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Jardin de rosas
„Die Straßen von Buenos Aires sind mir längst Fleisch und Blut. Nicht die gierigen Straßen, lästig durch Mengen und Mühsal, sondern die müden Straßen des Viertels, fast unsichtbar durch Gewohnheit“
Borges, Jorge Luis
Warum Jardin de Rosas und nicht die deutsche Bezeichnung dafür? Bei dem Rosengarten, in dem ich mit meiner Mutter immer saß und mich langweilte, wenn wir die Ferien in der großen Stadt am Meer verbrachten, und in dem es einen Tümpel gab, in dem ein altes, morsches Boot lag, handelte es sich ja schließlich nicht um den riesigen Rosengarten von Buenos Aires.
Der Grund ist, dass es sich einfach besser anhört. Das Spanische umschmeichelt das Ohr mehr, macht neugieriger und klingt geheimnisvoller als das Deutsche und soll Empfindungen von Weite und Ferne beim Leser wecken.
Ich weiß eigentlich nicht viel über ihn, der der erste langhaarige Hippie in meinem Dorf war, er war ja auch viel älter als ich, und ich weiß auch gar nicht, ob er den Rosengarten überhaupt gekannt hat. Ich kann ihn auch nicht mehr danach fragen.
Mein Traum war immer, mal mit diesem Boot auf den Teich hinauszurudern. Vielleicht konnte man da noch etwas abdichten und reparieren. Die eine Hälfte, die schon jahrelang aus dem Wasser ragte, sah schließlich noch intakt aus. Man musste bloß jemand finden, der einem hilft, und dann das Boot zusammen mit vereinten Kräften aus dem Teich ziehen, und das Wasser rausschöpfen. Ich sah mich schon inmitten der Entengrütze mit dem lecken Kahn untergehen.
Wem das Boot wohl mal gehört hatte? Der Rosengarten musste bessere Tage gesehen haben.
Ich habe mir immer ausgemalt, dass er, wenn ihm manchmal gar nichts anderes übrig blieb, dort auf einer Bank übernachtet hat, eingewickelt in seinen Parka und ihm seine langen Haare dabei bis auf den Erdboden runterhingen. Die GI s in Vietnam wußten schon, was sie an ihren Shellis, wie wir die Armeeparkas liebevoll nannten, hatten. Oder er schlief in der Nähe vom Teich in einem Busch und hat die ganze Zeit bis zum Morgen, das Quaken der Frösche hören können.
Aber vielleicht ist es soweit nie gekommen und stattdessen hat ihn oftmals ein hilfsbereiter Kumpel, heimlich, damit der Nachtwächter nichts merkt, durch das Fenster des Waschraums in sein ehemaliges Studentenwohnheim reingezogen. Im Strandkorb konnte er ja nicht schlafen, denn die Strände wurden nachts taghell ausgeleuchtet, um uns daran zu hindern mit dem Boot über das Meer zu rudern, ein Gedanke, mit dem er bestimmt auch schon gespielt hat.
Jahre später, als ich die Küste entlang getrampt bin und am Strand übernachten wollte, habe ich das auch erlebt.
Immerhin hielt er das fast fünf Jahre durch, bis er aufflog, und es zu Hause rauskam, dass er nicht mehr studierte. Damals stand auf nichtarbeiten noch Strafe, und sie gaben ihm Bewährung.
Die, die diesem Park den Namen Rosengarten verpassten, erweckten falsche Vorstellungen.
Zu der Zeit, als ich dort öfter mit meiner Mutter auf einer Bank saß, gab es da nur ein paar spärliche, verblühte Büsche, die dick mit Staub bedeckt waren und außerdem den bewußte Teich mit der Entengrütze und dem halbabgesoffenen Boot.
Was haben der Rosengarten in der Stadt am Meer, wo ich oft war und der Jardin de rosas in Buenos Aires, wo ich nie war, mit dem ersten Hippie in unserem Dorf, den ich gar nicht kannte, zu tun? In meinem ersten Studienjahr in Berlin sah ich mal in einem Zeitungskiosk einen schmalen Reclamband liegen. Der Autor* war mir unbekannt, aber ich kaufte das Buch. Die Story haute mich um, und ich trug das Buch damals ständig bei mir.
