst wurden. Dann wieder die Schritte und erneut Maretan’s Füße und der Saum seines Gewandes in seinem Blickfeld.
„Wollt ihr noch länger in dieser Position bleiben, oder können wir uns nun unterhalten?“ verlangte Maretan zu wissen. Aram bemerkte eine Mischung aus Ungeduld und Amüsierung in der Stimme des Indimuni, wagte aber nicht sich aus seiner Position zu erheben. Er vollführte eine Bewegung mit seiner Hand um dem Indimuni zu zeigen, dass er ihn jedoch verstanden hatte. Maretan seufzte irritiert. Dann ging er in die Knie und stellte die beiden Gläser die er gefüllt hatte neben sich auf die Marmorfliesen. Aram senkte den Kopf noch tiefer und spannte unwillkürlich seinen Körper. Maretan seufzte erneut und griff schließlich mit einer feingliedrigen Hand nach Aram’s Kinn und zwang dessen Kopf nach oben. Aram senkte die Augen.
„Seht mich an, Aram Aduman“, befahl Maretan schließlich mit sanfter Stimme und Aram hob seinen Blick und sah dem Indimuni ins Gesicht. Zum ersten Mal sah er das Gesicht des Indimuni aus dieser Nähe. Maretan war nicht in dem Sinne alt wie Aram ihn sich immer vorgestellt hatte. Vielmehr schien er jugendlich und nicht viel älter als er selbst zu sein. Das Gesicht war fein, beinahe zart und die schmalen Lippen waren zu einem halb spöttischen, halb liebevollen Lächeln verzogen. Die Haut war eher hell als bleich und die tiefen Falten die sein Gesicht zeichneten schienen weniger auf sein langes Leben, als vielmehr auf Sorgen und Übermüdung zu beruhen. Am erstaunlichsten jedoch waren die Augen in die er blickte. Sie waren groß, beinahe zu groß um noch menschlich zu wirken, und von einer Farbe wie Aram sie noch nie gesehen hatte. Die Iris war so dunkel, dass er keinen Unterschied zur Pupille erkennen konnte und ihr Blick zeigte Humor und Intelligenz. Aber auch Angst und Leid spiegelten sich in diesen Augen und unwillkürlich stellte Aram alles was er bisher über Maretan geglaubt hatte in Frage. Maretan war kein göttliches Wesen, vielmehr war er, wie mit ihm auch jeder andere Indimuni, auf seine Art ein Mensch.
Die Mundwinkel hoben sich und diesmal war das Lächeln eindeutig spöttisch.
„Gefällt Euch was Ihr seht, Aram Adumani?“
Aram senkte hastig wieder den Blick, aber die Hand, die immer noch sein Kinn hielt, zwang seinen Kopf wieder nach oben.
„Ich wäre Euch sehr verbunden, wenn wir uns hier und heute, wie zwei Männer unterhalten könnten, welche weder Rasse noch Kaste trennen, Aram Adumani. Seid ihr damit einverstanden?“
Aram nickte und die Hand verschwand von seinem Kinn. Maretan erhob sich und nahm die beiden Gläser mit sich.
„Wenn Ihr bitte nun so freundlich wärt Euch zu erheben? Es macht mich sehr unruhig, wenn jemand den ich schätze vor mir auf dem Boden kauert und kein vernünftiges Wort hervorbringt, aus Angst was Maretan Indimuni mit ihm anstellen könnte.“
Aram erhob sich benommen und trat verlegen von einem Bein auf das andere.
„Verzeiht, Maretan Ind…“, begann er, wurde jedoch von seinem Gegenüber unterbrochen.
„Heute nicht. Heute nur Maretan.“
Er reichte eines der Gläser entgegen und dieser nahm es vorsichtig in die Hand. Maretan lächelte.
„Das was hier geschehen wird ist zu wichtig, als dass wir uns mit den Formalitäten aufhalten könnten.“
Er hob das Glas und prostete Aram zu. Dann stürzte er den Inhalt hinunter und blickte ihn auffordernd an. Aram hob ebenfalls das Glas und leerte es in einem Zug. Es war nicht, wie er erwartet hatte, Wein, sondern feinster Likör, der nicht nur einen samtigen Geschmack auf der Zunge hinterließ, sondern auch in seiner Magengegend eine angenehme Wäre erzeugte. Maretan nickte mit einem Lächeln und deutete auf den Diwan von dem sich Aram eben erhoben hatte.
„Verzeiht mein plumpes Vorgehen, aber als ich Euch während der Zeremonie zusammenbrechen sah, musste ich handeln.“
Er legte die Hände hinter seinem Rücken zusammen und begann in dem halbdunklen Raum auf und ab zu schreiten, wobei er jeden seiner Schritte mit äußerster Bedächtigkeit zu setzen schien. Aram wartete schweigend. Schließlich blieb Maretan vor dem Diwan stehen und breitete die Arme aus.
„Wie ich eben schon sagte“, begann er zögernd, „heute keine Titel. Ich bin heute nur Maretan und Ihr seid nur Aram, zwei Männer die eine ernste Sache zu bereden haben und die ein tiefes Vertrauen zueinander empfinden müssen um ein Problem zu lösen.“
Er ließ die Hände sinken und musterte Aram.
„Vertraut ihr mir, Aram?“
Aram schwieg unfähig etwas hervorzubringen. Maretan seufzte erneut und holte zu einer Erklärung aus.
