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Joe

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25.11.2008
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Joe

Das Meer. Er hörte Wellen schlagen. Die salzige, frische Luft strich durch sein Haar. Möwen kreisten kreischend. Wie Geier, dachte er bitter. Der Himmel hatte eine blutrote Färbung angenommen und nur ein paar schwere Wolken klebten an ihm - wie Wundschorf.
Er mochte solche Sinnbilder, auch wenn sie ihn immer etwas verbittert, fast zynisch wirken ließen.
Ihm war kalt und die Eingeweide schienen sich in ihm zu krümmen und zu winden. Er versuchte ganz ruhig zu liegen, sich nicht unnötig zu bewegen. Außgerechnet jetzt bemerkte er ein feines Ziepen an seinem Hintern. Verdammt, es juckte und zog. Er wollte sich kratzen, traute sich jedoch nicht seinen Arm zu bewegen. Vorsichtig spannte er die Muskeln in seinem Gesäß an. Stramme, trainierte Muskeln. Er wiederholte das ein paar Mal, doch das Jucken ließ nicht nach.
Super Joe. Du wirst sterben und das Einzige, was dich beschäftigt ist ein scheiß Mückenstich auf deinem Arsch...
Sein Fußgelenk pochte. Eine Holzkiste war darauf gefallen und verstaucht war er schon zuvor gewesen. Ein verdammter Tollpatsch war er.

Erst heute Morgen war er umgeknickt und wäre noch fast die Treppe heruntergefallen.
„Unser Haus ist eine Todesfalle“, hatte er gemurmelt. Cathrine tätschelte ihm die Wange und lächelte warm.
„Mein kleiner Trottel. Wie kann jemand so sportlich und durchtrainiert sein und dennoch so ein Pechvogel?“ hatte sie geflötet, ihm einen Kuss gegeben und ihm einen Kaffe gemacht. Die Tasse nur halbvoll, damit er sich nichts auf die Kleider schüttete.
„Bist du zum Essen zurück? Oder musst du mal wieder den ganzen Tag am Hafen verbringen? Albert spannt dich einfach zu sehr ein. Also ich mache heute etwas feines zu Essen, wenn du um sechs zuhause bist, bekommst du sogar noch etwas ab!“
Redete sie im Plauderton auf ihn ein, während er noch krampfhaft versuchte, seine Krawatte zu binden, ohne sich damit zu strangulieren. 90 Prozent aller unfreiwilligen Selbstmorde sind auf Krawatten zurück zu führen, da war er sich sicher. Nachdem er den Knoten endlich halbwegs vernünftig gebunden hatte, verbrühte er sich an dem Kaffe und spuckte etwas davon aus Versehen über das Hemd. Na toll. Für jeden anderen wäre das der Beginn eines verdammt miesen Tages. Nicht jedoch für Joe. Seine Tage begannen immer so. Meistens mit einer Aneinanderreihung kleiner Katastrophen.
„Weiß noch nicht. Vielleicht schaff ichs heute“, prustete er hervor und stiefelte genervt die Treppe hinauf, um das Hemd zu wechseln. Cathrine hatte ihm bereits eines aufs Bett gelegt. In weiser Voraussicht.
„Ruf doch bitte rechtzeitig an, Schatz ... und stoß dich nicht wieder an ...“ rief sie von unten. Plog. Er stöhnte auf und rieb sich die Stirn „.. der Lampe“ beendete sie den Satz seufzend.
Cathrine war eine wunderschöne Frau und nur seiner Ungeschicklichkeit verdankte er, dass sie ihn so liebte. Cathrine war Krankenschwester und von Natur aus sehr fürsorglich. Ihr blondes Haar trug sie sehr kurz, seit er ein paar Mal mit seiner Armbanduhr darin hängen geblieben war. Sie war klein und eine Meisterin, wenn es darum ging seinen ungeschickten Gesten auszuweichen. Er liebte sie.

