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Jenseits der Worte

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23.09.2008
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Jenseits der Worte

„Bist du dir ganz sicher?“ Anjas Stimme klingt zweifelnd. „Willst du mich wirklich nicht dabei haben, sondern lieber ihn?“
„Ja“, das will ich“, antworte ich schnell, während meine Finger aufgeregt die Telefonschnur kneten. „Und ich will, dass er sich endlich mit der Realität auseinandersetzt“, füge ich nachdrücklich hinzu.
„Hm“, entgegnet sie. „Ich glaube nicht, dass dir das gut tun wird. Toms Anwesenheit könnte es schlimmer machen, als es ist.“
“Es wird schon nicht so schlimm werden“, beschwichtige ich sie.
Mein beruhigender Satz gilt mehr mir, als ihr; doch mein Selbstversuch scheitert ebenso kläglich, wie das Herauswinden meines Zeigefingers, der sich in der Spiralschnur des Hörers verfangen hat. Wie gut, dass sie mich dabei nicht beobachten kann. Säße sie vor mir, hätte sie meine Angst schon längst durchschaut.
„Deswegen brauchst du dich nicht extra auf den Weg zu machen“, fahre ich im munteren Plauderton fort. „Ist wirklich nicht nötig, sind immerhin dreihundertachtzig Kilometer.“
„Dafür sind Freundschaften erfunden worden“, frotzelt sie. Dann sagt sie liebevoll: „Ich bin für dich da, das weißt du.“
„Ja, danke, ich weiß“, antworte ich leise. „Falls ich es mir anders überlegen sollte, melde ich mich bei dir.“


Morgennebel wabert über den Asphalt und ich spüre die durchdringende Kälte, die mich nach der schlaflosen Nacht schnell frieren lässt. Zitternd stehe ich an der Bordsteinkante, schaue immer wieder aufs Zifferblatt meiner Armbanduhr und hoffe inständig, dass Tom wenigstens heute pünktlich ist.
Meine Befürchtungen sind grundlos, denn wenige Minuten später höre ich in der Ferne das bekannte Brummen des Volvomotors. Als Tom mich sieht, schaltet er den Motor aus und lässt den Wagen langsam ausrollen, bis er kurz vor mir zum Stehen kommt. Dann beugt er sich über den Beifahrersitz, stößt mit Schwung die Tür auf und schaut mich auffordernd an.
Ich steige ein, platziere die kleine Reisetasche zwischen meinen Beinen und murmele einen Morgengruß, den er genauso wenig erwidert, wie mein anschließendes Schulterzucken. Insgeheim gebe ich ihm recht. Zwischen uns ist alles gesagt worden. Worte der Wut, der Trauer, der Resignation. Tausendfach haben wir sie in unseren Mündern bewegt, ausgestoßen, zerrissen und wieder zusammengefügt. Übrig geblieben ist ein zerfaserter Teppich aus Wortfetzen, der sich nicht mehr flicken lässt; sosehr wir es uns auch wünschen.

Während wir den Fahrstuhl betreten, nimmt mir Tom die Tasche aus den Händen. Ich lasse es geschehen, krümme meine Finger und stecke die geballten Fäuste in die Manteltaschen.
Auf der Fahrt nach oben mustere ich ihn von der Seite. Er steht mit dem Rücken zur Wand, unbeweglich und ein klein wenig gebeugt. Die dunklen Haare hängen ihm wirr ins Gesicht und der Trenchcoat ist falsch zugeknöpft. Seine Lippen sind fest aufeinandergepresst; die Haut wirkt ebenso stumpf und glanzlos wie sein Haar und ich muss im ersten Moment an einen geprügelten Hund denken.
Gleichzeitig macht mich sein Anblick wütend. Er ist es, der mir hier Halt geben soll; nicht umgekehrt. So war es zwischen uns abgesprochen. Stattdessen ignoriert er mich und ergießt sich in Selbstmitleid. Ein jammervolles Bild - ich verachte ihn dafür.
Schon will ich mich abwenden, aber da ist noch etwas anderes. Ein ambivalentes Gefühl, das genauso hin und her wogt und wenig greifbar ist, wie die Nebelschwaden an diesem Morgen. Ein unterschwellig spürbarer Zorn, der wie eine weit entfernte Lawine langsam auf mich zurollt, an Tempo zunimmt und nun Stück für Stück das Rumpeln des Fahrstuhls übertönt. Seine Körperhaltung, seine Mimik, sein Schweigen: ein einziger Vorwurf in Person. Er sieht mich nicht an, sondern starrt mit verengten Lidern auf die Leuchtdioden der Etagenanzeige. Ich drehe den Kopf und starre mit ihm; eine unserer letzten gemeinsamen Handlungen, bis sich die Tür mit einem Stille zerreißenden Pling öffnet.

