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Innendrin
Wir betreten das Restaurant und ein gelangweilter Kellner, der zufälligerweise wie Jean Reno aussieht, führt uns an unseren Tisch. Auf dem Weg dorthin fällt mir auf, dass die Hosennaht an seinem Hintern aufgegangen ist, das karierte Muster seiner Boxershorts blitzt bei jedem Schritt hervor. Ich weiß nicht warum, aber ich möchte bei dem Anblick lauthals „Faschistenhupe!“ schreien, muss jedoch eher ein Übelkeitsgefühl unterdrücken.
Endlich sitzen wir an unserem Tisch. Natalie rutscht nervös auf ihrem Sessel herum und wirft mir ständig Blicke zu, die mir weiche Knie verpassen. Ich bin froh zu sitzen und scheinbar fällt ihr nicht auf, wie unglaublich nervös auch ich bin. Noch hat keiner etwas gesagt und sie sieht sich lächelnd um.
„Nice place.“, sagt sie schließlich.
Ich bin mir, nachdem mir die Farbe der Boxershorts des Kellners unfreiwillig offenbart wurde, nicht mehr sicher, ob dieses Restaurant so eine gute Wahl war, aber anscheinend hat Natalie die aufgeplatzte Hose nicht bemerkt. Wie auch immer, außer uns ist niemand hier und das Essen soll echt verdammt gut sein. Ich atme also tief durch und beschließe, locker zu bleiben, auch wenn mir das der überheizte Raum nicht wirklich leicht macht.
„Yeah, it’s nice.“, gebe ich souverän von mir.
Ich kann es ja eigentlich nicht glauben, dass ich hier mit ihr sitze. Irgendwie kommt mir alles vor wie im Traum. Ich meine, ich kenne Natalie jetzt schon seit dreizehn Jahren, aber dass ich jemals die Chance bekommen würde, bei ihr zu landen, hätte ich mir nie im Leben träumen lassen. Ich finde, es ist an der Zeit ihr zu sagen, wie froh ich bin, den Abend mit ihr verbringen zu dürfen. Als ich den Mund öffne, sieht sie mich erwartungsvoll an. Ich weiß, was ich sagen möchte, aber stattdessen gurgelt es in meinem Hals und ein Schwall Magenflüssigkeit schwappt zwischen meinen Lippen hervor und landet klatschend auf dem Platzteller vor mir.
Erschrocken weichen wir beide zurück. Ich kann nicht glauben, was gerade passiert ist.
„Oh my god!“, flüstert Natalie, steht sofort auf und kommt um den Tisch herum zu mir, um mir ihre Hände auf die Schultern zu legen. „Are you alright?“.
Ich stehe auf und wische mir mit meiner Serviette den Saft von den Lippen. Ich fühle, dass mein Gesicht die Farbe einer überreifen Tomate hat, am liebsten würde ich einfach in Grund und Boden versinken. Natalie geht einen Schritt zurück, nimmt meine rechte Hand und sieht mich besorgt an.
„Listen, we don’t have to do this. We can stay at my hotel room or we can go to your place, if that’s okay with you.“
Ich möchte am liebsten heulen vor Wut. Keine Ahnung, wie lange ich schon auf diesen Abend hinarbeite und dann kotze ich vor ihr in meinen Teller! Verdammt, ich muss mich zusammenreißen! Ich darf nicht zulassen, dass ich diesen Abend ruiniere!
„I’m okay.“, gebe ich krächzend von mir. Sie sieht mich skeptisch an, möchte etwas sagen, lächelt dann aber aufmunternd und setzt sich wieder auf ihren Sessel. Ich entschuldige mich kurz und gehe schnell auf die Toilette, um mir das Gesicht zu waschen.
Es muss die Nervosität sein, anders kann ich mir das nicht erklären. Ich meine, sie ist eine Berühmtheit und ich bin ein Niemand aus Wien. Wie um alles in der Welt habe ich es geschafft, sie kennenzulernen? Szenen der vergangenen Monate blitzen im zehnfachen Zeitraffertempo in meinen Gedanken auf und erinnern mich daran, wie alles gekommen ist. Auf manches bin ich nicht stolz, ich sehe meine Exfrau und meinen Sohn, die ich verlassen habe, zwielichtige Typen, die ich für wertvolle private Informationen über Natalie und außergewöhnliche Dienste bezahlt habe, Zufälle, bei denen ich ein wenig nachgeholfen habe, Freunde und Bekannte, die ich um Gefallen gebeten habe. Nun, immerhin hat das alles dazu geführt, dass ich mit ihr in einem Restaurant sitze. Und nun bin ich dabei, alles zu vergeigen!
