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Januarnacht
Januarnacht
Mein Kopf fühlte sich an, als würde in seinem Inneren ein Ballon immer wieder aufgeblasen. Wir hatten uns wieder mal gestritten. Seit die Schmetterlinge im Bauch verschwunden waren, passierte dies immer öfters. Ich kann nicht einmal sagen, weshalb wir uns in die Haare geraten waren. Jedenfalls endete der romantisch geplante Abend damit, dass ich mir die auf dem Boden liegende Jeans anzog, meinen Autoschlüssel packte und Richtung Tür marschierte. Mit einem leisen Knarren ging die Holztür auf und die kalte Luft traf mich wie ein Schlag ins Gesicht. Ich schloss die Augen und atmete ein paar Mal tief ein. Kleine Dampfwolken bildeten sich vor meinem Mund. Über mir leuchteten hell die Sterne. Ihre Schreie liessen mich meine Augen öffnen. Doch ich hörte nicht hin, ich vernahm nur eine dumpfe Stimme hinter mir. Es klang als würde sie durch meterdicke Wände kommen. Ich versuchte, klare Gedanken zu fassen. Einen Moment lang hielt ich inne. Schon mehrmals hat man mir gesagt ich liefe vor Diskussionen davon. Sollte ich umkehren?
Mit einem Knall zog ich die Tür zu und fühlte mich für einen kurzen Augenblick völlig frei. Die eisige Kälte brannte auf meiner Haut. Ich setzte mich in Bewegung, der Schnee knirschte unter meinen schnellen Schritten. Im Auto angekommen, klappte ich die Lehne nach hinten und schaltete das Radio an. Auf meinem Lieblingssender lief wie jede Nacht dieselbe Musikschleife. Mit einer hastigen Bewegung drückte ich die Off-Taste. Ich zog mein Zigarettenpäckchen aus der Jackentasche und zündete mir eine Kippe an. Eigentlich wollte ich es mir abgewöhnen, aber im Moment war das nebensächlich. Erneut schloss ich die Augen und nahm einen tiefen Zug. Die Glut leuchtete hellrot auf. Ich hielt die Luft an und ein Gefühl von Befreiung überkam mich. Langsam liess ich den Rauch aus meiner Lunge gleiten. Mit einem lauten Stottern sprang schliesslich der Motor an. Ziellos kurvte ich kreuz und quer durch die dunkle Nacht, welche nur von wenigen Laternen erhellt wurde. Eine einzigartige Stille umgab mich, mein Kopf kühlte sich ab, mein rasender Puls begann wieder in einem langsameren Takt zu schlagen. Wieder zündete ich mir eine Zigarette an. Da vibrierte das Handy in meiner linken Hosentasche. Ich wollte nicht abnehmen, keine Diskussion führen. Immer und immer wieder versuchte sie mich zu erreichen. Mein Kopf begann zu glühen, eine Art von Wut überkam mich. Mit einer abrupten Bremsung hielt ich am Strassenrand. Ruhe war für mich im Moment das einzige Ziel. ?Sechs Anrufe in Abwesenheit? leuchtete gross auf dem hellgrünen Display. Ein Druck auf ?Ok? und dann könnte ich das kleine Gerät ausschalten und endlich die Ruhe geniessen. Doch ich zögerte. Ein Name in der Liste stach wie mit roter Farbe markiert heraus: ?Anja?.
Von ihr hatte ich schon seit meinem Schulabschluss nichts mehr gehört, warum im Gottes Namen rief sie mich um diese Uhrzeit an? Eigentlich konnte es mir egal sein, aber ich wusste nun, wohin ich fahren würde. Leise verschwand das Auto zwischen den schneebedeckten Häuserblocks.
Hat sie sich verändert? Mit einem unsicheren Gefühl näherte ich mich ihrem Haus. Die brennende Neugier liess mich meinen Gang beschleunigen. In einem Fenster brannte schwach ein Licht. Es war nicht nötig, die Klingel zu betätigen. Die Tür öffnete sich. Nur ihre Umrisse waren zu erkennen. Im Flur war es stockdunkel, die einzige Beleuchtung kam aus einem Zimmer am Ende des Ganges. Irgendwie wollte ich umkehren und einfach davonfahren. ?Was tue ich hier??, ging mir immer und immer wieder durch den Kopf. Keiner von uns sagte ein Wort. Sie drehte sich von mir ab, ich hörte sie leise wimmern. In unregelmässigen Abständen holte sie schluchzend Luft. Ich ging auf sie zu und fragte, was los sei. Sie drehte ihr Gesicht zu mir und ich konnte ihre vertränten Augen erkennen. Sie glänzten im schwachen Schimmer. ?Dieses Arschloch hat mich verlassen?, ging wimmernd über ihre Lippen. Ein paar Atemzüge später lag sie in meinen Armen. Ich fühlte ihre Wärme, ihre Arme hielten mich in einer festen Umklammerung. Bei jedem Schluchzen spürte ich, wie ihr Brustkorb heftig vibrierte. Ich stand wie angewurzelt da. Ihre Haare dufteten angenehm und betörend. Zögerlich hob ich meine Arme und begann ihr den Rücken zu streicheln. Ein weiteres Mal stand die Zeit still. Ihr Weinen nahm immer mehr ab und bald waren wir von Stille umgeben. Ihr ruhig gewordener Atem kitzelte an meinem Hals. Ihre Arme wurden lockerer und sie schaute mir ins Gesicht. Ich fühlte die Spannung in der Luft. Mein Puls wurde schneller und ich bekam Angst, wollte erneut weg von hier. Ich musste an Sie denken. Wahrscheinlich lag Sie jetzt auf dem Bett und weinte sich in den Schlaf. Mein Kopf begann wieder zu pochen. Meine Umgebung verschwamm, ich kam mir vor wie im Zentrum eines Tornados, alles um mich herum drehte sich.
