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Irmgard, die 3.
Irmgard, die 3.
Langsam öffnete sie ihre Augen.
Gleißendes Licht fiel durch das Fenster, das sich ihrem Bett gegenüber befand. Es wurde von den weiß gestrichenen Wänden zurückgeworfen und um ein Vielfaches verstärkt, so dass es eine ganze Weile dauerte bis sie ihre Umgebung halbwegs erkannte.
Für den grauen Nebel vor ihren Augen war die Krankheit verantwortlich, doch das wusste sie nicht mehr.
Auch nicht, dass ihre Zimmernachbarin diese Nacht gestorben war und eine der Krankenschwestern sie in der Nacht auf die Seite zum Fenster hin gedreht hatte, damit sie nicht doch eventuell etwas von dem Geschehen mitbekam.
Nun wartete sie auf die nette Frühschwester, die sie wieder auf den Rücken drehen würde.
~ * ~
Durch die drückende Ruhe im Zimmer konnte sie das behäbige Ticken der Uhr hören, die hier irgendwo stand.
In der Stille klang es wie der dumpf hallende Schlag von Kirchenglocken, etwas fehlte im Zimmer. Irmgard überlegte, schon den ganzen Vormittag versuchte sie zu erfassen was es war. Doch mit starrem, unbeweglichem Blick an die Zimmerdecke liefen ihre Gedanken im Kreis.
Mit einem hastigen Geräusch öffnete sich die Tür und erschrocken zuckten Irmgards dürre Fingerspitzen auf der Bettdecke. Für einen kurzen Moment schloss sie ihre Augen. Sie kannte diese Art die Tür zu öffnen.
„Hallo Irmi.“. Eine dicke, ältere Frau schob sich durch das enge Zimmer bis zu ihrem Bett, während ein kleiner Junge johlend die Tür zuwarf.
„Lass das gefälligst sein und komm her. Sag deiner Großtante guten Tag. Robert. Hörst du nicht?!“, rief sie dem Jungen zu und zog sich einen Stuhl vom Tisch heran.
Sie wand sich wieder dem Bett zu. „Weißt du warum ich so außerplanmäßig hier bin? Stell dir vor Irmi, haben doch Neumanns von nebenan eine Flugreise gemacht! Ich hab dir doch vor zwei Wochen erzählt das sie plötzlich verschwunden waren. Und ich hab mich schon die ganze Zeit gefragt wo sie hin sind.“, indigniert schüttelte sie ihren Kopf, das die starren, festgepappten Locken erzitterten.
„Robert!“, erschrocken drehte sie sich um und warf ihre Handtasche auf Irmgards Bett, als hinter ihr ein lautes Klirren erscholl. Grinsend sprang der Junge von dem Stuhl in die Wasserlache, die sich langsam zwischen den Scherben der zerbrochenen Vase ausbreitete. Ihr lautes Schimpfen verblasste zu einem undeutlichen Gemurmel...
>Glücklich sah Irmgard auf. Nur wenige Meter vor ihr stand die kleine Fachwerkhütte tief in die Erdsenke geduckt. In dem Raum hinter der geöffneten Tür erkannte sie ihre Mutter, die ihr nun fröhlich zuwinkte.<
„...und da musste ich doch tatsächlich erfahren, dass dieses Volk ihren Onkel beerbt haben! Und was machen sie mit dem sauer verdienten Geld des Alten? Sie verreisen! Stell dir das mal vor.“. Die Tasche wurde wieder von Irmgards Bett und ihren Händen genommen. Die Stimme der Frau drang schrill in sie ein und zerschnitt ihren Traum. Wer war diese Person?
Irmgard überlegte, doch es fiel ihr nicht ein.
Etwas Schweres fiel ihr auf die Füße. Der Schreck und der Schmerz pressten ein ersticktes Keuchen aus ihren Lungen.
„Robert! Wenn du schon auf dem Bett turnen musst, dann unterbrich mich bitte nicht wenn ich rede!“, die Frau sah den Jungen böse an bis er maulend wieder vom Bett hinunter sprang. Irmgards Hände zitterten auf der gestärkten, weißen Bettdecke.
„Wo war ich stehen geblieben?“, fragte die Frau und fixierte einen Punkt irgendwo an der Wand über Irmgards Kopf.
„Ach ja, genau. Ich habe mich mit Reinhard und Martchen beraten und wir sind zum Notar gegangen und haben dein Testament untersuchen lassen. Aber es ist nichts zu machen. Kein Rankommen vor der Zeit. Ich frag mich warum du und Paul das so kompliziert abgesichert habt. Ich meine...“, sie stockte und knetete ihre Finger. Irgendwo im Zimmer raschelte es.
„Also ich meine dann würden wir dir hier natürlich auch ein paar Dinge besorgen, die dir das Leben angenehmer machen würden.“.
Ein hässliches Reißen erklang.
„Robert! Kannst du dich nicht einmal benehmen? Ach was soll`s. Soll sich doch deine Mutter drum kümmern.“. Lustlos riss der Junge weiter die Zeitungen auf dem Tisch in kleine Fetzen, ohne sich um das Schimpfen der Frau zu kümmern.
Lähmendes Schweigen senkte sich über das Zimmer und die Frau ließ ihre Augen haltlos durch das kahle Zimmer wandern.
Schließlich seufzte sie und stand auf. „Wahrscheinlich hast du mich ja sowieso nicht verstanden. Aber es dauert ja nicht mehr lange.“. Sie schob den Stuhl zurück und griff den Jungen am Arm.
Ohne weiter etwas zu sagen drängte sie ihn grob zur Tür und schob ihn auf den Flur hinaus, dann drehte sie sich noch einmal um und starrte auf das Ende von Irmgards Bett.
„So was. Wer hat denn eine Drei hinter den Namen geschrieben?“, murmelte sie. „Ach das hat einer der Pfleger gemacht. Das bedeutet nur das schon die dritte Irmgard in diesem Bett liegt. Sollte wohl etwas humorvoll gemeint sein.“, sagte eine Schwester lachend, die gerade vorbeikam und die Frau gehört hatte.
„Ach so.“, antwortete die Frau und zog die Zimmertür hinter sich zu.
~ * ~
Irmgards welke Finger zuckten auf der Bettdecke und ihr Atem ging stoßweise.
Immer weiter hörte sie die Stimmen sich entfernen.
Sie spürte wie ihr Tränen auf den Wangen hinunter liefen. Wie erst ihre Ohrmuschel nass wurde und dann auch das Kopfkissen unter ihr.
Es wurde still im Zimmer und durch das geschlossene Fenster hörte sie weit entfernte Geräusche vom alltäglichen Leben.
A.T.