Die hohe Stimme der jungen Sprechstundenhilfe empfängt uns wie das Fiepen eines jungen Vogels und die schrillen Laute durchbrechen unsere lähmende Wortlosigkeit. Ich beantworte alle ihre Fragen wahrheitsgemäß. Ja, hier ist meine Versichertenkarte und ja, ich habe einen wärmenden Bademantel dabei, und ja, ich bin nüchtern.
„Na, dann kann’s ja losgehen“, zwitschert sie. „Kommen Sie bitte mit.“
Mit angespannten Gesichtern folgen wir ihr in einen weissen, karg möblierten Raum, der in Sekundenschnelle die Blässe unserer Haut absorbiert. In ihm stehen zwei Betten, zwei Stühle und ein Tisch. Keine Blumen, keine Bilder; nichts, was zur Ablenkung, oder zum gemütlichen Verweilen einlädt. Kaltes Winterlicht dringt durch das große Fenster und der Geruch von Desinfektionsmitteln hängt in der Luft. Mir ist es recht so. Jeder optische Reiz, der mich von meinem Vorhaben abbringen könnte, wäre zuviel.
„Das linke Bett gehört Ihnen“, lächelt sie, drückt mir ein grünes OP-Hemd in die Hand und lässt uns allein. Wir lächeln dankbar zurück und sind froh, dass sie unsere distanzierte Kälte nicht bemerkt hat.

Während Tom einen tiefen Seufzer ausstößt, sich über beide Augen wischt und sich auf den Stuhl neben dem Bett sinken lässt, drehe ich ihm den Rücken zu, ziehe mich aus, lege alle Stücke sorgfältig zusammen und tausche sie mit dem Inhalt meiner Tasche.
„Du brauchst dich nicht umzudrehen“, brummt er. „Ich kenne jeden Quadratzentimeter deines Körpers.
„Ich weiß“, antworte ich tonlos, streife mir das OP-Hemd und meinen Bademantel über, drehe mich halb um die eigene Achse und schaue ihn an. „Trotzdem, jetzt, da es zwischen uns vorbei ist …“
Tom guckt wie ein verwundetes Tier.
„So ist es mir lieber“, füge ich rasch hinzu und weiche seinem Blick aus.