Jäh wurde ich aus meinen Gedanken auf den Boden zurückgerissen, ihre Lippen berührten die meinen. Langsam öffnete und schloss sich ihr Mund, unsere Zungen berührten sich. Ich wusste nicht wie mir geschah. Mit einer heftigen Bewegung stiess ich Anja zurück. Sie stolperte ein paar Schritte rückwärts und wäre fast umgefallen. ?Was ist los? Gefalle ich dir nicht?? kam aus der Dunkelheit, wo sie nun stand. Ich fand sie schon immer wunderschön und das wusste sie auch. In der Schulzeit war ich lange Zeit in sie verknallt gewesen, leider war nie etwas daraus geworden. Im Moment war ich von ihrer Schönheit verzaubert. Ihre zarte Haut, ihr sanftes Gesicht, die tiefbraunen Augen, ihre langen, schwarzen Haare, ihr Duft, alles stimmte an ihr. Ich hörte, wie sie wieder zu weinen begann. ?Du weisst, dass Sie zuhause auf mich wartet?, antwortete ich so sanft wie möglich. Ihr zu Boden gesenktes Gesicht richtete sich auf und aus ihrem Blick war jegliche Trauer verschwunden. Sie kniff die Augen zusammen und näherte sich langsam. Sicherlich hatte sie etwas ausgeheckt. Ich fühlte mich zusehends unwohler. Sie beugte sich zu mir vor und ihre Lippen schienen mein Ohr zu küssen. ?Hilft es dir, wenn ich dir sage, dass du nicht der einzige in eurer Beziehung wärst, der mit anderen Leuten in die Kiste steigt??, flüsterte sie leise. Diese Worte trafen mich in meinem Innersten. Wieder drehte sich alles. Wut, Enttäuschung und Empörung keimten gleichzeitig auf. Ich knirschte mit meinen Zähnen, mein Atem beschleunigte sich. Mit einem Geräusch, als klatscht man in die Hände, ging sie zu Boden. Verdammt, ich hatte eine Frau geschlagen. Ihre Beine knickten seitlich ein und wie ein Bündel Elend lag sie nun vor mir. Ihr Schluchzen durchdrang die Stille. Hatte sie gelogen? War dieser eine Satz für sie nur eine Lüge um an ihr Ziel zu kommen? Mit einem mageren ?es tut mir Leid?, drehte ich mich um und verliess Anjas Haus.
Diesmal vermochte die kalte Luft mich nicht zu beruhigen. Irgendwo in der Ferne brummte ein Auto. Mit grossen Zügen zog ich an der frisch angezündeten Zigarette. Ich versuchte meinen Kopf zu leeren, was nicht gelingen wollte. Die Gedanken überschlugen sich. Meine Zähne knirschten, die Hand ballte sich zu einer Faust. Wieder versuchte ich mich auf meinen Atem zu konzentrieren, langsam ein- und auszuatmen. Doch die Wut staute sich mehr und mehr. Sollte ich nach Hause fahren und alles klären?
Ich stieg ins Auto. Heizung und Radio wurden aufgedreht. Kurze Zeit später befand ich mich auf einer Nebenstrasse und heisse Luft zischte aus den Schlitzen des Armaturenbrettes. Ich schaltete hoch und trat auf das Gaspedal, der Motor heulte auf. Die Geschwindigkeit gefiel mir, irgendwie konnte ich damit Aggressionen abbauen. Die Reifen quietschten in den Kurven, ich roch verbrannten Gummi. Die Bäume zischten im Scheinwerferlicht an mir vorbei, die Scheiben beschlugen sich. Ich kniff meine Augen zusammen und streckte meinen Kopf nach vorne. Mit der rechten Hand versuchte ich die Fenster vom Beschlag zu befreien. Mein Fuss drückte fester aufs Gaspedal, als wollte ich es durch den Fahrzeugboden stossen. Die Musik war auf volle Lautstärke aufgedreht, ein schnelles Gitarrensolo dröhnte aus den Boxen. Ich fühlte mich eins mit dem Fahrzeug, es gab nur mich und die Strasse, der Rest war vergessen. Der Asphalt glitzerte wie ein Himmel voller Sterne. Langsam war es an der Zeit umzukehren. Ich riss das Steuerrad nach links um zu wenden, doch der Wagen schlitterte in der alten Fahrrichtung weiter. Das Auto begann sich zu drehen, das Quietschen der Bremsen fuhr einem durch Mark und Knochen, kalter Schauer lief mir den Rücken herunter. In meinem Kopf rasten viele Erinnerungen aus meinem Leben vorbei. Szenen aus meiner Kindheit, meiner Schulzeit und meiner Jugend liefen ineinander über. Schweissperlen hatten sich auf meiner Stirn gebildet. Der Wagen hatte die Strasse verlassen, ich wurde durchgeschüttelt, ein Schrei blieb mir im Hals stecken. Links und rechts tauchten Bäume auf um Sekunden später wieder in der Dunkelheit zu verschwinden. Ein Knall, Vögel flatterten aus dem Wald dem Himmel entgegen, der Ruf einer Eule drang durch das Gehölz, dann wieder Stille.