„Vor dreiundzwanzig Jahren wurdet ihr Zeuge einer Tragödie, die eure Familie zerstörte und euch alleine zurückließ.“
Aram riss die Augen auf.
„Woher….“
„Erinnert Euch Aram“, unterbrach ihn Maretan, „jemand hat euch weggeführt nachdem ihr auf die Straße gerannt wart. Jemand hat euch vor dem Flammentod bewahrt.“
Die Bilder seiner Erinnerungen stürzten auf Aram ein und der, so viele Jahre unterdrückte Schmerz brach sich Bahn...Er sah Eschta, seine kleine Schwester durch die große Eingangshalle auf ihn zulaufen um sich auf den Arm nehmen zu lassen. Er sah seine Mutter wie sie ihm vom oberen Ende der Treppe her zulächelte und er sah seinen Vater und seinen Bruder im Arbeitszimmer sitzen und sich über die Kosten für Aram’s Ausbildung streiten. Er sah seine Schwester wie sie durch die Eingangshalle auf ihn zu rannte und ihr Gesicht an seiner Brust barg, während heißer Tränen ihre Wangen hinunterliefen...Tränen traten ihm in die Augen und er versuchte sie wegzublinzeln. Maretan blickte ihn mitfühlend an.
„Ihr müsst Euch Eurer Trauer nicht schämen Aram. Unter einigen wenigen anderen Dingen ist Trauer etwas, das uns zeigt, dass wir noch menschlich sind.“
Vergeblich versuchte Aram seinen Erinnerungen Einhalt zu gebieten...Er sah seinen Vater mit gramgebeugten Gesicht über dem leblosen Körper seiner Mutter stehen und hilflos seine Hände öffnen und schließen. Er sah seinen Bruder der mit ausdruckslosen Augen auf das Blut an seinen Händen blickte, seinen Vater wie er den Körper seinen Mutter zudeckte und sich zu seinem Bruder umdrehte und auf ihn zutrat. Er sah seine Schwester wie sie auf ihren Vater zulief und etwas schrie. Er sah seinen Bruder zurückweichen...Er kämpfte den Kloß bitterer Galle, die sich in seinem Mund gesammelt hatte nieder und schüttelte den Kopf. Maretan war vor ihn getreten und hatte die Hände gehoben, wie um ihn zu berühren und mit dieser Berührung zu trösten. Aber Aram wich zurück und zog die Beine an um sich selbst zu halten.
„Vergesst niemals was Euch Schmerz bereitet. Denn der Schmerz, die Freude und die Liebe die Euren Erinnerungen innewohnen sind Eure Stärke. An ihnen wachst und lernt ihr Menschen“
...Aram sah das metallische Aufblitzen als sein Vater den Dolch hob um ihn gegen seinen Bruder zu schwingen. Er sah wie seine Schwester zwischen die beiden Männer trat und der Dolch sie in den Hals traf. Er sah wie sein Vater schreckensbleich wurde und auf die knie sank um seine Tochter in den Arm zu nehmen. Er sah seinen Bruder der seinem Vater ins Gesicht schlug und nach dem Dolch griff. Er hörte wie er den Mund öffnete und ihnen zu zurief, dass alles wieder gut werden würde. Er hörte wie sein Vater etwas zu ihm sagte, dann sah er den Dolch mit dem seine Schwester getötet worden war auf den knienden Mann zurasen und begann er zu laufen. Er rannte wie noch nie in seinem Leben. Er stürme die Treppe hinunter und durch die Eingangshalle, in der die MeTakk ängstlich zusammenstanden und zur Eingangstür blickten. Er sah die Gestalt die an der Tür stand und in die Halle trat...Maretan hatte sich zu ihm auf den Diwan gesetzt und Arams Gesicht in seine Hände genommen. Mit sanfter Gewalt zwang er den Mann ihn anzusehen.
„Erinnert Euch Aram, Erinnert Euch an diesen Tag. Um Eurer selbst Willen und um meiner Willen“, hörte er Maretan flüstern. Er erinnerte sich...Er spürte wie der Fremde ihm eine kalte, feingliedrige Hand auf die Schulter legte und ihm aus der Halle schob. Er spürte die Hitze des Sommertages als er die kühle Luft des marmornen Hauses verließ und auf den Boulevard hinaus trat. Er erinnerte sich wie er neben dem Mann herging, der ihn immer weiter weg von seinen Eltern und seinen Geschwistern, immer weiter weg von seinem bisherigen Leben führte. Er erinnerte sich, wie er sich umdrehte und dort wo der Palast seiner Eltern stehen sollte, eine lodernde Flammenwand sah. Dann griffen die Finger die seine Schulter nicht verlassen hatten, fester zu und er konnte die Stimme des Fremden hören.
„Keine Angst Aram Adumani, du wirst leben und ich werde mich an dich erinnern.“
Und etwas in Aram zerbrach. Tränen rannen seine Wangen hinab und gequältes Schluchzen entrang sich seinem Hals als er verstand. Maretan ließ sein Gesicht los und legte ihm stattdessen eine mitfühlende Hand auf die Schulter. Er ließ ihm Zeit. Er hatte solange auf diesen Tag gewartet, da sollte es auf ein paar Minuten mehr nicht ankommen müssen.


