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Novelle John Tyler - Die Entlassung

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13.08.2014
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Anmerkungen zum Text

Das ist ein Westernroman, den ich für meinen Vater geschrieben habe. Möglicherweise schreibe ich Fortsetzungen.

John Tyler - Die Entlassung

Entlassung

John Tyler

Hinter John Tyler schlossen sich die Tore des Kriegsgefangenlagers und er hatte nicht mehr am Leib als seine alte graue Südstaatenuniform und ein gutes Paar Stiefel. Die Stiefel hatte er von Paul bekommen, als klar war, dass ihn die Tuberkulose kriegen würde.

Jake Reily, einer der Gefängniswärter der ihm in einer anderen Zeit ein Freund gewesen wäre, stand neben ihm.

„John, der Krieg ist jetzt vorbei. Wir hatten nie Probleme miteinander, aber ich denke, du könntest in Schwierigkeiten geraten, wenn du in die falsche Gegend kommst. Geh nordwärts. Unten im Süden, da wollen die Leute nicht gern daran erinnert werden, dass sie den Krieg verloren haben“, sagte Jake und reichte John seinen Revolvergurt.

John nahm ihn und schnallte ihn um, wie man einen Handschuh anzieht, oder eine gute alte Jacke bei kaltem Wetter.

„Die Waffen meines Vaters“, sagte er und deutete ungeduldig auf die leeren Holster.

Jake sah ihn lächelnd an und deutete auf das Pferd hinter ihm, einem braunem Pinto.

„Du bist offiziell entwaffnet und dir ist es auch verboten Waffen zu tragen, jedenfalls die nächsten Jahre. Was du in den Satteltaschen dieses erbärmlichen Kleppers findest ist deine Sache“, sage er und reichte John die Hand.

Die Sonne stand hoch am Himmel und John Tyler musste die Augen zu schmalen Schlitzen zusammenziehen. Er schlug ein und sagte: „Das wäre alles nicht nötig gewesen.“

Jake hob die Schultern. „Wir sind Soldaten.“

John ging zu dem Braunen und öffnete die Satteltaschen. In zwei öligen Lappen waren die 1860 Colt eingewickelt, die ihm sein Vater mit in den Krieg gegeben hatte. Die Griffstücke waren ersetzt durch feines Sandelholz, dunkel und schwer.

In einer weiteren Ledertasche fand er die Munition. Er nahm eine Handvoll Patronen heraus und wog sie in der Hand.

„Jake, du hast mich nie schlecht behandelt. Wir haben Schach gespielt und Poker“, sagte John und ließ die Trommeln beider Revolver aufklappen. Ohne hinzusehen bestückte er den rechten Revolver mit sechs Patronen, bedächtig und sorgfältig.

„Aber du hast mich eingesperrt, wie ein Tier in diesem großen Land und andere Wärter waren nicht so wie du, du weißt das“, sagte John, während er Jake in die Augen sah. John hatte seltsam helle Augen, wie Gletschereis blau und so hell, dass sie fast weiß wirkten. Er war blass, nach all den Jahren im Lager, er war die grelle Sonne von Louisana nicht mehr gewohnt. Geruhsam steckte er den geladenen Revolver in den rechten Holster.

Mit der anderen Hand lud er den zweiten Revolver, gleich sicher und bedächtig.

„Das ist jetzt für mich vorbei und für dich auch. Ich gehe nicht in den Norden. Da bin ich nicht daheim. Ich bin sehr lange gewandert. Ich will nach Hause gehen“, sagte John und schwang sich in den Sattel des Braunen. Er sah in die Ferne, die steilen Felsformationen der Sandhügel, die wie Zeigefinger in den blauen Himmel stachen.

„Ja, ich gehe heim“, flüsterte John. „Kommt mir nicht in die Quere.“

Jake hob die Hand, als der Braune davontrabte. Es war gut gewesen mit John Schach zu spielen oder sich mit ihm zu unterhalten. Sie hatten sogar ab – und zu ein Glas Whisky getrunken oder eine Zigarillo geraucht.

Aber immer hatte John eine Aura der Stille umgeben, ein Schutzpanzer, nie kam man ihm wirklich nahe. Und immer war Jake bewusst gewesen, dass man dem Verräter vom Rio Bravo niemals verzeihen würde. Nicht für die Männer die er getötet hatte für die Konfederation. Viele wollten seine Hinrichtung. Und noch weniger für den Verrat, den er begangen hatte um seine Truppe vor dem sicheren Tod zu bewahren. Das würde ihm der Süden niemals vergeben. Der Süden hatte tote Helden lieber als lebende Verräter, die dem Feind die Waffen vor die Füße geworfen hatten.

John Tyler ritt südwärts, durch die Wüste und versuchte sich und das Pferd im Schatten der Felsen zu halten. Trotzdem war der alte Klepper schon gegen Mittag erschöpft und John gab ihm die Hälfe des Wassers, das er in einem Lederschlauch mitführte. Er fand in der anderen Satteltasche etwas Trockenfleisch und kaute auf einem Stück herum, während er im Schatten eines Felsens lagerte. Sein Pferd knabberte an ein paar spärlichen Gräsern. Er hoffte, die Wüste in drei Tagen durchquert zu haben. Jetzt saß er, an einen Felsen gelehnt, und sah in die Weite, die ihm so gefehlt hatte in der Gefangenschaft. Obwohl er im Schatten saß, tränten ihm die Augen als sie sich an die neue Perspektive gewöhnten. Nach ein paar Minuten zog er sich den Hut in die Stirn und war bald danach eingeschlafen.

Er träumte vom Rio Bravo. 18 seiner 30 Mann starken Truppe waren bereits gefallen und fünf der restlichen 12 waren verletzt. Sie hatten keine Pferde mehr und auch keine Munition mehr, um die Pferde zu erlösen, die sich qualvoll am Boden wanden. Auf der anderen Seite des Flusses standen sicher hundert Yankees und, vor allem, ein Gatling Maschinengewehr, mit einer tauglichen Besetzung, dass seine Mannschaft völlig überrascht hatte.

Er kroch zu Hanson, dem Melder und nahm ihm das blutverklebte Horn aus den Händen.

Er blies hinein, einmal, zweimal, dreimal. Als Antwort hämmerte die Gatling eine weitere Garbe in ihre Richtung. Jeff Harrow, der sich hinter ein totes Pferd robben wollte, zuckte einmal auf und blieb dann liegen. Sie hatten keine Deckung. Er blies nochmal in das Horn und wieder und wieder.

John wachte auf, wie er es immer tat: Klar und aufmerksam.

Über ihm kreisten ein paar Geier und schrien ihren Totengruß. Es war Zeit aufzubrechen.

Er nahm selbst einen Schluck, dann gab er dem Pferd einen Teil seines letzten Wassers. John stieg auf, sah in die Sonne und lenkte das Pferd nach Süden.

Am Ende des dritten Tages wurde ihm bewusst, dass er sich verirrt haben musste. Inzwischen führte er das Pferd am Zügel hinter sich her. Er glaubte, an jedem Tag über 40 Meilen zurück gelegt zu haben, er hätte schon die Grenze zu Mexiko erreicht haben müssen. Seine Haut war inzwischen gerötet und die Lippen gesprungen. Er konnte noch einen Tag gehen, vielleicht zwei. Als die Schatten länger wurden, trank er den letzten Schluck Wasser. Er rastete nicht am Abend, sondern zog sein Pferd immer weiter, durch die vom Mond erhellte Landschaft aus Felsen und Sand.

John sah das Licht, und er glaubte einen Moment, seine Augen hatten ihn getäuscht, aber das Licht blieb, keine Meile mehr entfernt.

Das Pferd wieherte, als würde es ebenfalls bemerken, dass dort ihre Rettung war. John strich ihm über die Nüstern. „Vielleicht haben wir wirklich Glück, alter Junge“, murmelte er.

Es war eine alte Hütte, windschief und vom Sand poliert, aber ein Gemüsegarten umgab sie. Es musste Wasser geben.

John band das Pferd an einen Pfosten des Holzzaunes, öffnete das Gatter und ging die letzten Meter zur Tür. Er klopfte zwei Mal, dann stellte er sich vor das Fenster, aus dem das Licht drang.

Eine Gestalt erschien vorm Fenster, spähte hinaus, verschwand und kam wieder.

„Was willst du? Wer bist du?“, kam eine krächzende Stimme aus der Hütte.

„Ein Wanderer. Ich habe mich verirrt. Ich brauche Wasser für mich und mein Pferd. Und etwas zu essen. Ich habe vielleicht etwas zu tauschen“, sagte John ruhig und hob die Hände.

„Ha! Scheiß auf dich und das Pferd, auf dem du gekommen bist! Wer sagt mir, dass du nicht ein verdammter Yankee bist, der mir meine Farm wegnehmen will?“, schrie der Mann hinter dem Fenster.

John atmete durch.

„Ich bin kein Yankee“, sagte er. „Ich bin John Tyler.“

Der Schatten hinter dem Fenster verschwand. Dann hörte John wie ein Riegel gelöst wurde und die Tür schwang auf.

Ein Mann erschien in der Türöffnung, mit nacktem Oberkörper, so hager, dass man die Rippen sehen konnte. Wildes rotes Haar fiel ihm auf die Schultern.

„John Tyler. Ich dachte du wärst tot“, sagte der Mann, grinste und zeigte ein schiefes Lächeln.

„Nicht ganz“, antwortete Tyler.

Frank, der rothaarige Farmer, führte John zu einem Brunnen und holte für ihn und das Pferd Wasser herauf.

„Du kannst auch was zu essen haben, ich habe Bohnen und Mais. Hast du was zu tauschen?“, fragte er.

„Ich habe ein bisschen Tabak. Kein Geld“, sagte John und zuckte die Schultern.

Frank warf einen Blick auf die beiden Colts.

„Komm rein, komm rein, sei mein Gast.“

"In der Nacht wird es hier bitter kalt. Ich werde ein Feuer machen", meinte er.

Frank fachte die Glut an und gab eine Pfanne über den Rost in dem er Bohnen, Mais und sogar ein Stück Speck warf. Die Hütte war geräumiger, als es von außen aussah. Es gab die Feuerstelle, ein Bett, einen Tisch mit zwei Stühlen.

„Ich danke dir dafür, dass du mich aufnimmst“, sagte er und trank aus seinem frisch gefüllten Schlauch.

Der Rothaarige kicherte.

„Du hättest dir sowieso genommen, was du brauchst, oder?“, fragte er.

„Ja“, antwortete John.

„Dann ist es so besser“, sagte Frank und gab John einen Teller mit Bohneneintopf.

Anschließend holte Frank eine Flasche Whisky und goss ihnen die Blechbecher voll. John holte aus den Satteltaschen den Tabak und sie tranken und rauchten.

Sie unterhielten sich über den Krieg und was jetzt werden würde. Aber niemand wusste, was jetzt kommen konnte. Frank berichtete von ehemaligen Sklaven, die Farmen anzündeten. John zuckte mit den Schultern: „Was haben sich die Leute erwartet? Manche haben ihre Sklaven gut behandelt, andere nicht.“

„Eure Familie besaß ja auch eine Farm, hattet ihr Sklaven?“, fragte Frank.

John zog die Augen zusammen. „Du stellst viele Fragen“, knurrte er.

„Ich will mich nur unterhalten, John Tyler. Ich habe nicht viel Besuch hier draußen. Manchmal kommen die Coyoten, aber die sind nicht sehr gesprächig“, lachte er und zog an seiner Zigarette.

Das Lachen ging in einen trockenen Husten über, und er klopfte sich an die Brust. Als der Anfall vorbei war, trank er einen tiefen Schluck aus seiner Tasse.

Frank nickte. „Du weißt, wie du genannt wirst?“

John sah ihn an und nickte langsam. Feigling, Verräter, Überläufer und Schlimmeres.

„Du wirst es nicht leicht haben da unten“, sagte Frank und kratzte sich die schmutzige Brust. Er grinste und zeigte seine gelben Zähne.

„Wo willst du hin?“, fragte ihn Frank und John sagte: „Nach Hause, nach Vicksburg, Mississippi. Meine Schwester lebt noch dort, auf der Farm meiner Eltern. Hoffe ich.“

„Das ist gut, es ist gut etwas zu haben, wohin man heimkehren kann“, sagte Frank und schenkte die Tassen wieder voll.

John schwieg und dachte an seine Schwester, die alleine die große Farm verwalten musste. Die Ernte musste gut gewesen sein dieses Jahr, aber der Krieg war auch durch seine Heimatstadt gezogen.

„Soll ich dir die Karten lesen, John Tyler?“, unterbrach Frank seine Gedanken. Inzwischen lallte er, aber auch John spürte den ungewohnten Alkohol.

Er lachte: „Was bist du? Eine Hexe?“

Frank grinste.

„Ich bin immer allein, hier draußen, man muss sich die Zeit vertreiben sonst wird man verrückt“, sagte er und tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn.

John drehte sich eine Zigarette und machte eine auffordernde Bewegung.

„Tu, was du nicht lassen kannst.“

Frank zauberte ein Kartendeck hervor, abgegriffen und fettig.

„Du musst mischen“, sagte er und reichte John die Karten.

John mischte gemächlich, dann gab er Frank das Deck zurück.

Der teilte sechs Karten aus, in zwei Reihen und legte sie verdeckt auf den groben Holztisch.

„Bist du bereit?“, fragte er.

„Ich bin nicht abergläubisch“, antwortete John und zündete sich seine Zigarette an.

Frank deckte die ersten beiden Karten auf.

„Der Tod. Aber nicht für dich“, murmelte er.

„Das zweite Paar: Die Göttin und das Kind. Das ist die Familie. Hast du Familie, John?“

John lächelte und trank einen Schluck Whisky. „Nein“, sagte er. „Ich hatte einen Krieg zu führen.“

Frank decke das letzte Paar auf.

„Der Jäger und das verheerte Land. Das ergibt keinen Sinn“, sagte er und rieb sich das Kinn.

„Wie der ganze Mumpitz“, grinste John und stellte seine Tasse auf den Tisch.

„Wo kann ich schlafen?“

„Da drüben, ich bring dir ein paar Decken“, antwortete Frank und deutete mit dem Kinn auf den Fußboden vor dem Herd.

„Danke. Ich hole dem Pferd noch einen Eimer Wasser aus dem Brunnen“, sagte John. Als er zurückkam, lag ein Stapel Decken auf dem Boden und Frank saß auf seiner Pritsche.

„Leg noch ein paar Scheite nach, heute wird es kalt, der Wind kommt von Norden“, murmelte er. John spürte die Erschöpfung und den Alkohol. Er nahm den Revolvergurt ab, warf Holz ins Feuer und streckte sich am Boden aus. Innerhalb von Minuten war er eingeschlafen.

Auf dem Weg nach Wedrock

John wusste nicht was ihn aufgeweckt hatte, war es das Tageslicht, das durch das Fenster fiel, oder ein Geräusch, das Frank gemacht hatte.

Er schielte über die Schulter und zog den Revolvergurt heran. „Du kannst den Tabak haben. Ich hätte dir sowieso das Meiste gegeben.“

Frank war gerade dabei, Johns Satteltaschen durchzuwühlen, die über dem Stuhl hingen.

Frank fuhr herum, seine Stirn glänzte vor Schweiß. Er hatte ein kurzes Messer in der Hand.

John zog den Revolver aus dem Holster, rollte zur Seite und sprang auf. Frank kam langsam mit hochgehaltener Klinge auf ihn zu. John wartete, bis er in Reichweite war, packte blitzschnell Franks mageres Handgelenk und drehte es herum. Klackend rastete der gespannte Hahn ein.

„Messer weg, oder ich breche dir diesen Hühnerknochen“, knurrte er.

Das Messer fiel zu Boden und John stieß Frank auf einen Stuhl.

„Sitzen bleiben.“

Er schnallte sich den Revolvergurt um und durchsuchte die Hütte. Er fand einen Sack Bohnen und einen mit Mais. Er packte sie zusammen mit ein paar Zwiebeln in die Satteltaschen.

Frank wollte sich erheben: „Du verstehst das falsch, ich wollte nur…“

John stieß ihn zurück.

