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Irgendwie frei sein
Jemand sagt zu mir, nur weil du aufgehört hast an die Realität zu glauben, heißt das nicht, dass sie verschwunden ist.
Jemand sagt, das hier ist die Wirklichkeit. Das hier ist kein Traum. Das ist hier ist nicht deine Einbildung. Er sagt, du musst nicht wach werden, du bist es schon.
Jemand sagt das zu mir, während er zu einem Schlag ausholt.
Dieser Jemand ist mein Bruder.
Wenn du nicht wissen möchtest, dass seine Fingerknöchel mich gegen die Türkante gestoßen und dabei meinen Hinterkopf aufgeschlagen haben, dann lies jetzt nicht weiter. Sollte es dich nicht interessieren, zu erfahren, dass der Schmerz, den der Arzt, zu dem mein Bruder selbst mich gebracht hat, erzeugt, als er mit einer übergroßen Tackermaschine Klammern in meine teilweise rasierte Schädeldecke jagt, um vieles größer ist, als der Stoß selbst, schließ das Fenster. Schieb die vor Schweiß feuchte Maus in die rechte obere Ecke, einmal klicken, und schon ist die Welt wieder für dich in Ordnung.
Ich gebe dir drei Sekunden dafür.
Drei.
Zwei.
Eins.
Wenn du jetzt noch hier bist, bedeutet es, dass du es erträgst mir zuzuhören, dass du mir zuhören willst, dass du es kannst. Es bedeutet vielleicht, dass du dich an dem Schmerz anderer aufgeilst. Dass du in der Hoffnung, Leid zu erfahren, weiter liest.
Sei nicht eingeschnappt, ich verallgemeinere nur.
Wenn du noch hier bist, kannst du mir vielleicht weiter folgen.
Ich sitze also hier, mit Blut und Rotz verschmiert, kämpfe damit, die halbverdauten Überreste des Abendessens nicht dem weiß bekittelten Arzt vor die Gummisohlen zu erbrechen, und höre meinem Bruder dabei zu, wie er ihm haarklein erklärt, wie dumm es doch von mir war, im Dunkeln durch unser Haus zu stolpern, war es doch nur eine Frage der Zeit, bis ich mit dem Schädel gegen die Kanten der Türstöcke knallen würde.
Wie schwachköpfig ich doch bin. Wie tollpatschig.
Ich dummer, kleiner, liebenswerter Idiot.
Dieser Arzt also, dieser pomadisierte Kurpfuscher, ist dieses Jahr bereits der Vierte im Umkreis von hundert Kilometern, der einen meiner Heimunfälle behandelt. Einer führte mit mir ein Gespräch über den Bau von Vogelhäusern, während er meinen zermalmten Daumen bandagierte. Ein anderer über Alkohol und wie schlecht er doch sei, als er mir die Platzwunden zusammen nähte, die ich mir bei einem Treppensturz geholt hatte.
Unser Haus ist einstöckig. Und es hat keinen Keller.
Man muss ganz schön blöd sein, eine Treppe hinabzustürzen, die nicht existiert.
Dieser Arzt, er nimmt es ihm ab, und wie könnte er auch anders, nicke ich doch bei jedem »Ist das wahr?« mit dem Kopf. Er umwickelt die Überreste meines Schädels mit einem Verband, indem er ihn über mein Kinn schnürt und alle Geräusche werden etwas dumpfer. Als wir uns daran machen, die Notaufnahme zu verlassen, klopft er mir auf die Schulter und sagt, dass ich in Zukunft besser aufpassen soll.
Er nennt mich Kumpel.
Mit seinen Gummisohlen quietscht er über das Linoleum und fängt an, sich wieder ins Ruhezimmer zu pfeifen, wo er seine Augen zusammenkneifen wird und morgen hat er vergessen, wie wir ausgesehen haben. Vielleicht weiß er es schon jetzt nicht mehr.
Vielleicht hat er es nie gewusst.
