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Infarkt

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24.08.2005
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Infarkt

Sie zündete sich eine Zigarette an. Kalter, grauer Rauch waberte träge durch den Raum.
„Du rauchst“, fragte er, während er die Bahnen beobachtete, die die Regentropfen auf dem Glas der Fensterscheibe zogen. Das dunkle Zimmer lag hinter ihm und die nasse Scheibe zauberte immer neue Reflexionen auf seinen nackten Oberkörper.
„Was is’ denn schon dabei?“ Sie rekelte sich nackt auf dem Bett seiner Eltern.
„Hier steht doch ein Aschenbecher.“
„Nichts“, sagte Jonas. „Gar nichts.“
Das Mädchen schaute ihn belustigt an.
„Hast du was gegen Raucher?“
Jonas drehte sich zu ihr um und fixierte sie mit seinem Blick.
„Warum sollte ich etwas gegen Raucher haben“, fragte er.
Sie lag an der Stelle, an der sie alle gelegen hatten, angefangen mit seinem Vater.
Jonas war zehn gewesen, als der Herzinfarkt passiert war.

Er erinnerte sich noch genau. An diesem Tag wollte sein Vater mit ihm in den Zoo. Jahrelang hatte er das schon versprochen, doch an diesem Tag, so schien es, wollte er sein Versprechen endlich wahr machen. Am Abend zuvor war sein Vater nicht in sein Zimmer gekommen, um ihm zu sagen, daß eine Dienstreise, ein Meeting oder eine Standorteröffnung dazwischen gekommen sei. Am Abend zuvor hatte sein Vater nur gesagt, wie sehr er sich auf den Besuch im Zoo freue und wie glücklich er sei, daß er endlich die Zeit gefunden habe, etwas mit seinem Sohn zu unternehmen.
Jonas war früh morgens aufgewacht und aufgeregt in das Schlafzimmer seiner Eltern gelaufen. Seine Mutter hatte ruhig schlafend auf ihrer Seite des Bettes gelegen. Sein Vater lag ruhig daneben. Kalter Schweiß trocknete auf seiner Stirn. Eine Hand war auf die Brust gepresst, die andere hing aus dem Bett, wie ein fetter Köder an einer Hochseeangel. Die Augen hatten ihren gehetzten Ausdruck verloren und starrten gebrochen zur Decke. Das Gesicht spiegelte echtes Entsetzen wieder. Eine Schnake krabbelte langsam über das Gesicht seines Vaters, unschlüssig, ob sie Durst auf totes Blut hatte oder nicht.
Auf dem Nachtisch quoll der Aschenbecher wie immer über. Der Geruch nach kaltem Rauch erfüllte den Raum.
Jonas schrie. Er schrie, um aus diesem Albtraum aufzuwachen. Er schrie, um seinen Vater zu wecken. Er schrie, um sich von seinem Schmerz zu befreien und weckte damit seine Mutter.
Wenige Augenblicke später, schrieen sie beide. Jonas lief zu seiner Mutter. Sie nahm in den Arm. Lange umklammerten sie einander, während neben ihnen der geliebte Ehemann und Vater langsam wie eine ausgedrückte Zigarette abkühlte.

„Warum sollte ich etwas gegen Raucher haben“, wiederholte Jonas und ging langsam auf sie zu.
„Du hattest so einen Ausdruck in deinen Augen, einen Moment habe ich geglaubt, du würdest mich hassen.“
„Ich hasse dich nicht. Im Gegenteil, ich werde dir helfen“, sagte er und bückte sich, um etwas unter dem Bett herauszuholen.
„Du willst mir helfen? Wobei?“
„Beim Aufhören“, sagte Jonas und hob die Hand, die nun die alte Axt seines Vaters hielt.
Ihre blauen Augen wurden groß wie Pfirsiche und ihre blonden Haare wanden sich aufgeregt, als sie mit dem Kopf zurück zuckte. Dann begann sie zu schreien, aber das war okay. Am Ende schrieen sie immer. Wenn sie erkannten, wie sehr sie am Leben hingen, dessen Faden sie jeden Tag mit zwanzig oder mehr Zigaretten bearbeiteten, so daß eine Faser nach der anderen riss, dann schrieen sie. Schade, daß sie aus dieser Lektion nichts mehr lernen konnten. Die Axt sauste runter und beendete das Geschrei. Jonas nahm der Toten die glühende Zigarette aus der Hand. Einen Moment wirkte es, als wollte er daran ziehen, dann drückte er sie im Aschenbecher seines Vaters aus. Sorgfältig wischte er die Axt am Bettzeug sauber und ließ sie wieder an ihren Platz verschwinden.
„Mutter“, rief er. „Ich bin im Garten, Asche begraben. Leerst du den Aschenbecher im Schlafzimmer?“
Langsam öffnete sich die Schlafzimmertür. Eine kleine gebrechliche Frau erschien darin. Einen Moment betrachtete sie die Leiche.
„Er soll doch nicht immer so viel rauchen“, sagte sie und begann das Schlafzimmer zu reinigen, während Jonas in den Garten ging.