„Sitzen bleiben, Maul halten. Du hast Glück, dass du noch lebst“, sagte er.

Er verließ die Hütte, tränkte das Pferd und füllte die Wasserschläuche. Neben dem Brunnen fand er eine kleine Räucherkammer. Drinnen hangen ein paar Specksaiten an der Decke. Er nahm zwei herunter, roch daran und verzog das Gesicht. Er nahm sie trotzdem mit.

Dann ging er wieder in die Hütte. Frank saß immer noch auf seinem Stuhl.

„Hast du Geld?“, fragte er und zog den linken Colt.

Frank war kreidebleich und deutete auf eine Lade.

„Braver Junge“, sagte John und fand zu seinem Erstaunen ein dickes Bündel Dollarnoten.

„Das Geschäft, Wanderer auszurauben scheint ja nicht schlecht zu gehen, Frank“, meinte er und nahm sich die Noten.

„Sieh es als Entschädigung dafür, dass ich dich am Leben gelassen habe“, fügte er hinzu.

„Scheiß auf dich, Tyler. Sie werden dich im Süden vom nächsten Baum hängen“, murmelte Frank.

„Das werden wir noch sehen“, antwortete Frank. „Vielleicht hast du recht. Aber was mir zu denken gibt: Wenn ich suche, finde ich Gräber von anderen Wanderern?“

Frank sagte nichts, ein Nerv in seiner Wange zuckte.

„Das dachte ich mir“, sagte John.

Im Morgenlicht sah er, dass von Franks Hütte ein schmaler Weg fortführte und folgte ihm. Zwei Reitstunden später sah er in der Ferne die Häuser von Wedrock. Hinter ihm brannte die Hütte und Frank stand verzweifelt davor und verfluchte ihn.

Vor der Stadt lagen Felder, eingehegt von niedrigen Steinmauern. Die Felder waren abgeerntet, aber John brauchte nur einen Blick auf die trockene Erde zu werfen, um zu wissen, dass der Ertrag schlecht gewesen sein musste. Er war selbst der Sohn eines Farmers.

Es war noch Vormittag, als er in die Stadt einritt. Die Sonne glühte bereits am grellblauen Himmel, es würde wieder ein heißer Tag werden.

Er sah nur wenige Menschen auf der Straße, noch weniger Kinder und die liefen in Lumpen herum. Er sah einen Veteranen mit nur einem Bein, der sich auf eine Krücke stützte. Er trug immer noch die graue Uniform der Konföderierten.

Er lenkte sein Pferd an den Straßenrand, von wo ihn der Mann aufmerksam beobachtete.

„Guten Tag, Kamerad“, sagte er und stieg ab.

„Der Krieg ist vorbei, falls sie es noch nicht gehört haben. Es gibt keine Kameraden mehr“, knurrte der Einbeinige und spuckte aus. „Herr Major“, fügte er hinzu.

John wurde bewusst, dass er immer noch seine alte Uniform trug mit den Majorstreifen auf den Schultern.

„Ich habe keine andere Kleidung“, sagte er und zuckte mit den Schultern.

Plötzlich grinste der Einbeinige: „Ich auch nicht. Was brauchst du, Wanderer?“

„Einen Stall für das Pferd, was zu essen für den Reiter. Und einen guten Schluck Whisky, ich habe noch den Staub der Wüste im Mund“, antwortete John.

„Wenn du Geld hast, gibt es hier was du willst. Wir haben keinen Schneider aber im Store kannst du Kleidung finden.“ Er deutete mit dem Kinn die Straße runter. „Dort ist der Saloon“, sagte er. „Keine Mädchen mehr, wenn du darauf gehofft hast“, fügte er hinzu.

John tippte an den Hut und führte sein Pferd am Zügel durch den Staub der Mainstreet. Wedrock hatte schon bessere Zeiten gesehen und das galt auch für den Saloon. Auf dem verwitterten Schild über der Schwingtür stand „Nugget“. Er band sein Pferd an den Pfosten vor der Tränke, überlegte einen Moment und nahm dann die Abzeichen von der Schulter.

Das Nugget war ein heruntergekommener Laden. Auf der linken Seite die Bar, dunkel und schmierig von verschütteten Drinks. Zur Rechten die beiden Pokertische, nur einer war besetzt, vier ältere Männer spielten um niedrige Einsätze. Ein einsamer Säufer hockte jetzt schon vormittags auf einem der Barhocker und würdigte ihn keines Blickes. Höflich nahm John den Hut ab und klopfte ihn am Oberschenkel ab. Er nickte den Spielern zu und nahm Kurs auf die Bar. Er setzte sich an auf einen Hocker und drehte sich eine Zigarette.

„Na, was darfs sein, Fremder?“, hörte er eine Stimme, die ihm vertraut vorkam.

Irritiert hob er den Blick.

Vor ihm stand eine hochgewachsene Blondine, das Gesicht schrecklich verunstaltet durch Brandnarben. Das Gesicht weit vor der Zeit gealtert, tiefe Spuren um die Mundwinkel, aber nichts konnte ihn davon abhalten seine Schwester zu erkennen.

Sie hielt sich die Hände vor den Mund und zuckte zurück.

„Du? John? Bist du es?“, rief sie.

Er stand auf, ging um die Bar herum und nahm sie in die Arme. Sie war dünn, fast mager.

„Ja“, sagte er. „Ich bin es.“

Er spürte an seiner Schulter ihr Schluchzen.

„Ich dachte, du bist tot“, flüsterte sie.

„Die Nachrichten über meinen Tod sind meistens übertrieben“, grinste er.

Dann wurde er ernst: „Sag, wie ist es euch ergangen, Joanne?“

Sie löste sich von ihm und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.

„Komm, du bekommst jetzt mal einen Drink, dann können wir reden“, sagte sie und holte ihre beste Flasche hervor.

John trank den Whisky und hörte Joanne zu.

Sein Zuhause, die Farm, gab es nicht mehr. Das Farmhaus und die Ställe niedergebrannt, die Unterkünfte für die Sklaven ebenso. Die Felder zertrampelt, verwüstet von Heerlagern der Union, die Ernte gestohlen.

„Unsere eigenen Sklaven haben unser Haus angezündet! Die Scheunen! Die Felder! Wir haben sie immer ordentlich behandelt! Wenn Dad und Mum noch gelebt hätten! Papa konnte immer gut mit ihnen reden!“, rief sie und wieder sah er die Tränen in ihren Augen.

John sagte: „Sie haben dich leben lassen. Alles andere wird sich finden.“

„Du weißt, wie du genannt wirst? Ich habe das niemals geglaubt. Feigling Tyler! Du warst niemals feige“, sagte sie.

John senkte den Blick. „Es ist wahr, ich habe mich ergeben. Es war aussichtslos und die Männer starben wie die Fliegen“, antwortete er.

Er hob den Blick und sah ihr in die Augen.

„In manchen Augen bin ich ein Feigling.“

Sie wich seinem Blick aus.

„Willst du was zu essen? Ein Zimmer ist auch frei. Wir haben nicht viele Gäste, außer die Steuereintreiber reiten ein“, fragte sie.

Er nickte und nahm ihre Hände in seine.

„Es wird besser werden. Jetzt bin ich da“, sagte er und wusste nicht, wie falsch er lag.

Er bekam Kartoffeln, Bohnen, und ein kleines Stück Steak. Es war zäh, aber er genoss jeden Bissen.

Seine Schwester brachte ihm noch ein Glas Whisky, dann setzte sie sich ihm gegenüber an den Tisch.

„Was planst du jetzt? Wir haben nichts mehr! Alles ist verloren!“, sagte sie und legte die Hände vors Gesicht.

Er nahm ihre Hände und hielt sie fest.

„Nichts ist verloren. Das Land gehört immer noch uns. Gebäude kann man wieder aufbauen. Und da ist noch etwas“, sagte er und flüsterte ihr ins Ohr: „Ich habe das Gold des letzten Aufgebotes.“

Sie machte große Augen.

Das Gold des letzten Aufgebotes war der letzte, verzweifelte Versuch gewesen, mexikanische Freischärler anzuwerben um das Kriegsglück doch noch zu wenden.

Die Verstärkung war nie gekommen und das Gold galt als verschollen.

„Wo…?“, flüsterte sie benommen.

„Ich werde in zwei Wochen wieder zurück sein. Aber jetzt brauche ich ein paar Tage Ruhe, ein Bett und ein Pferd, das ich nicht dauernd hinter mir herziehen muss“, sagte er und hob sein Glas.

„Auf uns beide, Joanne“, sagte er.

Sie sprang auf und fiel ihm um den Hals.

„Auf uns, John und auf das Gold!“

Er hielt ihr den Mund zu.

„Zu niemandem ein Wort! Gute Männer sind dafür gestorben“, fuhr er sie an.

„Natürlich, du hast Recht. Aber hier ist doch niemand, den das interessieren würde“, antwortete sie.

Doch sie täuschte sich. Einer der grauhaarigen Männer, die am Pokertisch neben dem Eingang saßen, hörte was sie sagte, denn er war zwar alt, aber sein Gehör funktionierte wie am ersten Tag. Und er wusste, was es mit dem Gold des letzten Aufgebotes auf sich hatte. Noch eines wusste er: Wen diese Nachricht interessieren würde.

John trank sein Glas aus und ging die Treppe nach oben. Er ließ sich vom Zimmermädchen die Wanne mit heißem Wasser füllen und spülte sich den Staub der Wüste vom Körper.

Anschließend rasierte er sich, das erste Mal seit vielen Wochen und sah dann einen Fremden im Spiegel. Der Krieg hatte ihn viele Jahr gekostet. Um die Mundwinkel tiefe Furchen und die Augen eines viel älteren Mannes. Augen mit der Farbe eines neuen Revolvers: Nicht blau, nicht grau und genauso leblos.

Er schlief den ganzen Nachmittag und träumte von Frank, dessen Hütte ihm das Leben gerettet hatte, der nur einen seiner Revolver hätte nehmen müssen, um ihn im Schlaf zu ermorden.

Die Steuereintreiber

John erwachte durch Lärm von unten. Er war bereit, wie er es als Soldat immer hatte sein müssen. Es gab keine Phase des Aufwachens, er schlug die Augen auf und war da

Er zog sich rasch an und schnallte sich den Gurt um, den er um den Bettpfosten geschlungen hatte.

Dann verließ er sein Zimmer und ging auf den Gang hinaus, von dort konnte er den Bar Raum beobachten.

Unten standen drei junge Männer an der Bar und unterhielten sich lautstark.

„Wisst ihr, was das Schärfste ist an Indianerweibern? Wie ihr Kopf an einem Stock aussieht!“ rief einer, ein kleiner Blonder mit Bart, und wieherte vor Lachen.

„Morgen muss sie zahlen, zahlen, zahlen!“, rief der andere, ein untersetzter Rothaariger, dem die Sonne die Haut vom Gesicht schälte.

Der dritte, ein schmaler Yankee, wenn John jemals einen gesehen hatte, sagte: „So will es das Gesetz. Steuern müssen gezahlt werden. Die Frist ist abgelaufen.“

John kannte die Sorte. Es waren Steuereintreiber der neuen Regierung. Sie verlangten hohe Steuern von Farmen, die der Krieg verwüstet hatte und übernahmen das Land, wenn nicht gezahlt werden konnte. Aasgeier.

Er hörte sich das großspurige Gegröle der drei Jungen an und grinste schief in sich hinein. Zu seiner Zeit wären die Drei das Gespött der Stadt gewesen. Wie sich die Zeiten änderten.

„Ihr solltet die Frau in Ruhe lassen!“, sagte seine Schwester, die hinter der Bar bediente, plötzlich laut. Der Lärm verstummte, auch die vier Alten am Pokertisch hörten aufmerksam zu.

„Was geht es dich an?“, fragte der kleine Blonde spöttisch und reckte die Ellbogen.

„Sie hat einen kleinen Jungen und ist alleine. Ihr Mann ist im Krieg gefallen! Nehmt ihr ihre Farm, hat sie gar nichts mehr!“, sagte Joanne fest.

„Das hätte sich ihr Mann vorher überlegen müssen, bevor er gegen uns in den Krieg gezogen ist, oder?“, grinste der kleine Mann zurück und wandte sich an seine Kumpane.

„USA!, USA!, USA!“, stimmte er an und die anderen fielen ein.

John ging langsam die Treppe hinunter, immer noch in seiner grauen Südstaatenuniform.

Er ging an das andere Ende der Theke, setzte sich auf den Hocker und Joanne brachte ihm ein Bier.

Die drei jungen Yankees bemerkten ihn und der kleine Rädelsführer rief herüber: „Na da ist ja einer dieser Verlierer!“

John nippte an seinem Bier und drehte dann langsam den Kopf. Er sah dem kleinen blonden Mann ins feixende Gesicht. Er prägte sich die Züge ein, den übergroßen Kopf, die dünnen Arme, dann nahm er den dicklichen Yankee ins Visier, der sofort in die andere Richtung sah und schließlich den großgewachsenen Hageren mit der Adlernase. Der Hagere erwiderte ruhig seinen Blick. Sie hatten alle Waffen in den Holstern, aber der Hagere würde der einzig Gefährliche sein.

Er drehte sich wieder weg und trank einen Schluck Bier. Die drei Steuereintreiber waren jetzt erheblich ruhiger, tranken ihre Gläser aus und verließen wenig später das Nugget.

Joanne kam zu ihm und er fragte: „Wo ist diese Farm? Die möchte ich mir mal ansehen.“

Joanne schmunzelte.

„Einen halben Tagesritt von hier, entlang des Trails Richtung Nordosten. Es ist eine gute Farm, mit viel Wasser. Nakita ist eine gute Farmerin, aber es war Krieg und die Ernte schlecht. Ich weiß nicht ob sie ihre Steuern zahlen wird können“, sagte sie.

„Sie ist eine Freundin von mir, sei nett zu ihr“, fügte sie hinzu.

John grinste und tippte sich an den Hut.

„Ich werde es mir merken“, sagte er und trank sein Glas aus.

Er setzte sich an den Pokertisch und spielte mit drei anderen Männern aus der Stadt um niedrige Beträge. Anfangs beäugten sie ihn wachsam, nach einer Weile sprachen sie offener und er erfuhr einiges über die Stadt, in der seine Schwester nun wohnte.

Es war immer die gleiche, traurige Geschichte. Es war Gold gefunden worden, aber die Mine war inzwischen fast erschöpft. Es lohnte sich nicht mehr, dort auszubeuten, die wenigen lukrativen Claims waren von Yankees übernommen worden, manchmal nicht ganz freiwillig.

Die Jungen gingen weg, die Alten blieben, nur die Farmen rings um die Stadt waren fruchtbar und gaben hohen Ertrag.

Sie hielten die Stadt am Leben und die Hoffnung auf die Eisenbahn, die die Yankees bauen wollten.

„In 3 Tagen nach Pittsbourgh, man stelle sich das einmal vor!“, sagte einer der Männer, ein stämmiger Bursche mit schwieligen Händen.

„Ich könnte dort sogar ins Theater gehen!“

Alle lachten und John teilte aus. Nach dieser Runde strich er seinen Gewinn ein und wünschte ihnen eine gute Nacht. Das waren gute Leute, sie wollten den Krieg nur hinter sich lassen und das wollte er auch.

Diesmal träumte er von ihrer alten Ranch, als seine Eltern noch lebten und es war ein guter Traum.

Clearwater Ranch

John stand im Morgengrauen auf und fand vor seiner Tür einen Sack mit Proviant. Er lächelte. Joanne, Joanne, Joanne. Immer wusste sie was zu tun war.

Er ging in den Stall und suchte seinen Klepper.

Überrascht stellte er fest, dass dem Tier gutes Futter und genügend Wasser so gutgetan hatten, dass man es fast als Pferd bezeichnen konnte.

Er sattelte es und ritt los, der Straße nach Nordosten folgend, die Sonne ging hinter ihm auf und färbte den Himmel langsam von Schwarz zu Blau.

Nach ein paar Stunden erreichte er einen kleinen Bach, ließ den Gaul saufen und bediente sich am Proviant.

