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Integration
Der Tag ist bereits weit fortgeschritten und es beginnt gerade dunkel zu werden. Gelassen schlendere ich die Straße entlang und betrachte das Geschehen um mich. Bezaubernd ist es hier, in Münchens Innenstadt. Befindet man sich wie ich oft auf Reisen lernt man die Städte eben so schätzen wie die einsamen Landstriche, jede scheint ihre eigene Zeit zu haben, in jeder ticken die Uhren anders. In einigen leben die Menschen in einer unfassbaren Ruhe, in anderen dagegen kann man sich an der Geschäftigkeit um einen direkt berauschen. Momentan habe ich noch keine genaue Vorstellung wohin mich mein Weg wohl führen wird. Allerdings ist das auch nicht so wichtig, schließlich finde ich wohl fast überall das was ich suche. Nur selten bin ich leer ausgegangen und gerade hier, in München, einer weltoffenen und multikulturellen Stadt wird es mir mit Sicherheit gelingen. Ich bin ein Sammler. Nun darf man das nicht falsch verstehen, ich bin kein gewöhnlicher Sammler, der irgendwelchen materiellen Mumpitz sammelt. Ich verstehe mich als Sammler von Lebensgeschichten, ich bin ein Suchender der persönlichen Erfahrungen. Es gibt für mich nichts Spannenderes als herauszufinden wie ein Mensch lebt, wie es dazu kam und das Aufregendste sind die persönlichen Einstellungen und Ideologien. Ich absorbiere diese Geschichten, Anekdoten und Lebensweisheiten förmlich. Dieses Hobby ist wahrscheinlich für andere Menschen schwer nachzuvollziehen, es gibt zwar genug Leute die ab und an gerne diskutieren, jedoch zumeist um ihre eigene Meinung durchzusetzen und es dabei zu belassen. Für mich liegt der Sinn jedoch im Zuhören, im Erfassen und Hineinversetzen und schließlich im Erweitern meines Horizonts, im Komplettieren meines Wissens und meines Verständnisses. Ich sehe keinen Sinn darin, die eigene Meinung stur zu vertreten, schließlich kann doch keiner sagen, dass er sicher Recht hat. Natürlich sammle ich nur dort, wo ich meine dass es sich lohnt. Interessant sind vor allem Gesprächspartner aus fernen Landen, bei denen ganz andere Vorstellungen herrschen als in den westlichen Gesellschaften. Auch Angehörige von Randgruppen, die wiederum ganz andere Standpunkte vertreten als der Durchschnittsbürger zählen zu den von mir gesuchten Personen. Nun macht die Straße einen Knick, und als ich um eben jenen gebogen bin sehe ich das Etablissement in welchem ich heute mein Glück versuchen will. Es handelt sich laut einer weißen, neben der Tür angebrachten Tafel um ein Hotel, das keinen sehr eleganten Eindruck macht, ja sogar von außen recht heruntergekommen aussieht. Die Wand war wohl einst in einem Gelbton bemalt, von dem jedoch nur noch einige Flecken zu sehen sind. Über der morschen alten Holztür sind große arabische Leuchtbuchstaben angebracht, die ich nicht verstehe und von denen nur die rechte Hälfte leuchtet. Sicher übernachten hier Leute, deren Geist sich von dem der Einheimischen unterscheidet und ich habe Hoffnung jemanden kennen zu lernen, der gut genug Deutsch oder Englisch spricht um sich mit mir unterhalten zu können. Als ich das Hotel betrete schlägt mir ein Schwall warmer Luft entgegen, den ich auf Grund der derzeit herrschenden Kälte als äußerst angenehm empfinde. Den von der Betrachtung des Hausäußeren entstandenen Eindruck behält man auch wenn man das Hotel betritt. Sobald man eintritt steht man schon an der Rezeption, die aus rot angemalten, zu einer Theke zusammengenagelten Brettern besteht. Hinter diesen sitzt ein gelangweilt aussehender Mann und raucht dem vollen Aschenbecher nach nicht seine erste Zigarette. Als ich mich in dem Raum umsehe fragt er mich was ich genau suche, und ob ich mich verlaufen hätte. Er