- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 7
Jakobs vergnügter Ausflug - ein Endzeitidyll
Schwülstiger Himmel, drohend mit ballender Wolkenfaust, wälzt gravitätisch über eine Stadt.
»Welch auserlesener Tag!«, rief Jakob, ein kleiner runder Mensch, voller Pathos aus seinem schwarzen Mantel, während er aus dem Haus schritt und sich umblickte. Entschieden lief er, in strammem Stechschritt, los.
Seine Blicke zappelten aufgewühlt über die unter aufgeblähtem Himmel geduckten Häuserfassaden. Eine alte, im Vergleich noch viel kleinere Dame, flüsterte versunken an ihm vorbei. Da gab er ihr – scheinbar wie zufällig – mit dem ausgefahrenen Ellenbogen einen derben Schups. Sie schwankte, der Gehstock stocherte nervös nach Halt. »Oh, Verzeihung«, setze Jakob an, »aber heute kann ich das Schicksal anderer nicht berücksichtigen« und – als sei dies die logische Schlussfolgerung des Vorhergegangenen, »Denn wissen sie:« – seine benetzten Lippen kamen leise an ihr faltiges Ohr – »Sie sind alt, hässlich und unnütz. Aber das macht jetzt auch nichts mehr.« Schwarze, ängstliche Löcher starrten in seine glasigen Augen, dann stumm in weite Ferne. »Was glotzen sie da so? Da vorne wartet nichts auf sie. Nirgends! Niemand! – Auf nimmerwiedersehen!«
Jakob summte weiter in einen ungepflegten Park. Dort schlugen zwei verzweifelt kämpfende Bänke ihre Bretter, mit rostigen Nägeln bestückt, lärmend ineinander. Jakob wurde wild: »WIE SOLL MAN DENN HIER ZU SICH KOMMEN?« schrie er, mit sich überschlagender Stimme, worauf diese sich rasch zurückzogen.
Laubhagel. Der kleine Mann blieb eine Weile stehen, schloss die Augen, und seine Brust blähte sich auf. Wie ein zivilisierter Luftballon stand er da. Aber er flog nicht weg, sondern ließ die Luft zwischen locker zusammengelegten Lippen wieder aus. Er kicherte vergnügt über das Geräusch.
Plärrende Kinder tanzten vor ihm, mit roten Papierdrachen, übers schäumende Dunkelgrün. Er holte tief Luft - aber schwieg. Vergeudete Kraft, wie er beruhigt befand: die knisternden Drahtbüsche im Schatten der wild brausenden Bäume schnürten sich bereits um ihre hysterischen Leiber. Ein Zucken umfuhr seine Mundpartie. Tatsächlich: welch auserlesener Tag.
Eine mit Efeu bewachsene Marmorbüste stand am Wegesrand. Jakob lauschte angespannt eine Weile: ein leises Säuseln. Er hörte ganz zögerlich: Weisheiten aus zweitausend Jahren. Auch Nietzsche, immerhin Nietzsche. Das Flüstern wurde übertönt. Über ihm schrien offenbar Menschen in einem Flugzeug: sie begriffen offenbar, zu spät, dass Metall nicht fliegen kann. Er ließ die Büste kopfschüttelnd zurück. Sie war nichts mehr wert.
Der Wolkensturm wurde stärker. Irgendetwas Unzurechenbares krachte laut in der Ferne. Am Parkrand scheibenwischten und brummten Autos um die Wette, bevor sie, ausstaubend, in Schaufensterscheiben hüpften und sich erneut zum Verkauf anboten: verzweifelte Übersprungshandlungen. Zu spät.
»Kuggn’sema!«: Eine aufgedunsene Gestalt gravierte sich, auf dem Boden sitzend, kunstvoll, mit zerbrochener Flasche, lachende Gesichter auf seinen nackten Bauch. Ein Auge, welches er gerade mit äußerster Sorgfalt ritzte, begann jedoch sogleich zu weinen. Wutentbrannt warf er die Flasche in einen trüben Teich und traf einen gurgelnden Karpfen, der sich, nach einem kurzen Moment der Besinnungslosigkeit, eilig daran machte, die Scherben zu verzehren. The last supper. Die blasse Kreatur auf dem Boden entschlief nach dem Wurf, vor Erschöpfung zusammengekrümmt, den Kopf auf eine Wurzel gelegt.
Aus der Ferne hallten gespenstisch träge Kirchenglocken. Jakob senkte den Kopf: »Amen!« Ein martialisches Lachen brach aus dem kleinen runden Mann.
Die Wolken vergossen brennenden Wind.