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"inschallah"
„ INSCHALLAH“
Vier lange Stunden sitze ich nun bei Muhammad in seiner Telefonvermittlungsstelle im Zentrum von Riadh.
Vor der Eingangstüre Verkehrslärm, zwei Polizisten, die Hitze des Nachmittags.
Innen das nervtötende Rattern der Klimaanlage. Viel zu kalte Luft wird vom Deckenventilator durch den Raum geschaufelt.
In den Bezügen zerschlissene, alte Ledersofas und Sessel stehen auf kaltem, vor Schmutz starrenden Steinböden.
Auf der gegenüberliegenden Längsseite des Raumes reihen sich zehn einzelne Telefonkabinen aneinander. Aus ihnen dringen Gesprächsfetzen, als seien alle Sprachen dieser Welt auf wenigen Quadratmeter vereint.
In ihnen, Männer, die in wenigen Minuten ihre Erlebnisse, Sorgen und Nöte aus wochenlanger Einsamkeit und Fremdheit hinaus tragen, dorthin, wo sie verstanden und geliebt werden.
Rechts im Eck, die Regie, der Schreibtisch von Muhammad. Hinter ihm die Schaltzentrale, das Tableau der Handvermittlung mit unzähligen Kabeln in unterschiedlichen Farben und fast fingerlangen Bananensteckern an ihrem Ende.
Muhammad, ich nenne ihn so, weil fast alle in diesem gottverdammten Land Muhammad heißen, bedient sein Reich virtuos.
Muhammad, in einer blaugrauen Kelembia, bis zu den Knöchel reichend. Die staubig dunkel gefärbten Füße stecken in flachen Sandalen. Muhammad ist jung und fett. Seine Hände wirken feingliederig, der übergroße goldene Ring am Ringfinger der rechten Hand wirkt deplaziert.
Seine glatte Gesichtshaut ist durchbrochen durch den spärlich wachsenden Dreitagebart. Kleine, listige Augen huschen flink durch den Raum. Ihnen entgeht nichts!
Auf dem Tisch vor Muhammad, ein kleiner Stapel weißer Zettel aus einem Notizblock.
Jeder dieser Zettel ist beschriftet mit der Nummer der gewünschten, oft heiß ersehnten Telefonverbindung, sorgfältig in übergroßen Zahlen geschriebene Hoffnungen. Länderkennzahl, Vorwahlnummer, Teilnehmernummer!
Jede neue Gesprächsanmeldung wird sorgsam unter den Stapel geschoben, der Rest, „Inschallah“, ist „Warten!“
Muhammad betrachtet seine Klientel wie der Besucher die exotischen Tiere im Zoo. „Alle, ausnahmslos alle tragen das Dollarzeichen im Auge. Sie kommen des Geldes wegen, das hier zu verdienen ist. Sie verstehen nichts von unserem Land, seinen Menschen, der Kultur! Sie sind Ungläubige, ignorieren unsere Gebetszeiten, überhören die Aufrufe des Muhezin, unsere Religion. Mit welchem Recht?“
Er schaut auf seine Armbanduhr, es ist zweiundzwanzig Uhr, um dreiundzwanzig Uhr dreißig, in eineinhalb Stunden wird er schließen. Er wird sie hinausbitten, diejenigen, die umsonst gewartet haben. Er wird „bokra“ sagen, morgen!
Muhammad spürt die Blicke der Wartenden. Sie fixieren den kleiner werdenden Stapel der weißen Zettel vor ihm auf dem Tisch.
Ein feines Grinsen in seinem Gesicht. Er nimmt den Zettelstapel in die linke Hand, stoppt in der Bewegung, überprüft mit einem langen Blick zu den Wartenden, den Grad der Aufmerksamkeit über sein Vorhaben, um dann, einem Pokerspieler gleich, den Zettelstapel mischend, in die rechte Hand gleiten zu lassen.
Ein Sturm der Entrüstung, lautes Geschimpfe, Männer springen auf, bedrängen Muhammad, verlangen unverzüglich die Wiederherstellung der alten Reihenfolge.
Die beiden Polizisten, vom Lärm angelockt, eilen Muhammad zu Hilfe, bauen sich links und rechts neben ihm auf.
Die Aufgebrachten verstummen augenblicklich. Sie kehren zurück auf ihre Plätze, maulend, verärgert, machtlos.
Ein jeder wissend, dass der Ungläubige rechtlos ist gegenüber dem Sohn Arabiens. Jeder wissend, dass er schnell und geräuschlos verschwindet in einem Gefängnis, oft für Tage, oder Wochen, ohne Anklage, ohne Hilfe von außen.
Ich bin kreidebleich, verärgert, leer. Warum bist du in diesem beschissenen Land, warum lässt du dich erniedrigen von einem kleinen, fetten, unrasierten Saudi, dem es gerade langweilig ist?
Einen zwölf Stunden Arbeitstag hinter mir, sitze ich seit mehr wie vier Stunden in diesem Loch, warte auf die Möglichkeit ein paar Worte mit meiner Frau zu sprechen, habe nichts gegessen und diesen Telefonzettel mischenden Fettsack vor mir.
Muhammad hat sich frischen Tee aufgegossen nach all der Aufregung. Ich stehe auf, gehe zu ihm und frage ihn, wie sein „Tsai“ schmeckt.
Ohne auf seine Antwort zu warten beginne ich ihm meine Geschichte zu erzählen. „Ich bin „Mudir“ auf einer großen Brückenbaustelle. Es ist eine Baustelle des Königs von Saudi Arabien und deshalb von großer Bedeutung für dieses Land. Diese Baustelle liegt nördlich von Damam an der neuen Straße nach Al Djubail, am Golf, auf der Höhe von Ras Tanura, „kennst du diese Gegend, Muhammad? Es sind etwa sechshundertfünfzig Kilometer, dorthin, quer durch die Wüste!“
Muhammad schüttelt seine dicken Backen. Das einzige, was er kennt ist Riadh und die umliegenden Bereiche. Das Umland kennt er nur von Picknickausflügen in die Wüste.
Ich fuhr fort: „Also, du kennst das gar nicht? Dann kannst du natürlich nicht wissen, wie bedeutend die termingerechte Fertigstellung dieser Autobahn und seiner großen, neuen Brücken für den König sein wird?“
Muhammad ist beeindruckt, sein Kinn geht langsam nach unten, sein Mund öffnete sich in ungläubigem Staunen.
„ Muhammad, stell dir vor, man erwartet mich dort, morgen, sehr früh, in Ras Tanura. Ich habe eine sehr lange Nachtfahrt vor mir und ich werde aller Voraussicht nach dort nicht mehr rechtzeitig ankommen!“ „ Ich werde morgen früh allen Beteiligten, auch den direkten Mitarbeitern des Königs erklären müssen, warum ich sie alle warten lies, ich werde ihnen den heutigen Abend schildern, sie werden mich nach deinem Namen fragen und ich werde antworten müssen!“
Muhammad, grau im Gesicht, bedeutet mir, ich solle nicht weiterreden!
„Nein, trinke einen „Tsai“ mit mir, gib mir deine Nummer!“ Er schiebt den Stapel Zettel zu mir, ich fische meine Nummer heraus.
„Jetzt trinken wir Tee zusammen, wir werden Freunde sein, dann telefonierst du und morgen Früh wirst du pünktlich ankommen. Du wirst den heutigen Abend vergessen haben – „Inschallah“ !
© GRIFFEL
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