Etwas bewegte sich an seiner linken Hand. Er erschrak und zog sie mit einem Ruck zu sich heran. Die Bewegung verursachte eine ganze Batterie an schmerzenden heißen und kalten Wogen, die durch seinen Körper peitschten. Er stöhnte auf. Seine Stimme klang heiser und irgendwie feucht und kalt in seinen Ohren. Vorsichtig holte er die Hand ganz nah an seine Augen. Auf dem Handrücken hatte sich eine Spinne breitgemacht und schien ihm zu zu zwinkern. Einen Moment überlegte er, sie abzuschütteln - doch dann beschloss er, sie in Frieden zu lassen. Langsam legte er die Hand unters Kinn. Sollte das Vieh ruhig auf ihm herunklettern, dann starb er wenigstens nicht allein. Die Spinne hatte ihn aus den Gedanken gerissen. Das Abendessen. Es fiel ihm siedendheiß ein, dass er versprochen hatte anzurufen. Er spürte das Handy in seiner Hosentasche, wagte es jedoch nicht, danach zu tasten. Zu sehr fürchtete er den Schmerz. Seine Beine spürte er nicht mehr, doch das Rumoren seiner Eingeweide war deutlich genug. Noch immer juckte ihm die Stelle an seinem Po. Er wurde schier wahnsinnig, beim Versuch das pulsierene Kitzeln zu ignorieren. kalter Schweiß rann seine Schläfen herab. Der Boden unter ihm war uneben, er müsste nur ein paar Millimeter hin und her rutschen ... Nein, besser nicht. Das Wellenschlagen schien lauter zu werden. Das Rauschen des Wassers beruhigte ihn etwas und verdrängte das schrille Kreischen der Möwen. In der Ferne konnte er Stimmen hören - oder eher einen Stimmenbrei. Ein Gewirr aus Klängen, die der Wind melodisch und schön, gleichzeitig jedoch so verzweifelt dumpf zu ihm trug. Er hatte nicht versucht nach Hilfe zu rufen. Bei seinem „Glück“ ... Was hätte es genützt?!
Was Cathrine wohl gekocht hatte? Er sah sie in der Küche stehen, ein kleines Lied auf den Lippen, in einem Chaos aus Töpfen, Schüsseln und anderen Küchenutensilien. Ob es schon nach sechs war? Hatte sie bereits gegessen? Allein ... und wütend auf ihn, weil er sich nicht gemeldet hatte? Oder schlimmer noch, besorgt? Auf seinen Körper legte sich ein Kribbeln, fast elektrisch, als wären ihm alle Körperteile eingeschlafen oder als hätte ihm jemand eine Narkosemaske übergestülpt. Er sog Luft ein. Seine Lunge pfiff, was im Kontrast zu dem hypnotischen Geräusch des Meeres irgendwie grotesk klang. Albert würde ihn nicht suchen. Seine Route hatte er beendet und alles war in bester Ordnung gewesen. Er hatte seinen Bericht pünktlich abgegeben und sich schon auf den Weg zu seinem Auto gemacht. Offizieller Feierabend. Die Stelle an der er nun lag, war so gut wie nicht zu finden. Es war seine ganz persönliche Abkürzung zum Parkplatz. Zwischen den Lagerhallen und den Anlegern, gab es schmale Gassen, zu schmal um Fracht durch sie hindurch zu transportieren, allerdings gerade breit genug für ihn um zu stolpern. Typisch. Das Blutrot des Himmels wich einem dunkleren Ton, blau - fast schwarz und sein klarer Blick wich einem Verschwommenen, wie durch eine Milchglasscheibe. Als eine kalte Windbö über ihn hinwegging, fror er. Seine Brust und der Bauch waren blutdurchtränkt und klebrig. Er hatte einen metallischen Geschmack im Mund und an seinem Mundwinkel hatte sich ebenfalls ein klebriges Rinnsal seinen Weg nach draußen erkämpft. Wie lange konnte es wohl dauern zu sterben?
In sein verschwommenes Blickfeld schob sich eine dunkle Gestalt. Er hatte den alten Mann nicht näher kommen sehen und auch keine Geräusche vernommen, dennoch war er wenig erschrocken, dass der zerlumpte und garantiert betrunkene Mann sich direkt über ihn gebeugt hatte. Gerne hätte er etwas gesagt, um Hilfe gebeten oder zumindest eine Hand gehoben, doch sein Geist hatte keinerlei Kontrolle mehr über seinen Körper.
„Dich hats aber voll erwischt Kumpe l... So ein Pech ... Naja ... sieht so aus als wäre es schnell gegangen. Wenigstens was.“
Der Penner murmelte vor sich hin, während er begann, Joes Taschen zu durchsuchen. Joe hatte mit Schmerz gerechnet, als der Mann ihn unsanft bewegte, nur ein bisschen zwar, aber immerhin. Doch das Einzige, das er spürte, war das Jucken in seiner verfluchten Arschbacke. Ich bin noch nicht tot, verdammt noch mal. Anstatt mich auszurauben, könntest du mir den Hintern kratzen, Kollege! dachte er und hätte am liebsten aufgelacht.
„Ich kannte mal einen, der ist verdurstet. Hats nicht so gut gehabt wie du, mein Junge ...“
Aus Joes Taschen fischte der Alte etwas Geld, seinen Führerschein, die Autoschlüssel und das Handy. Er betrachtete alles eingehend, steckte dann Geld und Autoschlüssel ein und warf das Handy neben Joe auf den Boden. Es war ein altes Modell, der Penner hätte wohl nichts mehr dafür bekommen und wen sollte der arme Hund schon anrufen.
„Semper Fi, alter Junge. Und danke für die milde Gabe. Wäre doch schade drum. Du brauchst es ja nicht mehr.“
Der alte Mann beugte sich noch einmal dicht über sein Gesicht. Joe konnte seinen Vodka getränkten Atem auf seiner Haut spüren und ihm wäre sicher unter normalen Umständen schlecht geworden. Dafür nicht, hab ich doch gern getan ... Bastard! dachte er sarkastisch. Der Penner tätschelte ihm die Wange, wobei sein Kopf zur Seite kippte, sodass sein Gesicht zur Hälfte im Kies des Weges lag. Dann entfernte er sich wankend. Im Augenwinkel sah Joe sein Handy. es lag nur wenige Millimeter von seiner Hand entfernt. Er musste nur noch einmal alle Kräfte mobilisieren.
Immerhin habe ich es versprochen. Er konzentrierte sich, zwang seinen Geist zurück in diesen Körper, der nur noch wenige Sekunden zu leben hatte. Er hob angestrengt den Kopf, nur ein kleines Bisschen und blickte genau auf den keilförmigen Holzpflog, der aus seiner Magengegend aufragte. er war genau darauf gefallen, hatte gehört wie sich das feuchte Holz durch sein Fleisch, seine Muskeln und Eingeweide gebort hatte und dabei hatte er nur eines gedacht. Typisch! Behutsam streckte er die Hand noch ein wenig aus und umklammerte das Telefon. Schwerfällig zog er es zu sich heran und drückte die Taste, bei der er sich sicher war, dass es sich um die Kurzwahl 1 handelte. Das Handy an sein Ohr gelegt, hörte er das Freizeichen am anderen Ende. Cathrine nahm schon nach dem ersten Klingeln ab.
„Joe? Joey, wo steckst du? Es ist nach sechs?“
Sie klang verärgert aber auch voller Sorge.
Seine Stimme war kaum mehr als ein heiseres, gurgelndes Flüstern.
„Tut .... mir .... leid ... ich werd ... es wohl ... nich .... pünktlich .... schaffen."
Cathrine rannen Tränen über das runde, freundliche Gesicht. Das, was sie am anderen Ende nun vernahm, war sein letzter Atemzug.
Das Jucken hatte aufgehört.

