- Beitritt
- 06.06.2005
- Beiträge
- 984
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 8
Inselkoller
Wenn man auf der Schultoilette eine Purpfeife raucht, ist das schon eine verdammt coole Geschichte. Wird man dabei vom Rektor persönlich erwischt, sinkt die Qualität der Angelegenheit schon etwas ab.
Ist dann auch noch nicht einmal der Vater, als CDU Ratsvorsitzender, in der Lage, den unehrenhaften Rauswurf von dem sogenannten Elitegymnasium zu verhindern, fängt die Sache langsam an zu stinken. Und ich rede nicht vom Angstschweiß, den ich in den Tagen in rauen Mengen absonderte.
Das Ave-Maria-Gymnasium war nicht für seine Gnädigkeit bekannt.
Die Tatsache, dass ich trotz der zwei Gramm Gras und dem rauchenden Chillum in meiner Hand, den Missbrauch des Betäubungsmittels leugnete, beeinflusste das Urteil der Schulkonferenz nicht gerade zu meinen Gunsten.
„Da machen wir kurzen Prozess! Unser Ruf steht auf dem Spiel“, soll Direktor Hess gesagt haben.
Auch meine vorgebrachten Rechtfertigungen, wie beispielsweise, Leistungsdruck und Pubertätsprobleme, blieben ohne Wirkung.
Mein Vater drehte natürlich voll am Rad, da es in leicht verfälschter Form auch seinen Weg in den Düsseldorfer Express gefunden hatte. „Borchert (CDU) – Sohn (18) im Drogensumpf“ Das wiederum beeinflusste seiner Meinung nach die Chancen auf seine Wiederwahl im kommenden Herbst negativ. Deshalb beschloss er, sich mit meiner Mutter auf die Malediven zurückzuziehen, bis die Wogen sich geglättet- und er eine Strategie zur Schadensbegrenzung entwickelt hatte. Das kam mir ziemlich gelegen. Ein paar Wochen sturmfreie Bude waren eine herrliche Vorstellung.
„Ja Mama, ich werde die Zeit nutzen, um mir Gedanken über meine berufliche Zukunft zu machen.“ Die nähere Zukunft hatte ich, im Gegensatz dazu, schon auf dem Plan: Union Rave im Tor 3. Yeah!
Meine Mutter war eigentlich ganz okay und bewahrte auch diesmal, trotz der kleinen Sorgenfältchen um ihre belinsten Augen, ihren elitären Charme. Dachte ich zumindest, bis sie mir ihre Vorstellung meiner kommenden Wochen präsentierte.
„Tante Erika ...? Duisburg ...?“Och nee, ne.
Sven, der Assi meines Vaters, war falsch abgebogen.
„Nach Rheinhausen hätten wir rechts gemusst, Sven.“ Als hätte ich es ihm vorher nicht gesagt gehabt.
In den wolkenbehangenen Himmel ragte eine Hochhaussiedlung, wie ich sie bislang nur aus dem Fernsehen kannte. Die Gebäude waren wohl mal weiß gewesen, was man jetzt beim besten Willen nicht mehr behaupten konnte. Sie hoben sich nur durch die auf den Balkonen aufgehängte Wäsche vom schmutzigen Grau des Himmels ab.
„Sind wir hier bei Sido oder was?“
Sven zuckte nur mit den Achseln, was mich nicht gerade beruhigte.
Eine Frau mit Kopftuch schob einen vollbepackten Einkaufswagen vor sich her und starrte mit zusammengezogenen Augenbrauen auf die Nobelkarosse meines Vaters.
„Oh Mann! Was ist mit dem Navi los?“
Wir hielten an einer Abbiegung, um den Namen der Straße mit dem, auf dem sterbenden Bildschirm zu vergleichen.
„Ottostraße.“
Doch das Display zeigte nur noch einen Salat verrückt gewordener Pixel.
„Mist, abgekackt!“, fluchte Sven und gab dem teuren Gerät einen Klaps.