Die Wüste war sattem Grün gewichen und er ahnte, warum dieses Land begehrt war.

Er sah Fische im Bach schwimmen und angelte drei fette Forellen mit einem einfachen Haken und etwas Speck als Köder.

Er packte sie in die Satteltaschen und ritt weiter. Eine Stunde später erreichte er eine saubere, mit weißem Kies gestreute Straße, gesäumt von hohen Bäumen. Am Ende der Straße stand ein Farmhaus, daneben eine große Scheune. Auf der anliegenden Weide grasten Kühe und Ziegen.

Er sah einen Jungen im Hof spielen, vielleicht 6, 7 Jahre alt. Er ließ den Klepper halten und stieg ab.

Der Junge sah ihn misstrauisch an. Er hockte sich neben ihn nieder, deutete auf die schwarzen und weißen Figuren vor ihm. „Was spielst du da?“, fragte er.

„Es heißt Schach. Mein Vater hat es mir beigebracht. Aber ich weiß die Regeln nicht mehr“, antwortete der Junge und sah ihm ins Gesicht. Er hatte schwarze Haare und blaue Augen, die eine Tiefe und Traurigkeit hatten, die nicht zu seinem Alter passten.

„Ich kenne das Spiel ein bisschen. Sollen wir spielen?“, fragte John.

Der Junge nickte schüchtern und John stellte die Figuren richtig auf. Der Junge hatte ein Schachbrett mit dem Finger in den Sand gezeichnet.

Anfangs fragte er John aus, wie die Züge richtig waren, dann hatte er schnell heraus, wie das Spiel funktionierte und brachte John zum Lächeln, weil er sich über einen gelungenen Zug, bei dem er Johns Springer schlug, so herzlich begeistern konnte.

Dann fiel ein Schatten über sie, John blickte auf und sah die schönste Frau, die er jemals gesehen hatte.

Eine Indianerin, gekleidet in Bluse und Arbeitshosen. Bronzene Haut, schwarze Haare, die ihr lang auf den Rücken fielen, ein voller Mund und Augen, so schwarz und zwingend wie tiefe Brunnen.

John Tyler, kampferfahren in unzähligen Schlachten, ruhig im schlimmsten Kugelhagel, wusste nichts zu sagen. Sein Kinn klappte hinunter und er sah aus wie ein Idiot.

Sie hob eine schlanke Hand und zeigte auf ihn.

„Wer ist dieser Mann, der auf meinen Hof reitet und meinen Sohn beim Schach schlägt, ohne meine Erlaubnis?“, fragte sie ernst, aber er fand eine Andeutung eines Lächelns auf ihrem Gesicht.

John fasste sich und antwortete: „Ich bin John Tyler. Ich, nun, ich dachte – meine Schwester hat mir von ihnen erzählt“, stotterte er.

Sie lächelte und wenn die Sonne nicht schon grell am Himmel gestanden hätte, wäre sie jetzt aufgegangen.

„Joanne, Joanne, Joanne“, sagte sie kopfschüttelnd. „Immer dabei die Welt zu retten.“

John fand sich wieder und stand auf.

„Es geht um die Steuern“, sagte er. „Vielleicht kann ich helfen.“

Ihr Gesicht wurde ernst und er sah, dass sie nicht mehr so jung war, wie er anfangs gedacht hatte. Sie sah auf ihren Sohn hinab und deutete dann auf das Farmhaus.

„Das sollten wir drinnen besprechen“, meinte sie.

„Mama, ich habe ihm drei Figuren genommen!“, krähte der Junge fröhlich.

Nakita lächelte.

„Hoffentlich kann er mit Steuereintreibern besser umgehen, als mit dem Schachbrett, Morgan“, sagte sie und ging zurück zum Haus, John folgte ihr und bewunderte ihre geschmeidigen Bewegungen.

Sie führte ihn durch die erstaunlich große Eingangshalle in die geräumige Küche. Alles war sehr sauber und strahlte Wohlstand aus.

Er setzte sich an den Küchentisch und Nakita brachte ihm eine Tasse Kaffee. Dann ließ sie sich ebenfalls nieder und fragte: „Was hat ihnen Joanne erzählt?“

„Ich habe die Steuereintreiber gesehen, diese drei Jungspunde. Sie sprachen von einer Frist, die ablaufen soll, danach habe ich Joanne gefragt. Sie sagte, ihr seid Freundinnen?“, berichtete er und sah wie ein Lichtstrahl sich in ihren Haaren verfing und zum Schimmern brachte. Es war als würde sie glühen.

„Aber mir scheint, als wäre ich hier nicht nötig“, fuhr er schließlich fort. „Die Farm scheint gut zu gehen. Ganz im Gegensatz zu den Farmen nahe der Stadt, dort scheint die Ernte mager zu sein.“

Sie schüttelte den Kopf.

„Das Land ist reich, aber ich bin es nicht“, sagte sie. „Seit mein Mann fort war im Krieg habe ich von unseren Ersparnissen gezehrt. Ich konnte kaum die Arbeiter bezahlen für die Einbringung der Ernte und als sie eingebracht war, kamen die Soldaten und konfiszierten sie. Und dann kamen die Steuereintreiber.“

Sie schüttelte den Kopf. „Phil war ein guter Mann, aber er ist wegen schlechter Gründe in den Krieg gezogen und er hat uns allein gelassen. Sein Sohn konnte kaum laufen und er ist in den Krieg gezogen.“ Sie holte tief Luft: „Ist er dann noch wirklich ein guter Mann?“

John Tyler hatte einmal geglaubt, die Antwort zu wissen, doch jetzt schwieg er.

„Er war Teil einer guten Truppe, hat er oft geschrieben“, fuhr sie fort und sah ihm direkt in die Augen.

„Sieg um Sieg und niemand konnte sie stoppen, schrieb er. Tylers Teufel, hießen sie“, sagte sie und John erstarrte.

Phil Johnson war sein Kamerad gewesen, ein fröhlicher Junge, kaum ein Mann, der in der Schlacht noch seine Späße gemacht hatte. Als einmal die Kugeln so heftig und dicht über sie hinweg gebrandet waren, hatte er neben John Deckung gefunden.

„Major, es ist so viel Blei in der Luft, wenn es zu regnen anfängt, werden wir wenigstens nicht nass“, hatte er gegrinst. Und dann war er einer der ersten gewesen der von der Gatling am Rio Bravo zerrissen worden war.

John nahm hastig den Hut ab.

„Es tut mir leid…“, begann er.

Sie unterbrach ihn mit einer Handbewegung.

„Du hast 12 nach Hause gebracht. Phil war eben nicht dabei“, sagte sie brüsk.

„11“, antwortete John nachdenklich. „Einer ist noch an seinen Verletzungen gestorben.“

„11 von 40“, sagte sie.

„Ja.“

Sie sahen sich in die Augen. John löste sich aus diesen tiefen, seelenvollen Augen und stand auf.

Er holte das Geld, das er Frank abgenommen hatte und warf es auf den Tisch.

„Kann das für die Steuer reichen?“, fragte er.

Sie zählte es rasch.

„Nein, es ist ungefähr die Hälfte“, antwortete sie.

John zog die Augenbrauen hoch.

„Die Steuer muss sehr hoch sein“, sagte er.

Sie nickte.

„Ich denke, sie wollen keine Squaw und ihren Mischling auf dem fruchtbarsten Flecken dieser Gegend“, meinte sie.

Seine Kiefermuskeln verspannten sich.

„Es wird vorerst reichen. Die drei Buben kommen morgen und sie werden das Angebot annehmen“, knurrte er.

„Sie werden es nicht ablehnen können“, fügte er grimmig hinzu.

Tag der Steuer

Er führte sein Pferd in ihren geräumigen Stall und der Gaul wieherte vergnügt, als er die anderen Pferde wahrnahm.

Er bekam gutes Futter und frisches Wasser.

John ertappte sich dabei, wie er dem Tier über die Nüstern strich.

„Du siehst immer besser aus. Was ist nur aus dem müden Klepper geworden?“, flüsterte er.

Er wollte gerade den Stall verlassen, als er einen alten Schwarzen bemerkte, der gerade durch den Hintereingang den Stall betrat.

Er wandte sich zu ihm: „Kannst du dich um den müden Kerl hier kümmern?“, fragte er ihn und lächelte.

Der alte Mann lächelte zurück und zeigte ein prachtvolles Gebiss.

„Das ist ein gutes Pferd, Fremder, nur zu wenig Futter und zu wenig Wasser und Gott verdammich, geschunden worden ist es wie ein Neger auf den Plantagen. Lass ihn ein paar Tage bei mir und verdammich, wird er die Meile laufen wie ein Champion“, antwortete er.

John ging zu ihm hin und reichte ihm die Hand.

Misstrauisch ergriff sie der Schwarze und schüttelte sie.

„Ich bin John Tyler“, stellte er sich vor.

„Pepe“, sagte der Mann und deutete auf seine Uniform.

„Nicht üblich, dass ein Mann im Grau einem Neger die Hand schüttelt“, meinte er.

„Der Krieg ist vorbei. Und auch vorher war es mir gleichgültig, wie dunkel die Haut eines Menschen ist“, sagte John.

„Kannst du dich um das Pferd kümmern?“, fragte er. „Ich werde dich bezahlen.“

Der Schwarze nickte. „Du brauchst nicht zu zahlen, John Tyler“, sagte er. „Ich habe gesehen, wie du mit dem Jungen gespielt hast.“

John zuckte mit den Schultern.

„Ich werde ein paar Tage hier sein, um diese Steuergeschichte zu regeln“, meinte er.

„Wieso tust du das?“, fragte der Schwarze.

„Manche Sachen müssen getan werden. Ich bin einer, der solche Dinge regeln kann“, antwortete John

„Es hat nichts damit zu tun, dass dir der Mund offen gestanden hat, als du die Misses gesehen hast?“, grinste Pepe.

John musste lächeln.

„Es hat nicht geschadet“, gestand er.

Dann wurde er ernst.

„Es könnte schmutzig werden. Wenn die Geier kommen, halte dich fern“, sagte er.

„Ich werde ihm Hafer geben und die besten Leckerbissen“, antwortete der Neger und wies mit dem Kinn auf Johns Gaul. „Ein gefährlicher Mann braucht ein schnelles Pferd.“

John nickte nachdenklich, holte die Fische aus den Satteltaschen und ging zurück zum Haus.

Nakita freute sich über die Forellen, briet sie mit Zwiebeln und Kartoffeln und sie aßen alle zusammen am Küchentisch, Pepe, der kleine Morgan, Nakita und er.

„Mama, werden sie uns morgen die Farm nehmen?“, fragte Morgan plötzlich.

Nakita senkte den Kopf und John sagte rasch: „Nein, Morgan, das wird nicht passieren. Deshalb bin ich hergekommen.“

„Bist du ein Deputy? Jemand von der neuen Regierung?“, fragte Morgan neugierig.

John log nicht. „Nein. Es sind komplizierte Zeiten und manchmal muss man das Gesetz vertreten, das man in sich selbst fühlt. Es ist unrecht, wenn ihr die Farm verlieren würdet. Also werde ich es nicht geschehen lassen“, sagte er ruhig.

„Und wenn sie mit Revolvern und Gewehren kommen?“, fragte der Junge mit großen Augen.

„Ich kannte deinen Vater und er war ein tapferer Mann. Einer der tapfersten, die je kennen gelernt habe. Du kannst stolz auf ihn sein“, antwortete John und sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Nun war kein Lächeln mehr zu sehen und das viel zu früh gealterte Gesicht wirkte wie von einem wilden Gott aus Granit gemeißelt.

„Er hätte das nicht zugelassen. Und ich werde das auch nicht tun. Das bin ich ihm schuldig.“

Er schwieg und senkte den Blick.

„Ich werde mir mal die Gegend ansehen“, sagte er schließlich und stand auf.

Draußen empfing ihn die Hitze des Nachmittages, aber weniger schlimm, als er erwartet hatte. Die Farm lag in einem kleinen Tal, die umliegenden Hügel gaben etwas Schatten. Er ging um das Farmhaus herum und betrachtete die Umgebung.

John Tyler verzog das Gesicht. Die Farm war für sein militärisches Auge ein Kessel, aus dem es kaum ein Entrinnen gab.

Von zwei Seiten begrenzt von steilen Hängen, die dritte Seite durch einen breiten Fluss blockiert. Die Talöffnung mit der Straße war der einzige Weg hinein. Oder hinaus.

Er wandte sich nach Osten dem Fluss zu. Vielleicht 50 Yards breit und nicht zu tief, eine schmale Brücke war der einzige Weg hinüber ans andere Ufer.

Es waren nur ein paar Steuereintreiber, noch grün hinter den Ohren, sagte er sich. Aber er konnte nicht anders, sein Instinkt klingelte und er hatte ihm Krieg gelernt, so etwas nicht zu ignorieren.

John ging zurück zum Farmhaus, wo Nakita in einem Stuhl auf der Veranda saß und ein Buch las.

„Sie haben da ein wunderbares Stück Land“, sagte er.

Sie blickte an seiner Schulter vorbei und flüsterte: „Sie kommen.“

John drehte sich um und sah Reiter, die sich auf der Straße näherten.

„Vier Mann. Wahrscheinlich haben sie sich noch einen Mann fürs Grobe geholt“, meinte er.

Der Trupp kam näher, Nakita empfing sie auf der Veranda, John stellte sich neben sie.

Es waren die drei Steuereintreiber, die John schon in der Bar seiner Schwester kennengelernt hatte. Der kleine Rotblonde, der Dickliche und der schweigsame Yankee.

Zusätzlich hatten sie noch einen Mexikaner dabei, einen untersetzten Mann mit großem Schnurrbart im Gesicht.

„Hoho“, sagte der kleine Rotblonde und schwang sich vom Sattel.

„Die Squaw hat sich einen Beschützer geholt. Dann wird sie wohl auch das Geld für die Steuer haben“, grinste er.

Nakita sagte: „Ich habe eine Anzahlung. Mehr als die Hälfte.“

Der Yankee sagte: „Eine Anzahlung in Höhe der Hälfte der Steuern wäre angemessen…“, begann er.

Der kleine Anführer reckte die Ellbogen heraus und schlenderte auf Nakita zu. „Steuern müssen bezahlt werden, sonst gehört die Farm der neuen Regierung der United States“, grinste er.

John trat vor.

„Ihr werdet das Angebot annehmen“, sagte er und sah dem rotblonden Kerl mit den abgespreizten Ellbogen in die Augen. Der versuchte einen Moment, dem Blick stand zu halten, und sah dann doch schnell zu dem angeheuerten Schläger.

„Marco hier, unser – ah – Begleiter hat auch die Befugnis, Gewalt anzuwenden um das Gesetz zu vollstrecken“, rief er.

John wandte sich zu dem Mexikaner. Der erwiderte seinen Blick eine Weile lang ruhig und nickte dann. Er griff in die Tasche und ließ einen kleinen Beutel auf den Boden fallen.

„Das es nicht wert“, sagte er mit schwerem Akzent, schwang sich wieder in den Sattel und ritt davon.

„Wir sind immer noch zu dritt und bewaffnet!“, kreischte der kleine Rotblonde. „Das ist eine Straftat gegen das Bundesgesetz!“

Aber es war natürlich der Yankee, der zog, derjenige der sogar für ihn gesprochen hatte. Der Mann spürte, wenn das Reden ein Ende hatte.

John spürte es auch. Ohne einen bewussten Gedanken zuckte seine linke Hand nach unten, zog den Revolver, spannte ihn und schoss dem Yankee eine Kugel in die rechte Schulter.

Der Schuss hallte laut im Tal wider und John Tyler hörte den Buben in der Küche aufschreien. Der Yankee hatte seinen Revolver kaum halb aus dem Holster bekommen. Seine Hand sackte herab und Blut färbte sein weißes Hemd rot. John hatte ihn richtig eingeschätzt. Der Yankee wankte, fiel aber nicht.

Er wandte sich an Nakita: „Hol Verbandszeug. Der Mann muss versorgt werden.“

Nakita verschwand im Haus und John sagte zu dem Dicken: „Hol den Steuerbescheid.“

Der Dickliche, der rote Flecken im Gesicht hatte, kramte ein paar Zettel hervor.

