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Ja, ich liebe es

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01.01.2002
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Ja, ich liebe es

Ja, ich liebe es


Auf der Ocean Avenue war wieder die Hölle los.
Ich parkte den Chevy wie immer auf der Seite, die dem Strand zugewandt war.
Man gewöhnt sich an den Verkehr. Fast wurde mir einmal die Autotür abgefahren,
doch auf dieser Strassenseite gab es noch einen Standstreifen, vielleicht für die
Radfahrer, oder vielleicht nur für solche wie ich, die beim Aussteigen nicht immer nach hinten sehen.
Ich nahm meinen Kipling-Rucksack in die linke Hand und wühlte mit der
Rechten nochmals alles zurecht; auch, um mich zu vergewissern, daß ich
nichts vergessen hatte.
Ich stieg aus, schlug die Tür zu und drückte auf den Knopf, der sich am Autoschlüßel befand.
Oi-Oi.
Bestimmt war der Wagen verschlossen, doch faßte ich nochmal an den Türgriff,
um zu prüfen, ob sie auch wirklich zu war.
Mit dem Rucksack in der rechten, und meinem Schlüsselbund
in der linken Hand ging ich zur Parkuhr, die am Strassenrand stand.
In all den Jahren hatte ich mir angewöhnt, immer ein paar 25-Cent-Stücke in
der Hosentasche zu haben. Diese Parkuhren waren so gefräßig
wie ausgehungerte Löwen in einem Zwinger, die nur darauf warten,
daß ihnen ein Stück rohes Fleisch über den Zaun geworfen wird.
Manchmal hatte ich sogar das Gefühl, diese Zeitmesser hat man
absichtlich ein bisschen flotter eingestellt, um seinem Nutzer
eher ein sattes 40-Dollar-Ticket hinter den Wischer klemmen zu dürfen.
Ich setzte meine Sonnenbrille auf.
Den Schlüsselbund steckte ich in die linke Hosentasche und sicherte
ihn mit einem kleinen Karabinerhaken an einer Gürtelschlaufe,
Mit geschultertem Rucksack ging ich über den kurzgeschorenen Rasen direkt bis zum Zaun,
der knapp am Abhang errichtet ist.
Wenn man sich hier vorbeugt sieht man auf den Pacifik Coast Highway. An dieser Stelle könnte
ich ihn sogar fast noch mit Spucke treffen.
Bei Sonnenuntergang findet hier oben eine art Veranstaltung statt.
Ich machte es mir auch schon zur Angewohnheit, jeden Abend,
oder zumindest dann, wenn ich Zeit hatte, hier zu sein.
Es ist etwas besonderes. Ein kleines Spektakel.
Wenn sie dann ins Meer zu sinken scheint, bekommt der Himmel eine
leicht violette Farbe. In nur wenigen Minuten ist das Schauspiel vorüber und man
sollte es jeden Tag erleben. Auch wenn sich die Erde nach einem Sonnenuntergang
immer noch drehen wird, so kann es doch der letzte sein, den man erlebt.

Ich drehte mein linkes Handgelenk und schaute auf meine Armbanduhr.
14:30 Uhr. Die Sonne stand im Zenith und brannte mir höllisch ins Genick.
Nach einem kurzen Blick zurück zum Wagen ging ich weiter.
Ich steuerte geradewegs zur Betontreppe, die ich schon dutzende male auf und ab gestiegen bin.
Sie windet sich wie eine Serpentinenstrasse den steil abfallenden Küstenabhang hinunter.
Auf dieser Treppe nimmt man immer einen Geruch von Urin wahr, weil viele Penner hier
die Nacht verbringen.
Unten angekommen ging ich über die Brücke, die sich über den
PCH 1 spannt. Die Brücke ist überdacht und an beiden Seiten mit Gitterdraht versehen, bestimmt
der Sicherheit wegen. Sie macht einen rundlichen Bogen über den Highway
und erweckt unweigerlich den Eindruck von einem Eingangstor.
Drüben stieg ich die letzten Stufen hinab.
Morgens, zwischen 8:00 und 10:00, ist der Verkehr hier am schlimmsten.
Wenn sich die Blechlawine stadtauswärts richtung Norden bewegt, ist es
kaum vorstellbar, daß sich das ganze nach ein paar Meilen wieder aufgelöst hat.
Die meisten benutzen diese Strecke, um über den Sunset Boulevard in die Stadt oder die
Topanga Canyon Road ins San Fernando Valley zu fahren.
Das Valley ist eine riesige Ebene im westlichen Teil der Stadt,
das am meisten beeindruckt, wenn man in einer kühlen,
nebelfreien Januarnacht vom Mount Wilson hinab ins Tal blickt.

