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Integration einer Maus

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05.10.2007
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Integration einer Maus

Kategorie: Satire

Integration einer Maus

Es geschah am späten Abend an nicht irgendeinem Tag, als zum ersten Mal meiner Nichte namens Molly im Alter von sieben Jahren, eine lebendige Maus ihren Lebensweg kreuzte. Obwohl dieses zunächst nur für den Bruchteil einer Sekunde geschah, brachte dieses äußerst spannende Erlebnis, lebensentscheidende und erweiternde Veränderungen sozusagen auf unseren Familientisch.
Von ihrer überdimensionalen Winzigkeit tief beeindruckt, gab Molly augenblicklich der drohenden Gefahr wegen zunächst einen entsetzlichen Schrei von sich.

"Ich habe eine Maus gesehen", behauptete Molly einfach obwohl sie vorher noch nie eine gesehen hatte.
Zutiefst erschrocken hielten die wir ebenso Anwesenden, außer Molly, augenblicklich unsere rechte Hand an unseren wild herumschlagenden und einem Infarkt nahenden Herzen. Schließlich war uns schon seit geraumer Zeit bekannt welche Gefahren durch einer wild herumstreunenden Maus ausgehen können.
"Hat sie dich irgendwie bedroht?", fragte Mütterchen am ganzen Leibe kreidebleich geworden.
"Wer?", fragte Molly sichtlich unter einem schweren Schock leidend.
"Ja die Maus!"
"Wie bedroht?"
"Nun, hat sie zum Beispiel ihre scharfen Zähne wie ein gefährlicher Wolf gefletscht und wollte dich auffressen?"
"Nein, auffressen glaube ich nicht. Süß sah sie aus", entgegnete Molly in ihrem kindlichen
Leichtsinn." Hinter dem Schrank dort ist sie verschwunden. Ich habe es genau gesehen."

Das konnten wir uns natürlich nicht bieten lassen. Ein äußerlich süß aussehender Wolf, der sich hinter dem Schrank versteckte und uns in der Nacht wie die sieben Gretel einfach im tiefen Schlaf verspeisen und im nahegelegenen Bach mit schweren Steinen beschwert daraufhin ertränken würde - oder jedenfalls so ähnlich.
Dank meiner bestechenden Intelligenz begannen wir sofort mit der Demontage des Schrankes.
Nach einer Stunde intensiver Arbeit entdeckten wir das Ungeheuer. Um uns zu täuschen, täuschte das raffinierte Biest in einer Ecke zusammengerollt Harmlosigkeit vor. Bewegte sich nicht und sprach kein einziges Wort mit uns.
"Was machen wir nur, was tun wir jetzt?", sprach Mütterchen ganz aufgeregt.
"Niedlich sieht sie aus", irritierte Molly.
"Das sind nur Äußerlichkeiten die über den Inhalt eines Charakters noch gar nichts aussagen", bemerkte ich der Situation deutlich überlegen.
"Genau", gab Väterchen mir Recht." Wer weiß welche Abscheulichkeiten in ihrem Inneren vorgehen. Wären wir nicht in der Überzahl würde sie sich bestimmt, so gefräßig wie sie aussieht, sofort auf uns stürzen".

"Wir werden es mit ihr genauso handhaben wie sie es mit uns gemacht hätte", schlug ich mit klugen Worten vor. "Gleiches mit Gleichem vergelten und sie zunächst verspeisen und morgen früh bei Sonnenaufgang mit schweren Steinen beschweren und im nahegelegenen Teich ertränken.“
"Nein nicht ertränken, sie ist doch so putzig", boykottierte Molly meine hervorragende Idee.
"Schluss mit dem Unsinn, ich werde dieses Untier jetzt sofort einfangen", gab ich mit strengen Worten und zu allem entschlossen zu verstehen.
Kaum ausgesprochen, sprang ohne Voranmeldung das durchtriebene und mit allen Wassern gewaschene Subjekt über mich hinweg und bewegte sich mit annähernder Lichtgeschwindigkeit an uns vorbei, um ein für uns unbekanntes konspiratives Versteck aufzusuchen. Eine weitere Fahndung wurde jedoch durch allgemeine Übermüdung nicht fortgesetzt. Trotzdem war es für uns alle unmöglich in dieser Nacht zu schlafen.

