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Ins Dunkle

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10.10.2006
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Ins Dunkle

Während ich bis zur Hüfte in der Kloake stehe, schwimmt ein Tampon an mir vorbei und Phillip sagt: „Hast du die neue Vanish-Werbung gesehen? Oh, ich telefoniere mal mit meiner Mutter und zufällig lese ich gerade noch die Stiftung-Warentest-Zeitung, wo es um genau die Scheiß-Probleme mit dem Teppich geht, über die ich mit meiner Mutter rede, und dann taucht so ne Vanish-Schlampe in meiner Wohnung auf wie ein Scheiß Zeuge Jehova. Ich meine: Hast du dir darüber mal Gedanken gemacht?“
Ich frage mich, ob der Bauchnabel auch wirklich keine Körperöffnung ist und wate weiter voran, man geht hier mit den Hüften, vor allem. Wenn ich wieder rauskomme, bin ich wahrscheinlich ein besserer Tänzer.
„Und dann sagt die Mutter: Ja! Ich komm mal vorbei! Das ist doch der Traum, weißt du. Das ist doch der Traum der Frau von heute. Uh-Oh keiner will mich ficken, aber meine Mutter ist stolz auf mich, weil ich weiß, wie man Scheiß-Laufstraßen aus dem Teppich kriegt.“
Ich muss die Taschenlampe oberhalb meines Kopfes halten. Phillip hat mir darüber einen mehrminütigen Vortrag gehalten. So hielten sie die Profis. Angeblich. Schräg über dem Kopf.
Der Vortrag war fast länger als der über die richtige Handhabung einer Faustfeuerwaffe.
„Sobald das Licht ausging, sag ich dir, da hat die Teppich-Tussi die Vanish-Jehova-Tussi erst mal ordentlich durchgezogen. Die alte Leckschwester. Und die Mutter: OH! Da komm ich doch mal vorbei.“
„Phillip“, sage ich.
„Was?“
„Ach, scheiß drauf.“
„Genau, das ist dein Problem. Du siehst zwar, aber nicht richtig. Welche Farbe hat das Hemd von der Vanish-Tussi?“
Es ist nicht so, dass er auf eine Antwortet wartet, er unterbricht sich nur selbst für fünf Sekunden.
„Rosa!“
Wieder fünf Sekunden.
„Damit ist alles gesagt, oder? Konspiration. Du musst auch mal die Zeichen sehen.“
Ich frage mich, ob es hier unten weiße Krokodile gibt. In den Achtzigern waren die mal in, man hat den Kindern weiße Krokodile geschenkt, kleine Babyalligatoren, und dann wurden die groß und haben die Katze gefressen und man hat sie die Kanalisation hinuntergespült. So ein wenig wie Knut.
„Meinst du, hier unten gibt es Krokodile?“
„Weiße?“, fragt Phillip.
„Ja.“
„Nein.“

Ich muss aufpassen, weil Phillip tröpfelt, ganze Klumpen fallen von ihm ab, während er die Leiter hochsteigt.
Phillip sagt: „Die Nazis. Zweiundzwanzig hat Hitler zusammen mit Alfred Rosenberg und Rudolf Heß den Nibelungenschatz gefunden in einem von den Zwergen angelegten Stollen unterhalb von Bayreuth.“
Meine Hände klammern sich um die Sprossen der rostigen Leiter.
„Ich meine, hat sich jemand mal gefragt, wie das alles finanziell gelaufen ist? Er musste wahrscheinlich eine Millionen Leute schmieren, um dahin zu kommen, wo er war. Ich sag dir, das dritte Reich ist gebaut auf Zwergengold. Röhm, Hugenberg, Hindenburg. Die hatten alle die Taschen voll mit Rheingold.“
Ich sehe nach oben zu seinen Füßen. Ich brauche eine Rast, meine Arme sind schwer, aber er klettert weiter und sagt: „Die Thule-Gesellschaft, das war’s. Hitler, Rosenberg, Einstein, Oppenheimer, Benn, Gründgens, die bekackte Thule-Gesellschaft.“
Wir klettern weiter, die Stufen hinauf.
„Weißt du, es heißt ja immer, Hitler hätte die Autobahnen gebaut, aber was viel wichtiger ist, er hat auch die Unterbahnen gebaut. Alle wichtigen Städte des Reiches hatten eine riesige Kanalisation. Die Kugelwelt!“
„Rübezahl haben sie das graben lassen, oder wie?“
„Zwerge, hörst du mir nicht zu?“
„Doch, doch, natürlich. Red nur weiter.“
„Er wollte die Welt wegsprengen. Die Morgendämmerung, er war kein Idiot, weißt du. Hiroshima, das hätte London sein sollen. Und Nagasaki New York! Er wusste das, und danach er und seine Leute unter die Erde. Thule-Gesellschaft. Mit den Zwergen.“
„Und wieso hat es dann nicht geklappt?“
Er verschwindet aus meinem Sichtfeld, taucht über mir einfach ab, irgendwo rein, ich ziehe mich die letzten Sprossen der Leiter hoch und er reicht mir eine schmutzige Hand, zieht mich die letzten Zentimeter nach oben und ich klatsche mit meinem Bauch auf Marmor, an den Wänden brennen Petroleum-Lampen und im kalten Marmor sind Mosaike eingelassen mit schwarzem Bernstein und Silber und Gold.
„Wer sagt, dass es nicht geklappt hat?“