John steckte den Revolver wieder ein und las sich den Text durch.

„Nanana“, sagte er nach einer Weile und hob die Augenbrauen.

„Der Betrag ist viel geringer als wir erwartet haben“, sagte er. „Da wollte sich wohl jemand die Taschen vollstopfen.“

Nakita kam wieder aus dem Haus gerannt mit Verbandszeug und einer Flasche mit klarer Flüssigkeit.

Der Yankee ließ sich von ihr verbinden und verzog das Gesicht als sie Alkohol auf die Wunde goss.

John wartete, bis Nakita mit der Verarztung fertig war und zeigte ihr dann den Betrag auf dem Dokument.

Sie hob die Augenbrauen, holte das Geld und reichte es dem rotblonden Anführer. Der hatte kein Wort mehr gesagt, sondern nur hasserfüllt auf John gestarrt.

John kannte diesen Blick und er kannte kleine Männer, die nicht ihren Willen bekamen.

„Quittieren“, sagte er und deutete auf das letzte Blatt.

Der Dicke drängelte sich vor und unterschrieb schnell.

John starrte den rotblonden Mann an und deutete auf den Vertrag.

Der Steuereintreiber bleckte die Zähne, nahm sich den Stift und unterschrieb ebenfalls. Der Yankee benutzte unbeholfen die linke Hand.

„Nun könnt ihr gehen und euer Geld nach Hause tragen“, sagte John. „Kommt nicht wieder“, fügte er hinzu, aber er kannte die Regeln des Spiels. Er hatte einen Steuereintreiber verletzt. Die Umstände zählten nicht und der kleine rotblonde Anführer würde das nicht auf sich sitzen lassen. Diese Leute waren wie Bullterrier.

Die Steuereintreiber ritten davon, John und Nakita sahen ihnen nach. Auch der Junge gesellte sich zu ihnen.

„Können wir jetzt unsere Farm behalten, Mama?“, fragte er mit großen Augen.

„Ja, mein Junge“, antwortete sie leise.

„John Tyler hier hat dafür gesorgt.“

„Ist das wahr?“, fragte der Junge und sah John an.

„Ja. Schickt Pepe mit den Dokumenten aber schnell in die Stadt, der Notar muss sie beglaubigen“, antwortete John.

Nakita schickte das Kind ins Haus und fragte John: „Das wird jetzt Probleme geben für dich, nicht wahr?“

„Ja“, sagte er.

„Willst du dich nicht dem Sheriff stellen und ihm die Sache erklären?“, flehte sie.

Er lachte auf. Dem neuen Sheriff, einem Yankee?

„Nein“, sagte er.

Sie nickte und dachte nach.

Dann zog sie ihn am Ärmel nach draußen um das Gebäude herum. Sie zeigte im Licht des frühen Nachmittags nach Osten.

„Dort oben, auf halber Höhe des Hanges ist ein Plateau, bewachsen von einem kleinen Wald. Da ist auch die Jagdhütte von Phil, es sollte noch Holz und Öl für die Laterne da sein. Versteck dich dort, bis Gras über sie Sache gewachsen ist“, sagte sie und deutete auf einen schmalen Pfad.

John erkannte das Plateau und den kleinen Wald.

„Nur dem Weg folgen, er ist schmal und man muss sehr vorsichtig sein“, fügte sie hinzu.

John dachte an das Gold des letzten Aufgebotes und an seine Schwester.

„Ich sollte weiterziehen. Ich denke, sie werden nur nach mir suchen und auch das nicht allzu lange. Der Yankee hat einen glatten Durchschuss, er wird wieder gesund“, sagte er.

Sie sah in lange an.

„Warum haben sie das getan? Sich für uns in Schwierigkeiten gestürzt?“, fragte sie.

Weil es das Richtige war, dachte er. Das muss immer genügen.

„Ich war es Phil schuldig. Er war ein Kamerad für mich, obwohl er in mir wohl nur den strengen Major gesehen hat“, antwortete er.

„Sie würden überrascht sein. Phil hat sehr viel in seinen Briefen über sie geschrieben, manchmal mehr als über mich“, lächelte sie traurig.

„Ich wollte sie erst kennen lernen, ob sie wirklich so sind, wie Phil sie beschrieben hatte, aber er hatte wohl recht“, fuhr sie fort.

„Wie sie mit meinem Sohn gespielt haben…“, flüsterte sie und legte sich eine Hand an den Hals, dann fasste sie sich.

„Ich habe auch mit Pepe geredet“, sagte sie. „Er hat ein Gespür für die Menschen, es ist fast unheimlich. Er sagte, sie sind einer von den Guten.“

John legte den Kopf schief. Dieses Mal hatte Pepe sein Gefühl wohl getäuscht. Er machte eine ungeduldige Handbewegung und schwieg.

„Phil hat mir von ihren Revolvern erzählt und wie sie damit umgehen, da haben sie wohl keinen Bedarf. Aber ich habe wohl etwas, dass sie brauchen könnten“, lächelte sie und winkte ihn heran.

„Kommen sie mal mit.“

Er folgte ihr durch die Diele, sie öffnete eine Tür, holte eine Laterne von einem Nagel und entzündete sie mit einem Streichholz. John sah, dass eine steile Treppe in einen Keller führte.

Nakita ging voraus, öffnete mit einem Schlüssel eine zweite Tür. John folgte ihr in einen Erdkeller, dessen Wände mit Regalen bedeckt waren, voller Werkzeug, Draht, Lebensmitteln und Flaschen.

Nakita stellte die Laterne ab und öffnete einen Schrank. Sie holte ein Gewehr hervor und John stockte der Atem.

Eine Colt Model 1855, mit fünf Schuss Revolvermagazin. Und darauf ein Zielfernrohr, das er nicht kannte.

Sie reichte ihm die Waffe und er nahm sie mit beiden Händen entgegen.

„Phil hat oft geschrieben, wie sehr sie sich so ein Gewehr gewünscht haben. Er wollte sie nach dem Krieg damit überraschen“, sagte sie.

Im schwachen Flackern der Laterne konnte er ihren Gesichtsausdruck nicht erkennen, aber ihre Stimme bebte.

Dann lag sie ihm in den Armen und er hielt sie fest.

Sie schluchzte an seiner Schulter und er dachte an Phil, was für ein Glück der Knabe doch gehabt hatte, eine solche Frau zu haben und verfluchte ihn für die Dummheit sich freiwillig für den Krieg zu melden.

Aber er hielt auch immer noch das Gewehr und drehte es in das Licht. Es war makellos schön und das Flackern der Laterne spiegelte sich in der Linse des ungewöhnlichen Zielfernrohres.

Sie löste sich von ihm.

„Danke“, flüsterte sie. „Manchmal ist es sehr schwierig.“

John nickte.

„Diesmal wird es gut gehen“, sagte er, doch da war wieder diese Unruhe, als würde er lügen, ohne es zu wollen.

Sie stiegen die Treppe hoch und gingen in die Küche. Nakita kochte Kaffee und John legte die Waffe auf den Tisch.

Er verstand auf Anhieb wie sie funktionierte und zerlegte sie innerhalb weniger Minuten. Das Gewehr war in tadellosem Zustand, wie neu, leicht eingeölt, das Trommelmagazin geladen.

Er setzte es wieder zusammen und deutete auf das Zielfernrohr: „Was ist das? Diese Optik habe ich noch nie gesehen?“, fragte er.

„Das ist eine deutsche Firma. Carl Zeiss, Phil hat es extra aus Europa kommen lassen. Er meinte, es wäre ein Einzelstück“, sagte sie und reichte ihm einen Becher Kaffee.

„Noch nie gehört“, sagte John Tyler.

Sie lächelte.

„Schieß es, Cowboy“, sagte sie. „Es ist deins.“

Sie ging noch einmal in den Keller und brachte ihm eine volle Packung Munition, 50 Patronen.

Er steckte sich ein Dutzend in die Taschen und verließ das Haus.

Er ging um die Farm herum und fand bald, was er suchte. Ein paar Hundert Meter weiter ragten die Hügel der Südseite des Tales auf. Er ging zum Hang, suchte sich einen Felsen und band zwei Lederschnüre darum, mit zwei Handbreit Abstand.

Dann maß er 50 Schritt ab und legte das Gewehr an.

Er sah durch das Zielfernrohr und sah – nichts, nur undeutliche Schemen. Verwirrt senkte er das Gewehr und betrachtete das Zielfernrohr. Er fand einen beweglichen Ring mit Markierungen, 1,5x, 2x, 3x, 4x, der Marker stand auf 4x. Er drehte und stellte auf 1,5x, hob das Gewehr und versuchte es erneut. Er fand den Felsen sofort, atmete aus und drückte ab.

Der Rückstoß war stark, aber beherrschbar.

John schlenderte Richtung Hang um sich sein Ergebnis anzusehen und staunte. Der erste Schuss mit einer neuen Waffe und fast perfekt zwischen die beiden Schnüre gesetzt.

Er ging diesmal 100 Schritte zurück und justierte das Zielfernrohr auf 2x.

Der Schuss war sogar noch besser.

Er vergrößerte die Entfernung bis auf 500 Schritt und stellte das Fernrohr auf 3x, dann 4x. Kein einziger Schuss verfehlte den Felsen völlig und die meisten waren deutlich besser. Dieses Gewehr und er waren für einander gemacht.

Er ging zurück ins Haus und bedankte sich bei Nakita.

„Wenn ich darf, schlafe ich heute Nacht noch hier. Wenn sie kommen, dann nicht vor morgen früh. Ich bin vor dem ersten Tageslicht verschwunden“, sagte er.

Nakita nickte und zeigte ihm ein Zimmer mit einem herrlichen Bett. Sie brachte ihm noch etwas zu essen, aber als sie zurückkehrte, lag er tief schlafend auf dem Bett, das Gewehr neben sich. Sie stellte das Essen auf den Nachttisch und ging nach unten.

In den Hügeln

Als Nakita am nächsten Morgen erwachte, war John bereits lange verschwunden. Er hatte noch vor der Dämmerung sein Pferd gesattelt und hatte die Straße, die aus dem Tal hinausführte eingeschlagen. Er würde in vier Tagen den versteckten Schatz erreichen, nehmen was sein Pferd tragen konnte und zurück zu seiner Schwester reiten.

Der Mond beschien den mit Kies bestreuten Weg, er ritt langsam. Sein Gesicht war noch ernster als sonst, er war in tiefes Nachdenken versunken.

Nach kaum einer Meile stieß er einen leisen Fluch aus, wendete das Pferd und ritt zurück. Er passierte das Farmhaus und ritt in die Hügel.

Erstes Tageslicht kam auf und in der Dämmerung fand John den Pfad hinauf zum Plateau. Er stieg ab und führte sein Pferd den schmalen Steig hinauf. Eine Stunde später erreichte er den kleinen Wald und fand, wie von Nakita versprochen, eine Blockhütte, aus guten Stämmen mit Handwerkskunst gebaut. Das Dach war dicht mit Moos bewachsen, zur Rechten plätscherte ein Gebirgsbach ins Tal. Er stieg ab, tätschelte das Pferd und führte es zum Bach. Er nahm ihm den Sattel ab und ging zur Hütte. Die Tür war nur mit einem einfachen Riegel verschlossen, drinnen, im Halbdunkel, erkannte er einen eisernen Ofen, eine Pritsche, einen Tisch und zwei Stühle. Er warf den Sattel mit den Taschen auf die Pritsche und lehnte das Gewehr neben die Tür. In den Satteltaschen fand er reichlich Proviant und lächelte dankbar, sogar Kaffee hatte ihm Nakita eingepackt.

An der hinteren Wand der Hütte fand er Regale mit Konserven und Werkzeug. Hier konnte es ein Mann eine lange Zeit aushalten.

Er verließ das Holzhaus wieder und erkundete die Umgebung. Man hatte eine herrliche Aussicht auf das Tal, er konnte das Farmhaus im Morgenlicht gut erkennen. Am Rand des Plateaus fielen die Felsen steil ab, der einzige Zugang war der schmale Pfad. Er war im Inneren immer noch Soldat und erkannte eine gut zu verteidigende Position, wenn er sie sah. John schätzte die Entfernung zur Farm auf 700 oder 800 Yard. Nachdenklich ging er zur Hütte zurück und holte das Gewehr.

Er stellte das Zielfernrohr auf x4 und blickte hindurch. Wieder musste er über die Kunstfertigkeit dieses Deutschen staunen. Er konnte nun sogar einzelne Fenster des Farmhauses erkennen. Viel zu weit für einen sicheren Schuss, aber er hatte gestern die Leistungsfähigkeit der Colt 1855 und des Zeiss Zielfernrohres kennengelernt.

Er sah den Jungen auf den Hof laufen, klein wie eine Ameise und musste lächeln. Er holte sich Wasser und Proviant und wartete. Die Sonne stieg höher und er spürte ihre Hitze auf dem Rücken. Sie würden kommen, Nakita verhören und dann weiterreiten um ihn zu suchen, sagte er sich. Es war völlig sinnlos hier zu warten, er könnte schon weit weg sein. Aber er konnte nicht anders.

Er musste lange warten, bis in den frühen Nachmittag. Dann sah er sie, ein Trupp von vielleicht sieben oder acht Männern.

Sie ritten auf den Hof und sattelten ab.

Nakita kam aus dem Farmhaus und schien mit ihnen zu sprechen. Er konnte nicht genau erkennen, was geschah, aber plötzlich lag sie am Boden. Alarmiert presste er das Zielfernrohr noch fester ans Auge.

„Was zum Teufel…“, flüsterte er.

Der kleine Junge kam herbeigerannt und warf sich schützend auf seine Mutter. Einer der Männer trat ihn und John Tyler fühlte wilden Zorn in sich aufbranden. Er zielte hoch, atmete aus und drückte ab. Der Schuss hallte laut durchs Tal.

Die Männer unten duckten sich und suchten Deckung. Er nahm den Brunnen ins Visier und gab noch einen Schuss ab. Das Gewehr ruckte und einen langen Moment später sah er Staub am Brunnenrand aufwirbeln.

Einer der Männer erhob sich hinter dem Brunnen, rannte im Zickzack über den Hof und ergriff den Jungen. John sah, wie Nakita ihnen ins Haus folgte, dann verschwanden sie aus seiner Sicht. Die anderen Männer folgten dem Beispiel des ersten. John fluchte und rappelte sich auf. Das war ganz und gar nicht so gelaufen, wie er erhofft hatte.

Er rannte zur Hütte zurück, holte den Sattel warf ihn Pferd über und trieb es rücksichtslos den schmalen Weg hinunter. Das Pferd fand seinen Weg sicher und viel schneller, als er es gekonnt hätte. Unten angekommen, trieb er es in einen wilden Galopp. Von weitem schon hörte er Schreie. Es war Nakita.

Vor dem Farmhaus sprang er ab, bevor sein Pferd ganz zum Stehen gekommen war. Er zog beide Revolver und lief die Veranda hoch. Zuerst sah er in die Küche. Nur der Yankee mit verbundenem Arm war da und hielt eine Tasse Kaffee in der Hand.

Kühl sah er John in die Augen und sagte: „Oben. Beeilen sie sich. Das hier hat nichts mit dem Gesetz zu tun.“

John stürmte die Treppe hoch und fand den kleinen Morgan heulend auf den Stufen sitzen. Er ignorierte ihn und sah am oberen Ende zwei Männer stehen, jeder ein Glas Whisky in der Hand.

„Na, was glaubst du, wann sind wir dran bei der Indianerschlampe?“, sagte der eine gerade grinsend.

Dann schoss ihm John eine Kugel in den Kopf.

Der rote Nebel der Schlacht hatte ihn ergriffen. Nun gab es kein Zurück mehr.

Er tötete sie alle und es war einfach, denn die vier Männer waren alle in Nakitas Schlafzimmer. Als es erledigt war, schleifte er sie hinaus in den Dreck des Hofes. Dem Yankee warf er einen kurzen Blick zu, der ihn von der Veranda aus schweigend beobachtete, doch ihn ließ er leben.