Die Sprechstundenhilfe kommt mit Schwung herein und fordert mich fröhlich auf, mich hinzulegen. Während sie meinen Blutdruck misst, plappert sie unaufhörlich über das Wetter. Angesichts unserer Situation empfinde ich ihren munteren Plauderton als makaber und reagiere nicht, außer, dass ich dabei fasziniert ihren Mund beobachte. Dieses stereotype Lächeln prangt unverändert auf dem jungen Gesicht und wirkt wie eine schockgefrorene, verhöhnende Maske. Ich erwidere es trotzdem, da ich nicht ungerecht sein will und mir bewusst ist, dass sie an unserer Misere keine Schuld trägt.
Anschließend holt sie den Narkosearzt, einen untersetzten Mann um die Fünfzig, der sich zu mir auf den Bettrand setzt und mich mit den Operationsrisiken vertraut macht.
Während ich ihm aufmerksam zuhöre, wandern meine Augen zur Armbanduhr und folgen den mechanischen Bewegungen des Sekundenzeigers. Tick, tick, tick, macht es in meinem Kopf. Jede Sekunde bringt mich näher ans Ziel.
„Und, Sie sind sich auch ganz sicher?“, fragt der Arzt, drückt mir den Stift zum Unterschreiben in die Hand und guckt mich dabei unverwandt an.
Ich schaue auf, nicke und halte seinem Blick stand, der im nächsten Moment zu Tom hinüber wechselt.
„Sind Sie der Lebenspartner?“
„Nein!“, antwortet Tom unwirsch. „Ich bin nur ihr Ex-Geliebter.“
„Bis vor Kurzem war er noch mein Lebenspartner, ja!“, fahre ich Tom über den Mund, der mich wütend anstarrt, während die Augen des Arztes unsicher zwischen uns hin und her pendeln. Hätte ich nur auf Anja gehört. Ich hasse Tom für diesen Satz!
„Nun, wenn Sie sich ganz sicher sind …“, nickt der Narkosemensch und tätschelt meine Hand. „Alt genug, um zu wissen, was Sie da tun, sind Sie ja schließlich.“
Ich drehe mein Gesicht zur Wand.

„Was sollte das?“, zische ich, nachdem der Arzt verschwunden ist. „Musst du mich so kompromittieren? Du hättest nicht mitkommen müssen. Das weißt du!“
„Es tut mir Leid. Entschuldigung“, entgegnet Tom mit Leidensmiene, die sich im nächsten Augenblick in eine eisig- kalte verwandelt. „Vielleicht könntest du die Güte haben zu verstehen, dass ich dabei sein will, wenn meine Zukunft im Abflussrohr einer Arztpraxis verschwindet!“
Deine Zukunft?“, unterbreche ich ihn, „und, was ist mit meiner?“
„Immer dasselbe, es geht immer nur um dich!“, presst er zwischen den Zähnen hervor.
Sein Blick ist auf das Fenster gerichtet, fixiert irgendeinen Punkt dort draußen und ich verspüre für einen kurzen Moment den Wunsch, ihm dafür hier und jetzt mitten ins Gesicht zu schlagen. Das wäre das erste Mal, dass ich jemanden schlage, den ich liebe; doch ich beiße die Zähne zusammen und versuche meine gesteigerte Wut im Zaum zu halten. Seinen letzten Satz quittiere ich mit einem hörbaren Atemzug. Jedes weitere Wort wäre zuviel.

Bevor ich in wenigen Minuten in den OP-Saal geschoben werde, bekomme ich von der trällernden Vogelstimme noch einen Beruhigungssaft verabreicht, der mich schläfrig machen soll. Mit einem aufmunternden Nicken wendet sie sich um und geht.
Entschlossen schlucke ich das Medikament in einem Zug hinunter und schaue dabei direkt in Toms Augen. Die Farbe seiner Iris wirkt schmutzig- braun und ist so undurchschaubar, wie der Grund eines morastigen Tümpels.
Er greift fest nach meiner Hand. „Bitte, tue es nicht“, flüstert er und in seine erweiterten Pupillen kehrt für die Länge eines Wimpernschlages die Tiefe zurück, in die ich mich vor zwei Jahren verliebt hatte. Doch so flüchtig, wie es sich anfühlt, ist es auch schon wieder vorbei.
Meine Finger erwidern seinen Druck. „Doch“, wispere ich zurück. „Ich muss. Ich bin weit über vierzig und habe keine Zeit mehr für sowas. Lass uns bitte vernünftig sein.“
„Aber, es wäre unsere Chance gewesen“, stottert er leise. Über Toms Wange rollt ganz langsam eine Träne, die ich ihm im Zeitlupentempo fortwische. Der beruhigende Saft und sein Weinen stimmen mich milde.
„Das mag sein“, antworte ich stockend. „Vielleicht deine Chance, Tom. Aber nicht meine." Dann richte ich mich nochmal kurz auf. "Unsere hätte es sein können, wenn du dich wie ein Mann verhalten hättest.“