Hier unten hätte ich auch parken können, dachte ich mir.
Das machte ich aber nur an Tagen, wenn ich mit den Inlinern unterwegs war,
einige Stunden am Pier oder am Strand verbringen wollte.
Selbst an Wochenenden, mitten im Sommer, findet man noch genügend Platz
um ein Wohnmobil abzustellen.
Das Highlight hat man aber immer noch beim verlassen des Platzes.
Diese, mit gelber Signalfarbe bepinselten Widerhäken, die sich beim zurückrollen
in die Reifen bohren wollen, hatte ich noch nie gemocht.
Ich schlenderte quer über den Parkplatz, bis ich auf dem
asphaltierten Radweg war, der sich parallel von Malibu bis weit
nach Marina del Rey, dem größten Yachthafen des Landes, hinzog.
In der etwas kühleren Winterzeit, in der man sich nicht unbedingt
in die Fluten stürzen sollte, kann man von hier aus entspannt das Treiben
am Strand beobachten.
Ich blieb kurz stehen und liess meine Sonnenbrille in einer Seitentasche des Rucksacks verschwinden, dann ging ich weiter.
An den feinen Sand, den man sich beim gehen ungewollt in die eigenen Schuhe schaufelt,
hatte ich mich schon gewöhnt.
An heissen Wochenenden ist der Strand gut bevölkert und Taschendiebe hätten größte Mühe,
sich mit ihrer Beute aus dem Staub zu machen.
Doch die vielen Mexikaner, die in ausgewaschenen Bermudashorts und
mit ausgetretenen Nike-Sportschuhen am Strand herumlungerten,
hatten in mir noch nie viel Vertrauen geweckt.
Ich überlegte noch, den Rucksack einem Lifeguard zu geben,
die jeden Tag hier draussen ihren Dienst machen,
aber ich hörte die Brandung rauschen und sah mich
schon nach einem geeigneten Liegeplatz um.
Nachdem ich die ausgefranselte Jeans und das
T-Shirt abgelegt, und im Rucksack verstaut hatte,
mußte ich mich nur noch meiner Schuhe entledigen.
An meiner schwarzen Badehose kontrollierte ich nochmals das Zugband.
Das große blaue Badetuch, das mit einem riesigen Eisberg und
einem Segelschiff bedruckt ist, legte ich wie immer über
den Rucksack.

Hier vorne, ganz nah am Wasser, vergisst man all die Hektik
und den Lärm der sich im urbanen Moloch hinter mir täglich abspielt.
Man hört nur das Brechen der Wellen, das Rauschen des Wassers,
wenn es sich zurückzieht, um wieder von neuem mit aller Kraft
gegen den leicht ansteigenden Sandstrand zurück zu schlagen.
Wenn man die Augen schließt, hat es fast schon eine
hypnotisierende Wirkung.
Bei meinem ersten Besuch konnte ich mir nicht vorstellen,
im Pazifik mehr als nur meine Füße naß zu machen.