 

Hallo ConWire,

leider verschenkst du meiner Meinung nach ein bisschen Potential. Denn Joe wäre in seiner Ungeschicklichkeit durchaus für interessantere Plots gut gewesen, als für eine weitere Variation der "Gedanken in letzter Minute". Solche Unfälle sind auch schon Menschen passiert, denen das Pech nicht so am Arsch klebte, bei denen man sich also nicht fragen musste, warum, wenn sie denn um ihre Anfälligkeit wissen, sie trotzdem dein einsamen Umweg zum Parkplatz gehen.
Das liest sich jetzt schlimmer als es ist, ich finde die Geschichte durchaus gut erzählt und in der Hafenatmosphäre getroffen. Der auftauchende Penner ist eine schöne Ergänzung, ich habe halt nur diese "Er liegt da hilflos und wartet auf den Tod"-Variationen schon viel zu häufig gelesen, um sie noch originell zu finden.
Die textlichen Anmerkungen konzentrieren sich auf den Anfang, weil sie eher genereller sprachlicher Natur sind und du deinen Text daraufhin selbst noch einmal überprüfen kannst.

Die salzige, frische Luft striff durch sein Haar
strich oder streifte
Möwen kreischten und er sah sie kreisen
Umständlich, auch wenn es von mir ein Extralob gibt, weil du nicht "er sah wie sie kreisten" geschrieben hast. Aber hier hast du eine Alliterationsmöglichkeit verschenkt. Möwen kreisten kreischend - Dass er sie dann auch sieht, kann sich jeder denken, zumal sein folgender Gedanke das ja auch ausdrückt.
Der Himmel hatte eine fast blutrote Färbung angenommen
Ich würde in solchen Fällen fast immer auf den unbestimmten Artikel verzichten, auch wenn er hier durchaus stehen bleben kann. Probiere aus, was für dich stimmiger ist. eine fast blutrote Färbung oder fast blutrote Farbe angenommen.
wie Wundschorf
würde ich wie die Geier auch kursiv setzen.
Ihm war kalt und seine Eingeweide schienen sich in ihm zu krümmen und zu winden
Personalpronomen sind sinnvoll, wenn die Zuordnung sonst unsicher wäre, aber wessen Eingeweide sollten sich sonst in ihm krümmen?
Du wirst sterben und das Einzige, das dich beschäftigt
Einzige, was
und wäre noch fast die Treppe heruntergefallen
in der Perspektive: hinuntergefallen
„Unser Haus ist eine Todesfalle“
Hatte er gemurmelt.
Gilt für alle Zeilenumbrüche dieser Art: Sie sind unsinnig und erschließen sich mit nicht. "Unser Haus ist eine Todesfalle", hatte er gemurmelt.
„Mein kleiner Trottel. Wie kann jemand so sportlich und durchtrainiert sein und dennoch so ein Pechvogel?“
Hatte sie geflötet
dito
Etwas bewegte sich an seiner linken Hand.
Vielleicht einfach die aktuelleren Passagen in der Gegenwart erzählen?
und wen sollte der arme Hund schon anrufen
Na, vielleicht die Polizei, selbst, wenn er glaubt, der Mann ist schon tot?
Semper Fi, alter Junge
Den Zusammenhang begreife ich nicht. Warum "immer treu"?
und blickte genau auf den keilförmigen Holzpflog
Holzpflock