Aus den Aufzeichnungen von Simion Beregorn

„… die Tatsache, dass wir nun Gelegenheit hatten den Gefangenen zu befragen, sollte uns eigentlich freudig stimmen. Trotzdem bin ich niedergeschmettert, da sich der Mann als äußerst halsstarrig erwiesen hat. Sogar als der Wärter ihn der peinlichen Befragung aussetzte, kamen keine sinnvollen Informationen über seine Lippen. Doch ich will kurz meine Gedanken ordnen und vom Anfang an beginnen. Vor vier Tagen trafen die Soldaten mit dem Gefangenen ein. Auf den ersten Blick unterschied er sich nicht von uns selbst, denn er war auf jeden Fall menschlich. Doch schien er auch eine seltsame Kreatur zu sein, was man allerdings auf die Umgebung in der er aufgewachsen sein muss, zurückführen kann. Wärme jeglicher Art schien ihm verhasst und auf Feuer reagierte er mit beinahe panischer Angst. Als wir ihn befragten, kam kein verständliches Wort über seine Lippen. In seiner kehligen Sprache wiederholte er immer wieder denselben Satz. „Y’llach mev ket makker the!“ In einer pausenlosen Litanei, immer und immer wieder. Ich musste ihn knebeln lassen, damit ich überhaupt eine Frage an ihn stellen konnte. Trotzdem weigerte er sich zu sprechen. Drei Tage dauerte diese Tortur für mich. Dann am letzten Tag, befahl ich dem Wärter mit der Folter zu beginnen. Doch kaum berührte die glühende Spitze des Messers, welches der Kerl zu diesem Zweck ausgewählt hatte, den Gefangen, schrie dieser auf und brach auf der Stelle tot zusammen. Ich weiß also genauso viel wie vorher. Doch anscheinend reagiert der Feind außergewöhnlich extrem auf Hitze. Vielleicht hilft uns dieses Wissen bei Begegnungen mit ihnen und kann unseren Soldaten einen Vorteil verschaffen. Auch muss ich erneut das Manuskript des Ascravius konsultieren, vielleicht finde ich dort einige Hinweise die mir ermöglichen die Worte des Gefangenen zu verstehen…“