„Ich werde ihr Zeuge sein“, sagte er und senkte den Blick. „Ich konnte sie nicht aufhalten. Sie waren betrunken und…“.

Die Stimme des sonst so kühlen Yankee brach.

„Ich werde Zeuge sein“, wiederholte er.

John Tyler nickte.

„Wird das reichen?“, fragte er?

Der Yankee sah ihm in die Augen. „Ich bin der Sohn des Senators“, antwortete er.

„Meine Stimme hat dort Gewicht, wo Recht und Gesetz herrschen. Und das Recht wird kommen, dafür werden mein Vater und ich sorgen“, fuhr er fort.

John schüttelte verwundert den Kopf.

„Ihr Vater schickt sie als Steuereintreiber ins Land?“, fragte er.

„Das war meine eigene Entscheidung und er hat sie für gut gefunden. Er sagte immer, man sollte die Leute kennen lernen, für die man Verantwortung hat. Ich denke, das ist eine gute Idee. Eigentlich bin ich Anwalt“, antwortete der Yankee und John Tyler erkannte auch einen Politiker, wenn er einen sah.

Aber dieser hier hatte wenigstens Schneid.

Er rechte dem Yankee die Hand.

Der grinste und hob seine Rechte, die in einer Schlinge ruhte. Trotz seiner offenkundigen Schmerzen ergriff er Johns Hand.

„Glatter Durchschuss“, sagte er.

„Ich weiß“, erwiderte John.

Der Yankee sah auf die Leichen, die vor ihnen am Boden lagen.

„Ich werde tun, was ich kann, aber vielleicht sind einige Leute in der Stadt etwas … aufgeregt. Vielleicht sollten sie vorrübergehend etwas Abstand halten“, meinte er trocken.

„Das habe ich vor“, antwortete John.

„Gut“, sagte der Yankee und wandte sich ab.

Er erklomm mühsam sein Pferd.

„Warten sie!“, rief ihm John nach.

„Wie ist ihr Name?“

„Ich bin Harry A. Conant“, sagte der Yankee und ritt davon.

John ging zurück ins Haus und tröstete Morgan, so gut er konnte. Dann betrat er Nakitas Schlafzimmer. Sie hatte sich in Decken gehüllt und sah schrecklich aus. Das Gesicht blutig geschlagen, ein Auge zugeschwollen. Er sagte nichts, hielt ihre Hand und ließ sie weinen.

Er roch das Blut, das er vergossen hatte und die Szenen des Kampfes blitzten vor seinem inneren Auge auf. So war es immer gewesen, im Kampf war er immer ruhig, dafür hatten ihn seine Kameraden bewundert.

Doch sie wussten nichts von den Bildern, die ihn danach verfolgten. Und es dauerte immer länger, sie zu verdrängen.

Irgendwann schlief sie ein und John ging. Er konnte nicht bleiben, trotz der guten Worte von Harry Conant, den er für einen guten Mann hielt.

„Geht es Mama gut?“, fragte ihn Morgan, der vor dem Zimmer gewartet hatte.

„Sie wird gesund werden“, sagte John hörte selbst den Zweifel in seinen Worten.

„Sind die schlechten Männer tot?“, fragte Morgan.

„Ja. Sie sind alle tot. Sie können euch nichts mehr tun. Hör zu Morgan. Du musst dich jetzt gut um deine Mutter kümmern, du und Pepe müsst jetzt für sie da sein, denn ich muss weg gehen“, sagte John.

Morgan begann zu zittern.

„Aber ich werde wieder kommen, das verspreche ich dir“, sagte er. „In zehn Tagen bin ich wieder hier und dann will ich, dass du mich beim Schach schlägst.“

Morgan nickte tapfer.

„Wir werden auf dich warten“, sagte er.

John drücke ihm die Schulter und machte sich auf den Weg, fort von seinem letzten Schlachtfeld, metallischen Geruch von Blut noch im Mund. Er musste und fliehen, und ein Schatz wartete auf ihn, den er brauchte, um die Farm seiner Eltern zu retten und vielleicht auch die Farm von Nakita und ihrem Sohn. Und er wusste, dass es falsch war, aber er fühlte sich zu Hause. Es war Krieg und den Krieg kannte er.

Ende Teil 1

Fortsetzung:

John Tyler und der Schatz des letzten Aufgebotes

John verließ das Tal, so schnell ihn sein Pferd trug. Und die paar Tage Ruhe, mit gutem Futter hatten den Gaul in einen kräftigen Braunen verwandelt.

Nachdem er das Tal verlassen hatte, nahm er den nordwestlichen Pfad in die Berge. Hier verließ er das fruchtbare Delta. Jetzt kam die Wüste.

Er ritt bis tief in den Abend hinein, bis die Sicht wirklich zu schlecht war und führte dann sein Pferd abseits an einen Felsüberhang. Er gab ihm Wasser, mehr hatte er nicht, es musste sich mit den kargen Gräsern, die hier wuchsen, begnügen.

John sammelte Feuerholz, trockene Zweige und machte sich ein Feuer. Er starrte in die Flammen und jetzt kamen die Bilder, die er im Rausch der Schlacht nie wirklich sah; es waren Schemen, die Gesichter bekamen, nicht mehr unpersönliche Feinde, Nichtmenschen.

Einige Kameraden hatten ihn für unverwüstlich gehalten, andere für kalt.

Sie wussten nicht, dass er sich an alles erinnerte, an jedes Bild, an jenes aufgerissene Maul des rotblonden Mannes, der auf Nakita gelegen hatte und dem er die Kugel genau zwischen die Zähne gejagt hatte. Die beiden die sie hielten, die Revolver brüllten in seinen Händen und die Kugeln zerfetzten sie, ihre Schreie, ihre Gesichter, ihre Augen. Es waren die Augen, die ihn verfolgten, sie sahen ihn und jene denen er den Tod brachte.

Dann waren die Revolver leer geschossen, den letzten, der links neben der Tür mit heruntergelassenen Hosen dastand, erschlug er mit den Griffen der Revolver, bis von seinem Gesicht nur mehr eine gestaltlose, blutige Masse übrigblieb. Schließlich war da nur mehr Pulverdampf, dem Kupfergeruch des Blutes und Tod und Nakita, die im Bett ihre Knie umfasste und weinte. Draußen hörte er den Jungen schreien.

Das alles sah er in den Flammen des Feuers und erlebte es wieder und wieder. Aber seine Hände blieben ruhig. John hatte Veteranen gesehen, schlachterprobte Kämpfer, die irgendwann zerbrochen wurden. Die Hände zitterten, sie konnten nicht mehr schlafen und wenn, erwachten sie schreiend. Und er hatte die Killer gesehen, so furchtlos wie hemmungslos, wie sie Menschen getötet hatten, egal ob Bauer oder Soldat, Vieh oder Kind. Er wusste, zu welcher Sorte er gehörte, aber es gefiel ihm nicht. Wenigstens das noch.

Er musste essen, soviel er konnte, in den nächsten Tagen würde er nicht viel dazu kommen.

John holte seine Vorräte aus den Satteltaschen, schnitt Zwiebeln und Speck, briet sie in seiner großen Pfanne und gab Bohnen und Wasser dazu. Am Horizont war der letzte rote Streifen, als er schließlich aß.

Dann schlief er, und im Traum war er zu langsam, einmal erwischte ihn einer der Wachen vor dem Schlafzimmer, einmal versagte seine Waffe. Aber auch im Traum starb er nicht und das hielt er für ein gutes Zeichen. Aber er sah sich auch, wie er die Leichen in den Hof schleifte und dabei hatte er ein Grinsen im Gesicht.

Beim ersten Morgenlicht packte er seine Sachen und ritt weiter.

Er ritt eine Straße entlang, die so unendlich wirkte, als führte sie über den Horizont hinaus.

In weiter Ferne sah er einige Felsformationen, das war sein Ziel. Der Braune, auf dem er ritt, schien das ebenfalls zu spüren, er bockte nicht und hielt stoisch sein Tempo. Er würde ihn „Assassin“ nennen, Attentäter, wenn sie beide das überstanden. Weil er sich so geschickt als kaputter Gaul getarnt hatte.

Am Abend des vierten Tages sah er die Lagerfeuer seiner Verfolger, als schwachen Schein, weit hinter ihm. Er hatte einen Tagesritt Vorsprung, das sollte reichen, um sein Ziel zu finden und einen Teil des Goldes mitzunehmen, dachte er. Danach würde er einen Bogen schlagen und zurückreiten. Er kannte diese Sorte, dieses Aufgebot von erbosten Bürgern, junge Burschen ohne Erfahrung und ohne Ausdauer. Keine Mannschaft, die ihr Geld wert war, würde sein Lagerfeuer auf der Kuppe eines Hügels entzünden. Das war bequem, aber dumm. Sie würden vielleicht Whisky trinken und später aufbrechen als er.

Etwas ruhiger gab er dem Pferd noch einmal Wasser und legte sich zum Schlafen.

Die Träume waren wieder da, das Maschinengewehr, das seine Soldaten niedermähte. Der kleine Junge, wie er weinend auf der Treppe saß. Der rotblonde Mann mit dem aufgerissenen Mund, bevor er ihm das letzte Grinsen aus dem Schädel schoss und wie er den Kopf des letzten Gegners mit dem Revolvergriff einschlug. Sogar ihm Traum merkte er, wie die Bilder schwächer wurden und wie er sie aus einer unbeteiligten Distanz betrachten konnte. Wie es nach jeder Schlacht gewesen war, bis jetzt. Er fürchtete nur, dass er nicht mehr zurückkehren konnte aus dem Rausch des Kampfes, wo nichts zählte, außer dem unmittelbaren Überleben. In diesen Momenten war er kein Mensch, er war ein Monster, eine Maschine, die tat, was getan werden musste, ohne Zögern, ohne Gnade.

Einmal würde er nicht mehr zurückkommen können, dann hatte er den letzten Rest seiner Menschlichkeit verloren. Aber jetzt war es noch nicht soweit.

Er erwachte im ersten Morgengrauen, sattelte das Pferd, das ihn munter und frisch erwartete und ritt los.

Er erreichte sein Ziel früher, als er erwartet hatte, eine Felsformation aus spitzen Steinnadeln, die in einem Tal in die Höhe ragte.

Es war genauso, wie es ihm berichtet worden war, er hatte die Zeichnung in sein Gedächtnis gebrannt.

Am Fuß einer der Felsnadeln band er „Gauner“ lose an einen Busch. „Attentäter“ war kein guter Name für ein Pferd, hatte er beschlossen. Er nahm ihm die Satteltaschen ab, hängte sie sich über die Schulter und nahm nach kurzem Überlegen auch das Gewehr mit, obwohl es ihn bei der Kletterei, die ihm bevorstand, behindern würde.

Er glaubte einen schmalen Pfad zu erkennen und machte sich auf den Weg. Die Wand aus gelbem Sandstein schien fast senkrecht in die Höhe zu Ragen, aber das war eine Täuschung. Der Pfad war steil und steinig, aber es war nicht die unüberwindbare Wand für die man diese Felsen hallten musste, wenn man sie zum ersten Mal sah. Bald musste er die Hände zu Hilfe nehmen und schließlich kletterte er auf über einen schmalen Felsvorsprung die letzten Meter bis zu einer kleinen Plattform. Er zog sich darüber und verschnaufte. Er lag auf einem Felsvorsprung, ziemlich eben und trocken. 10 Meter hinter ihm sah er den Eingang einer Höhle. Direkt in der Wand befand sich der Eingang und die Vormittagssonne leuchte weit hinein. Er konnte Felszeichnungen erkennen, Büffel und Männer mit Speeren, die sie jagten. Bilder von schlangenartigen Wesen, mit riesigen Mäulern.

Er legte die Satteltaschen und das Gewehr ab, bückte sich und betrat die Höhle.

Nach wenigen Metern stieß er auf eine scheinbar solide Felswand. Ratlos tastete er sie ab, nirgends ein Spalt, keine Öffnung nur diese Felszeichnungen der Indianer. Nur eine Kriegsgeschichte fürs Lagerfeuer?

John glaubte es nicht, die Männer die diese Geschichte erzählt hatten, waren ihm durch den schlimmsten Feuersturm gefolgt. Danach hatte Aufschneidereien keinen Platz mehr.

Er setzte sich nieder, nahm eine Handvoll Erde hoch und warf sie an die Wand. Die Erde war feucht, ungewöhnlich für die Wüste und er betrachtete den Boden unter seinen Füßen. Das war kein Fels. Tyler holte sein Messer hervor und begann in dem lockeren Boden vor ihm zu graben. Er fand schließlich zwei Kisten, kaum einen halben Meter tief vergraben. Beide waren randvoll mit Goldbarren. Mit diesem Gold hätte der Krieg vielleicht noch gewonnen werden können.

Die Barren waren schwer, viel schwerer, als er erwartet hatte. Er holte die Satteltaschen und packte vier Barren ein. Dann verschloss er die Kisten und vergrub sie wieder.

Als er die Höhle verließ hörte er Stimmen und verharrte.

„Sein Gaul ist hier, also muss er auch irgendwo sein“, sagte eine Stimme, die er erkannte. Frank, der ihn hatte berauben wollte und dessen Hütte er niedergebrannt hatte. Manche Leute sollte man eben nicht leben lassen.

Tyler ließ die Satteltaschen fallen, legte sich hin und kroch zu seinem Gewehr.

Vorsichtig robbte er zum Rand des Plateaus, schob den Lauf der Colt 1855 über den Rand und sah durch das Zielfernrohr. 100 Yard entfernt, sah er Frank und noch vier andere Männer auf ihren Pferden sitzen. Gewöhnliche junge Männer, sie hätten vielleicht Kameraden von ihm sein können, sie hätten im selben Dreck liegen können. Tyler spannte den Hahn des Gewehres. Er könnte sie jetzt abknallen wie die Hasen, sie hätten nicht die geringste Chance. War er im Recht? Sie jagten ihn, über Tage und Nächte hinweg hatte ihr Lagerfeuer immer nur ein paar Stunden hinter ihm gebrannt.

John hatte sie jeden Abend gesehen.

Er nahm die rote Mähne von Frank ins Fadenkreuz. Auf diese Entfernung war sein Gewehr absolut präzise. Er zögerte und wartete ab, vielleicht entdeckten sie ihn nicht. Dann ertönte plötzlich ein lauter Pfiff und er hob den Kopf. Die Kugel der Sharp Rifle durchschlug deshalb nicht seine Stirn, sondern riss ihm nur das linke Ohr ab. Rasch robbte er in den Schatten des Höhleneingangs zurück. Das Blut rann seinen Hals hinunter und durchtränkte sein Hemd.

Sie haben einen Scharfschützen, dachte John benommen. Und der hatte ihn entdeckt. Wahrscheinlich das Funkeln des Zielfernrohres.

Tyler riss sich das Halstuch herunter und drückte es auf das Ohr. Dann kroch er noch ein paar Meter weiter in die Schatten. Eine weitere schwere Kugel schlug in die Wand rechts neben ihn ein. Tyler stelle das Visier auf 4x und begann zu suchen. Er hörte die Stimmen von unten, Felsen, die sich lösten. Sie würden heraufkommen. Er wartete und suchte die Umgebung ab. In diesem Moment existierte nichts außer ihm und sein Auge, sein langsamer Atem und der Finger am Abzug. Schließlich fiel ein Sonnenstrahl auf Glas, brachte es zum Blitzen und er fand sein Ziel. Er schätzte die Entfernung auf 250 Yard, er konnte sein Ziel in der Optik noch gut erkennen. Kein Wind. John spürte nur kalte Gelassenheit und drückte ab. Die Colt ruckte und er sah den blutigen Nebel.