Prustend spritze ich mir eiskaltes Wasser ins Gesicht und trockne es mit einem Papierhandtuch ab. Ich werfe mir im Spiegel einen dreckigen Blick zu.
„Du. Wirst. Das. Nicht. Vergeigen!“, knurre ich mich selber an.
Mein Spiegelbild scheint mich auszulachen. Ich könnte schwören, dass der Gesichtsausdruck, den ich sehe, eher amüsiert als bedrohlich dreinsieht. Was zum Henker ist nur mit mir los? Kopfschüttelnd knülle ich das Papierhandtuch zusammen und werfe es im Hinausgehen in den Papierkorb.
Als ich beim Tisch ankomme, schenkt mir Natalie ein Lächeln, für das ich jederzeit jeden Menschen auf der Welt, ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken, massakrieren würde. Ich meine das ernst, würde sie mich darum bitten, dem Kellner, der mittlerweile mit derselben gelangweilten Visage wie vorhin neben dem Tisch steht, den Hals durchzubeißen, würde ich das sofort tun. Es ist genau dieses Lächeln aus ihren Filmen, das mein Herz erobert hat. Als ich es das erste Mal gesehen habe, stockte mir der Atem. Und seitdem bin ich jedes mal komplett hin und weg, wenn ich es sehe. Nur Engel sind schöner!
„Everything okay?“, fragt sie mich, als ich mich wieder setze.
„Yeah“, gebe ich in bester John-Wayne-Manier von mir. „I’m so sorry. I don’t know how the hell that happened. That was pretty lame, huh?“
Natalie lächelt mich mitfühlend an und schüttelt den Kopf.
„No, not at all. We can get up and leave right now, if you‘re feeling sick. That’s okay.“
Ich strecke meine Hand aus und berühre ihre Fingerspitzen. Ich möchte ihr sagen, wie viel es mir bedeutet, gerade in diesem Moment mit ihr zusammen zu sein.
„I’d like to fuck you senseless.“, sprudelt es aus meinem Mund und das Gefühl, dieser Aussage einen langgezogenen Schrei folgen zu lassen, überkommt mich. Kopfschüttelnd sacke ich zusammen. Was zum Henker habe ich da gerade gesagt? Natalie hat ihren Kopf schief gelegt, so als wäre sie nicht sicher, ob sie richtig gehört hat. Mit fragendem Blick und großen Augen sieht sie mich wortlos an. Ich könnte einfach über den Tisch springen und sie mit Haut und Haaren auffressen, so schön ist sie in diesem Moment. Ich möchte aufspringen, vor ihr auf die Knie fallen und sie dafür um Entschuldigung bitten, dass ich mich wie ein Vollidiot benehme. Stattdessen stehe ich auf, schiebe meinen Sessel zurück, greife mir grinsend zwischen die Beine und schüttle mein Paket vor ihren Augen auf und ab. Der Kellner hebt eine Augenbraue, sieht von mir zu Natalie und retour, ehe er sich umdreht und beschließt, unsere Bestellung etwas später aufzunehmen.
Zitternd lasse ich mich nach hinten in den Sessel fallen. Schweiß fließt sturzbachartig aus meinen Poren und innerhalb von Sekunden klebt mein Hemd an meinem Körper. Ich vergrabe mein Gesicht in meinen Händen und eine Verzweiflung überkommt mich, wie ich sie seit der Volkschule nicht mehr erlebt habe, als ich mir vor versammelter Klasse in die Hosen machte. Natalie sitzt die ganze Zeit über auf der anderen Seite des Tisches und beobachtet mich stumm.
Okay, das war‘s. Gleich wird sie aufstehen und gehen. Und wenn sie das tut, werde ich sie nie wiedersehen. Ich habe es schlicht und einfach in den Sand gesetzt. Ich habe einfach die Nerven weggeschmissen, das Ganze war eine Nummer zu groß für mich.
Während ich mir am liebsten das Buttermesser in die Halsschlagader rammen möchte, steht Natalie plötzlich auf, geht um den Tisch herum und nimmt meine Hand. Unsicher mühe ich mich vom Sessel hoch und sehe traurig in ihre hubschrauberlandeplatzgroßen, haselnussbraunen Augen. Sie stellt sich auf ihre Zehenspitzen und haucht mir einen Kuss auf die Lippen. Dann zwinkert sie mir lächelnd zu.