Vor der Stadt hatte Maddi keine Schwierigkeit gehabt, die Spuren der drei Männer aufzunehmen. Wie es aussah waren sie zu Fuß unterwegs und hatten die Straße nach Indimuni genommen. Maddi ließ das Pferd in einem zügigen Trab der Straße folgen und nach wenigen Meilen überholte sie die Gruppe. Dara lag, immer noch bewusstlos, auf einem kleinen Karren der von einem der drei Männer gezogen wurde. Maddi atmete erleichtert auf, dass das Mädchen nicht in der Lage war sie zu erkennen und ritt an der Gruppe vorbei. Keine Meile weiter machte die Straße eine scharfe Biegung und führte gleichzeitig einen Hügel hinunter. Als Maddi den Fuß des Hügels erreicht hatte, wandte sie das Pferd und blickte prüfend nach oben. Sehr gut. Man konnte die Kuppe genau überblicken, ohne dass man von Oben gesehen wurde. Sie stieg vom Pferd und streckte sich. Muskeln die sie seit Jahren nicht mehr gefordert hatte, meldeten sich protestierend zu Wort und die dicke Köchin wusste, dass sie morgen einen ziemlichen Muskelkater haben würde. Sie nahm die Pferde an den Zügeln und band sie locker an einen jungen Baum am Wegesrand. Dann begann sie ihre Satteltaschen auszuräumen. Sie würden bald hier sein, sie musste sich ein klein wenig beeilen. Vorsichtig nahm sie ihre Zunderbox und suchte Reisig und Laub zusammen um ein Feuer zu machen. Als der erste Funke das Laub zum Rauchen brachte, hatte die Gruppe mit Dara im Schlepptau die Kuppe erreicht und begann die lang gezogene Serpentine herunter zu kommen. Maddi legte kleine Äste auf das Reisig und innerhalb weniger Minuten hatte sie ein fröhliches Feuer brennen. Die Gruppe war nur noch ein paar hundert Meter von ihr entfernt. Behutsam nahm sie einen Topf aus der Satteltasche und füllte ihn mit Wasser aus ihrem Lederschlauch. Als sie den Topf auf das Feuer setzte, hatte die Gruppe sie erreicht und sie wandte den Kopf. Die drei Männer beachteten sie nicht.
Maddi stieß einen überraschten Schrei aus.
„Ach das arme Kind!“
Mit diesen Worten sprang sie behände auf und lief auf den Karren zu, auf dem Dialah lag. Die drei Männer blieben stehen und musterten sie kalt. Maddi ließ sich davon nicht stören und trat an die schlafende Dialah heran und berührte, ganz die besorgte Matrone, die sie zu sein vorgab, ihr Gesicht. Der Anführer trat zu ihr und stieß ihre Hand weg. Aber der kurze Augenblick des Hautkontaktes hatte Maddi gereicht um festzustellen, dass Dialah noch am Leben war.
„Was willst du, Frau?“ Schnauzte sie der Mann an. Maddi baute sich vor ihm auf und stemmte die Hände in die Hüften.
„Was treibt ihr hier mit diesem armen Mädchen? Warum schläft sie um diese Zeit?“
Der Mann kratzte sich am Kopf, gab aber keine Antwort. Maddi beugte sich wieder zu Dialah und schien sie von oben bis untern zu untersuchen. Dann begann sie zu lachen und richtete sich wieder auf. Mit blitzenden Augen wandte sie sich wieder dem Anführer zu, der mit seinen beiden Kollegen nun direkt hinter ihr stand.
„Hat wohl zuviel getrunken die Kleine“, stellte Maddi mit jovialer Stimme fest, und deutet auf das prasselnde Feuer am Wegesrand.
„Wollt ihr einen Becher Tee?“
Die drei Männer wechselten einen hastigen Blick. Aus den Augenwinkeln bemerkte Maddi, wie der Anführer seinen Griff an dem Knüppel den er trug unmerklich veränderte. Also gut, dann eben auf die harte Tour. Sie packte den Mann der ihr am nächsten war, am Oberarm und begann ihn, fröhlich vor sich hinschwatzend in Richtung des Feuers zu ziehen.
„Ja, ja, die Jugend von heute, immer zu schnell, und nie lassen sie sich von ihren Eltern etwas sagen“, plapperte sie munter vor sich hin. Am Feuer angekommen, ließ sie die Hand ihres Begleiters los und wandte sich zu den anderen, die immer noch am Karren standen um.
„Was ist los“, rief sie heiter hinüber, „kommt her, es gibt Tee. Genau das Richtige an so einem Morgen.“
„Frau, lass uns unserer Wege ziehen“, hob der eine, der mit dem Knüppel an, während er zögernd ans Feuer kam. Maddi bemerkte, dass alle drei versuchten, so viel Abstand wie möglich zwischen sich und dem Feuer beizubehalten. Sie bückte sich nach dem Topf um ihn hochzuheben. Und in dem Moment stürzten sich die drei auf sie. Maddi bemerkte einen Kuftzug und wandte sich zur Seite. Der mit dem Knüppel, verfehlte sie und stolperte nach Vorne. Maddi drehte sich herum und knallte ihm den Topf auf den Hinterkopf, was ihn vornüber ins Feuer stürzen ließ. Funken stoben und der Angreifer brüllte vor Wut und Schmerz auf, ehe er in sich zusammensackte und reglos in den Flammen liegen blieb. Maddi wandte sich dem nächsten zu, der bereits auf sie zugestürzt kam, parierte seinen Hieb mit dem Unterarm und jagte ihr Knie in seine Leiste. Das hätte jeden männlichen Angreifer sofort ausgeschaltet, doch nicht diesen. Er schien den Tritt nicht einmal gespürt zu haben und griff nach ihrer erhobenen Hand. In der Zwischenzeit war auch der dritte Mann hinzugekommen und hatte Maddi umrundet um sie von Hinten zu packen. Maddi wartete bis der Mann vor ihr, ihre Hand gepackt hatte und drehte sich dann schwungvoll um die eigene Achse wobei sie den Kerl mit sich riss. Das Drehmoment das sie aufgebaut hatte ausnutzend duckte sie sich und schlug mit ihrem Bein, dem dritten Mann die Füße unter dem Körper weg während der eine, immer noch ihren Arm umklammernd, von seinem und Maddis Schwung nach vorne geschleudert wurde und mit ihm zusammenprallte. Maddi sprang wieder auf die Beine und gab den beiden taumelnden Gestalten einen Stoß, der sie mitten ins Feuer taumeln ließ. Ein widerwärtiges Zischen war zu hören und die beiden Männer kreischten wie am Spieß. Dann sackten sie wie zwei nasse Säcke zusammen und begruben die Reste der Flammen unter ihren Körpern. Maddi wischte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und machte sich bereit für den nächsten Angriff. Doch dieser kam nicht. Die drei Männer blieben reglos in den Überresten des Lagerfeuers liegen. Maddi zog mit einer fließenden Bewegung das Messer aus seiner Versteck in ihrem Ausschnitt und machte einen vorsichtigen Schritt auf die reglosen Körper zu. War das eine Falle, fragte sie sich. Weder ihr Angriff noch das Feuer waren stark genug gewesen um einen Mann bewusstlos zu machen. Mit der Spitze ihres Fußes stieß sie einen der Körper an. Keine Reaktion. Vorsichtig, jederzeit einen Angriff erwartend, ging sie in die Knie und packte einen der drei am Arm. Mühelos drehte sie den Mann auf den Rücken. Einen Moment lang blickte sie den Toten vor sich an. Sie wusste zwar nicht WAS ihn getötet hatte, ihr Angriff oder das Feuer waren es nämlich nicht gewesen, aber er war eindeutig tot. Die Tatsache, dass sein Kopf haltlos in jede Richtung schwang in die sie den Körper bewegte, deutete eindeutig auf ein gebrochenes Genick hin. Und DAS war mit Sicherheit keine Auswirkung die sie verursacht hatte. Sie ließ die Toten, nachdem sie auch die beiden anderen kurz untersucht hatte, achtlos liegen und verstaute ihre Habseligkeiten wieder in den Satteltaschen. Anschließend holte sie das Pferd und legte die immer noch bewusstlose Dara über den Sattel. Nach einem letzten Blick auf die drei Körper am Boden, gab sie dem Pferd die Sporen und ritt davon.
Als sie hinter der ersten Wegbiegung verschwunden war, trat eine Gestalt in einer dunklen Robe aus dem Schatten des Waldes und blickte in die Richtung in der sie verschwunden war. Janiz blickte kurz zu den drei Toten am Boden und ein kleines Lächeln berührte seinen schmalen Lippen.
Perfekt, sein Plan war aufgegangen und ihm blieb im Moment nichts anderes zu tun, als abzuwarten. Dann wandte er sich um und verschmolz wieder mit den Schatten.