In einem kleinen Nest in Argentinien beobachtet ein Arzt, wohl der Intellektuelle der Stadt, zwei junge Männer, die in der Hauptstadt studieren, und die er schon seit Kindesbeinen kennt, beim Erwachsenwerden. Er mag sie und sieht in ihrer Jugend und Intelligenz einen Hoffungsschimmer für seine Stadt. Am Ende der Geschichte muss er enttäuscht konstatieren, dass sie wie alle geworden sind.
Der Eine der Beiden geht in Buenos Aires durch eine kurze Phase durch, in der er zu einem verbummelten Studenten wird, der ein Mädchen aus seiner Provinz, die er vor dem Bahnhof Constitutión trifft, auf den Strich schickt.
Auf spanisch nennt man das chulo, aber ein chulo war mein Landsmann nicht, auch wenn manches bei ihm ähnlich war. Im Dorf erzählte man sich, dass er sich von Seefahrerfrauen aushalten ließ. Vielleicht ist ihm auch nichts anderes übrig geblieben, und wer weiß, was daran Dichtung und was Wahrheit ist. Aber wovon hat er eigentlich die ganze Zeit über gelebt?
Was Hippies anbelangt, vertrete ich den Standpunkt, dass der allererste Hippie eigentlich Don Quichotte war. Als sie ihn am Schluß dahin gekriegt haben, wo sie ihn haben wollten und ihm klar wird, dass er in einer Traumwelt gelebt hat, stirbt er. Sein Tod ist nur symbolisch, ein Gleichnis auf Leute, die einen naiven Glauben an das Gute haben im Menschen haben und dadurch ein gefundenes Fressen für Andere sind, die ihren Idealismus ausnutzen.
Ich erkenne mich da in vielem wieder. Seit er wie die Anderen geworden ist, ist es aus mit ihm. Er lebt weiter, aber der neugierige, versponnene Freak und Menschenfreund, der er war, ist er nicht mehr. Er, der allen weit überlegen ist, Cervantes hat sich wohl selber porträtiert, wußte wohl, was er tat, aber er hat es riskiert. Und was mit Dulcinea von Toboso los war, war ihm auch klar.
Aber besser eine Phantasieliebe als gar keine. Unerwiederte Liebe stachelt einen zu den verrücktesten Sachen an, unter anderem dazu, wilde Reisen, ohne Plan und ohne Geld, zu machen, wie es auch der Ritter von der traurigen Gestalt tat und ich übrigens auch. Dabei trifft man die abgefahrensten Leute.
Auch er, um den es hier geht, ist eines Tages wie die Anderen geworden. Aber da war er schon lange wieder in unserm Dorf.
Und eine unglückliche Liebesgeschichte blieb auch meinem Landsmann bestimmt nicht erspart, denn als er in unser Dorf zurückgekehrte, war er alleine. Für Liebe muss man gut drauf sein, und das war er nicht. Aber das merkwürdige dabei ist: wer gut drauf ist, kommt eigentlich auch alleine klar. Wer durchhängt verliebt sich schnell und meist in einen, der besser in die Welt paßt.
Aber die wiederum suchen jemand, der so ist wie sie. Die Frauen, die er kannte, wollten einen Ingenieur von der Werft oder einen fleißigen Arbeiter aus dem Hafen, der eine Familie ernähren kann und keinen geschassten Studenten.
Mir ist mal aufgefallen, dass viele große Liebesgeschichten ja eigentlich einseitige Phantasiegespinste sind und von dem jeweiligen Angebeteten nicht erwiedert wurden. Werther und Lotte fallen einem da ein, Salinger und Oana, auch Dante und Beatrice.
Oder Henry Miller, der, während seiner Schulzeit, viele Jahre jeden Abend stundenlang durch New York zum Haus seiner heimlichen Liebe lief, nur um manchmal einen Blick auf einen Schatten hinter den Vorhängen zu erhaschen, von dem er hoffte, dass er ihr gehört. Natürlich heiratete sie einen Anderen.