Wir hatten uns verfahren.
Orientierungslos drehten wir unsere Runden in einer Welt, die so anders war, als die, aus der wir kamen. Keine Klubhäuser, keine Sternerestaurants, keine Jugendmusikschule und schon gar kein Ave-Maria-Gymnasium. Nur ein paar Dönerbuden, Supermärkte und ...
„Ein Internetcafé. Halt an, ich geh mal fragen.“
Als ich so mutterseelenallein auf dem Bürgersteig angelangt war und der Knall der sich schließenden Tür noch in der rußigen Luft hing, war ich mir plötzlich nicht mehr ganz so sicher, ob ich mit meiner Vermutung richtig lag. Das „I“ in I-Café konnte schließlich für so einiges stehen: Internationales-, Israelisches-, Insel- ...
„Islamistisches-Café …? Ach du Kacke!“
Meine Knie wurden weich. Durch den arabisch aussehenden Typen in Sportleroutfit bestärkt, der mit einem selbstgefälligen Grinsen unter seinem Dreitageschnäuzer, seine Billig-Turnschuhe in den polierten Felgen unseres Wagens begutachtete.
Ich ging in Gedanken kurz die Choreografie meines coolsten Ganges durch und machte mich schlendernd auf den Weg zum Eingang des I-Cafés. 1€ in alle Tarife, hieß es. So ganz falsch konnte ich hier also nicht sein.
Ich stand ein paar Minuten unbemerkt am mit Angeboten zugepflasterten Tresen. Der Typ mit den Turnschuhen hatte direkt nach mir den Laden betreten und sich zu einer Gruppe Gleichgesinnter am anderen Ende des kleinen Raumes gesellt, wo sie lauthals diskutierten.
Gesprächsfetzen wie „Ficken ... Schwänze ... Fidel ...!“, drängten sich mir auf und erhöhten das Gefühl der Bedrohung.
„Was willst du?“, fragte mich der Typ hinterm Tresen.
„Sprite ist alle.“
Ich wollte gerade antworten, als ein gewalttätig wirkendes Geschrei, begleitet von kalter, mein Gesicht benetzender Flüssigkeit, mich erneut aus der Bahn zu werfen drohte. Innerhalb von Millisekunden war mein Kopf absolut blutleer, was mir neben dem aschfahlen Teint auch gewisse Intelligenzaussetzer bescherte. Hektisch versuchte ich, das sauer riechende Nass aus meinem Gesicht zu entfernen. Ich hatte schon so manche Horrorstory über Säureanschläge zu hören bekommen.
Der Typ mit den Turnschuhen gab einem seiner Kollegen eine Kopfnuss, dieser ging zu Boden. Wie lange würde es noch dauern, bis sie mich bemerkten und sich auf mich stürzten? Ich riss mich zusammen und wand mich dem Typen hinter dem Tresen zu.
„Rheinhausen, wie komme ich von hier aus nach Rheinhausen?“
Nachdem ich alles andere als lässig das Café verlassen hatte. Gab ich Sven die Koordinaten durch, was sich als überflüssig herausstellte, da er das Navigationssystem wieder zum Laufen bekommen hatte.
Als wir die Fahrt wieder aufnahmen, kramte ich mit zitternden Händen in meiner Tasche, fand das Beutelchen mit dem Dope und drückte es zärtlich.
„Was wäre ich nur ohne dich.“
„Wie bitte?“
„Ach, nichts.“
Tante Erika hatte nicht alles ganz so richtig gemacht wie ihre Schwester, meine Mum.
Ihr Mann hatte sie so vor zehn Jahren sitzen und mit ihrem grenzdebilen Sohn, Patrick alleine gelassen. Sie arbeitete vormittags als Brötchenverkäuferin in einer benachbarten Realschule und bewohnte ein Reihenhaus, das, wie alle anderen in dem Viertel, den frechen Charme der Sechzigerjahre Arbeitersiedlungen versprühte. Auch die im Vorgarten drapierten Gartenzwerge schienen aus der Epoche übriggeblieben zu sein, zumindest ließ der Moosbefall darauf schließen.