Während ich meinem Bruder köterartig hinterher laufe und seine Gesten zu dem Vorfall und meiner Ungeschicklichkeit beobachte, taste ich über den Faden, der mir vor einer Woche in einem anderen Krankenhaus von einem anderen Arzt durch die Stirn gefädelt worden ist.
»Der muss bald raus«, sage ich und kratze an der verkrusteten, vom Haar größtenteils überdeckten Wunde.
»Was?«, sagt er erst Sekunden später, seinen Redefluss unterbrechend. »Hm?«
»Der Faden«, und ich zucke zusammen, als ich an die dünne Nadel denke, die der Arzt durch meine Haut geschoben hat.
»Kann ich das nicht machen? Das funktioniert sicher mit einer Schere.«
Ich trotte ihm weiter nach und stelle mir vor, wie er meinen Kopf zwischen seine Schenkel klemmt, um mit Bürozubehör Garn aus meiner Haut zu entfernen. Bereits von der Vorstellung wird mir übel.
Wir sind am Ausgang angelangt und summend bewegt sich mein Bruder durch die letzte der beiden gläsernen Schiebetüren der Notaufnahme. Ich folge ihm durch die erste, starre ihm nach, wie ihm die Lüftung über dem Eingang das Haar im Nacken zerzaust. Hinter mir schließt sich pfeifend die innere Tür und so stehe ich hier, kann nicht zurück, nur vor, doch wenn ich vorwärts gehe, kann ich genauso gut sofort mit dem Kopf durch das Glas laufen, in der Hoffnung, dass ich schneller als der Bewegungssensor bin.
Irgendwann bemerkt mein Bruder, dass ich nicht mehr hinter ihm stehe und mein Atem nicht mehr heiß und nach Erbrochenem riechend in seinen Rücken stößt.
Er dreht sich um und schiebt seine Augenbrauen näher aneinander.
Ich winke ihm zu. Etwas Besseres fällt mir nicht ein.
Er macht eine Handbewegung, die mir bedeutet, dass ich ihm folgen soll. Aber aus irgendeinem Grund tue ich es nicht. Die erste Minute vergeht und ich fange an zu schwitzen, als würde sein Blick allein genügen, die Temperatur in diesen vier Quadratmetern in die Höhe zu jagen. Ich sehe mich um und bin froh, ein weiß lackiertes Lüftungsgitter unter der Decke entdecken zu können. Wenigstens ersticken kann ich während dieser Aktion nicht.
Hör mir zu. Schnell. Ich weiß nicht, wie lange ich hier noch stehen kann. Der nächste blutige Notfall könnte jeden Augenblick hereinplatzen und mit ihm auch mein Bruder.
Während ich hier stehe, nicht weiß, was zu tun ist, derselbe hilflose Idiot, der ich immer gewesen bin, denke ich an einen Freund.
Er will sicher nicht, dass ich seinen Namen nenne.
Dieser Freund war vierzehn, als wir uns kennen lernten, indem wir in dieselbe Klasse kamen, und er war sechzehn, als wir von der Schule abgingen, mit der mittleren Reife in der Tasche, die uns, sieh mich an, auch nicht viel gebracht hat.
Das letzte Mal gesehen habe ich ihn vor sechs Wochen. Sein Gesicht schwarz-weiß auf den Titelseiten mehrerer Zeitungen, die ihn einen Perversen geschimpft haben, mit einem Balken, der seine farblosen Augen verdeckt hat. Armes Schwein, wenn man bedenkt, dass er eigentlich keine andere Chance gehabt hat.
Ich konnte ihn nicht leiden, als ihn die Lehrerin auf den einzigen freien Platz neben mich setzte. Aber das war nichts Besonderes. In diesem Jahr konnte ich niemanden leiden.
Ich weiß noch, dass sein Haar immer nach Kokosnuss stank und dass weiße Schuppen an seinen Koteletten wie Muscheln an einem Schiffsbug klebten. Bereits damals sprossen dunkle drahtige Haare aus seiner Nase und jedes Mal, wenn ich einen Blick nach links auf sein Profil warf, glaubte ich, diese Haare würden sich bewegen.
Er sprach nicht viel. Das hatten wir beide gemeinsam.