Endlich gegen Morgen, hörte ich ein verdächtiges Rascheln aus dem Küchenraum in meine
seismografischen Ohren dringen. Mutig wie ich nun einmal bin, schlich ich lautlos dem verräterischen Geräusch unbewaffnet hinterher. Eine geeignete Person musste sich ja dieser nicht
gerade ungefährlichen Aufgabe stellen.
In einer finsteren Ecke, vor einem mit köstlichen Abfällen gefüllten Eimer war es so weit. Es gab keinen Zweifel, die Maus wollte durch ihr böswilliges Nagen unsere Abfälle verderben. In meiner lobenswerten Entschlusskraft und Geistesgegenwart, schloss ich in einer Blitzaktion den
aufgeklappten Deckel dieser speziellen Einrichtung.
Das gefiel dem wutentbrannten Tier natürlich nicht. Ein gefährliches Toben im Eimer war augenblicklich das Resultat meiner gut durchdachten List. Spätestens nach zehn Minuten war der Eimer wie ein Löwenkäfig mit Schaulustigen umringt.

Nachdem das furchterregende Toben in besorgniserregende Stille überging, öffneten wir den Deckel für einen winzigen Spalt, um das gefährliche Raubtier vorsichtig aus der Nähe zu beobachten, das uns am ganzen Leibe zitternd auf den Hinterbeinen stehend mit ängstlichen Augen anblinzelte.

"Putzig sieht sie aus, einfach putzig", wiederholte Molly. "Und vor so etwas habt ihr eine solche Angst?" Das war der Dank meines heroischen und abenteuerlichen Rettungsmanövers.

"Lieblich, einfach lieblich. Kaum zu glauben, dass in einem solch winzigen Wesen mit einem so sanften Fell irgendwelche Abscheulichkeiten vorgehen sollen", fiel mir jetzt auch noch Mütterchen plötzlich und unerwartet in den Rücken.

"Mäuse haben wir früher beim Komiss verspeist", begann Väterchen aus alten Zeiten zu berichten. Wenigstens ein vernünftiger Mensch der mir zur Abwechslung Recht gab.
"Wie heißt du denn mein Mäuschen? Möchtest du vielleicht lieber in etwas Weißbrot beißen?" ertappte ich mich nach einiger Zeit zu meinem eigenen Erstaunen horchend auf eine Antwort wartend.
"Das ist meine Maus!", bekam ich lautstark von Molly als Antwort, die neben mir Position bezogen hatte. "Ich habe sie zuerst gesehen", schrillte es unbarmherzig weiterhin in mein linkes Ohr.
"Es ist meine Maus, schließlich habe ich sie gefangen!", gab ich in einer sich anbahnenden Kontroverse in der dritten Oktave meiner sonst sehr sonoren Stimme in Mollys rechtes Ohr in gleicher Lautstärke zurück.

"Ich habe mir schon immer ein Tier gewünscht", begann Molly fürchterlich zu heulen.

Wie man bisher bemerken konnte liegt es mir vollkommen fern, auf meine Genialität auch nur im entferntesten hinzuweisen. Meine bescheidene Veranlagung verbietet es mir einfach. Auch von einer beliebigen Richtung, die ich einmal eingeschlagen habe, entferne ich mich normalerweise keinen Millimeter. Wie eine Fahne im Wind bewege ich mich also nicht. Trotzdem sei daran erinnert, dass zum Wohle der Allgemeinheit der Klügere die Wahl hat nachzugeben. Aus keinem anderen Grund sah ich mich daher gezwungen, das liebliche und gegenüber mir sehr anhängliche
Wesen zur Adoption freizugeben. Alleine meine psychologischen Vermutungen sprachen gleich- zeitig in Verbindung meiner antiautiritären Verhaltensweise im Bereich der Erziehung gegenüber zeitgenössischer Heranwachsender, sich geradezu verpflichtend dafür aus. Andererseits - was ist schon eine Nation ohne Tierliebe? Eine barbarische Masse aus bekanntlich grauer Vorzeit die nicht nur Mäuse frisst!