Tyler robbte wieder nach vorne. In der felsigen Wüste gab es nur wenig Deckung. Nun gab es nur mehr ihn und den Rausch der Schlacht. Einen erwischte Tyler, als er auf sein Pferd springen wollte. Ein Schuss auf 100 Yards, das Pferd schleifte den toten Reiter noch einige Meter weiter. Dann beobachtete er weiter. Er stelle das das Visier auf 2 x, er schätzte sie waren innerhalb 50 Yard. Er sah eine Bewegung, ein Busch, dessen Zweige sich bogen. Er wartete ab, bis sich der Kopf knapp daneben zeigte und drückte ab. Er konnte den Kopf des Mannes im Visier genau erkennen und das obere Drittel der Stirn, das sich in Blut und Knochen auflöste. Der Dritte überraschte ihn fast, der tollkühne Bastard war hochgeklettert und wollte ihn mit dem Revolver erledigen. Tyler hörte ihn gerade noch rechtzeitig, wie sich ein loser Stein unter den Stiefeln des Mannes löste. Er hätte ihn viel früher bemerken müssen, aber er war fast taub von seinen eigenen Schüssen.

John sah die Arme neben ihm auftauchen, nach Halt greifend, wälzte sich auf die Seite und zog seinen linken Revolver. Als der Kopf auftauchte, schickte ihn das schwere Blei wieder den Abgrund hinunter.

Nun war nur noch Frank übrig.

Tyler robbte wieder nach vorne und suchte wieder mit dem Zielfernrohr die Umgebung ab.

Nichts bewegte sich, nur sein Pferd knabberte an ein paar Halmen. Sein Halstuch war inzwischen getränkt mit Blut, aber es schien nicht noch schlimmer zu werden.

Er wartete und beobachtete. Die Sonne brannte inzwischen erbarmungslos auf die Lebenden und die Toten.

Derr Marsch

Tyler musste eingeschlafen sein, obwohl er das für unmöglich gehalten hätte. Sein linkes Ohr schien eine glühende Kugel zu sein, die sich in seinen Schädel bohrte. Das Wiehern von Gauner weckte ihn. Er hob das Gewehr und suchte viel zu lange, bis er Frank fand, der auf seinem Pferd davonritt. Gauner wehrte sich und schlug aus, aber Frank zwang ihn zum Galopp. Mit zittrigen Händen lud Tyler durch, seine Sicht war verschwommen. Er konnte Frank nicht entkommen lassen. Er drückte ab und wusste, dass er getroffen hatte. Er packte das Gewehr und die Satteltaschen und zog sich in den Schatten der Höhle zurück.

Die Temperaturen stiegen draußen über 40 Grad, in der Höhle blieb es aber erstaunlich kühl. Tyler fiel in einen Zustand zwischen Schlaf und Bewusstlosigkeit.

John erwachte aus Alpträumen mit entsetzlichen Kopfschmerzen am frühen Abend. Er fühlte sich schwach und vermutete, dass er Fieber hatte. Die Kopfwunde hatte sich wohl entzündet.

Er trank einige Schlucke Wasser, und zwang sich, etwas zu essen. Inzwischen stank der Schinken von Frank. So verlockend es auch war, in der kühlen Höhle zu bleiben, er musste aufbrechen. Sein Wasserschlauch war kaum noch halbvoll.

Er trat hinaus in die beginnende Abenddämmerung, hängte sich die Colt über die Schulter und warf die Satteltaschen den Abhang hinunter. Das Gold wog schwer, aber er war entschlossen, nicht mit leeren Händen zurückzukehren.

Langsam kletterte er die Felsen hinunter, ein Absturz und ein gebrochenes Bein war das letzte, das er jetzt gebrauchen konnte.

Unten angekommen, musste Tyler abwarten bis der Schwindelanfall abgeklungen war, dann nahm er das Gewehr von der Schulter und suchte mit dem Zielfernrohr nach den Pferden seiner Verfolger. Schließlich senkte er die Colt und gab auf. Durch den Lärm des Feuergefechtes erschreckt hatten die Tiere die Flucht ergriffen und waren wahrscheinlich auf dem Weg zurück in ihre Ställe.

Er hob die Satteltaschen auf, legte sie sich um die Schultern und marschierte los.

Nach einigen hundert Yard fand er Gauner und, so schrecklich es war, er lebte noch. Die Kugel aus seiner Colt hatte ihn in den Leib getroffen, er sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an, mit Schaum vor dem Maul.

„Tut mir leid, alter Junge“, flüsterte John. „Ich konnte ihn nicht fliehen lassen und ich war nicht gut genug um ihn selbst zu treffen.“ Dann holte er sein Messer hervor und beendete das Leiden des Tieres.

Er musste Frank einholen, sonst wäre alles umsonst gewesen, Gauner wäre für nichts gestorben. Tyler ignorierte die rasenden Kopfschmerzen, die Schwäche in seinen Beinen und begann seinen Marsch.

Er schaffte vor Einbruch der Dunkelheit nur wenige Meilen, doch der Mond schien hell genug und er konnte sich an den Sternen orientieren. Sein Kopf dröhnte noch immer, die Wunde pochte, aber das Fieber schien ein wenig gesunken zu sein. Es war nicht wichtig. Wenn nötig, würde er auf allen Vieren durch die Wüste kriechen um Frank einzuholen. Am Vormittag des nächsten Tages fand er einen leeren Wasserschlauch und lächelte. Er konnte auch Spuren im Sand erkennen und kniete sich nieder. Nachdenklich betrachtete er die Abdrücke. Der Mann, der diese Spuren hinterlassen hatte, zog ein Bein nach.

Langsam erhob er sich und spürte das Gewicht des Goldes in den Satteltaschen. Er track einen Schluck Wasser und rückte seine Last zurecht. Es würde nicht mehr lange dauern. Frank gehörte ihm.

Am Nachmittag spürte er, dass Frank ihm im Nacken saß. Tyler suchte sich Schatten bei einem der hoch aufragenden Felsen, aß Franks stinkenden Schinken und trank sein letztes Wasser. Dann überdauerte er die größte Hitze; gegen vier Uhr brach er auf.

Tyler holte Frank kurz vor Einbruch der Dunkelheit ein. Er hätte ihn beinahe nicht bemerkt, Frank lag ohnmächtig hinter einem dürren Kaktus, nahe der Straße. John lächelte mit ausgetrockneten Lippen. Die Wüste hatte ihre eigenen Regeln, und man sollte sie kennen. Man legte sich nicht so einfach in der Hitze der Wüste in einen Hinterhalt.

Tyler sah das Blitzen von Metall in den Strahlen der untergehenden Sonne, das hatte Frank und ein Versteck verraten. Geduckt schlich er mit dem Revolver in der Hand durch die kargen Sträucher. John fand den ausgemergelten Körper von Frank, der regungslos hinter einem Kaktus lag. Er nahm ihm den Revolver aus der schlaffen Hand und schleifte den Bewusstlosen in den Schatten des nächsten Felsens. Tyler hatte selbst kaum mehr Wasser, wusste aber, dass er noch mindestens einen Tag durchhalten konnte. Für Frank, den mindestens ein schwerer Sonnenstich erwischt hatte, galt das nicht.

John konnte ihm kein Wasser geben, das Einzige, was er tun konnte, war Frank beim Sterben zuzusehen.

Frank erwachte, als die Kälte der nächtlichen Wüste kam.

„Das verbrannte Land! Der Jäger!“, rief er im Delirium. Dann verlor er wieder das Bewusstsein.

John ignorierte ihn.

„Wasser! Bitte!“, flüsterte Frank einmal in einem klaren Moment.

„Nein“, sagte Tyler und beobachtete ihn aufmerksam. In seinem Schlauch war noch ein Schluck Wasser, aber das brauche er für sich. Er hob den Schlauch und ließ den warmen, schalen Schluck in seine Kehle laufen. Dann lehnte er sich an die Felswand und hoffte, dass der Schlaf nicht kommen würde, denn dann würden die Bilder kommen und dieser rote Nebel, in den sich der Kopf des Scharfschützen aufgelöst hatte. Er wusste, er sollte träumen und die Gesichter und den roten Nebel sehen, denn das hielt ihn zurück vom letzten Schritt: Eine Bestie des Krieges zu werden.

„Der Tod, aber nicht für dich“, flüsterte Frank irgendwann nach Mitternacht und starb. John Tyler hörte es nicht, er schlief tief und fest und hatte keine Träume. Am nächsten Morgen erwachte er ausgeruhter, als er erhofft hatte. Er stand auf, betrachtete die Leiche und drehte ihn dann mit dem Stiefel auf den Bauch. Er wollte das Gesicht von Frank nicht mehr sehen.

Tyler ging noch einmal zurück zu dem Kaktus hinter dem Frank auf ihn gewartet hatte. Frank hatte sich eine Mulde in den Sand gegraben, eigentlich eine gute Idee, wenn man unentdeckt bleiben wollte. In der Wüste, in der prallen Sonne, konnte die Hitze in der Mulde nicht mehr entweichen. Frank hatte sich selbst gekocht. In einem Gebüsch weiter hinten hingen vier Wasserschläuche im Schatten.

John prüfte sie und einer war noch voll. Der Rest warmen, schalen Wassers aus einem anderen trank er sofort.

Frank hatte es nicht zurück zum Wasser geschafft. Tyler grinste. Was für ein Idiot.

Tyler ging zurück zu dem Felsen, unter dem er geschlafen hatte.

Er hockte sich neben die Leiche von Frank und betrachtete ihn nachdenklich.

„Man legt sich nicht einfach in der Wüste in eine Mulde, Idiot“, murmelte er. „Die Hitze kann nicht entweichen und der Wind kann nicht kühlen. Frank, ich bin enttäuscht“, fügte er hinzu und öffnete die Satteltaschen. Er holte ein Stück Schinken hervor, roch daran und verzog das Gesicht. Trotzdem aß er hungrig.

„Siehst du Frank? Ich esse deinen Schinken. Ich sehe das als Ehre an. Ich esse deinen Schinken für dich“, sagte er zwischen zwei Bissen.

„Es ist ein wenig so, als würde ich dich essen, Frank. Anscheinend gibt es Indianer, die glauben die Stärke des Feindes ginge auf sie über, wenn sie sein Herz äßen. Oder die Leber, wie auch immer“, überlegte Tyler nachdenklich.

Er hob den Wasserschlauch und spülte den salzigen Schinken mit warmem Wasser hinunter.

Die Nahrung und das Wasser gaben ihm Kraft und Energie zurück. Die Kopfschmerzen waren verschwunden. Tyler hockte sich neben die Leiche und tätschelte die steife Schulter.

„Nach jeder Schlacht bin ich erstaunlich gut gelaunt, so wie jetzt, Frank. Ein Gefühl, als würde man auf Wolken schweben. Irgendwann hört das auf und dann kommen hoffentlich die Träume, das biegt mich wieder zurecht“, sagte John und schaute in den Himmel. Er sollte bald aufbrechen, bevor die Hitze zu groß wurde.

Tyler pullte sich ein Stück Schinken aus den Zähnen und wischte sich die Finger an Franks Jacke ab.

„Zwischen den Träumen bin ich wirklich kein netter Kerl. Ich denke, das ist mein Schlachtenmodus, in den ich schalte, wenn ich muss, wenn in der Luft das Blei singt. Wenn die Pferde neben dir ihre Eingeweide davonziehen. Der Kamerad einfach tot ist, mit dem du am Abend zuvor Karten gespielt hast“, flüsterte er.

Dann klatschte er in die Hände und sagte ernst: „Aber das ist auch die Zeit, wo du Eins mit allem wirst. Du verwandelst dich in etwas anderes, ich bin dann nicht mehr John Tyler, ich bin dann ein etwas anderes.“

Er tätschelte Franks Schulter.

„Ich bin dann etwas, mit dem sich am besten keiner anlegen sollte“, murmelte er und erhob sich.

„Ich habe einmal einem Soldaten in den Bauch geschossen und er flehte mich an ihn zu erlösen“, sagte er und sah auf die Leiche von Frank hinunter.

„Nun, er schrie sehr laut und ich legte mich in einen Hinterhalt und erschoss die Leute, die ihn retten wollten. Es hat mir nicht leidgetan.“

Tyler nahm die schweren Satteltaschen mit dem Gold und sein Gewehr auf. Bevor er ging, trat er noch einmal mit dem Stiefel gegen die steifen Körper.

„Bis jetzt ist John Tyler immer zurückgekommen, nach den Träumen“, sagte er ernst zu Frank. „Aber ich rede mit einer Leiche, und das ist kein gutes Zeichen, glaube ich.“

Zurück nach Wedrock

John Tyler wanderte, bis die Hitze zu groß wurde und verschlief die Mittagsglut. Ein Tagesmarsch, vielleicht zwei, dann war er in Wedrock. Er marschierte bis in die Nacht hinein und dann sah er den Feuerschein am Abendhimmel leuchten.

Auf dem Rückweg lag die Farm von Nakita. John trank den letzten Schluck Wasser und ging los. In tiefster Nacht umging er den Hügelkamm und stieg von der Kuppe hinab in die Lichtung in der die Hütte stand. Der Mond leuchtete ihm gut, aber sobald er den Hain betreten hatte, in dem die Hütte stand, sah er die Hand vor Augen kaum. Dann bemerkte er ein schwaches Flackern und marschierte darauf zu. Er sah es nicht wieder, aber behielt die Richtung bei.

Er fand die Hütte und wäre doch beinahe vorbeigelaufen. Nur die stärkere Dichte der Schatten hatte sie verraten.

Er stellte sich wieder vors Fenster, wie damals bei Frank und sagte: „Hier ist John Tyler. Ich bin allein.“

Einen Augenblick später sah er den Schein des Feuers, der durch die Scheibe drang. Dann öffnete sich die Tür.

Nakita stand da, abgemagert und verhärmt und hinter ihren Beinen versteckte sich der kleine Morgan.

John fühlte die Erleichterung so stark, es nahm ihm die letzte Kraft aus den Beinen.

Er brach auf der Schwelle der Hütte zusammen und erwachte erst wieder, als er kühles Wasser an seinen Lippen spürte. Nakita schleppte ihn irgendwie in die Hütte, hievte ihn aufs Bett und pflegte seine Wunden. Sie zwang ihn das Wasser langsam zu trinken, obwohl er schrecklich aussah. Abgemagert, die Lippen blutig gesprungen, einen seltsamen Blick in den Augen. Sie entfernte vorsichtig den Verband von seinem Ohr und seufzte erleichtert. Der Rest des Ohres war geschwollen, aber schon in Heilung begriffen. Dann sah er nichts mehr. Er schlief und träumte. John sah die Leichen, er sah den roten Nebel, aber von Frank träumte er nicht.

Nakita flößte ihm Wasser ein, aber davon erwachte er nicht.

John Tyler erwachte erst, als die Farm brannte. Es war tiefste Nacht, er musste mehr als 10 Stunden geschlafen haben. Mit einem Ruck erhob er sich und lief aus der Hütte. Er sah den Abglanz der Flammen, wie er ihn oft ihm Krieg gesehen hatte und ging auf Nakita zu, die vor der Hütte stand und ihre Hände zum Mund erhoben hatte.

Nakita bemerkte ihn, drehte sich um und schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht.

Überrascht taumelte er zurück.

Hinter sich hörte er den Jungen weinen.

„Sieh dir an, was du angerichtet hast!“, rief sie, packte ihn am Ärmel seines Hemdes und zerrte ihn hinter sich her.

Mit schlafwandlerischer Sicherheit führte sie ihn im Dunkel zum Rand des Plateaus. Der kleine Morgan blieb weinend zurück.

Dort unten brannten die Felder, die Häuser der Farm, die Ställe.

„Das haben sie uns angetan, nur weil du hier aufgetaucht bist! Alles was du anfasst wird zerstört“, schluchzte sie und boxte ihm an die Brust.

„Ich wollte nur das Beste, das, was ich für richtig hielt“, flüsterte er.

„Das macht es nur noch schlimmer“, antwortete Nakita traurig und nahm seine Hände in ihre. „Gute Menschen versuchen gute Sachen und alles wendet sich gegen sie. Weil die Bösen stärker sind. Weil der Hass so groß ist“, sagte sie. Er konnte ihr Gesicht in der Dunkelheit kaum erkennen, nur die niedergebrannten Farmhäuser flackerten auf ihrer Wange.

„Wenn das Schlechte immer gewinnen würde, dann sollten wir alle untergehen“, antwortete er. „Und vielleicht tun wir das gerade. Aber man kann das auf verschiedene Weise tun“, fügte er hinzu.