Wenn er im Unterricht aufgerufen wurde, fing er immer mit »Ähm, also«, an, nur um anschließend fast eine Minute lang nichts zu sagen. Dann kam die richtige Antwort. Jedes Mal.
Ich hatte nie das Gefühl, dass er aufpasste. Eher war es, als wären selbst seine eigenen Gedanken zu schnell, als dass er sie hätte erfassen können. Doch als er mit der ersten Matheeins nach Hause ging, war ich mir dessen nicht mehr so sicher.
Irgendwann fingen wir an zu reden. Man kann nicht ein Jahr nebeneinander sitzen, ohne ein Wort miteinander zu sprechen.
Er erzählte mir, seine Mutter und seine Schwester wären seit sechs Monaten tot und alles, was in seinem Haus noch lebte, war eine alte Bulldogge, die so alt war, dass er sich manchmal dessen nicht sicher sein konnte.
Sein Vater war längst gestorben. Auch wenn er noch atmete.
Er sagte, sein Pa würde in der Nacht arbeiten und tagsüber auf einer Couch schlafen, deren Verformung durch seinen Körper nicht einmal mehr zurückging, wenn niemand darauf saß. Das Schlafzimmer betrat er nicht mehr. Die Erinnerungen, meinte er.
Mein Freund sah ihn immer nur schlafend und trinkend. Anscheinend konnte er beides gleichzeitig.
Seine Mutter und seine Schwester waren bei einem Autounfall gestorben. Autobahn, hundertachtzig, Regen und ein geplatzter Reifen und schon kann man seinem Körper dabei beobachten, wie er Hals abwärts in den Sitz geschmolzen wird, während man selbst durch die Windschutzscheibe springt wie ein Löwe durch einen brennenden Reifen.
Man hatte den Kopf seiner Mutter abgetrennt im Gebüsch gefunden, die Haut vom Knochen geschält wie die einer Orange. Der Airbag war nicht aufgegangen, aber immerhin der Gurt hatte gehalten.
Er erzählte mir, er musste zwei Wochen lang nicht in die Schule gehen. Er saß zuhause, blätterte in Comic-Heften und stellte Statistiken auf, zu welcher Uhrzeit sein Vater welchen Whiskey am schnellsten trank.
Ich dachte damals: So verzweifelt muss man erstmal sein.
Er sagte, so sehr hätte es ihn gar nicht getroffen. Irgendwie hatte er schon gewusst, dass er alle überleben würde.
Er sagte, natürlich hatte er geweint, doch wenn man weint, vergisst man. Und so hatte auch er vergessen, wie es war, als sie noch da gewesen waren.
Nach vierzehn Tagen musste er wieder in die Schule und die gespielte Anteilnahme der Lehrer war ihm mehr auf die Nerven gegangen, wie die abschätzenden, fast ängstlichen Blicke seiner Mitschüler.
Alle hatten gesagt, die anderen hätten angefangen. Mein Freund sagte mir, dass immer er der erste gewesen war, der zugeschlagen hatte. Der beleidigt, gespuckt, gezwickt hatte. Und trotzdem war immer er es gewesen, der einstecken hatte müssen. Prügel in die Nieren, in den Nacken, auf die Nase, so oft, dass er sich abgewöhnt hatte, in der Schule seine Brille zu tragen.
Deshalb sah er nicht nach vorne an die Tafel. Er konnte sowieso nichts erkennen.
Er erzählte mir, die Särge waren bei der Beerdigung geschlossen gewesen.
Zu schlimm, sagten die Bestattungsunternehmer, sie sollten sich dem nicht aussetzen.
Mein Freund, er hätte sie gern gesehen. Die Augen seiner Schwester. Er hätte sie gern mit Mascara geschminkt.
Ja, er wusste selbst, wie verrückt das klang.
Und da er an die Leiche seiner Schwester nicht ran kam, fing er an, ihre Bilder zu bemalen. Fotos, auf denen sie lächelnd, in Kleidchen gesteckt mit baumelnden Füßen auf Gartenzäunen saß, während der Wind mit ihrem blonden Haar spielte. Fotos, auf denen sie polierte Halbschuhe trug, in denen sich bei Sonnenschein ihr Höschen gespiegelt haben musste.
