Jage, was du töten kannst
Ich bin kein Mörder.
Überhaupt ist die Definition des Wortes ziemlich weitläufig. Ein Mörder ist, wer im Affekt umbringt, tötet. Aus niederen Beweggründen.
Sowas tat ich ja nicht.
Ein Massenmörder? Wie ein Amokläufer also, der mindestens eine Handvoll Menschen zur gleichen Zeit am gleichen Ort umbrachte.
Ich nahm meine Finger zur Hilfe, zählte. Nein, ein Massenmörder war ich auch nicht.
Zu guter Letzt: der Serienmörder. Als Serienmörder werden Menschen bezeichnet, die mit zeitlichem Abstand mehrere Menschen ermordet haben. Ein meist hochintelligenter, jedoch auf unvorstellbar Grausame Weise mordender, oftmals perverser Mensch, der aufgrund einer traumatisierten Kindheit tötet. Oft sind es auch Beziehungstaten.
Wieder überlegte ich einen Moment, dann nickte ich lächelnd.
Ja, ich war ein Serienmörder.
Ich konnte sie immer noch riechen. Trug ihren Duft immer noch fest verankert mit sich. Schmeckte ihren Geruch auf meiner Zunge.
Ihr Parfum, ihre Haare. Ihre Bodylotion, die diesen Schimmer auf ihrer Haut hinterließ. Den Weichmacher, der Ihre Wäsche einhüllte. Ihren Duft, ihre Fährte, die er wie ein wildes Tier auf der Jagd aufnahm. Früher oder später würde ich sie kriegen, sie jagen, bis ich sie reißen konnte. Mit ihr spielen, wie eine Katze mit einer Maus. Meinem Herrchen stolz vorzeigen und mir das Lob abholen. Ich war fasziniert von ihr. Von ihrem Wesen, ihrer Art. Von ihr als Mensch. Doch nicht aus Ehrfurcht oder dergleichen.
Ihr Duft, der Geruch ihres Körpers, war immer noch in meiner Nase gefangen. Ich hatte sogar das Gefühl, sie schmecken zu können. Ihre glatte Haut schmecken zu können, ihren Lipgloss der Marke Blueberry, den sie sich letzte Woche gekauft hatte. Ich atmete tief durch die Nase ein und hielt kurz mit geschlossenen Augen inne. Dann verzog ich maliziös den Mund, bis hin zu einem wirren grinsen. Fast hätte ich über ihre Naivität und Unvorsichtigkeit lachen können. Stattdessen lächelte ich nur, über das, was ich eben erlebt hatte.
Was ich erlebt hatte, und sie nicht.
Was sie nicht gemerkt hatte. Schade eigentlich, denn ich hätte diesen Moment gerne miterlebt und ausgenutzt. Zu sehen, wie sie mich entdeckte, und es ihr wie Schuppen von den Augen fiel. In ihren Augen zu sehen, dass sie es nun endlich wusste.
Hatte sie auf Schritt und Tritt verfolgt, war hinter ihr, vor ihr, neben ihr. Ich hatte so dich hinter ihr gestanden und hatte sogar die Augen geschlossen, um diesen Moment vollkommen auskosten zu können.
Ich hatte so sehr gehofft, dass sie sich ruckartig umdrehen würde und Ihre langen braunen Haare mein Gesicht streifen würden. Doch es geschah nicht.
Sie stand einfach nur da, in der Schlange an der Kasse und wartete. Ohne sich umzudrehen. Ohne mich zu beachten oder gar zu bemerken. Doch das sollte sie. Ich wollte, dass sie mich bemerkte. Ihr Puls sollte rasen wie meiner. Ihr Atmen schneller gehen, wie meiner. Ihre Arme hingen schlaff am Körper herunter, der Kopf schräg nach links gelehnt, den Blick auf die Kassiererin gerichtet. Ich ballte meine Fäuste mit so einer Anstrengung und Wut in den Jackentaschen, dass sich die gespannte Haut über den Knöcheln bereits weiß färbte. Als sie sich zu Kassiererin drehte starrte ich wie gebannt ihr Profil an. Alle im Supermarkt schienen zu merken wie ich sie anstarrte.
Sie beobachtete. Fasziniert von ihr war.
Aber sie merkte es nicht. Sie, die einzige, weswegen ich hier an diesem Ort war. Doch sie tat nichts, bemerkte mich nicht. Selbst dann nicht, als sie sich ein Stück weiter zu mir drehte und in der Handtasche nach Ihrem Portemonnaie kramte. Ich war einfach Luft für sie. Und das machte mich wütend. Das passte nicht in meinen Plan.
Die meisten würden vielleicht denken, ich sei verliebt in sie. Das ich von ihr verlassen wurde und ihr nun weiterhin hinterher liefe. Ein verlassener Exfreund also. Ich würde sie noch lieben und etwas für sie empfinden. Doch Liebe war nicht das, was ich für sie empfand. Was ich für sie empfand war mehr als Liebe.
Nein, was ich für sie empfand war ein weitaus größeres Gefühl: Hass. Und Sie? Sie sollte in Ihrem Leben nur noch ein Gefühl empfinden: Angst.