Sie nahm ihn an der Hand und führte ihn durch die Dunkelheit in die Hütte. Drinnen flackerte nur ein schwaches Feuer im Kamin. Sie zündete eine Coleman Lampe an und erschrak, als das Licht seine Schatten warf.

Nakita sah sein Gesicht, das nur annähernd dem John Tyler ähnelte, den sie vor ein paar Tagen kennen gelernt hatte. Es war eine Maske und das Lächeln, das er versuchte machte alles nur noch schlimmer.

Blut bedeckte die eine Seite seines Gesichts, zu einer trockenen Schicht verklebt.

Das rechte Ohr fehlte fast vollständig. Er stank wie verbrannte Hundehaare. Aber das schlimmste waren seine Augen. Diese hellblauen, fast weißen Augen hatten jeden Fokus verloren, auch wenn sie direkt auf sie gerichtet waren. John Tyler hatte den tausend Yard Blick. Jeder Veteran erkannte ihn bei einem Kameraden, Männer, die zu viel gesehen hatten Er sah Nakita und den kleinen Morgan und sah sie doch nicht. John sah in die Hölle aber er fürchtete sie nicht mehr.

Er redete mit Nakita, lange nachdem der kleine Morgan nach oben ins Bett geschickt wurde. Er erzählte ihr, was er getan hatte.

„Du kannst nichts dafür, John“, sagte sie dann nachdenklich, „Aber du bringst Unheil.“

„Es wird besser werden, es muss besser werden“, antwortete er und hatte vor Augen wie er mit dem toten Frank sprach.

„Ich habe das Gold, damit werde ich unsere alte Ranch zurückkaufen. Es wird wieder sein wie früher“, sagte er und seine Augen beobachteten aufmerksam die Tür.

In dieser Nacht schlief er mit Nakita, aber es war ein Akt der Verzweiflung, nicht der Leidenschaft.

Sie weinte anschließend und John wagte nicht die Augen zu schließen. Denn heute würden diese Träume zu viel für ihn sein.

Er packte das Gold aus den Satteltaschen auf den Tisch, noch bevor es hell wurde.

Er versuchte, so leise wie möglich zu sein, doch Nakita erwachte.

„Du willst gehen, ohne Abschied?“, fragte sie, erhob sich vom Lager und bedeckte ihre Blöße mit dem Laken.

„Nein“, sagte John. „Ich sage dir meinen Abschied. Aber ich kann den Krieg riechen und er lockt mich.“

Nakita stand und ließ die Laken fallen. John sah sie in ihrer nackten Vollkommenheit und musste schlucken.

Dann wandte er sich ab und sagte: „Bring mir die restlichen Patronen für das Gewehr.“

Sie brachte ihm wortlos die Schachtel und fasste ihn bei den Händen.

„Du wolltest Morgan Schach beibringen“, flüsterte sie. „Komm zurück.“

„Ich werde es versuchen“, antwortete er.

Tyler hob das Gewehr auf, drehte sich um und verließ die Hütte. Er roch den Rauch der verbrannten Felder. Am Bach füllte er seinen Wasserschlauch, orientierte sich kurz und nahm dann den steilen Weg hinunter zu der niedergebrannten Farm. Aus dem Tal stiegen immer noch Rauchwolken empor.

Wieder marschierte er durch. Er aß nichts und trank wenig. Im Morgengrauen erreichte er Wedrock. Und er sah den Galgen.

Das Ende von Wedrock

John Tyler nahm das Gewehr von der Schulter, stellte das Fernrohr auf 4x und suchte den Galgen. Dort hangen eine Frau und ein Mann. Wie betäubt verließ er seine Position und ging näher. Nach weiteren hundert Yards, sah er wieder durch das Zielfernrohr. Nach weiteren hundert Yards noch einmal. Dann ließ er das Gewehr sinken und ging wie betäubt, bis er schließlich unter dem Galgen stand. Dort hing seine Schwester. Und der Yankee, der versprochen hatte, dass nun Recht und Gesetz herrschen würden, auch im Süden.

Der Sohn des Senators. Nichts zählte mehr hier, kein Gesetz, noch Schuld oder Unschuld.

John Tyler wusste jetzt, dass er nie mehr träumen würde. Die Leute die das getan hatten, gaben ihm den letzten kleinen Stoß und er fiel in den Abgrund aus dem es kein Zurück gab. Alles, was er anfasste zerfiel zu Staub. Dieser Ort würde zu Staub und Knochen zerfallen und er würde die Knochen mit seinen Absätzen zertreten.

Langsam erhob sich John und ging auf das erste Haus zu. Ein Fenster öffnete sich, und Tyler zog den Revolver wie er es immer getan hatte, hellwach und ausgeruht oder unter der Leiche seiner Schwester, wie ein Blitzschlag bei blauem Himmel. Das Fenster schloss sich sofort wieder.

John erhob die Stimme und rief: „Fünf Minuten! Frauen und Kinder und Alte können gehen.“

Dann sah er wieder auf die Leichen seiner Schwester und des Sohnes des Senators.

Er zog den zweiten Revolver ebenfalls und bleckte die Zähne. Er konnte in seinem Kopf hören und sehen, wie die Bewohner der Stadt gejohlt und gerufen hatten, als sie seine Schwester und den guten Yankee aufknüpften. Wie sie dagestanden hatten, die Mütter mit den Säuglingen an der Brust, wie sie zugesehen hatten, vielleicht nicht jubelnd, wie die Männer, sondern auf die Art wie es gut ist, wenn eine starke Frau wie seine Schwester scheitert, weil sich das gut anfühlt, sicher, ja sicher, und früher oder später wären ja dann doch wieder die Huren in den Saloon gekommen, die ihnen die Männer verrückt machten.

John Tyler hatte Pläne gehabt, die Farm, die er hatte zurückkaufen wollen, mit seiner Schwester und das Gefühl wollte er wieder haben, wenn die Ernte einfuhr, am Ende und trotz einer harten Trockenheit.

Es war alles so umsonst gewesen. Der Krieg hatte Tyler verlassen, aber er war ein eifersüchtiger Liebhaber. Flüchtig dachte er an Nakita und den kleinen Morgan, der so sehr einen Vater brauchte, dann verschwanden diese Gedanken sofort im Nebel des Krieges.

John wurde sehr klar und sehr aufmerksam, im Schatten der Leiche seiner gehängten Schwester. Nun gab es keine Fragen mehr. Und wenn, lieferte er alle Antworten. Tyler lächelte verkniffen. Es dämmerte bereits. Sie würden bald Licht brauchen.

Er sah Frauen mit Kindern davonlaufen, mit nichts am Leib als dem Nachthemd, die Kinder teilweise nackt und schreiend. Ein Schuss peitschte in seine Richtung. Tyler legte die Revolver in Reichweite, nahm das Gewehr von der Schulter und glitt zu Boden. Über ihm baumelten die Leichen seiner Schwester und des Yankees, der an die Vernunft und die Gerechtigkeit geglaubt hatte. Doch die Vernunft endet schnell und endgültig an der Schlinge.

Er stellte das Visier auf 2x und beobachte die Mainstreet vom Galgen aus. Die Sonne stand tief, die Schatten der im Wind sanft baumelnden Körper verbargen ihn.

Tyler sah einen Mann auftauchen, am Dach des Sheriffbüros, dann noch einen am Eingang des Saloons. Einer bewegte sich zwischen Stall und Tränke. John entsichert und spannte. Da war nichts außer kalter, klarer Wut. Ein Windstoß kam und brachte die Leiche seiner Schwester zum Schaukeln. Es gab keinen John Tyler mehr und er würde auch nie mehr zurückkommen.

„Lauft einfach, so schnell ihr könnt“, murmelte er, richtete das Fadenkreuz auf den Mann am Dach des Saloons, atmete aus und drückte ab. Und das wirkliche Töten begann.

Ende

John Tyler – Die Entlassung 01/22 – 03/22

Entlassung

John Tyler

Hinter John Tyler schlossen sich die Tore des Kriegsgefangenlagers und er hatte nicht mehr am Leib als seine alte graue Südstaatenuniform und ein gutes Paar Stiefel. Die Stiefel hatte er von Paul bekommen, als klar war, dass ihn die Tuberkulose kriegen würde.

Jake Reily, einer der Gefängniswärter der ihm in einer anderen Zeit ein Freund gewesen wäre, stand neben ihm.

„John, der Krieg ist jetzt vorbei. Wir hatten nie Probleme miteinander, aber ich denke, du könntest in Schwierigkeiten geraten, wenn du in die falsche Gegend kommst. Geh nordwärts. Unten im Süden, da wollen die Leute nicht gern daran erinnert werden, dass sie den Krieg verloren haben“, sagte Jake und reichte John seinen Revolvergurt.

John nahm ihn und schnallte ihn um, wie man einen Handschuh anzieht, oder eine gute alte Jacke bei kaltem Wetter.

„Die Waffen meines Vaters“, sagte er und deutete ungeduldig auf die leeren Holster.

Jake sah ihn lächelnd an und deutete auf das Pferd hinter ihm, einem braunem Pinto.

„Du bist offiziell entwaffnet und dir ist es auch verboten Waffen zu tragen, jedenfalls die nächsten Jahre. Was du in den Satteltaschen dieses erbärmlichen Kleppers findest ist deine Sache“, sage er und reichte John die Hand.

Die Sonne stand hoch am Himmel und John Tyler musste die Augen zu schmalen Schlitzen zusammenziehen. Er schlug ein und sagte: „Das wäre alles nicht nötig gewesen.“

Jake hob die Schultern. „Wir sind Soldaten.“

John ging zu dem Braunen und öffnete die Satteltaschen. In zwei öligen Lappen waren die 1860 Colt eingewickelt, die ihm sein Vater mit in den Krieg gegeben hatte. Die Griffstücke waren ersetzt durch feines Sandelholz, dunkel und schwer.

In einer weiteren Ledertasche fand er die Munition. Er nahm eine Handvoll Patronen heraus und wog sie in der Hand.

„Jake, du hast mich nie schlecht behandelt. Wir haben Schach gespielt und Poker“, sagte John und ließ die Trommeln beider Revolver aufklappen. Ohne hinzusehen bestückte er den rechten Revolver mit sechs Patronen, bedächtig und sorgfältig.

„Aber du hast mich eingesperrt, wie ein Tier in diesem großen Land und andere Wärter waren nicht so wie du, du weißt das“, sagte John, während er Jake in die Augen sah. John hatte seltsam helle Augen, wie Gletschereis blau und so hell, dass sie fast weiß wirkten. Er war blass, nach all den Jahren im Lager, er war die grelle Sonne von Louisana nicht mehr gewohnt. Geruhsam steckte er den geladenen Revolver in den rechten Holster.

Mit der anderen Hand lud er den zweiten Revolver, gleich sicher und bedächtig.

„Das ist jetzt für mich vorbei und für dich auch. Ich gehe nicht in den Norden. Da bin ich nicht daheim. Ich bin sehr lange gewandert. Ich will nach Hause gehen“, sagte John und schwang sich in den Sattel des Braunen. Er sah in die Ferne, die steilen Felsformationen der Sandhügel, die wie Zeigefinger in den blauen Himmel stachen.

„Ja, ich gehe heim“, flüsterte John. „Kommt mir nicht in die Quere.“

Jake hob die Hand, als der Braune davontrabte. Es war gut gewesen mit John Schach zu spielen oder sich mit ihm zu unterhalten. Sie hatten sogar ab – und zu ein Glas Whisky getrunken oder eine Zigarillo geraucht.

Aber immer hatte John eine Aura der Stille umgeben, ein Schutzpanzer, nie kam man ihm wirklich nahe. Und immer war Jake bewusst gewesen, dass man dem Verräter vom Rio Bravo niemals verzeihen würde. Nicht für die Männer die er getötet hatte für die Konfederation. Viele wollten seine Hinrichtung. Und noch weniger für den Verrat, den er begangen hatte um seine Truppe vor dem sicheren Tod zu bewahren. Das würde ihm der Süden niemals vergeben. Der Süden hatte tote Helden lieber als lebende Verräter, die dem Feind die Waffen vor die Füße geworfen hatten.

John Tyler ritt südwärts, durch die Wüste und versuchte sich und das Pferd im Schatten der Felsen zu halten. Trotzdem war der alte Klepper schon gegen Mittag erschöpft und John gab ihm die Hälfe des Wassers, das er in einem Lederschlauch mitführte. Er fand in der anderen Satteltasche etwas Trockenfleisch und kaute auf einem Stück herum, während er im Schatten eines Felsens lagerte. Sein Pferd knabberte an ein paar spärlichen Gräsern. Er hoffte, die Wüste in drei Tagen durchquert zu haben. Jetzt saß er, an einen Felsen gelehnt, und sah in die Weite, die ihm so gefehlt hatte in der Gefangenschaft. Obwohl er im Schatten saß, tränten ihm die Augen als sie sich an die neue Perspektive gewöhnten. Nach ein paar Minuten zog er sich den Hut in die Stirn und war bald danach eingeschlafen.

Er träumte vom Rio Bravo. 18 seiner 30 Mann starken Truppe waren bereits gefallen und fünf der restlichen 12 waren verletzt. Sie hatten keine Pferde mehr und auch keine Munition mehr, um die Pferde zu erlösen, die sich qualvoll am Boden wanden. Auf der anderen Seite des Flusses standen sicher hundert Yankees und, vor allem, ein Gatling Maschinengewehr, mit einer tauglichen Besetzung, dass seine Mannschaft völlig überrascht hatte.

Er kroch zu Hanson, dem Melder und nahm ihm das blutverklebte Horn aus den Händen.

Er blies hinein, einmal, zweimal, dreimal. Als Antwort hämmerte die Gatling eine weitere Garbe in ihre Richtung. Jeff Harrow, der sich hinter ein totes Pferd robben wollte, zuckte einmal auf und blieb dann liegen. Sie hatten keine Deckung. Er blies nochmal in das Horn und wieder und wieder.

John wachte auf, wie er es immer tat: Klar und aufmerksam.

Über ihm kreisten ein paar Geier und schrien ihren Totengruß. Es war Zeit aufzubrechen.

Er nahm selbst einen Schluck, dann gab er dem Pferd einen Teil seines letzten Wassers. John stieg auf, sah in die Sonne und lenkte das Pferd nach Süden.

Am Ende des dritten Tages wurde ihm bewusst, dass er sich verirrt haben musste. Inzwischen führte er das Pferd am Zügel hinter sich her. Er glaubte, an jedem Tag über 40 Meilen zurück gelegt zu haben, er hätte schon die Grenze zu Mexiko erreicht haben müssen. Seine Haut war inzwischen gerötet und die Lippen gesprungen. Er konnte noch einen Tag gehen, vielleicht zwei. Als die Schatten länger wurden, trank er den letzten Schluck Wasser. Er rastete nicht am Abend, sondern zog sein Pferd immer weiter, durch die vom Mond erhellte Landschaft aus Felsen und Sand.

John sah das Licht, und er glaubte einen Moment, seine Augen hatten ihn getäuscht, aber das Licht blieb, keine Meile mehr entfernt.

Das Pferd wieherte, als würde es ebenfalls bemerken, dass dort ihre Rettung war. John strich ihm über die Nüstern. „Vielleicht haben wir wirklich Glück, alter Junge“, murmelte er.

Es war eine alte Hütte, windschief und vom Sand poliert, aber ein Gemüsegarten umgab sie. Es musste Wasser geben.

John band das Pferd an einen Pfosten des Holzzaunes, öffnete das Gatter und ging die letzten Meter zur Tür. Er klopfte zwei Mal, dann stellte er sich vor das Fenster, aus dem das Licht drang.

Eine Gestalt erschien vorm Fenster, spähte hinaus, verschwand und kam wieder.

„Was willst du? Wer bist du?“, kam eine krächzende Stimme aus der Hütte.

„Ein Wanderer. Ich habe mich verirrt. Ich brauche Wasser für mich und mein Pferd. Und etwas zu essen. Ich habe vielleicht etwas zu tauschen“, sagte John ruhig und hob die Hände.