Er malte ihr einen roten Schmollmund und Lidstriche auf die Portraits, Netzstrümpfe auf die Familienbilder.
Ich sah diese Fotos, als ich das erste Mal zu ihm nachhause kam.
Er sagte mir, sie war siebzehn, als sie starb.
Auf einem Foto trug sie ein kurzes, rotes Top, und in ihrem Nabel spiegelte sich das Blitzlicht in einem Piercing.
Mein Freund sagte mir, er habe dieses Piercing aufgehoben. Gezeigt hatte er es mir nie.
Anfangs waren wir immer bei ihm zuhause. Damals, als mein Bruder beim Bund war und vielleicht alle sechs Wochen bei uns vorbeischaute. Damals, als er noch mein großes Vorbild war.
Mein Freund erzählte mir eines Tages, er hätte gerne einmal die Lippen seiner Schwester berührt, und ihre Titten. Es waren schöne Titten gewesen, hatte er gesagt. Ich erinnerte mich an das Foto von ihr in dem roten Top und stimmte ihm zu. Da ich keine Schwester hatte, konnte ich es gut nachvollziehen, eine Schwester zu begehren. Schließlich war niemand da, der mich vom Gegenteil überzeugen konnte.
Er erzählte mir auch, dass er ihre Titten auch jetzt gerne noch berühren würde.
Dass sie tot war und das Ganze ziemlich merkwürdig, fiel mir erst auf, als ich den Artikel über ihn in der Zeitung las.
Wenn man in sein Zimmer ging, hatte man das Gefühl, in das Büro eines Privatdetektivs zu platzen – überall Fotos an der Wand, Zeitungsartikel, Todesanzeigen. Nur, dass die Person, die er observierte, nichts mehr tat, was zu observieren es sich lohnte.
Neben seinem Schreibtisch stand der Rechner eines PCs, der dazugehörige Bildschirm lag auf dem Boden neben seinem Bett. Die Jalousien waren immer zur Hälfte herabgelassen und wenn abends die letzten Überreste der Sonne ihre Strahlen ins Zimmer warfen, spiegelten sie sich in den Glasaugen eines Kosmetikkopfes, der mit einem durchsichtigen Saugnapf auf dem Schreibtisch befestigt war.
Stieß man gegen den Tisch, klimperten die Wimpern.
Mein Freund sagte mir, sechzig Euro muss man für einen richtigen Schminkkopf schon hinblättern. Wenn er Echthaar haben soll, und blaue Glasaugen, Ohrlöcher.
Das Modell auf seinem Schreibtisch kam aus Deutschland, blondes Haar, das er ihr mit Lockenwicklern alle drei Tage am Ende nach innen drehte. Genauso, wie seine Schwester es getragen hatte.
Er sagte mir, Lockenstäbe benutzte er nicht. Davon wird das Haar brüchig.
Im Nacken war dem Kosmetikkopf das Wort Becky eingepresst worden.
Er sagte, dass das Gesicht zwar weich, trotzdem unnachgiebig war. Er fragte mich, ob ich sie mal anfassen möchte, während er mit einem Schraubenzieher ein Loch zwischen ihre Lippen bohrte.
»Los, fass sie an«, als Späne hautfarbenen Plastiks auf den Schreibtisch rieselten. »Wie versteinerte Haut.«
Ich fasste sie nicht an.
»Der Trick besteht darin«, sagte er, ein Ächzen unterdrückend, als er der Puppe mit aller Kraft den Schraubenzieher bis zum Griff in den Mund jagte, »dass du ihr Augentropfen gibst. Das macht alles realistisch.«
Er sah mich an. »Dann weint sie sogar manchmal.« Und seine Augen waren glasig. »Wenn du Glück hast.«
Auch, wenn du mir es sicher nicht glaubst: Abgesehen davon war ein ganz normaler Junge.