Aus den Aufzeichnungen von Simion Beregorn

„… tatsächlich hat es sich gezeigt, dass der Feind sehr empfindlich auf Flammen und Hitze reagiert. Warum ist uns nicht bereits früher aufgefallen, dass die Feuer in den Lagern immer gelöscht waren wenn ein Angriff erfolgte? Welche Narren wir doch waren. Meinem Kaiser habe ich diese Erkenntnisse dargelegt und sofort erließ er einen Befehl, der die Soldaten auffordert ihre Wachfeuer nicht erlöschen zu lassen. Vielleicht war der Tod des Gefangenen doch nicht so sinnlos wie ich anfangs befürchtet hatte. Ich zumindest fühle mich erleichtert ein Mittel gegen den Feind gefunden zu haben. Mein Jagdinstinkt ist nun geweckt und ich werde alles daransetzen mehr herauszufinden. Es ist mittlerweile mein höchstes Ziel unser Land von diesem Abschaum aus dem Norden zu säubern…“


„Geht es Euch besser?“
Die Stimme des Indimuni klang besorgt. Aram wandte seinen Blick vom flackernden Feuer im Kamin ab und wandte sich zu Maretan um. Mit ausdruckslosem Gesicht und gehüllt in die typische dunkle Robe stand der Indimuni in respektvollem Abstand hinter ihm und hielt zwei gefüllte Kelche in der Hand. Wortlos reichte er Aram einen davon. Dankbar nahm dieser das Getränk an und trank vorsichtig davon. Der schwere, rote Wein hatte ein wunderbares Aroma und einen Moment lang klammerte sich Aram daran, ehe er es wie seine Erinnerungen losließ.
„Wenn Ihr Euch erholt habt“, eröffnete Maretan das Gespräch erneut, „können wir uns nun dringlicheren Angelegenheiten zuwenden?“
Er vollführte eine einladende Geste in Richtung seines Schreibtisches. Aram leerte den Kelch und stellte ihn auf das Sims über dem Kamin ehe er dem Indimuni durch den Raum folgte und sich auf eine Geste seines Gastgebers hin in einen der Stühle vor dem Tisch sinken ließ. Maretan musterte ihn über die Fingerspitzen seiner vor dem Gesicht gefalteten Hände hinweg.
„Ich möchte mich in aller Form für den Schmerz den ich Euch verursacht habe entschuldigen, Aram. Aber leider war dies eine Notwendigkeit. Für uns Beide.“
Er ließ die Hände sinken und zog eine zusammengerollte Pergamentrolle aus einer der Schubladen.
„Es war notwendig, dass Ihr Euch an bestimmte Ereignisse erinnert und für mich war es unabdingbar, dass ich – und meine Absichten – verstanden werden. Leider ließ sich kein anderer Weg finden, um dies zu bewerkstelligen.“
Aram senkte den Blick und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht.
„Hier“, sagte Maretan und reichte ihm das Pergament.
„Vielleicht hilft euch dies hier zu verstehen.“
Zaghaft nahm Aram es entgegen und blickte auf das wächserne Siegel an der Vorderseite. Dort wo sich die zusammengefalteten Ecken des Bogens trafen, prangte ein reich verziertes A auf dem hellgelben Wachs. Das Wappen seiner Familie. Hastig erbrach er es und faltete das Pergament auseinander. Während der Indimuni ihm mit unbewegtem Gesicht gegenüber saß, begann er mit wachsender Unruhe zu lesen. Ein Blick auf die Signatur zeigte ihm, dass dieser Brief von seiner Mutter stammt und nicht wie er angenommen hatte von seinem Vater. Als er zu Ende gelesen hatte, faltete er das Pergament sorgfältig wieder zusammen und steckte es in eine seiner Taschen. Maretan schwieg. Aram leerte seinen Kelch und stellte ihn auf den Tisch, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Während er versuchte sich an das Gesicht seiner Mutter zu erinnern, konnte er hören wie sich der Indimuni erhob und den Tisch umrundete. Dann erklang das Geräusch einer Flüssigkeit die in seinen Kelch geschüttet wurde. Als er die Augen wieder aufschlug stand Maretan an der Seite des Schreibtisches und hielt eine kleine Phiole in seiner ausgestreckten Hand. Neben ihm stand sein Kelch, frisch gefüllt mit dem schweren roten Wein. Aram sah ihm direkt in die Augen.
„Am Tag nach dem sie diesen Brief geschrieben hat, gab es diesen Streit“, murmelte er.
„Das war der Tag an dem ich euch holen sollte. Eure Mutter sandte nach mir, denn sie ahnte was passieren würde.“
Maretan zögerte.
„Das war auch der Tag an dem sie mir diesen Brief an Euch übergab und mich anflehte, das zu tun, was ich getan habe.“
Aram schüttelte ungläubig den Kopf.
„Zweiundzwanzig Jahre meines Lebens. Ohne Erinnerung. Ohne eine Ahnung wer oder was ich bin.“
Maretan blickte ruhig zurück.
„Es gab keine andere Möglichkeit.“
Aram schwieg. Schließlich wandte er den Blick vom regungslosen Gesicht des Indimuni ab und fragte leise:
„Wird es schmerzen?“
Maretan nickte.
„Was wird geschehen, sollte ich den Trank nehmen?“
Maretan kehrte an seinen Platz zurück und stellte die Phiole vor sich auf die Tischplatte so dass sie zwischen sich und Aram stand. Dann begann er mit ruhiger Stimme den Vorgang zu erläutern. Hin und wieder fragte Aram nach, wenn er etwas nicht verstanden hatte und der Indimuni ging tiefer ins Detail. Als er geendet hatte saßen sich beide schweigend gegenüber. Schließlich nahm Aram den Kelch der wieder mit Wein gefüllt war und trank langsam und bedächtig von seinem Inhalt. Behutsam stellte er ihn wieder hin.
„Habt ihr euch entschieden?“
Aram nickte.
Ein leichtes Lächeln zeigte sich auf Maretan’s Lippen und eine gewaltige Last schien von seinen Schultern zu fallen. Aram griff nach der Phiole und hielt sie sich vor die Augen. Sie war nur halb gefüllt und die glasklare Flüssigkeit in ihrem Inneren hinterließ ölige Schlieren an ihrer geschliffenen Hülle. Er entfernte den Pfropfen und ein stechender Geruch drang in seine Nase. Er hob die Phiole an die Lippen und leerte sie mit einem entschlossenen Zug. Dann lehnte er sich zurück.
„Es wird eine zeitlang dauern bis der Trank zu wirken beginnt“, erklärte Maretan, „ich werde euch während des Prozesses alleine lassen?“
Er erhob sich und wollte den Raum verlassen, doch Aram hob eine beschwörende Hand.
„Bitte“, flüsterte er, „bleibt.“
Unschlüssig blieb Maretan stehen und blickte ihn fragend an.
„Bleibt“, wiederholte Aram seine Bitte und Maretan ließ sich wieder auf seinem Stuhl nieder.
Keiner sagte ein Wort und nur ein leises Stöhnen entrang sich Aram’s Lippen. Dann begann er zu zittern und glitt vom Stuhl. Maretan sprang auf und umrundete den Schreibtisch wo er sich neben Aram niederließ und seinen Kopf packte. Mit eisernem Griff hielt er Aram’s Haupt fest, während sich dessen Körper in Zuckungen wand. Aram schrie und stieß unverständliche Worte hervor. Nur eines kam immer wieder – Vater. Wie eine Anklage klang es und gleichzeitig wie der Ruf eine ängstlichen Kindes. Und jedes Mal wenn es erklang, antwortete Maretan mit beruhigender Stimme:
„Ich bin hier mein Sohn, es ist bald vorbei.“


An meinen geliebten Sohn Aram Adumani,
geschrieben am 1. Tag des Monats Arugal, im Jahre 1580 ND

Mein geliebter Sohn,
ich weiß nicht wie viele Jahre vergehen werden, bis du diesen Brief in deinen Händen halten wirst da es auch gut sein kann, dass du ihn auch niemals lesen wirst.

Verurteile mich nicht. Darum bitte ich dich, denn ich habe so gehandelt wie ich es für richtig hielt und dein Vater war mit meinem Entschluss einverstanden. Wenn du diese Zeilen liest, dann weißt du bereits das Aragam, mein Gemahl nicht dein richtiger Vater ist. Doch ich will versuchen dir alles zu erklären. Einerseits tue ich dies sicherlich um meiner Seele den Frieden zu geben, den sie seit so langer Zeit vermisst, doch andererseits möchte ich, dass du dir im Klaren bist, warum ich so handelte wie ich es tat.

Du weißt, dass unser Reich in vier Kasten gegliedert ist, welche unsere Gesellschaft am Funktionieren halten. Die oberste Kaste sind die Indimuni, unsere Herrscher und Beschützer vor den Widrigkeiten der Welt. Die Adumani, die höchste der menschlichen Kasten und die MeTakk, die Dienerkaste. Die Vierte Kaste sind die Intakuri, oder “Die Unreinen” wie sie auch genannt werden; sie sind die bemittleidenswertesten Geschöpfe unserer Welt, denn als verurteilte Verbrecher und als unerwünschte Bastarde, bleibt ihnen häufig nur das Leben als Sklave eines anderen; ohne jegliche Freiheit oder Recht auf Besitz. Doch, mein Sohn, es gibt noch eine fünfte Kaste. Eine Kaste die nur Wenige bescheid wissen und deren Existenz für die Meisten ein Geheimnis ist. In ihr findet man Mitglieder aller anderen Kasten unter einem Namen vereint. Und gleichrangig handeln und entscheiden sie. Nur die wenigen Indimuni die ihr angehören, stehen auch in ihr über den anderen Kasten. Diese Kaste wird Agaah genannt und wurde vor vielen Jahren aus einer Notwendigkeit heraus geschaffen. Und noch eine Besonderheit gibt es an den Agaah, welche sie von den anderen Kasten unterscheidet. Niemand wird als Agaah geboren, sondern man wird zu einem Agaah, denn die Agaah leben im Geheimen und nur diejenigen, die von keinem vermisst werden würden, werden ihnen zur Ausbildung für den Dienst am Reich übergeben. Die Agaah nämlich sind Attentäter, geschult im Töten und in der Verstellung; geübt im Kampf mit vielerlei Waffen. Doch sind sie auch Forscher und Gelehrte und einige der größten Heiler unseres Volkes sind Agaah. Und du mein geliebter Sohn bist einer von ihnen.