Sie empfing mich in der Tür, drückte mich etwas zu herzlich und zeigte mir das Zimmer, in dem ich die nächsten Wochen gefangen gehalten werden sollte.
„Ähm, entschuldige bitte, Erika, aber das ist doch Patricks Zimmer.“
„Die paar Tage werdet ihr wohl zusammen aushalten. Ihr habt euch nach so langer Zeit bestimmt viel zu erzählen.“ „
Habt ihr kein Sofa? Ein Haufen Stroh würde auch reichen.“
„Junge, jetzt stell dich doch nicht so an.“ Sie schlug die Tür hinter sich zu, was die unzähligen Poster von nackten Tussis in Boxerpose erzittern ließ. Ganz schön jähzornig, die Alte.
Da stand ich nun, im Zimmer dieses Volltrottels, umgeben von seinen Volltrottelsachen und einer mit Kissen und Decke ausstaffierten Gartenliege, die wohl mein Nachtlager darstellen sollte. Ich öffnete das Fenster und genehmigte mir ein Pfeifchen aromatischen Grases.
„Man muss immer seinen Stil bewahren“, das hatten mir meine Eltern stets nahegelegt.
Ich machte es mir auf der Liege so gemütlich es ging und versuchte mich zu entspannen.
In Düsseldorf hätte ich nun, wie eigentlich jeden Donnerstag, mit der Wochenendplanung begonnen. Partys auschecken, Mädels und Drugs organisieren. Den ganzen Scheiß.
Was blieb mir hier anderes übrig, als mir die Rübe wegzukiffen?
„Kacke, Mann!“
Ich befand mich mitten in einem Traum, in dem ich wohl so eine Art Robinson darstellen sollte. Alleine auf einer Insel, umgeben von einem Ozean aus stinkendem Abwasser.
Weit und breit keine Menschenseele. Nur aschgrauer Sand und eigenartiges Gestrüpp zum Landesinneren hin.
Ich überwand mich, die miefende Gülle zu betreten, um schwimmend dem Eiland zu entfliehen. Doch immer wieder tauchten schnäuzertragende Turnschuhfische mit spitzen Zähnchen vor mir auf und zwangen mich zur Rückkehr. Flucht unmöglich.
Ein Rascheln ließ mich herumfahren. Der Tresentyp aus dem Café erschien im angrenzenden Gebüsch, sein Nasenflügel war von einem Kugelschreiber durchbohrt.
„Was machst du hier auf unserer Insel?“
„Sag mir lieber, wo es hier nach Düsseldorf geht! Dann bin ich schneller weg von deiner Insel, als du Lamcun sagen kannst.“
Zu seinen Seiten erschienen mehr und mehr finster dreinblickende Visagen im Dickicht.
„Ich hab nichts bei mir, wenn ihr das meint!“
Wie auf ein vereinbartes Zeichen hin, setzte sich die Armee der solariumbraunen Haarlackirokesen in Bewegung und verließ, mich im Visier, das schützende Buschwerk.
Ein Blick über meine linke Schulter riet mir von einem Fluchtversuch rückwärts ab. Der stinkende Ozean brodelte wie ein Scheißegeysir kurz vor dem Ausbruch. Milliarden von Schuhpiranhas bleckten ihre messerscharfen Reißer. Ihre giereigen Blicke folgten jeder noch so kleinen Bewegung. Ich taumelte, doch eine starke Hand hinderte mich am Umkippen.
Es war der Typ mit der durchbohrten Nase. Seine starke Pranke umfasste meinen Hals problemlos und beförderte mich direkt vor sein Gesicht. Der von ihm ausgehende Gestank brachte mich in die Umlaufbahn einer Ohnmacht.
„Ich wusste gar nicht, dass gesalzener Joghurt so stinken kann“, gab ich, so gut es mein zugedrückter Hals es zuließ, von mir.