»Wenn etwas stirbt, mach es zur Erinnerung«, und er befreite ihren von kirschroten Lippen umrahmten Mund von Plastik, »und dann, wenn sie dabei ist, zu verblassen, mach die Erinnerung zur Gegenwart.«
Mit einer von Speichel triefenden Zunge leckte er sich die Lippen und pustete dann in das zentimetergroße Loch. »Dann ist alles fast so, wie zuvor.«
Durch die fettigen Brillengläser hindurch sah er mich an. »Nur viel besser. Perfekt.«
Am nächsten Tag hatte das Loch in der Puppe bereits einen Durchmesser von mehr als drei Zentimetern, die Lippen waren nur noch dünne rote Striche, als hätte man sie ihr abgeschnitten. Neben dem Kopf stand eine Tube Vaseline, die man für zehn Euro in jedem Drogeriegeschäft kaufen konnte. Ich fragte ihn nie danach, warum er das Loch in den Kosmetikkopf hineingebohrt hatte.
An diesem Tag waren seine Augen blutunterlaufen, die Haut in seinem Gesicht so weiß wie die Tapete hinter ihm. Er sagte mir, dass alles in Ordnung war. Er sagte es immer wieder, bis ich aufhörte, zu fragen.
Es war das letzte Mal, dass ich ihn besuchte.
Wir blieben weiterhin in der Schule nebeneinander sitzen, wir lernten zusammen für unsere Abschlussprüfung und bestanden sie beide – wenn auch er um einiges besser als ich.
In den Sommerferien trafen wir uns. Anfangs noch oft, am Ende der fünften Woche reduzierte es sich auf Telefonate. Und die Telefonate hörten am 25. Dezember auf.
Ich weiß das noch so genau, weil an diesem Tag mein Bruder nachhause zurückkam, mir von seiner Zeit beim Bund erzählte und davon, wie alle nach seiner Pfeife tanzten. Ihm aufs Wort gehorchten, wie getretene, winselnde Köter.
Ich weiß das so genau, weil er damals noch mein Idol war. Der große, starke Mann, der Actionfilmen als Vorbild diente.
Wenn ich ihn jetzt betrachte, das Neonlicht, das wie Honig über sein schlaffes Gesicht fließt, kann ich nicht verstehen, wie ich ihn jemals für etwas anderes halten konnte, als für den Schwächling, der er ist.
Dann erinnere ich mich daran, wie schwach ich bin und alles, was ich tun kann, ist hier zu stehen, auf die Schmierflecken auf der Tür zu starren, während mein Atem immer langsamer wird. Immer ruhiger.
Ich frage mich, wie lange ich hier noch bleiben kann.
Die Schlagzeile der Zeitung hieß: »Perverser Leichenschänder auf frischer Tat ertappt«.
Er wurde dabei vom Friedhofswärter erwischt, als er ihr Grab ausheben wollte, das seiner Schwester. Um etwas zu tun, um es aus Liebe zu tun. Weil er liebte. Und er hatte nicht gelogen.
Er sagte, es war ihm klar gewesen, dass er geschnappt werden würde.
Niemand musste mir den Namen dieses Mannes nennen. Ich kannte ihn bereits.
Und erst jetzt, da ich hier eingesperrt bin und gleichzeitig mehr Freiheit habe, als in den letzten beiden Jahren meines Lebens, jetzt erst kann ich ihn verstehen. Ich kann verstehen, weshalb mein Freund, und hier und jetzt ist mir klar, dass er noch immer mein Freund ist, etwas tat, womit er seine Zukunft aufs Spiel setzte. Womit er sein Leben zerstörte und gleichzeitig erfüllte.
Es war im egal, dass alle es wissen.
Er wollte von den Fesseln, die die Gesellschaft ihm angelegt hatte, weil er jemanden liebte, den er nicht lieben durfte, befreit sein.
Als ob er jemanden damit verletzt hätte.
Er wollte frei sein. Irgendwie.
Ich sehe Scheinwerfer den Hügel zur Notaufnahme herab kriechen und atme tief ein.
Wer weiß, wann ich das wieder kann.
© Tamira Samir