„Es tut mir Leid, mein Kleines“, flüstere ich mit schwerer Zunge, als der Gynäkologe zum Vaginalspekulum greift, um damit mein unteres Zentrum zu öffnen, während sich mein Kopf schrittweise der Außenwelt verschließt.
„… von zehn an rückwärts“, fordert mich eine Stimme auf, die durch eine Wattewand zu mir vordringt.
Ich will verschwinden, einfach nur verschwinden, sind meine letzten Gedanken, als ich zählend dem Traumland entgegen falle.

**********​

 

moin.
Am Anfang etwas zäh, aber dann kam es in Fluss, und beschrieb glaubhaft eine fast alltägliche, dennoch bewegende Situation, die zwei Menschen verändern könnte, und ein Leben mit Sicherheit unterbindet.
Fand es ganz ok.
Lord

 

Hallo Sua,
mich berührt die Geschichte leider nicht. Sie erschöpft sich in der Schilderung der Situation, die Personen werden nicht lebendig, wobei es doch erzählenswert sein könnte, was eine Frau in reifem Alter zu einer Abtreibung zwingt, und was der gute Tom denn falsch gemacht hat. Aber selbst die Andeutungen bleiben eben nur Andeutungen, auch die launige Beschreibung der Arzthelferin, der Verweis auf die Routine einer Abtreibungspraxis, alles geht über ein Stereotyp nicht hinaus.
LG,
Jutta

 

Hallo Sua,

ehrlich gesagt widert mich die Prota derart an, dass ich ihr am liebsten - nein, das schreib ich nicht. Sie ist mir absolut unsympathisch.
Und zwar allein wegen dem Satz:

Er ist es, der mir hier Halt geben soll; nicht umgekehrt. So war es zwischen uns abgesprochen. Stattdessen ignoriert er mich und ergießt sich in Selbstmitleid. Ein jammervolles Bild - ich verachte ihn dafür.
Die Prota will schwach sein dürfen, sich anlehnen dürfen, aber der Kindsvater darf nicht um SEIN Baby trauern, das kreidet sie ihm als Selbstmitleid an.
"Unsere hätte es sein können, wenn du dich wie ein Mann verhalten hättest.“
Klingt für mich nach müder Selbstrechtfertigung: schnell die Schuld auf jemand anderen geschoben, und schon gehts mir wieder gut mit meiner Entscheidung.

Offensichtlich betrachtet sie den Fötus als ihr Eigentum, ein Bestandteil ihres Körpers, mit dem man machen kann, was man will. Der Vater hat keine Rechte, soll sich nicht einmischen, soll sie am besten noch darin bestärken, sein eigenes Kind töten zu lassen.

Das gehört zwar nur indirekt zur Geschichte, kotzt mich aber schon lange an, und jetzt ist es auf dem Tisch, Punkt.

Sollte das, wie ich bei vielen Deiner Geschichten den Eindruck hatte, ein eigenes Erlebnis sein, Pech. Mitleid mit der Prota hab ich trotzdem keins, auch kein Verständnis für sie.

Wobei mir eh nicht klar war, welche Gefühle für die Figuren Du beim Leser wecken wolltest.

Gruß, Pardus

 

Hallo Lord,

"Fand es ganz ok."schreibst du.
Und mit diesen vier Worten triffst du den Nagel auf den Kopf.
Die Geschichte ist ganz ok, aber eben nichts Besonderes. Bin dabei zu überlegen, was ich verändern kann, damit aus ihr mehr wird. Danke dir.


Hallo Jutta,

s. o. und danke fürs feedback.
Ja, irgend etwas fehlt dieser Geschichte, weiß aber noch nicht genau, was es ist. Mag daran liegen, dass ich den Figuren zu wenig Leben einhauchte? Bin mir noch nicht ganz im Klaren darüber.
Meine Intention war, den Konflikt der beiden herauszuarbeiten und deshalb ließ ich bewusst die Hintergründe aus, (warum, weshalb, wieso - du weißt schon). Muss wohl mit den Gedanken nochmal 'schwanger' gehen.