„Come on, let’s get outta here.“
Ehe ich mein Glück begreifen kann, haben wir das Restaurant auch schon wieder verlassen und stehen auf der Straße auf der Suche nach einem Taxi. Mich überkommt noch ein paar Mal das seltsame Gefühl, irgendetwas Verrücktes machen zu müssen und kurz nach der Eingangstür des Restaurants beginne ich auch tatsächlich, lauthals zu blöken wie ein Schaf und gestehe Natalie, dass ich Gaga machen muss, aber das scheint ihr nichts auszumachen.
Wir stehen einfach am Straßenrand, warten auf ein Taxi und ich bin froh, dass sie mich liebt.
Und ich bin froh, dass sie mich liebt.
Froh, dass sie mich liebt.
Dass sie mich liebt.
Mich liebt.
Liebt.
Das zischende Geräusch lässt mich zusammenzucken, ich werde mich wohl nie daran gewöhnen. Während sich das Bett automatisch aufrichtet, entferne ich die Kabel des Geräts, das neben dem Bett steht, von meiner Stirn, lasse sie achtlos zu Boden gleiten und setze mich auf. Wie immer fängt meine Nase exakt eine Minute nach dem Aufwachen zu bluten an. Ich halte bereits ein Taschentuch in der Hand, zerreiße es in zwei Stücke, knülle beide zusammen und stopfe sie in meine Nasenlöcher. Nachdem ich mich wieder halbwegs in meinem eigenen Körper zuhause fühle, verlasse ich den Raum und gehe nach nebenan.
Sie sitzt noch immer so da, wie ich sie vor einer halben Stunde verlassen habe. Als ich in der Tür erscheine, hebt sie ihren Blick und sieht mich erwartungsvoll an. Sie steht auf und kommt mir ein paar Schritte entgegen, ehe sie stehen bleibt.
„Wie ist es gelaufen?“, fragt sie schließlich.
Ich kratze mich am Hinterkopf, gehe auf meinen Schreibtisch zu und lasse mich in meinen Drehsessel fallen, dessen Schaumpolsterung ein Geräusch von sich gibt, das einem Furz verdammt ähnlich klingt.
„Nun ja“, beginne ich zaghaft, „es lief nicht wirklich gut. Sie scheint ihn wirklich zu lieben.“
Es schmerzt, ihr das zu sagen. Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man verlassen wird, bei meiner Frau ist es damals auch ähnlich gelaufen, nur dass sie mir nicht mit einem Hollywoodstar davonlief. Man denkt ständig, dass der Partner einsehen wird, dass es ein Fehler war. Aber nichts tut mehr weh als festzustellen, dass er überhaupt nicht vorhat, jemals wieder zurückzukommen und froh ist, diese Entscheidung getroffen zu haben.
Ich mache diesen Job nun lange genug um zu wissen, dass es falsch ist, bei einem Kunden falsche Hoffnungen zu wecken. Aber sie wollen immer wissen, was falsch gelaufen ist.
„Haben Sie auch alles versucht?“, fragt sie mich verzweifelt.
„Er hat auf seinen Teller erbrochen. Reicht das?“
Mit zitternder Unterlippe beginnt sie schließlich zu nicken. Sie dreht sich um und nimmt ihren Mantel vom Kleiderständer. Danach kommt sie auf mich zu und reicht mir einen Scheck.
„Vielen Dank für Ihre Mühe“, presst sie mühsam hervor.
Ich nicke ihr wortlos zu und dann hat sie mein Büro auch schon wieder verlassen.
Seufzend falte ich den Scheck und lasse ihn auf meinen Schreibtisch fallen. Nachdem ich mir eine Zigarette angeraucht habe, stehe ich beim Fenster und sehe mir die Lichter der Stadt unter mir an. Ich kann nicht anders, als an vorhin zu denken. Irgendwie freue ich mich darüber, dass er bei Natalie landen konnte. Es ist nicht mein Job zu urteilen. Ich helfe aus, wenn ich kann.
Ich erinnere mich daran, wie ich seiner Sache etwas nachgeholfen habe. Natalie hat sich ja nicht einfach so von ihrem Exfreund getrennt. Das ist nun schon mehrere Monate her. Während ich überlege, ob es unrecht war, diese Tatsache für mich zu behalten, klingelt mein Telefon.
Ich mache meine Zigarette aus und setze mich in meinen Drehstuhl. Während ich mich frage, was für ein neuer Auftrag mich erwartet, ziehe ich die blutgetränkten Taschentücher aus meiner Nase und werfe sie in den Papierkorb.