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Inferno
Es regnet. Ich spüre das kalte Wasser auf meiner Haut, denn mittlerweile ist meine Kleidung vollkommen durchnässt. Nicht einmal einen Schirm habe ich dabei, da es vorher nicht nach Regen ausgesehen hat. So langsam wünschte ich, ich wäre im Trockenen und hätte mich erst gar nicht auf den Weg gemacht, vor allem, weil es sowieso keinen Sinn ergibt. Doch nun bin ich fast am Ziel und es wäre dumm, jetzt umzukehren.
Abrupt bleibe ich stehen und drehe mich zur anderen Straßenseite. Ich schaue durch ein gegenüberliegendes Fenster und beachte die alte Frau nicht, die wütend auf mich einredet, weil sie fast mit mir zusammengestoßen wäre. Dort, mit dem Rücken zur Scheibe, sitzt du. Ich erkenne dich fast nicht, denn der Regen rinnt in Strömen über das Glas und lässt deine Konturen verschwimmen. Das Einzige, das man erahnen kann, sind deine langen, braunen, bis zur Taille reichenden Haare. Plötzlich stehst du auf und schaltest das Licht an - es ist schon leicht dunkel und ich weiß, wie wenig du die Dunkelheit magst.
In der Ferne ist ein Donnern zu hören, ich atme den Geruch von Regen tief ein und lehne mich gegen die kalte Hausmauer hinter mir. Jetzt erkennt man mehr, ich sehe, dass du telefonierst und du lachst dabei. Ja, du lachst schon wieder, es scheint dir leicht gefallen zu sein, mich zu vergessen. Als du mir gestern auf der Straße begegnet bist, schienst du mich nicht zu kennen, du schautest stur geradeaus. Dabei ist es noch keine drei Wochen her, dass wir uns getrennt haben - wir hatten einfach keine gemeinsame Ebene gefunden - und jetzt scheinst du glücklich zu sein, so, als ob nichts gewesen wäre. Während du der Stimme am Telefon lauschst, streichst du dir über den Hals, eine unbewusste Geste, bevor du abermals anfängst zu lachen und aus meinem Blickfeld verschwindest. Vermutlich hast du dich auf das Bett fallen lassen, denn deine schönen, langen Haare, die vom Luftzug nach oben geweht wurden, waren das Letzte, das ich von dir sah.
Unwillkürlich musste ich wieder an das letzte Mal, als ich bei dir war, denken und es verursachte einen Schmerz in meinem Inneren. Mir wurde wieder klar, wie sehr ich das Gefühl deiner Lippen auf den meinigen vermisste, wie sehr ich mir wünschte, dich fest in meinen Armen zu halten und an mich zu drücken, als wollte ich dich nie mehr loslassen. Als wir zusammen in deinem Bett lagen, hatte ich das Gefühl, niemand könne uns trennen, ich fühlte mich beschützt vor der Welt und vor mir selbst - vor mir und meiner Unfähigkeit, eine Beziehung zu führen. Ich war es dann schließlich, der sich zurückzog und so das Ende heraufbeschwor - mit dir zusammen zu sein war schön, doch es war ein Fehler, mich auf dich einzulassen, da mir das alles zu viel wurde. Obwohl ich nicht beabsichtigte, dich zu verletzen, kann ich es doch nicht ertragen, dich schon wieder lachen zu sehen. Ich bleibe noch eine Weile stehen und ohne, dass ich es will, rinnt mir eine Träne über das Gesicht, erst langsam, dann, während sie mit den kalten Regentropfen verschmilzt, immer schneller, bis sie zu Boden fällt. Und plötzlich muss ich lachen, ohne zu wissen, woher dieses Lachen kommt. Lache ich über dich, über mich oder über diese groteske Situation? Ein Mann, der im Regen steht und eine beendete Beziehung beweint, die er selbst nicht wirklich wollte.
Ich drehe mich um, zünde eine Zigarette an und gehe in der Dunkelheit den Weg zurück, den ich gekommen war.