Hallo Pardus,

Wobei mir eh nicht klar war, welche Gefühle für die Figuren Du beim Leser wecken wolltest.

Na, dafür, dass es dir nicht klar war welche Gefühle ich wecken wollte, hab ich aber bei dir eine ganze Menge geweckt! :)

ehrlich gesagt widert mich die Prota derart an, dass ich ihr am liebsten - eine reinhauen würde? Yo, nachvollziehbar.Tom ging es bestimmt nicht anders!;)

Es ging mir nicht darum, dass sie Sympathien einsackt und Tom als der Doofe dasteht, oder umgekehrt. Mir ging es um den Konflikt, um die Auswirkungen der Misere auf beide und darum, dass sie hilflos sind und nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Obwohl einiges gesagt wurde, kamen sie nicht auf den Punkt. So ist es ja oft im Leben. Vieles wird verdrängt, schwelt nur unter der Oberfläche.
Danke, dass du dich damit auseinandergesetzt hast. Wie ich bereits oben schrieb... der Geschichte fehlt noch was. Muss ich drüber nachdenken.

Lieben Gruß
Sua Sponte

 

Hallo,

die Geschichte ist wirklich nicht schlecht; die "Pointe" zieht gut durch den Text, und ich dachte bis kurz vorm Ende wirklich noch, dass sie irgendwie eine Rückenmarktransplantation braucht, oder so, bis Tom dann sagt, es wäre ihre Chance gewesen. Dann ist natürlich der letzte Absatz ein Downer, weil klar ist, um was es geht.
Ehm, was der Geschichte tatsächlich noch fehlt, sind die Figuren. Die sind so blutarm, das es traurig ist. Vor allem die Frau, als wär sie aus Plastik.
Da meint man, und das ist jetzt wirklich als Textarbeit gemeint, der Autor traue sich nicht, zu viel preiszugeben oder sich zu sehr einzubringen. Also sich verletzlich zu machen, indem er in die Figur hineingeht. So ein Selbstschutzmechanismus.
Dass sie da zum Beispiel sagt, nachdem der Arzt sie dreist auf ihr Alter anspricht, Tom kompromittiere sie. Und dann das mit "meiner Zukunft" auch - da fehlt das Vertraute zwischen beiden. Auch wenn die Situation so schwierig ist und beide verletzt sind, müsste da immer noch was zwischen beiden sein, etwas Menschliches.
Die Figur bleibt dann blass, die Emotionen gehen in stummen Bildern auf. Die Fahrt im Fahrstuhl, das Schweigen, bis fast zur letzten Szene, die Tristesse. Ich glaub die Figur einfach nicht richtig, sie nimmt sich zu sehr zurück und ist zu steril. Ich glaub daran liegt es, dass die Geschichte nicht ganz zieht. Aber sie ist schon gut, also die Bilder sind stark gewählt, die Situation ist gut beschrieben, es hapert an den Figuren. Einfach mehr Blut in den Adern, natürlicher, das wär's.

Gruß
Quinn

 

Mensch, Quinn,

da danke ich dir herzlich! Deine Tipps helfen mir wirklich sehr. Hab lange gerätselt was es ist, woran es hapert. Aber du hast absolut recht. So auf den Punkt gebracht fehlt es der weibl. Figur an Lebendigkeit, an Ausstrahlung.... die Menschlichkeit geht dabei flöten.

Eins noch - das Kompromittieren zielte auf den Satz ab, dass Tom vorgab, nur ihr "Ex-Geliebter" zu sein... ganz so, als sei die Schwangerschaft auf eine Liason zurückzuführen und nicht auf eine Partnerschaft. Deshalb fühlte sie sich von ihm verraten. Aber gut, dass du mich drauf hinweist. Wenn es somit überlesen wird, muss ich nochmal dran feilen.