 

Hallo Klemens
Eine fast alltägliche, schon normale Prozedur. Die eines Irren und seiner irren Mutter. Auf mich wirkt diese Geschichte - nicht vorhersehbar, aber ab der Stelle: „… Sie lag an der Stelle, an der sie alle gelegen hatten, angefangen mit seinem Vater ...“ doch folgerichtig. Den Schluss empfinde ich nicht überraschend. Auch denke ich nicht, dass der Herzinfarkt des Vaters und die Handlung der Hinterbliebenen in direktem Zusammenhang stehen (sie trauern um ihn, das ist normal), jedenfalls nicht als solche erkennbar sind.
Ich weiß nicht wie man es besser machen könnte, tut mir Leid.
Am Umgang mit der Sprache gibt es nichts zu meckern.
Gruß Charly

 

hello Klemens,

eine gelungene Geschichte, allerdings ab 'an der Stelle, an der sie alle gelegen hatten' für mich zu vorhersehbar.
Am Anfang ist mir nicht klar, weshalb im Raum, als sie sich eine Zigarette anzündet, kalter Rauch wabern sollte - der ist doch erstmal warm. Auch wenn ich natürlich einsehe, dass Du den kalten Rauch nachher nochmal brauchst. ;-)

Hier finde ich den Zeitwechsel und 2x 'ruhig' unglücklich:

'Seine Mutter hatte ruhig schlafend auf ihrer Seite des Bettes gelegen. Sein Vater lag ruhig daneben.'

Vorschlag:
'Seine Mutter hatte ruhig schlafend auf ihrer Seite des Bettes gelegen, sein Vater daneben.'

Viele Grüße vom gox

 

Hallo Klemens!

Ich kann mit deiner Geschichte, ehrlich gesagt, recht wenig anfangen. Einerseits ist sie ganz gut geschrieben, andererseits wirkt sie auf mich zu grau, zu monoton, farb- und gefühlslos. Vater ist tot, Mutter und Sohn durchgeknallt und bringen Leute inihrem Haus um auf ihrem Feldzug gegen Rauchen, so lässt sich das ganze zusammenfassen. Spannung konnte das bei mir nicht wecken.

Gruß
Roland

 

gox schrieb:
'Seine Mutter hatte ruhig schlafend auf ihrer Seite des Bettes gelegen. Sein Vater lag ruhig daneben.'

Vorschlag:
'Seine Mutter hatte ruhig schlafend auf ihrer Seite des Bettes gelegen, sein Vater daneben.'


Danke für Deinen netten Kommentar. Mit Deiner Anmerkung hast Du natürlich Recht.
LG K.

 
Zuletzt bearbeitet:

Roland von Gilead schrieb:
...Einerseits ist sie ganz gut geschrieben, andererseits wirkt sie auf mich zu grau, zu monoton, farb- und gefühlslos. Vater ist tot, Mutter und Sohn durchgeknallt...

Hallo Roland (trägst Du zufällig gerade zwei Revolver mit Griffen aus Sandelholz? *grins*),
erstmal danke für Deinen Kommentar. Ich persönlich mag die Athmosphäre in dieser Kurzgeschichte auch nicht, auch wenn ich finde, daß es mir ganz gut (auf alle Fälle besser als erwartet) gelungen ist, ein tristes, fast düsteres Bild zu zeichnen. Meine persönliche Vorliebe ist eigentlich genau das Gegenteil, alles bunt und voller Farben. Diese Kurzgeschichte war ein Experiment (entstanden, während ich selbst mir Rauchen aufgehört habe), das ich sehr interessant fand.

LG K.

 

Klemens: Ich mags auch lieber bunt. Und ich schätze, diese Geschichte wäre in bunt deutlich besser gewesen... Deine Sprache ist so alltäglich, so nebenbei, dass ich dem Protagonisten und Ich-Erzähler seine Krankheit nicht abnehme. Er klingt lagngweilig, deshalb glaube ich ihm nicht, dass er ein irrer Mörder ist. Das er plötzlich eine Axt in der Hand hat, kam mir so beliebig vor, dass es schon fast wieder egal war.

Die Motive, die Begründungen deines Protagonisten sind ja durchdacht und auch halbwegs plausibel. Die Offenbarung, das er einen an der Krone hat, hat natürlich Schockpotential. Ich meine, mit einer angemessenen Sprache wäre das hier eine gute Geschichte. Vielleicht versuchst du es nochmal?


Wenn nicht, hier ist ein Stilfehler, denn du korrigieren solltest: "Seine Mutter hatte ruhig schlafend auf ihrer Seite des Bettes gelegen. Sein Vater lag ruhig daneben."

Viel Spass noch
Jona

(Ach... und Glückwunsch, dass du es geschafft hast, aufzuhören:))

 

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