Mit einer unpassend hohen Stimme schrie er mir ins Gesicht.
„Ich mach dir Pfeffer im Hintern, du Arschloch!“
Ich schreckte auf.
Millimeter vor einer mir nur all zuvertrauten Fratze bremste ich ab.
„Alder, was ist denn mit dir los?“
„Patrick?“
„Patty, um genau zu sein.“
So bescheuert dieser Typ auch sein mochte, ich war froh, ihn zu sehen.
„Mann, hab ich ne Scheiße geträumt.“
Er reichte mir die Hand, um mir aus dem nass geschwitzten Deckenknäuel zu helfen. Ich nahm danken an und befand mich schneller in der Senkrechten, als es meinem Kreislauf lieb war. Durch wabernde Flecke präsentierten sich die Umrisse eines zweiten Anwesenden.
„Das ist Miriam.“
„Was ist los mit dem?“, fragte eine Stimme, deren Klang, den Schleier vor meinen Augen in einen Schwarm bunter Schmetterlinge verwandelte.
„Geht gleich wieder, Moment.“
Ich rieb meine Augen, um wieder klare Sicht zu bekommen und mich den Klauen des Disneyfilms zu entreißen, der mich anscheinend gefangen hielt.
„Hat wohl zu viel gekifft, der Gute.“
„Ach so, na dann. Hallo, ich bin Miriam.“
Etwas zu heftig ergriff ich nach den Schemen der mir hingehaltene Hand.
„Arthur, hi.“
Miriam war mit Patrick in die erste und zweite Klasse gegangen, bevor sie mit ihren Eltern vor ein paar Jahren in einen anderen Stadtteil gezogen war und nun dort die Schule besuchte. Sie hatten sich vor kurzem wiedergetroffen und sich anscheinend einiges zu erzählen gehabt. Zudem verband sie eine Gemeinsamkeit, in die ich an jenem Nachmittag eingeweiht wurde: Party, und das nicht zu wenig.
„Heute Abend ist Alpha angesagt, Alder“, sagte Patrick mit halsiger Stimme und reichte mir die qualmende Spriteflasche, bevor er an dem folgenden Hustenanfall zu ersticken drohte.
„Yeah, Alpha!“, spielte ich meine Begeisterung und konnte mir die Deppenshow, die mich erwartete bildlich vorstellen. Erinnerungen an meinen Traum schossen mir durch den Kopf.
Was mich bei der Stange hielt, war Miriam. Besser gesagt, sollte Miriam werden. Mein Tagesziel stand fest.
Sie erzählte allerhand Zeug aus ihrer Jugend und von Ihren Eltern, die irgendwann aus dem Libanon hierherkamen.
Wenn ich auf der Schule eines gelernt hatte, dann war es, interessiert zu tun und dem Gegenüber durch Einwürfe, wie zum Beispiel, „Aha“, „soso“ und dem Klassiker: „Ich muss dir ehrlich gestehen, das macht mich wirklich betroffen“, das Gefühl zu geben, ich sei sowohl ein guter Zuhörer, als auch ein mitfühlender Mensch. Da ich aber grundsätzlich nach spätestens zwei aufeinanderfolgenden Sätzen, den Inhalt des Ersten, mit der Schlusssilbe des Zweiten vergessen hatte, traf Punkt eins dieser Erwartungshaltung schon mal nicht zu. Und, da ehrliches Mitgefühl irgendwie ja auch auf Verstehen basiert, schließen wir doch einfach mal beides aus.
„Ich muss dir ehrlich sagen, Miriam, das mit deinen Eltern stimmt mich wirklich nachdenklich.“
„Danke, Arthur.“
Ich war voll am Start. Das Gras schlug zwar mächtig ein, aber ich merkte, wie ich eins wurde mit seiner Wirkung.