Lieben Gruß
sim

 

moin sim,

vielen Dank für deine ausführliche Kritik. Mit der geschichte habe ich vor allem versucht mal wieder an meiner echt mangelhaften Kenntnis udn Ausführung der Rechtschreibung und Grammatik zu arbeiten. Schade das sie dich nicht wirklich so recht überzeugen konnte aber danke für die Änderungsvorschläge die ich weitestgehend eingearbeitet hab.

wen sollte er schon anrufen? da kommt leider dann wohl Joes sarkasmus den ich vorher angesprochen habe nicht so ganz zur Geltung. Natürlich hätte er die Polizei anrufen können doch Joe rechnete bei "seinem Glück" sowieso nicht damit.

Semper Fi... die Story spielt in Amerika, dort sind die meisten Obdachlosen Veterane und arme Hunde. Obdachloser=armer hund der seit jahren im sterben liegt, Joe= armer hund der im sterben lag/tod ist seiner meinung nach. Da gebrauchen die das semper fi gern. zumal die situation ein wenig an eine leichenfledderei auf dem schlachtfeld erinnert (auch von kammeraden) die nötig ist um selbst zu überleben. der obdachlose ist kein arsch, er will nur überleben.

alles Liebe

Con

 

Hi Con,

armer Pechvogel, der jedes Mal zur Stelle ist, wenn es Beulen zu verteilen gibt, und sein Ende. Hat mir gefallen, der Text fängt ruhig an, wird zwischendrin etwas lebhafter und zum Ende hin wieder ruhig.

Büschn Textkram:

„Weiß noch nicht. Vielleicht schaff ichs heute.“
Prustete er hervor
heute", prustete

Der Penner murmelte vor sich her
vor sich hin

Ich bin noch nicht tot, verdammt noch mal. Anstatt mich auszurauben, könntest du mir den Hintern kratzen, Kollege! Dachte er
dachte

... Bastard![/I] Dachte er sarkastisch.
hier nochmal

Ach ja, und das hier:

„Ruf doch bitte rechtzeitig an, Schatz ... und stoß dich nicht wieder an ...“ rief sie von unten. Plog. Er stöhnte auf und rieb sich die Stirn „.. der Lampe“ beendete sie den Satz seufzend.
:D

Hm ... ich finde, mit den letzten beiden Sätzen bremst du die Pointe, wenn du die weglässt und damit endest, dass er ins Handy röchelt, er schafft es nicht rechtzeitig, hätte die Pointe vll noch etwas mehr Schwung.

Lieben Gruß von backslash

 

moinsen backslash,

wieder einmal vielen Dank für deine Kritik. Habe die Textsachen weitgehend eingefügt, danke dafür.

Ja, der arme Joe ist ein wirklicher Pechvogel... die Pointe habe ich eigentlich mit Absicht so gewählt, da ich vor allem die Verbundenheit zwischen Cath und Joe hervorheben wollte. Außerdem musste ich das Jucken ja nocheinmal mit einbringen um die Sache rund zu machen... ich denk mal drüber nach wie man deinen Vorschlag und meinen zu einem dritten umformenm kann :)

alles Liebe

Con

 

Hoi Con,

dass sich das Jucken durch die ganze Geschichte zieht, hat mir gefallen, das fand ich so herrlich ... sinnlos. :D Er stirbt gerade und es juckt ihn am Arsch, das hat was.

Das Ende find ich ja an sich nicht schlecht, mich hat beim Lesen nur dieser kurze Schwenk während des Telefonats (Joe, Strand, Pfahl durch Bauch, sterbend - Catherine, Küche, Essen machen) ein wenig rausgehauen. Aber da gibt es bestimmt unterschiedliche Meinungen zu.

Lieben Gruß
backslash

 

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