Ich weiß nicht in welche Kaste ich hineingeboren wurde. Vielleicht waren meine Eltern Adumani, vielleicht MeTakk, vielleicht kam ich sogar als Intakuri auf diese Welt; doch aufgewachsen bin ich als Agaah. Als ich sieben Jahre alt war, tötete ich zum ersten Mal. Ich weiß es heute noch so genau als wäre es gestern gewesen. Es war ein Junge – Eleg – und er war mein Freund. Im Unterricht hieß uns unsere FallAgaah das Liebste auf der Welt zu nennen und auf ein Stück Pergament zu schreiben. Die Zettelchen nahm sie dann an sich.. Manche nannten ihr Kätzchen oder ein Buch. Ich nannte Eleg. Und sie befahl uns, dass wir das was uns am liebsten sei zu töten oder zu zerstören und es morgen in den Unterricht mitzubringen. Eine eiskalte Hand legte sich um mein Herz und ich begann bitterlich zu weinen. Die FallAgaah fragte mich was ich hätte und ich antwortete ihr, dass ich das was mir am liebsten wäre, nicht töten könnte. Daraufhin wurde sie wütend und schlug mich. Sie nannte mich unwürdig Agaah zu sein und drohte mir, sollte ich ihren Auftrag nicht erfüllen, würde ich als namenloser Leichnam enden. Da wurde ich selbst auch wütend und im Zorn zog ich meinen Dolch und stieß ihn meinem geliebten Eleg in die Brust. Bestürzt schrie die FallAgaa auf und ließ nach Hilfe schicken. Doch es war zu spät, denn mein Stoß hatte gut getroffen. Als die Lehrerin von mir zu wissen verlangte, warum ich diese abscheuliche Tat, denn innerhalb der Ausbildung der Agaah ist es verboten einen Mitschüler zu töten, begangen hätte, konnte ich nur antworten, dass sie es mir befohlen habe. Nachdem sie auf mein Pergament geblickt hatte, schwieg sie eine lange Zeit und schickte mich auf meine Kammer. Dort blieb ich bis zum Abend. Als es dunkel geworden war, trat ein Indimuni in meine Kammer und sprach zu mir. Ich hatte schreckliche Angst, doch sie war freundlich und verständnisvoll und nahm mir die Angst. Sie wies mich an, mein Studium so schnell wie möglich zu Ende zu bringen, denn ich wäre eine viel versprechende Schülerin. Sie sagte mir auch dass sie meine Fächer neu verteilt hätte und reichte mir einen Bogen Pergament auf dem sie alles hatte aufschreiben lassen. Dann ging sie wieder. Von diesem Tag an erhielt ich eine Ausbildung wie sie nur wenige Agaah erhalten hatten. Doch davon will ich dir nicht erzählen. Drei Jahre später war ich eine Agahh und begann meine Arbeit für die Familie die ich erwählt hatte. Mein Gebieter war Maretan und er schickte mich an die verschiedensten Ort damit ich seine Befehle ausführte. Doch als ich endgültig zur Frau heranreifte nahm er mich zur Seite und begann mir seine innersten Geheimnisse und Ängste anzuvertrauen. Und schließlich fassten wir einen Plan wie der Bedrohung die er voraussah, entgegenwirken konnten. An meinem fünfzehnten Geburtstag kam Maretan zu mir und zeugte mit mir ein Kind. Dieses Kind sollte ebenfalls zu einem Agaah ausgebildet werden. Doch sollte seine Erinnerung versiegelt werden, damit die Feinde des Reiches nicht herausfinden konnten, dass es die Fähigkeit haben würde sie zu bekämpfen. Du ahnst bereits, dass du dieses Kind warst, mein Aram, und ja es stimmt; Maretan und nicht Aragam ist dein Vater. Er wurde von Maretan ausgewählt dich groß zu ziehen, damit niemand Verdacht schöpfen würde. Er wusste über deine Ausbildung bescheid und er hat auch viel Geld bezahlt, damit sie noch besser war als die meine es gewesen ist. Ich wurde ihm zur Frau gegeben und über die Jahre gewann ich ihn lieb. Ich lernte ihn zu achten und zu lieben, weil er ein gütiger und fröhlicher Mensch war.

Wenn du diese Zeilen liest, mein geliebter Aram, dann ist die Zeit gekommen, dass du erfahren sollst wer du bist. Es ist eine Zeit gekommen in der der deine Ausbildung und dein Mut benötigt werden. Zum Wohle des Reiches und seiner Bewohner. Ich weiß nicht wie Maretan deine Erinnerungen versiegelt hat, doch ich hoffe, dass es nicht zu schmerzhaft wird sie wieder ans Tageslicht zu bringen. Und was ich noch vielmehr hoffe ist, dass du mir für alles, was ich getan habe, vergeben kannst.

Deine dich immer liebende Mutter
Moíra Adumani

 

Indimuni - Glossar

Zeitrechnung und Kalender

Woche = 8 Tage
Monat = 5 Wochen = 40 Tage
Jahr = 14 Monate = 70 Wochen = 560 Tage

Die Monate
1. Arugal
2. Darawnn’th
3. Eskat
4. Mirr
5. Daakk
6. Esraat
7. Eligon
8. Dariul
9. Maassu
10. Mannum
11. Elidor
12. Gafreth
13. Eskarr
14. Indol

A.D. = Ante Dabumi
P.D. = Post Dabumi

Die Zeitrechnung beginnt über all in der Welt von Indimuni nach der von Dabumi Damarkanaa aufgestellten Organisation, die mit dem Schnitt ansetzt. Obwohl, der Schnitt und die Aufwerfung der Schneide für die Mirioi’th’Kalee und das Imperium der Sonne nicht die Auswirkungen hatte, die er auf das Kaiserreich am Zentralkontinent hatte, wurde die Zeitrechnung allgemein gültig übernommen. Neben der Zeitrechnung nach Dabumi Damarkanaa ist bei den Mirioi’th’Kalee und dem Imperium der Sonne auch noch die ursprüngliche, der Kultur eigene Datierung in Gebrauch.