Es gelang einfach alles: Ich hatte immer die richtigen Antworten auf Lager, machte Witze, die zumindest bei mir zu euphorischem Gelächter führten. Ich stopfte, mit einer traumwandlerischen Sicherheit, die großartigsten Bongs, ohne an mitfühlendem Ausdruck einzubüßen. Ich warf ihr Blicke zu, die einfach alles klar machen mussten.
Ich war der Checker am Ort.
Patrick schien es hingegen nicht so gut zu gehen. Schon vor zwei Runden hatte er sich kreidebleich und schielend aus dem Bonggeschäft ausgeklinkt, um sich auf die Erde zu legen und, dem seltsamen Rülpsen nach, gegen das Kotzenmüssen anzukämpfen. Ich musste ihm wohl nachher noch eine Nase Pepp unterjubeln, wenn ich im Alpha mit ihm rechnen wollte.
Dass Miriam mit mir alleine losziehen würde, bezweifelte ich trotz meiner tollen Form.
„Ich muss schon sagen, Miriam, für ne Türkin bist du ganz schön locker drauf.“
„Ich bin Libanesin.“
„Ach so, interessant.“
Der Alpha-Music-Parc, wie sich das Teil originellerweise nannte, ließ dann meine schlimmsten Befürchtungen wahr werden. Ich hatte in meiner noch nicht allzu langen Partyhistorie immer einen Bogen um Großraum-Diskotheken gemacht. Wenn man in ein schickes Restaurant geht, will man ja auch keine schmatzenden Fettsäcke mit Spareribs und Pommes am Nebentisch sitzen haben.
Die Sortierung des anwesenden Feiervolks konnte man getrost querbeet nennen. Hier trafen Buffalo tragende Vogelnestfrisuren auf Feigling kotzende Hotelfach-Azubis auf Goldkettchen tragende Weißjeans-Schmalzies auf Jungesellen-Abschiedsvereine mit einheitlichen T-Shirts auf ... Ach, lassen wir das.
Eines stand jedenfalls fest: Ohne mich komplett abzuschießen, würde ich das nicht ertragen können.
Aus einem der Räume drangen dumpfe Bässe an mein Ohr und ließen mich in der Hoffnung, die Umgebung beim Abtanzen vergessen zu können.
Als ich es dann aber endlich geschafft hatte, mich durch das Gedränge zu arbeiten, hörte ich zu meinem Grauen, irgendeinen selbst ernannten König vom Ballermann über Penislängen singen. Panisch kämpfte ich mir meinen Weg zurück zu den Anderen.
Patrick hatte ich mit einem Teil des Pepps, das ich noch bei mir hatte, halbwegs reparieren können. Er war zwar noch etwas blass um die Nase und brabbelte unsinniges Zeug, war aber mit von der Partie, was mir einiges an Überzeugungsarbeit in Sachen Miriam ersparte.
Ich hatte ihm ein paar Scheine in die Hand gedrückt, damit er sich um die Drogen kümmern konnte.
„Boah Alder, meine Schädeldecke kribbelt, ich hab echt Pfeffer im Hintern.“
Noch nie zuvor hatte ich jemanden so über seinen Zustand reden hören. Als würde ein Sozialarbeiter szenetypische Redewendungen formulieren, um sie dann später in seinem Ratgeber „Sucht-Suche nach dem geschundenen Selbst“ zu veröffentlichen.
„Hör auf zu labern und besorg uns ein paar Pillen, du kennst dich doch hier aus.“
Mit Miriam hatte ich Anderes vor.
„Wollen wir ein bisschen Pepp ziehen?“
„Danke, ich nehme nur Koks.“
Das klingt doch schon eher nach meiner Heimat.
„Ja, Koks ... Mein ich doch.“
Wir schoben uns durch die Menge Richtung Herrentoiletten. Dem Ort, der im Nachtleben, egal an welchem Ort auf dieser Welt, wohl am meisten zu sehen bekommt. Hier wird geschissen, gekokst, gefickt, gepisst, gekifft, gesnifft, gefixt, gekotzt, gefurzt, geblasen ... Ach, lassen wir das.