Wir wandern eine Halle entlang, immer dem Mosaik nach, die Lampen leuchten warm.
„Der Führerbunker in Berlin, verstehst du nicht? Die Alliierten haben ihn nie gefunden. Als sie ankamen, war er einfach weg. Goebbels und so, klar, auf die hat er nen dicken Haufen geschissen. Der hat eh nie daran geglaubt. Und diese Trude Jung hat er dagelassen, die war eingeweiht, die hat denen das Märchen erzählt. Wie der Typ bei den Trojanern.“
„Traudl Jung.“
„Ja, ja“, Phillip wedelt mit einer Hand herum. „Details, Details. Seh ich aus wie ein Scheiß-Streber, oder was?“
„Nein.“
„Denkst du, ich hab hier ein kleines Büchlein, wo ich nur nachschauen muss. So ein Scheiß-Notizheft.“
„Ist schon gut.“
Als ich mich umdrehe, sind auf dem Mosaik Schlammspuren. Ich bücke mich und fahre über die Einlagen, es fühlt sich kalt an, wie kristallisierter Honig. Irgendwie huppelig.
„Komm schon.“

Wir stehen vor einem bronzenen Tor und Phillip sagt: „Das ist es. Walhalla.“
Ich schaue ihn an und lecke über meine Lippen. „Reichtümer?“, frage ich.
„Oh, ja.“
„Der Nibelungenschatz.“
Phillip nickt.
„Wie geht das Tor auf?“, frage ich.
Phillip schweigt und steht hinter mir.
Ich betaste das Tor, die raue Oberfläche, sie fühlt sich kalt an.
„Wie geht das Ding auf?“
„Von außen gar nicht“, sagt Phillip.
„Du meinst, da ist jemand drin. Aber wie?“, ich drehe mich zu Phillip um. „Er muss tot sein, niemand lebt so lange.“
Das Tor quietscht hinter mir, ein Spalt öffnet sich, ich spüre einen Luftzug an meinem Nacken, etwas packt mich an der Kehle und reißt mich nach hinten.
„Mein Führer“, sagt Phillip und hebt die rechte Hand.
Kalte Klauen pressen sich um meinen Hals.
„Aber“, schreie ich, als ich das alte Salz rieche.
„Er wurde gebissen, im August Neununddreißig. Von Stalin. Hab ich das nicht erwähnt? Na ja, die Details. Ich sollte mir vielleicht wirklich ein bekacktes Notizheft kaufen.“
Und das Letzte, was ich sehe, während sich uralte Zähne in mich bohren und alles Blut aus mir saugen, sind weiße Krokodile, die über den Boden fließen wie Wirbelwinde.

 

Hallo Quinn,
unterhalten wurde ich auch und habe öfters geschmunzelt, aber eben nicht laut gelacht. Naja, sollte auch nicht sein, schließlich sind wir hier nicht bei „Humor“!;)

Zu den vielen Assoziationen, die schon genannt wurden, trage ich Emir Kusturica mit Underground bei. Und –viell. wurde es schon gesagt – die (Assoziationen) sind ein wenig zweischneidig: Die Geschichte wird zum MemorySpiel – man sucht nach Altbekanntem, freut sich, wenn man’s findet und dann …, das war’s schon irgendwie.

Aber Phillip hat mir gefallen, solche Typen kennt jeder und ich mag sie auch.

Gruß
Kasimir

 

Hallo Quinn,

nachdem ich mit weiteren gewinnbringenden Gedanken zu deiner Mona-Lisa-KG einfach nicht zu Potte komme, möchte ich mich nun dieser Geschichte widmen. Sie ist in echter quinn'schen Manier sehr locker, unterhaltsam und kurzweilig, und dein labernder Prot (der Ich-Erzähler ist nahezu bedeutunglos, ist lediglich die "Hebamme" für Phillip) entfaltet sich in der spärlichen Handlung auf wundervolle Weise.

Mit dem Finale hadere ich ein wenig. Zum einen finde ich es gelungen, dass die damit die ganze Verschwörungstheorie ironisch übersteigert auf die Schippe nimmst. Zum anderen ist das für mich aber auch ein ernüchternder Bruch, der es irgendwie fast demonstrativ statt einer subtilen Schluss-Pointe noch mal richtig krachend lässt. Aber was soll's? Ich fühlte mich dennoch insgesamt sehr gut unterhalten!

Grüße von Rick

 

Hallo Kasimir,

ja, du hast schon recht. So eine Geschichte, die mit viel "außer-textlichem" arbeitet, wirkt schnell wie heiteres Zitate-raten.
Na ja, so lange es unterhält, ist es doch okay. :)

Freut mich, dich unterhalten zu haben, danke für die Rückmeldung
Quinn

Hallo Rick,

das Ende ist so ein kleiner Paukenschlag, sollte dann auch als Kontrast zu dem ganzen Gelaber stehen, ist natürlich alles nicht so wahnsinnig ernst gemeint.
Ich kann zu der Geschichte auch nicht viel sagen, ist schon ein wenig billig alles, und ich fühl mich gegenüber den Leuten, die jetzt mehr erwarten, auch ein wenig schuldig. Aber ich finde - als Leser - diese kleinen Unterhaltungs-Häppchen für zwischendurch durchaus bekömmlich und bemühe mich als Schreiberling auch öfter mal um sowas.

Freut mich, auch dir ein paar unterhaltsame Minuten bereitet zu haben, danke dir für deine Zeit
Quinn

 

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