scheint wohl zu meinen dass ich meinem Aussehen nach nicht hierher passe, ja vielleicht sogar Ärger suche, eine in der heutigen Zeit nicht unangebrachte Befürchtung. Mit ruhiger Stimme erkläre ich ihm dass ich lediglich gerne etwas trinken würde, und frage ihn wie ich zur hoteleigenen Bar komme. Scheinbar hat ihn mein freundliches Auftreten beruhigt und er deutet mir ihm zu folgen. Er führt mich einen Gang entlang, einmal biegen wir ab und nachdem wir durch einen Vorhang aus roten Kordeln gegangen sind, stehe ich schließlich in einem großen verrauchten Raum mit rötlicher Beleuchtung. Auffällig ist, das es hier nur zentral gelegen Tische und Stühle gibt, der gesamte Rand ist mit Kissen und Polstern ausstaffiert, zwischen denen in gewissem Abstand Vorhänge angebracht sind, wohl um eine angenehme Gesprächsatmosphäre zu schaffen. Der Mann von der Rezeption deutet noch auf die Bar, meint ich solle dort bestellen und verschwindet wieder hinter dem Vorhang. Ich sehe mich noch kurz um, und entdecke an der Bar einen gepflegt aussehenden, dunkelhäutigen Mann, scheinbar ohne Begleitung. Gespannt durchschreite ich den Raum und bemerke dabei die feindseligen Blicke der ringsum sitzenden Männer und Frauen. Vielleicht sehen auch sie in mir eine Bedrohung, wie gesagt in der heutigen Zeit keine unrealistische Befürchtung. An der Bar angekommen winke ich den Barmann zu mir und setze mich auf den freien Platz neben den zuvor entdeckten Mann. Ich bestelle ein Bier beim Barkeeper und drehe den Kopf in Richtung des Mannes.
“Entschuldigen sie, sprechen sie deutsch?“
„Ja, was willst du?“
„Nun, nichts besonderes, ich suche lediglich jemanden, mit dem ich mich unterhalten kann. So allein an der Bar zu sitzen ist nicht besonders aufregend.“
„Warum gehst du dann nicht in eine normale Bar und redest mit deinen deutschen Freunden?“
„ Nun, vielleicht finde ich es ja interessant mit Leuten aus anderen Kulturen zu reden. Woher kommt denn ihre Aggression gegen mich?“
„ Ich hab einfach die Schnauze voll von den Deutschen, was erwartest du? Den ganzen Tag wird man hier blöd angeglotzt, die Leute machen einen Bogen um einen und einige beschimpfen uns sogar. Hörst du wie ich spreche? Ich rede deutsch, genau wie du, ich bin hier aufgewachsen. Natürlich bin ich iranischer Herkunft, na und? Da ist man natürlich gereizt wenn uns die deutschen auch hier noch besuchen. Ich gehe ja gerade deswegen hierher um diesen Pennern mal zu entkommen.“
„ Ich für meinen Teil habe weder die Absicht sie anzustarren, noch sonst irgendwie aufgrund ihres Aussehens zu diskriminieren. Ich komme lediglich hierher um Dinge zu erfahren, genau solche Dinge, über die sie gerade sprachen. Ich bitte sie darum, mich nicht mit den Deutschen, die sie meinen in eine Schublade zu stecken. Schließlich ist das ja genau der Punkt über den sie sich bei diesen so ärgern, dass diese dergleichen mit ihnen tun. Mein Name ist Johann, wie heißen sie wenn ich fragen darf?“
„Ich heiße Achmed. Entschuldige wenn ich aggressiv war, scheinst in Ordnung zu sein. Mir hängt es nur so zum Hals raus. Ich ertrage die Blicke nicht mehr. Bin ich wirklich so anders weil meine Haut eine andere Farbe hat? Kommt es wirklich darauf an? Ich weiß nicht ob du dir das vorstellen kannst. Meine Eltern kamen mit mir in dieses Land als ich gerade zwei Jahre alt war. Ich bin mit deutschen aufgewachsen, in Kindergarten und Schule gegangen. Und trotzdem war ich in den Augen der Leute nie wie sie. Schon auf dem Spielplatz wurde ich von einem alten Mann als Kanake beschimpft, später nicht in die Disco gelassen, weil ich angeblich so aggressiv aussehe.“
„Ich kann sie verstehen, auch wenn ich so etwas nicht durchmachen musste. Sein ganzes Leben dazugehören zu wollen und es obwohl du sogar die Sprache perfekt beherrscht nicht zu schaffen muss schrecklich deprimierend sein.“