„Was ist mit Patty, findet der uns?“
„Klar.“
Gleich die Tür der ersten Kabine war angelehnt, doch irgend so ein Volltrottel hatte die Kloschüssel mit seinem Ernie und Bert Kopfkissen verwechselt, wie das hallige Schnarchen verriet, das unter seinem vollgekotzten Langhaarscheitel an die Außenwelt drang.
„Scheiße Mann! Was sind denn das für Assis hier?“
Wir nahmen die dritte der vier Kabinen.
Ich drückte ihr das Pack in die Hand, während ich die schmierige Tür abschloss.
„Hier, bau du.“
Ganz zufrieden schien sie mit dem Vorschlag nicht gewesen zu sein, wie ich ihre verdrehten Augen deutete. Die Enge des Raumes schien ihr aber die Lust auf Diskussionen zu rauben. Mir kam sie gerade Recht.
Auf dem Spülkasten entdeckte ich ein kleines, braunes Fläschchen mit rotem Deckel. Um nicht den Eindruck zu erwecken, ich würde mich vor der Arbeit drücken, räumte ich den Platz, auf dem Miriam die Lines bauen sollte, und nahm die Flasche an mich. Sie breitete das Päckchen aus und begann das vermeintliche Kokain zu hacken, während ich mich daran machte, den Inhalt des Fundstücks zu erforschen. Der leicht salzig, chemische Geruch ließ eine Ahnung in mir aufkommen. Hatten sie in der Schule nicht von dem Zeug erzählt? Der Hammer soll’s sein. Und irgend so ein verpeilter Idiot ließ es hier für mich stehen.
Ich genehmigte mir einen vorsichtigen Schluck.
„Was machst du da?“ Miriam starrte mich entgeistert an.
„Ich glaube, das ist GHB.“
Ihre gebückte Haltung ermöglichte mir ich einen eleganten Einblick in ihre Kragenweite.
„Und das ist ein Grund für dich es zu trinken?“
„Liquid.“
Miriam zog, nachdem sie ihr ungläubiges Kopfschütteln beendet hatte, die Line mit einem gekonnten Sniff.
„Yeah!“ Was Besseres fiel mir nicht ein.
Miriam rieb sich die Nase und starrte mich mit ihren Rehaugen zornig an.
„Das ist doch kein Koks, Mann!“
Langsam breitete sich ein angenehmes Ziehen in meinem Unterleib aus. Meine Kiefermuskeln spannten sich und meine Augen fingen an zu schwitzen.
Was sich so anfühlt, konnte nicht schlecht sein. Der zweite Schluck war schon nicht mehr ganz so vorsichtig.
„Hier.“
Miriam hielt mir den Schein hin.
„Yeah!“
Der erste Griff ging daneben.
„Ups.“
Hatte ich ups gesagt? Ich stöhnte auf.
„Hammer!“
Das Platzieren des Geldröllchens stellte sich als gar nicht so einfach heraus. In meinem Nasenloch hatte ich es zwar mittlerweile, doch irgendwie fand ich den Weg zur Line nicht. Ich taumelte gegen Miriam, wobei sich mir ihre Brüste als stramme Dinger vorstellten.
„Stramme Dinger, yeah!“
Miriam seufzte und präsentierte mir nicht zum ersten Mal an diesem Tage die Beweglichkeit ihrer Pupillen. Einfach war es jedenfalls nicht, sie rumzukriegen, das stand mal fest.
Also, erstmal was ziehen.
Ich setzte im Sturzflug an, den Schein in das Amphetamin zu versenken, doch ein ohrenbetäubendes Getose brachte mich vom Kurs ab. Jemand beschoss mich mit Bomben oder anderem Kriegsutensil. Mich. Ich hatte niemandem etwas getan.
Orientierungslos vor Schreck stürzte ich vornüber, landete mit meinem Gesicht auf dem angekokelten Klodeckel und sackte ächzend auf den bepissten Boden.
