James Dean ist tot
Sie sitzt auf einem Stuhl an der Bar und schaut auf die Tanzfläche. Alles in ihr sehnt sich nach Bewegung, nach diesem fantastischen Moment, in dem sie eins wird mit der Musik. Abheben, nennt sie es, manchmal auch fliegen. Aber dazu braucht sie die richtige Musik. Sie steht auf und geht zum DJ.
„Spiel meinen Song, Tom“, sagt sie.
„Und, bekomme ich dann einen Kuss?“
„Vergiss es!“
Tom wird nun ein paar grottenschlechte Scheiben auflegen, nur um sie zu ärgern, aber es ist ihr egal, denn irgendwann spielt er ihn immer, ihren Song. Ohne mit der Wimper zu zucken erträgt sie die fünf ödesten Hits der Saison, dann klingt ihr Lied an. Sie geht auf die Tanzfläche und beginnt sich zu bewegen, vergisst Zeit und Ort und versinkt in der Musik.
„Ich wette, dein Höschen ist feucht.“
Mit einem Schlag ist sie zurück in der Realität, steht auf der Tanzfläche und schaut zu Tom.
Hat er das wirklich gesagt? In sein Mikrofon gesagt, so dass es alle hören konnten? Er hat. Ein Grinsen liegt auf seinem Gesicht, Rache für all die zurückgewiesenen Küsse.
Sie tanzt den Song fertig, von dem sie weiß, dass sie nie wieder dazu tanzen wird, dann geht sie zurück zur Bar, schwingt sich auf ihren Stuhl und trinkt ihr Glas aus.
„Hey, bist du nicht Laura?“
Sie dreht sich um. Neben ihr sitzt einer, der ihr irgendwie bekannt vorkommt.
Einen Sekundenbruchteil wirbeln ihre Gedanken, dann trifft es sie wie ein heftiger Schlag. Alex. Der fleischgewordene James Dean, der Dorfrebell, der seine Aufstände im Schulzimmer inszenierte. Sie ist so heftig in ihn verliebt gewesen im letzten Schuljahr, dass sie nicht atmen konnte, wenn sie ihn ansah.
„Alex!“ Sie stellt fest, dass sie problemlos atmen kann, als sie seinen Namen ausspricht.
„Lange nicht gesehen“, sagt er.
„Ja.“ Wie leicht es ist, ihm gegenüber zu sitzen.
„Du siehst gut aus.“ Für diesen Satz von ihm hätte sie damals alles hergegeben. Manche Dinge kommen einfach zu spät, denkt sie, aber da ist kein Bedauern in dieser Erkenntnis.
„Danke“, antwortet sie, ohne ein „du auch“ anzufügen.
„Was machst du so?“ fragt er.
„Ach, bin mal hier, mal dort, nichts Festes. Und du?“
„Bin verheiratet und habe zwei Kinder. Beruflich habe ich Glück gehabt. Bin zum Vize einer kleinen Firma aufgestiegen.“
Sie schaut ihn an. James Dean ist tot.
„Waren tolle Zeiten, damals.“ Er starrt in sein Glas.
Nein, waren es nicht. Wenn sie eine Zeit in ihrem Leben für immer streichen möchte, dann diese Jahre, in denen sie ungelenk und scheu versucht hat, sich unsichtbar zu machen in einer Welt jenseits der coolen Cliquen.
„Weißt du eigentlich, dass ich damals in dich verknallt gewesen bin?“
Der Satz hängt zwischen ihnen, endlich ausgesprochen, nach all diesen Jahren und tut kein bisschen weh.
„Echt?“
„Ja.“
„Hab ich nicht gemerkt.“
Sie lacht. Es ist ein befreiendes Lachen, und plötzlich begreift sie, dass so ein Typ wie Tom sie in tausend Jahren nicht fertig machen kann. Dass die James Deans dieser Welt ihren Zauber verlieren, wenn sie länger leben und dass ihre eigene Zeit noch gar nicht gekommen ist.
„Ich muss los“, sagt sie.
„Schon?“, fragt er enttäuscht.
„Ja.“
„Könnten wir nicht noch....“
Sie schenkt ihm ein Lächeln. „Tut mir Leid, ich habe noch etwas vor.“