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Innerer Schmerz
Er konnte es immer noch nicht wahrhaben. Es mußte ein böser Traum sein, der sich, so hoffte er, bald aufzulösen vermochte. Er fror erbärmlich in seiner Zelle; sie war dunkel und feucht. Nein, dies alles konnte nicht tatsächlich geschehen sein! Immer war er ein ruhiger und friedlicher Mensch gewesen, der niemandem etwas zuleide hätte tun können. Die Stunden krochen voran, und mit ihnen wuchs sein Schamgefühl. Mörder! Es gab sie in der Bibel, in Zeitungen, im Fernsehen und in grausigen Erzählungen - und im wirklichen Leben. Mit Schaudern hatte er sie bislang betrachtet und dabei sein eigenes reines Gewissen angeführt, hatte sich hiernach beruhigt zurückgelehnt und eine starke Zufriedenheit über seine eigene Unbescholtenheit empfunden. In seinem Leben sollte so etwas nicht vorkommen! Doch nun war das Unvorstellbare geschehen. Er hatte seit sechs Stunden einen Menschen auf dem Gewissen. Plötzlich begann sich der Raum zu drehen, er konnte nur noch verschwommen sehen, und er verlor gänzlich die Kontrolle über sein Gleichgewicht. Du bist einer von ihnen, bist auch nicht um einen Deut besser als sie! Seine innere Stimme malträtierte ihn auf das äußerste. Du hast über das Leben eines anderen Menschen entschieden, hast es eigenmächtig beendet; das allerhöchste Gut, das die Menschheit besitzt, hast Du ihm genommen. Sein Herz pochte. Es finden sich keine Worte, die diese Tat auch nur annähernd in ihrer ganzen Bandbreite des Schlimmen beschreiben könnten! Nun sitzt Du in Deinem Schemm und weist alles von Dir! Alle, wirklich alle könnten zu dieser Tat fähig sein, aber doch nicht Du! Ich werde kraft meiner Ewigkeit dafür sorgen, und dafür darfst Du mich beim Worte nehmen, daß Du niemals mehr einen ruhigen Schlaf finden mögest! Alles Schöne dieser Welt werde sich für Dich ins Grausame wandeln, und wenn Du eines unschönen Tages vor Deinem hohen Richter stehen wirst, so gedenke ich, den Staatsanwalt zu stellen! Plötzlich öffnete sich die Zellentür. Er riß seinen Mund auf, schnappte nach Luft und flüchtete in eine Ecke. "Herr Hergersberg?" rief eine Stimme. Das mußten sie sein; jetzt war seine Zeit gekommen. Oh, Herr, stehe mir bei, die Vergeltung droht; ich habe es nicht gewollt! "Hallo, Herr Hergersberg", sagte der Polizist. Im Hintergrund vernahm er eine Stimme. "Unsere U-Häftlinge werden auch immer verrückter." Er hörte nun Schritte. "Herr Hergersberg, Sie brauchen sich nicht zu verstecken. Machen Sie bitte keinen Ärger, und kommen Sie heraus, hören Sie!" Die zweite Stimme kam hinzu. "Sie können nach Hause gehen; unsere Ermittlungen sind abgeschlossen. Sie sind nicht schuld; es war wirklich ein Unfall, und er war betrunken