Eine Rettung aus der Misere durch die Liebe war also nicht in Sicht. Seine Charlotte hieß Kerstin oder Katrin, bloß „Werthers Leiden“ hat er nicht geschrieben. Aber wenigstens „Willkommen und Abschied“ hätte drin sein müssen.
Wir beide kommen aus demselben kleinen Dorf, aber merkwürdigerweise sind wir uns niemals über den Weg gelaufen. Das kann auch daran gelegen haben, dass ich über ein Jahrzehnt jünger bin als er. Er war der Nachbarsjunge von meiner Kinderfrau, die tagsüber auf mich aufpaßte, als ich noch nicht alt genug für den Kindergarten war. Damals ging er in die Schule in unserem Dorf. Obwohl das lange her ist, habe ich an diese Zeit sehr klare Erinnerungen.
Während ich, zum Mittagsschlaf gezwungen, gelangweilt an die Decke starrend, auf dem harten Chaiselongue in ihrer guten Stube lag, lauschte ich den Gesprächen der Erwachsenen in der Küche. Dabei fiel öfter sein Name, aber gesehen habe ich ihn nie.
Schon lange wollte ich etwas über ihn schreiben. Mich interessierte aber nicht das Leben, das er führte, nachdem er zu uns zurückgekehrt war, sondern das in den geheimnisvollen vier oder fünf Jahren, die er in der großen Stadt am Meer verbracht hat und zu Hause vorgab, dass er studiert. Das muss für ihn ja ein Drahtseilakt gewesen sein. Vielleicht war er im Grunde froh darüber, als das alles endlich vorbei war. Er hatte bestimmt schon gegrübelt, wie er aus der Sache wieder raus kommt.
Ich stehe auf dem Standpunkt, wenn eine Geschichte authentisch klingen soll, muss man selbst schwierige Zeiten durchgestanden haben. Auch der Autor des schmalen Reclambändchens, das ich ständig mit mir rumtrug, lebte eine Weile, untergetaucht vor der Miltärjunta, mit knurrendem Magen in einem dunklen Kämmerchen in Buenos Aires oder war es Montevideo. Aber so läuft man wenigstens nicht Gefahr, am Goldenen Löffel zu ersticken.
In den Neunzigern traf ich mal in einem besetzten Haus im Prenzlauer Berg zwei junge Männer und eine Frau aus Argentinien. Die drei waren offen und kontaktfreundig, was ich von den westdeutschen Hausbesetzern nicht behaupten kann.
Das merkwürdige ist ja, dass man sich nach der Wende als Ostdeutscher trotz Sprachschwierigkeiten mit den Ausländern, die man in den besetzten Häusern traf, viel besser verstand als mit den Westdeutschen. Die neuen Landsleute aus den alten Bundesländern ließen einen meist hochnäsig abfahren.
Als ich mich mit den Argentiniern unterhielt, staunte ich darüber, wie lebendig die Zeit der Militärdiktatur, die damals vollkommen an mir vorbeigegangen war, bei ihnen noch ist. „Letzte Woche lief im Fernsehen ein Film über die Militärjunta“, erzählte ich ihnen.
„Alle Filme bei uns handeln von der Miltärdiktatur.“ erwiederten sie. Das scheint bei ihnen ein nationales Trauma zu sein, so wie bei uns die zwölf Jahre Naziherrschaft.
Zwölf Jahre, das hört sich nicht lange an, und bei ihnen waren es bloß sieben. Aber da muss ja jede Stunde lang gewesen sein wie ein Tag. Jedenfalls, wenn man in der Todeszelle saß und auf das Fallbeil wartete, konnte die Zeit sich schon hinziehen. Und in der Todeszelle saßen sie damals ständig und wenn nicht in da, dann im Folterkeller. Und die Anderen haben nichts gesehen und nichts gehört. Genauso war es auch bei uns.
Buenos Aires. Schon der Name der Stadt gefiel mir. Er klingt wie das Fremde selber, hat aber auch gleichzeitig etwas vertrautes. Und Bahnhof Constitutión hört sich auch zehnmal interessanter an als Hauptbahnhof. Tausende Kilometer Land und ein Ozean liegen zwischen meinem Dorf, der großen Stadt am Meer, den Orten an denen er gelebt hat und dem fiktiven Buenos Aires aus meiner Phantasie.