Ich wartete, bis sich die letzte Welle ein paar Meter vor mir
auf den Rückweg machte um sich mit neuer, brachialer Gewalt
mir entgegen zu stellen.
Jetzt lief ich los, so schnell ich konnte.
Als ich schon mehr als kniehoch im Wasser war und kaum noch rennen konnte,
stürzte ich mich in die nächste Welle, die sich vor mir errichtete.
Mein timing war gut und nach ein paar Schwimmzügen war ich
schon weit vom Strand entfernt.
Jedesmal, wenn ein Schwimmer sich mehr als ein paar Meter nach draussen wagt,
springen die Lifeguard´s auf, und es sieht so aus, als bekämen sie das Fernglas,
das urplötzlich wie angeklebt an ihren Händen zu sein scheint, nicht mehr von ihren Augen.
Ich war jetzt etwa 100 Meter vom Strand weg. In dieser Entfernung
konnte man am besten schwimmen. Die Wellen bauten sich hier gerade auf und
man hatte kaum mühe, sich an der Oberfläche zu halten.
Das Wasser ist sehr salzig. Man sollte sich davor hüten, wenn auch
unabsichtlich, davon nur einen Schluck zu nehmen.
So weit draussen ist man ganz allein. Wenn es hier mit einem Hai zum
Kampf kommt, hast du keine Chance.
Ich schwamm wieder näher an den Strand, um meiner Lieblingsbeschäftigung
nachzugehen. Ich wollte nicht zu weit draussen sein, denn ich hatte mich schon oft verschätzt und mußte mich wieder
zurückkämpfen und auf die nächste Gelegenheit warten.
Um mich herum waren noch andere Schwimmer, die auch nur eines im Sinn hatten;
die beste Welle.
Dann hatte ich eine im Blickfeld. Sie war noch weit weg,
doch sie begann schon, sich aufzubauen.
Ein paar andere und ich machten uns bereit und wir drehten uns zum Strand hin.
Dann fingen wir zu paddeln an. Hinterrücks baute sich das gewaltige Wassermonstrum immer
mehr in die Höhe. Als der Zeitpunkt gekommen war, mit den Schwimmbewegungen
aufzuhören, habe ich meine Arme angelegt und meine Badehose gehalten.
Beim ersten mal hatte es mir fast die Hose heruntergerissen.
Starr wie ein Brett, mitten in der immer größer werdenden Welle wurde ich
immer schneller. Sie bäumte sich unter einem tosenden Geräusch
immer weiter hinter mir auf, bis sie begann, zu brechen.
Jetzt war ich mitten im Tunnel.
Für einen Augenblick ist es totenstill.
Ich nahm immer mehr Fahrt auf und schoß dem Strand entgegen.
Schneller, immer schneller, bis die ganze Wasserwand, auf der man eben noch
wie ein Surfbrett dahinglitt, mit einem tosenden Rauschen in sich zusammen fiel.
Für einen Augenblick wusste ich nicht, wo oben und unten war.
Obwohl ich ein guter Schwimmer bin, hatte ich das erste mal angst, zu ertrinken.
Nach ein paar Sekunden hatte ich Boden unter meinen Füßen und stand in nur
noch kniehohem Wasser. Auch die anderen, die diese Welle genommen hatten,
mußten sich erst orientieren.
Wir lachten uns an.
Ich drehte mich um und sprang erneut in die Wellen...


...ja, ich liebe es, im Pazifik zu schwimmen.

 

Besonders im letzten Drittel wirklich sehr aufregend! Man genieße Szene für Szene.....

Die genauere Untersuchung möchte ich gerne anderen überlassen :D ......

Ich streiche nur Deine beiden Merksätze heraus, damit die nicht untergehen und nicht nachher einer sagt, er hätte es nicht gewußt:

"Das Wasser ist sehr salzig. Man sollte sich davor hüten, wenn auch
unabsichtlich, davon nur einen Schluck zu nehmen."

"So weit draussen ist man ganz allein. Wenn es hier mit einem Hai zum Kampf kommt, hast du keine Chance."

 

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