Prima Hinweise!

Lieben Gruß
Sua Sponte

 

Hallo Sua Sponte,

im ersten Abschnitt, dem Telefonat mit Anja, fehlt mir die Info, dass es um eine Protagonistin geht. Es ist ein etwas anstrengender Einstieg, weil ich mir während der Zeilen soviel offen lassen muss.

Als Tom mich sieht, schaltet er den Motor aus und lässt den Wagen langsam ausrollen, bis er kurz vor mir zum Stehen kommt.
Hast du das schon einmal ausprobiert? So ein Auto rollt ewig ... Das wirkt auf mich auch wie ein Spiel, das zur Situation nicht passt.


Ich steige ein, platziere die kleine Reisetasche zwischen meinen Beinen und murmele einen Morgengruß, den er genauso wenig erwidert, wie mein anschließendes Schulterzucken.
Das verstehe ich nicht ganz. Wie sollte er denn das Achselzucken erwidern?

Gleichzeitig macht mich sein Anblick wütend. Er ist es, der mir hier Halt geben soll; nicht umgekehrt. So war es zwischen uns abgesprochen. Stattdessen ignoriert er mich und ergießt sich in Selbstmitleid. Ein jammervolles Bild - ich verachte ihn dafür.
Er sollte doch der Realität ins Auge sehen - wenn das nun so traurig für ihn ist, muss die Protagonistin das auch zulassen.
Mit angespannten Gesichtern folgen wir ihr in einen weissen, karg möblierten Raum, der in Sekundenschnelle die Blässe unserer Haut absorbiert.
weißen

„Du brauchst dich nicht umzudrehen“, brummt er. „Ich kenne jeden Quadratzentimeter deines Körpers.
„Ich weiß“, antworte ich tonlos, streife mir das OP-Hemd und meinen Bademantel über, drehe mich halb um die eigene Achse und schaue ihn an. „Trotzdem, jetzt, da es zwischen uns vorbei ist …“
Tom guckt wie ein verwundetes Tier.
„So ist es mir lieber“, füge ich rasch hinzu und weiche seinem Blick aus.
Dieser Dialog passt für mich nicht in die Situation. Wenn er so mitgenommen ist, hat er für eine solche, eigentlich neckische Aussagen, doch keinen Nerv.


„Vielleicht könntest du die Güte haben zu verstehen, dass ich dabei sein will, wenn meine Zukunft im Abflussrohr einer Arztpraxis verschwindet!“
Diese Aussage wirkt sehr konstruiert auf mich.
Sein Blick ist auf das Fenster gerichtet, fixiert irgendeinen Punkt dort draußen und ich verspüre für einen kurzen Moment den Wunsch, ihm dafür hier und jetzt mitten ins Gesicht zu schlagen. Das wäre das erste Mal, dass ich jemanden schlage, den ich liebe; doch ich beiße die Zähne zusammen und versuche meine gesteigerte Wut im Zaum zu halten. Seinen letzten Satz quittiere ich mit einem hörbaren Atemzug. Jedes weitere Wort wäre zuviel.
Wieso, frage ich mich, schickt die Protagonistin ihn nicht einfach weg? Wieso tut sie sich das an?

Er greift fest nach meiner Hand. „Bitte, tue es nicht“, flüstert er und in seine erweiterten Pupillen kehrt für die Länge eines Wimpernschlages die Tiefe zurück, in die ich mich vor zwei Jahren verliebt hatte. Doch so flüchtig, wie es sich anfühlt, ist es auch schon wieder vorbei.
Meine Finger erwidern seinen Druck. „Doch“, wispere ich zurück. „Ich muss. Ich bin weit über vierzig und habe keine Zeit mehr für sowas. Lass uns bitte vernünftig sein.“
„Aber, es wäre unsere Chance gewesen“, stottert er leise. Über Toms Wange rollt ganz langsam eine Träne, die ich ihm im Zeitlupentempo fortwische. Der beruhigende Saft und sein Weinen stimmen mich milde.
„Das mag sein“, antworte ich stockend. „Vielleicht deine Chance, Tom. Aber nicht meine." Dann richte ich mich nochmal kurz auf. "Unsere hätte es sein können, wenn du dich wie ein Mann verhalten hättest.“
Dieser Absatz läßt vermuten, dass diese Beiden überhaupt noch nie über das Thema gesprochen haben. Die Argumente sind mir auch viel zu schwammig. Das beißt sich für mich mit :