Und irgendwie paßt es ja auch zusammen. Ich stelle mir vor, dass ich eine Weile in dieser Stadt lebe, die ich nie gesehen habe, von der mir aber der Name gefällt. Dabei schreibe ich über einen Mann, den ich nie gekannt habe, sondern nur gehört habe, wie andere von ihm reden.
Ich bin ganz allein und kenne niemanden. Meine habgierige Zimmervermieterin grübelt ständig, wie sie aus mir noch mehr Geld rausholen kann.
Ich lasse mich jeden Tag stundenlang durch die endlosen Straßen Buenos Aires treiben und nehme den Atem der fremden Stadt gierig in mich auf.
Es kommt mir so vor, als wenn alle Leute, denen ich begegne mir ansehen, dass ich nirgendwo reingehöre, aber es macht mir nichts aus. Alle Geschäftsinhaber versuchen mich übers Ohr zu hauen und geben mir falsch raus, wenn sie merken, dass ich kein Spanisch kann. Ich habe sowieso nie verstanden, was die Einheimischen gegen Leute haben, die sich für ihr Land interessieren.
Waren sie selbst denn gar nicht neugierig auf die große, weite Welt? Besonders Leute, die mit wenig Geld unterwegs sind, mögen sie nirgendwo, die Erfahrung habe ich gemacht. Wenn ich noch dran denke, wie in Frankreich die Gärtner, die morgens die Grünflächen gesprengt haben, wo ich mit meiner Freundin im Schlafsack lag, immer den Wasserstrahl so gelenkt haben, dass er uns mitten ins Gesicht traf.
Niemals werde ich die hasserfüllten Gesichter von den Kellnern in einem feinen Restaurant in Prag vergessen, die uns, nachdem wir einfach auf das teuerste Gericht auf der Speisekarte getippt hatten, weil wir kein Tschechisch konnten, einen Teller mit zwei Pellkartoffeln brachten.
Sie drohten mit der Polizei und beschimpften uns, als wir uns weigerten, das zu bezahlen. Der Hoffungsschimmer war eine junge Kellnerin, die feuerrot wurde vor Scham. Aber sie hatte wohl nichts zu sagen. Mit knurrendem Magen und leerem Portemonnaie mussten wir abziehen. Fahren solche Leute, wie die Kellner, den niemals irgendwo hin?
Ganz auf sich allein angewiesen, in einer fremden Stadt, das hört sich nach einer Menge Schwierigkeiten und nach Einsamkeit an. So war es auch bei ihm, aber die große Stadt am Meer war keine fremde Stadt für ihn.
Wie ich auch, machte er drei Jahre eine Berufsausbildung mit Abitur, nur nicht auf dem Dorf, sondern auf der Werft in dieser Stadt. Und außerdem hat er hier auch eine Weile studiert, wenn auch nicht bis zu Ende. Er verließ schon einige Jahre vor Abschluß die Uni, ob freiwillig oder unfreiwillig weiß ich nicht.
Er traute sich nicht, seinen Eltern davon zu erzählen und tat jahrelang so, als ob er noch studierte, was ich ganz schön verrückt finde. Er hatte in dieser Zeit auch keine feste Arbeit und wohnte überall mal.
Als er aufflog und zu Bewährung verurteilt wurde, musste er aus der Stadt weg und kehrte wieder in unser Dorf zurück, in das Haus seines Vaters. In seiner Haut hätte ich nicht gesteckt haben mögen. Er war natürlich Dorfgespräch. An seiner Stelle hätte ich den Knast vorgezogen und lieber aus dem Blechnapf gefressen, als meinem Vater, für den ich eine Schande bin, jeden Tag am Abendbrotstisch gegenüber sitzen zu müssen. Aber Knast bei uns war knallhart.
Ich frage mich, was er nach der Arbeit, die sie ihm zugewiesen hatten, das nannte sich Arbeitsplatzbindung, eigentlich gemacht hat. Er muss im Dorf ja auch total isoliert gewesen sein und hat niemanden zum Reden gehabt. Er saß in der Falle. Sie hatten ihn kaltgestellt. Den Kontakt zu seinen Freunden aus der Stadt an der Küste hatte er bestimmt längst verloren.