„Mann, das is mehr als deprimierend, das is einfach zum Kotzen. Was kann denn ich dafür dass meine Eltern mit mir hergezogen sind. Und warum bin ich denn so anders?“
„Nun, sie können sicher nichts für die Entscheidung ihrer Eltern. Allerdings fällt mir etwas auf, das ich nicht ganz begreife. Sie meinen einerseits, dass sie es leid sind so ausgegrenzt zu werden, und damit schon viel ungute Erfahrungen gemacht haben. Was sie dabei zu vergessen scheinen, ist die Art mit der sie selbst auf die Deutschen zugehen. Wäre ich nicht selbst an dem Gespräch interessiert gewesen, ich wäre mit Sicherheit von ihrer anfangs rüden Art abgeschreckt worden. Natürlich ist dieß eine Gegenreaktion von ihnen, aufgrund der vielen schlechten Erlebnisse, aber wie wollen sie denn so je wieder gute Erfahrungen mit ihnen machen?“
„Ich weiß nich, ich glaub ich hab einfach aufgegeben, hier noch etwas in der Richtung zu erwarten. Ich lern grad die Sprache meiner Eltern und werde wieder nach Iran ziehen, ich halt dieses Land nicht mehr aus. Was soll’s, lieber führ ich dort ein Leben in materieller Armut, als hier in seelischer.“
„Haben sie denn noch Verwandte im Iran?“
„Ja, ich hab noch Großeltern, die ich zwar noch nie gesehen habe, aber bei uns zählt Familie noch was. Überhaupt erwarte ich dort viele freundliche Menschen und endlich, endlich Freiheit von den Blicken, Kommentaren und boshaften Gedanken der Leute um mich. Dort sind endlich alle so wie ich, ich bin kein Außenseiter mehr.“
„Ich kann nur wiederholen, dass ich sie wirklich verstehe, das ganze Leben die Außenseiterrolle zu spielen kann nicht einfach sein. Vielleicht ist das momentan wirklich der einzige Ausweg, klar könnten sie hier bleiben und kämpfen, aber wozu? Sich hier seelisch kaputt zu machen, nur um zu beweisen das man hier auch so überleben kann?“
„Eben, ich habs doch schon mein Leben lang gemacht. Ich bin jetzt 31 Jahre und hab wirklich ne menge Scheiß erlebt, aber ich hab durchgehalten. Warum sollt ich mir das weiter antun? Es wird ja immer schlimmer, jetzt hat jeder Angst vor Terror, weil die Medien einen Zirkus um die paar Anschläge machen, so wie sie es mit jedem Thema machen, das grad „in“ ist. Und wer leidet unter dieser Angst, natürlich wir, die Menschen mit ausländischen Wurzeln. Wir sind diejenigen, die jetzt noch mehr gemieden werden, vor denen sich die Leute schon fürchten, wenn wir im Bus ne Zigarette aus der Innentasche unserer Jacke ziehen, es könnt ja ne Bombe sein.“
„Ja, sie haben Recht. Ich würde ihnen nun gerne eine Lösung anbieten, mit der sie hier gut leben können, aber mir fällt selber nichts ein… Ich wünsche ihnen auf alle Fälle viel Glück bei ihren Plänen. Hier, meine Nummer falls sie sich zum Bleiben entschließen, das Gespräch war wirklich interessant, ich habe es genossen. Nun muss ich aber leider wieder weiterziehen, es wird spät und ich fliege morgen geschäftlich nach Kassel.“
„Ja, Danke. Es war echt gut mal mit einem zu reden, der nich ganz so verbohrt ist wie die anderen. War schön ein bisschen Luft rauslassen zu können. Ich werd mich sicher noch mal bei dir melden.“
Und so verließ ich das Hotel wieder, einerseits glücklich so viel erfahren zu haben, andererseits mit einem leeren Gefühl im Bauch. Konnte es denn wirklich sein, das es hier, in einem so modernen Land derartige Schicksale gab? Ich werde darüber wohl noch viel nachdenken. Als ich um die Ecke biege, um die ich vorher zum Hotel gekommen bin, sehe ich die Schlagzeilen der heutigen Zeitungen. Und die sind durchweg die gleichen, nur mit jeweils anderem Wortlaut: „Türkische Jugendliche greifen Rentner grundlos an.“