Zwischen uns ist alles gesagt worden. Worte der Wut, der Trauer, der Resignation. Tausendfach haben wir sie in unseren Mündern bewegt, ausgestoßen, zerrissen und wieder zusammengefügt. Übrig geblieben ist ein zerfaserter Teppich aus Wortfetzen, der sich nicht mehr flicken lässt; sosehr wir es uns auch wünschen.

„Es tut mir Leid, mein Kleines“, flüstere ich mit schwerer Zunge, als der Gynäkologe zum Vaginalspekulum greift, um damit mein unteres Zentrum zu öffnen, während sich mein Kopf schrittweise der Außenwelt verschließt.
Nein, so wie ich die Protagonistin bisher erlebt habe, glaube ich ihr das nicht. Unteres Zentrum finde ich auch unfreiwillig komisch. Wieso nennst du die Dinge nicht beim Namen?

Für mich sind die Personen nicht stimmig. Ich verstehe auch nicht ganz, wieso er jetzt tatsächlich dabei ist. Einerseits will sie, dass er der Realität in die Augen sieht, andererseits scheint er auch dabei sein zu wollen und muffelt nur rum. Ein Zyniker, denke ich - den hätte ich von vornerein zu Hause gelassen.

Und was hätte er tun müssen, um sich wie ein Mann zu verhalten? Boah, da bekommt der Leser so ein Pauschalurteil hingeknallt und weiß gar nicht, was die Zwei für eine Beziehung hatten.

Eigentlich finde ich deine Schreibe sehr angenehm, aber du hast es dir mit diesem Thema und den Positionen der Figuren zu einfach gemacht, so dass ich die Geschichte (noch) nicht sehr gelungen empfinde. Aber arbeite an den Tipps, die dir Quinn gegeben hat, dann lese ich die überarbeitete Version gerne noch einmal durch.

Liebe Grüße
bernadette

 

hallo Sua,

ich vermisse die Lebendigkeit, die Begründungen für das Handeln des Prot., diese Dynamik und so weiter...nicht, überhaupt nicht. Nicht die Geschichte ist ätzend, die Situation ist ätzend, und die Sprachlosigkeit, die innere Lähmung, die jeden zu einem Schatten seiner selbst macht, jeden!, wenn nicht zu einer Farce...kann ich nachempfinden. Hier gibt es nichts zu erklären. Es ist aus...die Beziehung, das Ja zum Leben, auch das, jedenfalls in diesem Kontext.
Natürlich ist es überflüssig, das er noch dabei ist. Beide hätten es wissen können. Wenn er so stark wäre, sie jetzt unterstützen zu können, wo ihre Entscheidung auch eine gegen ihn ist - ist es immer, egal, wie rational alles scheinen mag - wenn er so stark wäre, dann wäre er noch ihr Partner.

Diese Inkonsequenz, diese Halbheit...das ist ja gerade der Zustand, der hier beschrieben wird. Jeder möchte, daß der andere ihn trägt. Zwei Einbeinige mit zwei Krücken, so kommt man nicht voran, so trägt man kein Kind. Hoffentlich liegt dieser Zustand bald weit zurück...aber diese Auflösung hat in diesem Plot keinen Platz, nicht einmal die. Lähmender Stillstand. Und zum Schluß ein bißchen suizidal. Das liegt in der Luft.

Die Geschichte kann man nicht ändern, man kann sie überwinden und zurücklassen, und nie mehr anschauen.

Liebe Grüße Set

 

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