Tierlieb, wie ein jeder in unserem Land, begann ich aus Gründen erzieherischer Maßnahmen und humanitären Beweggründen gegenüber des Mäuschens, meine angeborene Kreativität dazu zu verwenden, einen ganzen Tag lang voller Eifer und Schaffensfreude einen bequemen Kasten für das nützliche Geschöpf zu bauen. Dank meiner Weitsichtigkeit stand mir ja durch die Demontage des Schrankes eine ausreichende Menge an Baumaterialien in bester Qualität zur Verfügung.
Kurz nach Anbruch des Nachmittages gewährte nach Beendigung meines etwas rundlich geratenen Werkes, eine quadratische Glasscheibe einen einwandfreien Einblick durch einen Vordergrund, der
eine Mischung aus einem Dreieck mit einer Ellipse darstellte in das Innere des mathematisch hochinteressanten Körpers.
Eine allgemeine Bewunderung im Familienkreis war mir gewiss, blieb jedoch aus unverständlichen
Gründen aus was aber den Vorteil hatte, sogleich gemeinsam an die Einrichtung des äußerlich einem Palast ähnlichen Bauwerkes gehen zu können.
In der inneren Architektur wählten wir zunächst besonders weiches Material, damit das Mäuschen die Gelegenheit erhielt, es sich in seiner Freizeit entsprechend gemütlich einzurichten. Daraufhin bauten wir konspirative Versteckmöglichkeiten ein und stellten zum Schluss einen hölzernen Buddha mitten ins Gemach, somit unser Liebling eifrig seine Nagetätigkeit fortsetzen konnte und auch etwas zum Klettern hatte. Begaben uns anschließend mit dem Ergebnis unserer Bemühungen ins Wohnzimmer und stellten dieses zur allgemeinen Freude auf einen durch dieses Ereignis überflüssig gewordenen Tisch, der von der Perspektive des Mäuschens aus einen umfassenden Einblick ins Zimmer gewährleistete.
Obwohl es sich eigentlich erübrigt darauf hinzuweisen, dass das Mäuschen mit einer gewissen Nervosität und Ungeduld schon auf seine bevorstehende "Freiheit" wartete, erschienen uns für eine rasche Integration des Mäuschens, Vorbereitungen wie diese als unbedingt erforderlich.

Um eine folgende Umsiedlung des sympathischen Tierchens vorzunehmen, begab ich mich suchend mit meiner linken Hand, die bekanntlich vom Herzen kommt in den Eimer, in dem das Mäuschen zuvor Asyl gesucht und spontan gefunden hatte. Es dankte mir mit einem kräftigen Biss in einen Finger, den es sicherlich für ein knochiges Stück Holz zum Knabbern gehalten hatte. Aber das machte ja nichts. Verbandstoff war genug im Haus und gegen ein gesundes Gebiss ließ sich über- haupt nichts sagen.
Um nicht weiterhin Opfer einer Verwechslung zu werden, schüttete ich das lebhafte Tier samt Abfall in das Innere des oben geöffneten Kunstwerkes, sodass gleichzeitig für eine abwechslungs- reiche Nahrungsaufnahme gesorgt war, gab noch zwei Scheiben Toastbrot hinzu und schloss die geschmackvoll eingerichtete Stätte neuen Wohnens. Dann nahmen wir Einblick.

"Ich sehe meine Maus", sprach Molly, wobei sie "meine Maus" besonders betonte.
Tatsächlich, auf dem Haupt des Buddhas hockte mit graziösen Bewegungen, die offenbar einer äußerlichen Reinigung dienten, das auf Kultur und Hygiene bedachte Tier. Dem Gedanken, einen wirklich guten Fang gemacht zu haben konnte ich mich einfach nicht erwehren - geschweige die pharmazeutische Industrie darüber zu informieren.
"Wie nennen wir sie bloß?", stellte Mütterchen ganz begeistert an uns ihre Frage, da das Mäuschen uns seinen Namen auch nicht durch intensives Befragen verraten wollte.

"Wie heißen Mäuse überhaupt", begann Väterchen zu überlegen.
"Schwer zu sagen", gestand ich jedoch keineswegs ratlos ein. „Wir könnten Professor Grzimek (ein Pragmatiker in solchen Angelegenheiten in unserem Land) durch ein Telegramm mit Rückantwort befragen", machte ich ernsthaft meinen Vorschlag.
"Professor Grzimek ist schon seit längerer Zeit umgezogen und weilt deshalb nicht mehr in unserer Welt", gab Mütterchen zu bedenken.
"Wir nennen sie Emmi, weil Tante Emmi genauso aussieht", schlug Molly in einer plötzlichen Eingebung vor.
Wir nannten sie Emmi, da Tante Emmi in ihrer Physiognomie dem Mäuschen sehr ähnlich sieht.
Daraufhin hüpfte Emmi ziemlich elegant vom Plateau des Buddhas hinab und suchte ohne Umwege ein konspiratives Versteck auf.
"Psssssst, sie ist noch etwas schüchtern und braucht erst etwas Ruhe", entschuldigte Molly das plötzliche Verschwinden ihrer in ihrem Charakter sehr sensibel veranlagten Emmi für den Rest des noch verbliebenen Tages.

Seitdem liebt sie Mäuse. Ach was rede ich – wir alle lieben Mäuse. Besonders wenn es sich um
liebliche Hausmäuse handelt die man im Hause gut unterbringen kann. Briefkästen, Brotkästen und
sämtliche Möglichkeiten einer Maus Einlass zu gewähren, werden neuerdings stets im geöffneten Zustand gehalten, sodass unsere Freude jedes Mal eine Riesige ist, wenn eine weitere Maus mit neuem Gesicht zu uns gefunden hat.

 

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