„Ja, Mann! Gib’s ihr!“schrie eine verzerrte, von überallherkommende Stimme.
„G i b ’ s I h r!“ Noch tiefer, noch von überallherkommender.
Und wieder ging eine Ladung Geschosse auf mich nieder. Ich hob meine Hände schützend über den Kopf.
„Arthur!“
Miram schien fast besorgt. Sie dreht mich auf den Rücken.
„Was ist los?“
Die blendende Toilettenbeleuchtung wurde nur noch durch die roten Schlieren gedämmt, die sich langsam vor meinen Augen ausbreiteten.
„Ich weiß nicht.“
Doch ich wusste. Ich wusste ganz genau.
Gott hatte zu mir gesprochen. Und er wollte, dass ich sie mir vornehme.
Und so kam es, dass während Miriam damit beschäftigt war, den Schein aus meiner zermatschten Nase zu friemeln, ich begann, mich untenrum freizumachen.
Heute ist wieder Donnerstag. Ich bin immer noch in Duisburg, jetzt aber in Stadtmitte.
Mein Zimmer teile ich nicht mehr mit Patrick, sondern mit Kalle, einem pickligen Junkie um die Fünfzig. Die Ärzte sagten, ich hätte Glück gehabt. Es hätten nur Millimeter gefehlt und der Fünfziger hätte mein Gehirn verletzt. Über die Prellung im Genitalbereich hielten sie sich bedeckt. Sie meinten auch, dass ich Glück im Unglück gehabt hätte, dass ich erst nach zwei Tagen aufgewacht sei. So hätte ich die schlimmsten Schmerzen einfach verpennt.
Der Haftrichter war dann nicht ganz so freundlich. Er befrachtete mich direkt aus dem Johanniterkrankenhaus hierher, zu Kalle. Er meinte, ich wäre total weggetreten gewesen. Ich wäre halb nackt durch das Alpha und hätte die Leute belästigt. Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Er meinte auch, es wäre alles nicht so schlimm gewesen, wenn ich dem Türsteher, der mich vor die Tür setzen wollte, nicht das Bierglas ins Gesicht geschlagen hätte. Er wäre nun blind und wüsste nicht, wie er seine sechsköpfige Familie ernähren solle. Von den psychischen Folgen mal ganz abgesehen. Als hätten Türsteher eine Psyche.
Miriam hat mich bislang noch nicht besucht, dafür aber mein Vater. Gewählt worden ist er leider nicht mehr und seine Beteuerungen mir zu helfen klangen auch eher halbherzig.
„Naja.“
„Was?“
„Ach nichts, Kalle. Schlaf weiter!“
Jedenfalls warte ich hier jetzt solange, bis ich dran bin.
Ich denke an Düsseldorf und meine Kumpels, wie sie jetzt so langsam anfangen den Donnerstagabend vorzubereiten. Ich denke an Rektor Hess, das Arschloch, dem ich das alles hier zu verdanken habe. Ich denke an meine kleine Schwester, die ich trotz ihrer Marotte, ihr Gesicht nicht zu bewegen, um Falten vorzubeugen, doch ganz gerne habe. Und natürlich meine Mum, die sich extra für ihren Besuch bei mir einen tränenfesten Lidschatten besorgt hat. Das ist doch nett, oder?
Es fällt mir schwer, sie heulen zu sehen, aber hätte sie mich nicht hierher abgeschoben, wäre die ganze Scheiße nicht passiert. Und zu allem Überfluss habe ich heute Morgen auch noch einen von diesen Typen aus dem Internetcafé bei den Neuankömmlingen gesichtet. Wenn es kommt, dann kommt es dicke. Das habe ich in den letzten Wochen zu spüren bekommen. Aber, ich versuche das Beste draus zu machen.
Beim Frühstück habe ich jemanden kennengelernt, der mir was zum Rauchen besorgen kann.
Das ist doch schon mal was.