Vielleicht waren sie auch schon vorher zu ihm auch auf Distanz gegangen, weil er als zu abgestürzt galt. Ich kenne meine norddeutschen Landsleute. Und irgendwer musste ihn ja bei der Polizei verpfiffen haben. Wollte man denn, dass er sich dem Trunk ergibt? Es gibt schon genug Alkoholiker bei uns. Schulkameraden zu begegnen, war ihm bestimmt peinlich und Lehrern sowieso. Für den Dorftanz war er auch zu alt, obwohl er noch gar nicht so alt war.
Eigentlich war es ja gut, wenn zu uns unangepaßte Leute kamen, die in unser konservatives Dorf einen rebellischen Geist mitbrachten. Aber ich glaube, er wird sich aus allem völlig rausgehalten haben. Meine Mutter, die ihn kannte, weil er ihr Schüler gewesen war, sah ihn öfter, wie er mit dem Pferdewagen durchs Dorf fuhr, denn er arbeitete in der Landwirtschaft.
Auch nachdem seine Bewährung abgelaufen war, blieb er im Dorf und heiratete eine junge Frau mit einem Kind, die nach ihrer Scheidung bei uns hängengeblieben war. Ich habe sie auch mal kennengelernt, als ich in den Schulferien in der Ernte aushalf. Sie hatten auch eine Tochter zusammen.
Ich frage mich manchmal, ob er seine Kinder eigentlich in seine Musik eingeweiht hat, ihnen vom Woodstockfestival erzählt hat und seine Platten vorgespielt hat, denn mit Musik kannte er sich auf alle Fälle aus. Er war ja ein Hippie der ersten Stunde. Die ganzen langhaarigen Musiker sahen aus wie er und waren meist allesamt verbummelte Studenten, die sich später als musikalische Genies entpuppten.
Wenn man ihre Musik hört, hat man den Eindruck, sie hatten in einer kurzen Phase ihres Lebens mal einen direkten Draht zu den Göttern, der ihnen später wieder verlorengegangen ist.
Irgendetwas sagt mir aber, dass er nichts dergleichen getan hat. Vielleicht wollte er, dass sie ganz normale Mädchen werden. Seine Ehe hielt übrigens nicht lange.
Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger kam die Protestwelle aus Amerika auch bei uns im Norden an. Er gehörte zu den Ersten, die lange Haare hatten und Shellparkas trugen. Er fiel damit im Dorf auf wie ein bunter Hund. Das weiß ich aus Erzählungen meiner Mutter, denn ich habe ihn nie gesehen.
Auch zur Hochzeit seiner Schwester durfte er nicht kommen, da sie sich wegen seiner langen Haare vor den Hochzeitsgästen schämte. Die Gegend, aus der wir kommen, ist sehr konservativ. Die Leute sind mißtrauisch und ablehnend gegenüber Fremden. Sie ist ländlich geprägt, es gibt kaum Städte. So gut wie niemals habe ich jemanden ein Instrument spielen sehen. Die große Stadt an der Küste mit Werft und Hafen macht da eine Ausnahme. Dort sah man im Straßenbild auch ab und zu mal buntere Leute.
Vielleicht wäre für ihn Berlin die Rettung gewesen, schon immer bei uns im Osten die toleranteste Stadt, von jeher ein Anziehungspunkt für Leute aus dem ganzen Land, die da, wo sie her kommen, nicht so rein passen.
Hier schaute die Wohnungsverwaltung nicht so genau hin, wer wo wohnte, hier konnte man ohne Arbeitsvertrag Jobs finden. Hier liefen genügend Leute mit langen Haaren rum, hier fiel er nicht auf auf der Straße.
Hier konnte man untertauchen, wenn sie einen suchten, und hier gab es genug ausgeflippte Frauen, die auf Männer wie ihn standen. Und außerdem war Berlin weit weg von unserem Dorf, viel weiter als die große Stadt am Meer. Aber dafür hing er wohl zu sehr an unserer gemeinsamen Heimat, aber, wie schon gesagt, fragen kann ich ihn danach nicht mehr.
*Carlos Onetti