DAS REICH INDIMUNI
Besteht aus 17 Provinzen

Indimuni (Früher Bernholm) größte Provinz des Reiches und Sitz der Herrscher
Stadthalter: Jobal Adumani, Garran Adumani, Lopper Adumani, Xoras Adumani
Priffez Marethan Indimuni

Die Namen der Provinzen sind über die Jahre erhalten geblieben
Die an Indimuni angrenzenden Provinzen
Magaran Stadthalter Ivaan
Devoni Stadthalter Aska Adumani
Aslabat Stadthalter Mira Adumani

Die Provinzen in den Bergen
Dov Stadthalter (Minn) Okka
Ikan Minn Masst Adumani
Damon Minn Goriis Adumani
Werg Minn Kariaa Adumani
Purr Minn Gallabara

Die Provinzen an der Südküste
Hillarion Stadthalter Maa Adumani
Ominogi Stadthalter Bollivar Adumani
Trett Stadthalter Garath Adumani
Korrin Stadthalter Mallis Adumani

Die Provinzen an der Nordküste
Basall Stadthalter Garris
Mannon Prifezz Askarit Indimuni

Safor Die Provinz an der Ostküste
Stadthalter Galles

Beriga Die Provinz an der Schneide
Stadthalter Mussigan
Stadthalter Asibal
Stadthalter Borigon Adumani
Prifezz Gondirun Indimuni


DAS KASTENSYSTEM VON INDIMUNI

Die Gesellschaft von Indimuni ist in Kasten organisiert. Neben den vier Hauptkasten gibt es noch eine fünfte, geheime, Kaste über die die wenigsten Bescheid wissen und die im Laufe der Zeit aus einer Notwendigkeit heraus geschaffen wurde

Indimuni: Herrscherkaste, besteht nur aus Indimuni. Die Indimuni sind in Familienverbänden organisiert. Es gibt fünf herrschende Indimunifamilien: Maretan, Gondra, Janiz, Escaroth, Vamuli

Adumani: Höchste der menschlichen Kasten. Die Adumani sind ebenfalls in Familien organisiert und den einzelnen Indimunifamilien unterstellt und schwören ihrer Familie unbedingte Treue und Loyalität.

MeTakk: Dienerkaste. In Wahrheit sind die MeTakk Sklaven da sie fast keine eigenen Rechte haben. Sie gehören ihrem Besitzer. Viele MeTakk-Familien sind seit hunderten Jahren im Besitz des selben Indimuni’s oder Adumani’s. Die einzige Möglichkeit aus der Kaste der MeTAkk aufzusteigen ist die Flucht oder die Erhebung. Schafft der MeTakk es für ein Jahr und einen Tag, zu überleben und nicht wieder gefangen zu werden, gilt er als Adumani. Bei der Erhebung wird ein MeTakk aus seinem Stand erhoben und während einer feierlichen Zeremonie zu einem Adumani ernannt. Unter vielen Familien gilt es als schick, einmal im Jahr einen MeTakk zu erheben.

Intakuri: übersetzt: “Die Unreinen” oder „Unerwünschten“, größtenteils entlaufene Sklaven die vor Ablauf ihrer Jahresfrist wieder eingefangen wurden und Bastarde von Indimuni und Menschen. Die Intakuri leben als Bettler auf den Straßen der Städte, oder als Wegelagerer in den Wäldern. Manche werden auch zu Arbeiten herangezogen die entweder unangenehm oder auch gefährlich sind. So arbeiten in den Salzminen im Norden des Landes hauptsächlich Intakuri.

Agaah, die 5. Kaste: In dieser Kaste finden sich Mitglieder aller anderen Kasten. Betrachtet man die Organisation dieser Kaste jedoch genauer kommt man zwangsläufig zu dem Schluss, dass es sich bei den Agaah keineswegs um eine Kaste sonder eher um ein Gesamtkonzept handelt, da das Vier-Kasten-System auch innerhalb der Agaah rigide weitergeführt wird. Es wird zwischen AgaahKa – Anwärtern, Agaah – den Attentätern und den FallAgaah – den Meistern und Ausbildern unterschieden.


DIE ÜBRIGEN VÖLKER

DAS IMPERIUM DER SONNE

Da der Südkontinent in wesentlich geringerem Ausmaß von den Auswirkungen des Schnittes betroffen war, hat ist die vor dieser Naturkatastrophe bestehende Kultur weitgehend erhalten geblieben. Die einzig wirkliche Neuerung lag in dem Wechsel von einem patriarchalen zu einem matriarchalen System. Da die Bevölkerung durch Flutkatastrophen, Vulkanausbrüche, Erdbeben und die mit dem Schnitt einhergehende Klimaveränderung, großteils ausgelöst worden war, gewannen die Frauen eine enorme Bedeutung. Im Laufe der Jahre bauten die Frauen diese Bedeutung aus und langsam, aber unaufhaltsam vollzog sich ein Wechsel in der Kultur. Der Mann galt am Ende dieses Prozessen nicht mehr als Oberhaupt der Familie, sondern war der Beschützer und der Ernährer. Die Frauen indes wurden zu den uneingeschränkten Herrschern auf familiärer und staatlicher Ebene. So besitz darf ein Mann per Gesetz auch kein Land besitzen, sondern nur die Gegenstände die er am Leib tragen kann. Alles andere wird ihm von den Frauen seines Haushalts zur Verfügung gestellt. Eine Frau verlässt das Haus ihrer Mutter nur um ein eigenes Heim zu gründen. So zieht eine Ehefrau niemals zur Familie ihres Mannes. Entweder ist die Familie des Mannes reich genug um seiner Frau die Gründung eines neuen Hausstandes zu ermöglichen, oder der Ehemann zieht in das Haus der Familie seiner Frau. Obwohl es so scheint, dass die Frau die absolute Macht über ihren Mann hat, ist dem nicht so. Jede Frau muss ihren Mann anhören, wenn sie etwas entscheiden will. Doch darf der Mann seiner Frau die Entscheidungen die Haus und Land betreffen nicht vorschreiben. Bringt er seine Einwände oder Bedenken, seine Vorschläge oder Wünsche vor den Frauen des Haushalts in dem er lebt vor, sind die Frauen verpflichtet diese Dinge unter sich zu diskutieren und ihre ursprüngliche Entscheidung anzupassen. Im Streitfall kann der Mann des Hauses verwiesen werden. Dies jedoch bedeutet, dass die Frauen keinen Beschützer und keinen Ernährer haben. So sind die Frauen darauf bedacht ihren Mann zu halten und auch seine Wünsche zu respektieren. Denn auch wenn der Mann der Meinung ist, dass seine Frau nicht auf seine Wünsche eingeht, darf er den Haushalt verlassen. Doch müssen zuerst beide vor der Hohen Frau – der Kaiserin des Reiches – vorsprechen, denn nur sie hat die göttliche Befugnis jemanden von einem Eheversprechen zu entbinden.

MIRIOI’TH’KALEE (gesprochen: Mirjoi ti kalí) - das Seevolk

Die Mirioi’th’Kalee sind das einzige Volk das in seiner gesamten Kultur schon vor dem Schnitt existiert hat. Die Mirioi sind verhältnismäßig kleine Menschen mit heller Haut und dunklen, ins bläuliche gehenden, Haaren. Sie fühlen sich auf dem Wasser genauso wohl wie im Wasser selbst. Ihre Städte sind zumeinst Ansammlungen von Schiffen die mit Hilfe von Hängebrücken und Tauen zusammengehalten werden. Als einzige bekannte Stadt die nicht ihre Position wechselt ist Boahd’Kalee zu nennen. Boahd’Kalee liegt in den Untiefen der Brudermörder-Klippen die sich zwischen dem nördlichen Zentralkontinent und der südlichen Kontinentalmasse erheben. Brudermörders-Klippen sind schroffe Felsnadeln die bis zu 200 Fuß aus dem Wasser ragen und zum Großteil so dicht zusammen stehen, dass sie von Schiffen nicht passiert werden können. In einem weiten Bereich um diese Klippen ist das Wasser voller sich ständig bewegender Sandbänke und Korallenriffe, was es fast unschiffbar macht. Diese geografischen Gegebenheiten machen einen engeren Kontakt zwischen Indimuni und Imperialen beinahe unmöglich, da keine der beiden Kulturen über ausreichendes Können in der Seefahrt verfügt.

Die Gesellschaft der Mirioi’th’Kalee ist vom Leben auf den Ozeanen bestimmt. Jede Familie verfügt über mindestens ein eigenes Schiff. Die Kinder werden frühzeitig von zuhause weggegeben um auf den Schiffen einer befreundeten Familie das Seefahrerhandwerk zu lernen. Erwähnenswert ist die Tatsache, dass die Mirioi keine eigene Schrift besitzen. Ihre Überlieferungen erfolgen auf rein mündlichem Weg. Die Gesellschaft ist in Familien organisiert. Jeweils sieben Familien bilden eine Sippe. Sieben Sippen werden ein Clan genannt. Alle Clans bilden den Thaug – der eine Art Hohen Rat darstellt. Im Thaug werden Angelegenheiten, die für das gesamte Volk von Bedeutung sind, diskutiert und entschieden, wobei jeder Clan zwei Stimmen hat, und die Mehrheit der Stimmen entscheidet. Die Leiter des Thaug sind der Mi’Kalee’cKama und die Miabi’Sha’Shamaá, wörtlich übersetzt der Mann-Seesinger und die Frau-Windweber. Diese Ämter repräsentieren die gesellschaftliche Struktur der Mirioi’th’Kalee. Als kleinste Einheit ist die Familie zu nennen, jede Familie besitzt zumindest ein Schiff. Jedes Schiff wird von einem Kalee’cKama und einer Shà’Shamaá geleitet. Jede Familie wählt aus allen Schiffsherren einen Kalee’cKama und eine Shà’Shamaá die die Familie repräsentieren. Aus diesen Gewählten bestimmt die Sippe und in der Folge der Clan seine Vertreter im Thaug. Im Gegensatz zum Thaug und der Familie, werden die Vertreter die in den Rat der Sippe oder des Clans aufgenommen werden nicht gewählt, sondern erhalten ihr Amt durch ihre Erfahrung. Das jeweils älteste Paar wird im Rat der Sippe spricht im Clansrat für seine Sippe. Und das älteste Paar im Clan tritt vor den Thaug.

DIE KJELL

Nordmänner, Waldläufer und Fallensteller, vergleichbar mit Wikingern

Der Meister – In der Religion der Welt ist der Meister der Schöpfer der Welt. Seine Hohepriesterin ist seine Gesandte und Sprecherin auf Erden und verfügt über magische Kräfte.

Der verbrannte Gott (Y’llach, der Verbrannte) – ist der Gott der Y’llch

DIE Y’LLCH

Ursprünglich eine fanatische Sekte, die dem verbrannten Gott huldigte. Der Glauben der Y’llch beruht darauf, dass die wahren Kräfte der Welt Tod und Kälte sind. Der verbrannte Gott wurde vom Meister verstümmelt, als dieser die Welt erschuf. Das Licht der Sonne verbrannte seinen Körper so schwer, dass er in einem tiefen Schlaf liegt. Da jegliches Leben auch Wärme und Licht benötigt, heilen seine Wunden nicht sondern bleiben wie sie sind. Die Y’llch glauben, dass die Schmerzen die der Verbrannte spürt während er schläft, der Grund für alles Böse in der Welt sind. Ihr Ziel ist es, die Welt in Dunkelheit und Kälte zu stürzen, damit das Leiden ihres Gottes ein Ende nimmt und seine Wunden heilen können. Wenn dies geschehen ist, wird er wieder erwachen, über seine Anhänger herrschen und ihnen ewiges Leben verleihen, in dem er das Ende der Zeiten heraufbeschwört und jegliche Existenz auslöscht. Nur seine treuesten Anhänger werden mit ihm in der Ewigkeit weilen.. Heute sind die Y’llch so zahlreich, dass es sich eher um ein eigenes Volk als um eine Sekte handelt. Die Rituale die sie abhalten, berauben sie der Wärme des Lebens und ersetzen diese durch Kälte und Dunkelheit. Da sich der Glaube der Y’llch auf der ganzen Welt ausgebreitet hat, gehören Menschen aus allen Rassen und Völkern zu diesem Volk.

 

Einfach mal Hallo

So, jetzt bin ich hier. Völlig neu und unbedarft. Mit Indimuni hab ich zwar gleich einen sehr langen Text als Einstiegsgeschichte gepostet, aber ich hoffe trotzdem auf zahlreiche Antworten, Lob, Kritik, Anregungen und Verbesserungsvorschläge...

Liebe Grüße

Darky

 

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