„Ha! Scheiß auf dich und das Pferd, auf dem du gekommen bist! Wer sagt mir, dass du nicht ein verdammter Yankee bist, der mir meine Farm wegnehmen will?“, schrie der Mann hinter dem Fenster.

John atmete durch.

„Ich bin kein Yankee“, sagte er. „Ich bin John Tyler.“

Der Schatten hinter dem Fenster verschwand. Dann hörte John wie ein Riegel gelöst wurde und die Tür schwang auf.

Ein Mann erschien in der Türöffnung, mit nacktem Oberkörper, so hager, dass man die Rippen sehen konnte. Wildes rotes Haar fiel ihm auf die Schultern.

„John Tyler. Ich dachte du wärst tot“, sagte der Mann, grinste und zeigte ein schiefes Lächeln.

„Nicht ganz“, antwortete Tyler.

Frank, der rothaarige Farmer, führte John zu einem Brunnen und holte für ihn und das Pferd Wasser herauf.

„Du kannst auch was zu essen haben, ich habe Bohnen und Mais. Hast du was zu tauschen?“, fragte er.

„Ich habe ein bisschen Tabak. Kein Geld“, sagte John und zuckte die Schultern.

Frank warf einen Blick auf die beiden Colts.

„Komm rein, komm rein, sei mein Gast.“

"In der Nacht wird es hier bitter kalt. Ich werde ein Feuer machen", meinte er.

Frank fachte die Glut an und gab eine Pfanne über den Rost in dem er Bohnen, Mais und sogar ein Stück Speck warf. Die Hütte war geräumiger, als es von außen aussah. Es gab die Feuerstelle, ein Bett, einen Tisch mit zwei Stühlen.

„Ich danke dir dafür, dass du mich aufnimmst“, sagte er und trank aus seinem frisch gefüllten Schlauch.

Der Rothaarige kicherte.

„Du hättest dir sowieso genommen, was du brauchst, oder?“, fragte er.

„Ja“, antwortete John.

„Dann ist es so besser“, sagte Frank und gab John einen Teller mit Bohneneintopf.

Anschließend holte Frank eine Flasche Whisky und goss ihnen die Blechbecher voll. John holte aus den Satteltaschen den Tabak und sie tranken und rauchten.

Sie unterhielten sich über den Krieg und was jetzt werden würde. Aber niemand wusste, was jetzt kommen konnte. Frank berichtete von ehemaligen Sklaven, die Farmen anzündeten. John zuckte mit den Schultern: „Was haben sich die Leute erwartet? Manche haben ihre Sklaven gut behandelt, andere nicht.“

„Eure Familie besaß ja auch eine Farm, hattet ihr Sklaven?“, fragte Frank.

John zog die Augen zusammen. „Du stellst viele Fragen“, knurrte er.

„Ich will mich nur unterhalten, John Tyler. Ich habe nicht viel Besuch hier draußen. Manchmal kommen die Coyoten, aber die sind nicht sehr gesprächig“, lachte er und zog an seiner Zigarette.

Das Lachen ging in einen trockenen Husten über, und er klopfte sich an die Brust. Als der Anfall vorbei war, trank er einen tiefen Schluck aus seiner Tasse.

Frank nickte. „Du weißt, wie du genannt wirst?“

John sah ihn an und nickte langsam. Feigling, Verräter, Überläufer und Schlimmeres.

„Du wirst es nicht leicht haben da unten“, sagte Frank und kratzte sich die schmutzige Brust. Er grinste und zeigte seine gelben Zähne.

„Wo willst du hin?“, fragte ihn Frank und John sagte: „Nach Hause, nach Vicksburg, Mississippi. Meine Schwester lebt noch dort, auf der Farm meiner Eltern. Hoffe ich.“

„Das ist gut, es ist gut etwas zu haben, wohin man heimkehren kann“, sagte Frank und schenkte die Tassen wieder voll.

John schwieg und dachte an seine Schwester, die alleine die große Farm verwalten musste. Die Ernte musste gut gewesen sein dieses Jahr, aber der Krieg war auch durch seine Heimatstadt gezogen.

„Soll ich dir die Karten lesen, John Tyler?“, unterbrach Frank seine Gedanken. Inzwischen lallte er, aber auch John spürte den ungewohnten Alkohol.

Er lachte: „Was bist du? Eine Hexe?“

Frank grinste.

„Ich bin immer allein, hier draußen, man muss sich die Zeit vertreiben sonst wird man verrückt“, sagte er und tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn.

John drehte sich eine Zigarette und machte eine auffordernde Bewegung.

„Tu, was du nicht lassen kannst.“

Frank zauberte ein Kartendeck hervor, abgegriffen und fettig.

„Du musst mischen“, sagte er und reichte John die Karten.

John mischte gemächlich, dann gab er Frank das Deck zurück.

Der teilte sechs Karten aus, in zwei Reihen und legte sie verdeckt auf den groben Holztisch.

„Bist du bereit?“, fragte er.

„Ich bin nicht abergläubisch“, antwortete John und zündete sich seine Zigarette an.

Frank deckte die ersten beiden Karten auf.

„Der Tod. Aber nicht für dich“, murmelte er.

„Das zweite Paar: Die Göttin und das Kind. Das ist die Familie. Hast du Familie, John?“

John lächelte und trank einen Schluck Whisky. „Nein“, sagte er. „Ich hatte einen Krieg zu führen.“

Frank decke das letzte Paar auf.

„Der Jäger und das verheerte Land. Das ergibt keinen Sinn“, sagte er und rieb sich das Kinn.

„Wie der ganze Mumpitz“, grinste John und stellte seine Tasse auf den Tisch.

„Wo kann ich schlafen?“

„Da drüben, ich bring dir ein paar Decken“, antwortete Frank und deutete mit dem Kinn auf den Fußboden vor dem Herd.

„Danke. Ich hole dem Pferd noch einen Eimer Wasser aus dem Brunnen“, sagte John. Als er zurückkam, lag ein Stapel Decken auf dem Boden und Frank saß auf seiner Pritsche.

„Leg noch ein paar Scheite nach, heute wird es kalt, der Wind kommt von Norden“, murmelte er. John spürte die Erschöpfung und den Alkohol. Er nahm den Revolvergurt ab, warf Holz ins Feuer und streckte sich am Boden aus. Innerhalb von Minuten war er eingeschlafen.

Auf dem Weg nach Wedrock

John wusste nicht was ihn aufgeweckt hatte, war es das Tageslicht, das durch das Fenster fiel, oder ein Geräusch, das Frank gemacht hatte.

Er schielte über die Schulter und zog den Revolvergurt heran. „Du kannst den Tabak haben. Ich hätte dir sowieso das Meiste gegeben.“

Frank war gerade dabei, Johns Satteltaschen durchzuwühlen, die über dem Stuhl hingen.

Frank fuhr herum, seine Stirn glänzte vor Schweiß. Er hatte ein kurzes Messer in der Hand.

John zog den Revolver aus dem Holster, rollte zur Seite und sprang auf. Frank kam langsam mit hochgehaltener Klinge auf ihn zu. John wartete, bis er in Reichweite war, packte blitzschnell Franks mageres Handgelenk und drehte es herum. Klackend rastete der gespannte Hahn ein.

„Messer weg, oder ich breche dir diesen Hühnerknochen“, knurrte er.

Das Messer fiel zu Boden und John stieß Frank auf einen Stuhl.

„Sitzen bleiben.“

Er schnallte sich den Revolvergurt um und durchsuchte die Hütte. Er fand einen Sack Bohnen und einen mit Mais. Er packte sie zusammen mit ein paar Zwiebeln in die Satteltaschen.

Frank wollte sich erheben: „Du verstehst das falsch, ich wollte nur…“

John stieß ihn zurück.

„Sitzen bleiben, Maul halten. Du hast Glück, dass du noch lebst“, sagte er.

Er verließ die Hütte, tränkte das Pferd und füllte die Wasserschläuche. Neben dem Brunnen fand er eine kleine Räucherkammer. Drinnen hangen ein paar Specksaiten an der Decke. Er nahm zwei herunter, roch daran und verzog das Gesicht. Er nahm sie trotzdem mit.

Dann ging er wieder in die Hütte. Frank saß immer noch auf seinem Stuhl.

„Hast du Geld?“, fragte er und zog den linken Colt.

Frank war kreidebleich und deutete auf eine Lade.

„Braver Junge“, sagte John und fand zu seinem Erstaunen ein dickes Bündel Dollarnoten.

„Das Geschäft, Wanderer auszurauben scheint ja nicht schlecht zu gehen, Frank“, meinte er und nahm sich die Noten.

„Sieh es als Entschädigung dafür, dass ich dich am Leben gelassen habe“, fügte er hinzu.

„Scheiß auf dich, Tyler. Sie werden dich im Süden vom nächsten Baum hängen“, murmelte Frank.

„Das werden wir noch sehen“, antwortete Frank. „Vielleicht hast du recht. Aber was mir zu denken gibt: Wenn ich suche, finde ich Gräber von anderen Wanderern?“

Frank sagte nichts, ein Nerv in seiner Wange zuckte.

„Das dachte ich mir“, sagte John.

Im Morgenlicht sah er, dass von Franks Hütte ein schmaler Weg fortführte und folgte ihm. Zwei Reitstunden später sah er in der Ferne die Häuser von Wedrock. Hinter ihm brannte die Hütte und Frank stand verzweifelt davor und verfluchte ihn.

Vor der Stadt lagen Felder, eingehegt von niedrigen Steinmauern. Die Felder waren abgeerntet, aber John brauchte nur einen Blick auf die trockene Erde zu werfen, um zu wissen, dass der Ertrag schlecht gewesen sein musste. Er war selbst der Sohn eines Farmers.

Es war noch Vormittag, als er in die Stadt einritt. Die Sonne glühte bereits am grellblauen Himmel, es würde wieder ein heißer Tag werden.

Er sah nur wenige Menschen auf der Straße, noch weniger Kinder und die liefen in Lumpen herum. Er sah einen Veteranen mit nur einem Bein, der sich auf eine Krücke stützte. Er trug immer noch die graue Uniform der Konföderierten.

Er lenkte sein Pferd an den Straßenrand, von wo ihn der Mann aufmerksam beobachtete.

„Guten Tag, Kamerad“, sagte er und stieg ab.

„Der Krieg ist vorbei, falls sie es noch nicht gehört haben. Es gibt keine Kameraden mehr“, knurrte der Einbeinige und spuckte aus. „Herr Major“, fügte er hinzu.

John wurde bewusst, dass er immer noch seine alte Uniform trug mit den Majorstreifen auf den Schultern.

„Ich habe keine andere Kleidung“, sagte er und zuckte mit den Schultern.

Plötzlich grinste der Einbeinige: „Ich auch nicht. Was brauchst du, Wanderer?“

„Einen Stall für das Pferd, was zu essen für den Reiter. Und einen guten Schluck Whisky, ich habe noch den Staub der Wüste im Mund“, antwortete John.

„Wenn du Geld hast, gibt es hier was du willst. Wir haben keinen Schneider aber im Store kannst du Kleidung finden.“ Er deutete mit dem Kinn die Straße runter. „Dort ist der Saloon“, sagte er. „Keine Mädchen mehr, wenn du darauf gehofft hast“, fügte er hinzu.

John tippte an den Hut und führte sein Pferd am Zügel durch den Staub der Mainstreet. Wedrock hatte schon bessere Zeiten gesehen und das galt auch für den Saloon. Auf dem verwitterten Schild über der Schwingtür stand „Nugget“. Er band sein Pferd an den Pfosten vor der Tränke, überlegte einen Moment und nahm dann die Abzeichen von der Schulter.

Das Nugget war ein heruntergekommener Laden. Auf der linken Seite die Bar, dunkel und schmierig von verschütteten Drinks. Zur Rechten die beiden Pokertische, nur einer war besetzt, vier ältere Männer spielten um niedrige Einsätze. Ein einsamer Säufer hockte jetzt schon vormittags auf einem der Barhocker und würdigte ihn keines Blickes. Höflich nahm John den Hut ab und klopfte ihn am Oberschenkel ab. Er nickte den Spielern zu und nahm Kurs auf die Bar. Er setzte sich an auf einen Hocker und drehte sich eine Zigarette.

„Na, was darfs sein, Fremder?“, hörte er eine Stimme, die ihm vertraut vorkam.

Irritiert hob er den Blick.

Vor ihm stand eine hochgewachsene Blondine, das Gesicht schrecklich verunstaltet durch Brandnarben. Das Gesicht weit vor der Zeit gealtert, tiefe Spuren um die Mundwinkel, aber nichts konnte ihn davon abhalten seine Schwester zu erkennen.

Sie hielt sich die Hände vor den Mund und zuckte zurück.

„Du? John? Bist du es?“, rief sie.

Er stand auf, ging um die Bar herum und nahm sie in die Arme. Sie war dünn, fast mager.

„Ja“, sagte er. „Ich bin es.“

Er spürte an seiner Schulter ihr Schluchzen.

„Ich dachte, du bist tot“, flüsterte sie.

„Die Nachrichten über meinen Tod sind meistens übertrieben“, grinste er.

Dann wurde er ernst: „Sag, wie ist es euch ergangen, Joanne?“

Sie löste sich von ihm und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.

„Komm, du bekommst jetzt mal einen Drink, dann können wir reden“, sagte sie und holte ihre beste Flasche hervor.

John trank den Whisky und hörte Joanne zu.

Sein Zuhause, die Farm, gab es nicht mehr. Das Farmhaus und die Ställe niedergebrannt, die Unterkünfte für die Sklaven ebenso. Die Felder zertrampelt, verwüstet von Heerlagern der Union, die Ernte gestohlen.

„Unsere eigenen Sklaven haben unser Haus angezündet! Die Scheunen! Die Felder! Wir haben sie immer ordentlich behandelt! Wenn Dad und Mum noch gelebt hätten! Papa konnte immer gut mit ihnen reden!“, rief sie und wieder sah er die Tränen in ihren Augen.

John sagte: „Sie haben dich leben lassen. Alles andere wird sich finden.“

„Du weißt, wie du genannt wirst? Ich habe das niemals geglaubt. Feigling Tyler! Du warst niemals feige“, sagte sie.

John senkte den Blick. „Es ist wahr, ich habe mich ergeben. Es war aussichtslos und die Männer starben wie die Fliegen“, antwortete er.

Er hob den Blick und sah ihr in die Augen.

„In manchen Augen bin ich ein Feigling.“

Sie wich seinem Blick aus.

„Willst du was zu essen? Ein Zimmer ist auch frei. Wir haben nicht viele Gäste, außer die Steuereintreiber reiten ein“, fragte sie.

Er nickte und nahm ihre Hände in seine.

„Es wird besser werden. Jetzt bin ich da“, sagte er und wusste nicht, wie falsch er lag.

Er bekam Kartoffeln, Bohnen, und ein kleines Stück Steak. Es war zäh, aber er genoss jeden Bissen.

Seine Schwester brachte ihm noch ein Glas Whisky, dann setzte sie sich ihm gegenüber an den Tisch.

„Was planst du jetzt? Wir haben nichts mehr! Alles ist verloren!“, sagte sie und legte die Hände vors Gesicht.

Er nahm ihre Hände und hielt sie fest.

„Nichts ist verloren. Das Land gehört immer noch uns. Gebäude kann man wieder aufbauen. Und da ist noch etwas“, sagte er und flüsterte ihr ins Ohr: „Ich habe das Gold des letzten Aufgebotes.“

Sie machte große Augen.

Das Gold des letzten Aufgebotes war der letzte, verzweifelte Versuch gewesen, mexikanische Freischärler anzuwerben um das Kriegsglück doch noch zu wenden.

Die Verstärkung war nie gekommen und das Gold galt als verschollen.

„Wo…?“, flüsterte sie benommen.

„Ich werde in zwei Wochen wieder zurück sein. Aber jetzt brauche ich ein paar Tage Ruhe, ein Bett und ein Pferd, das ich nicht dauernd hinter mir herziehen muss“, sagte er und hob sein Glas.

„Auf uns beide, Joanne“, sagte er.

Sie sprang auf und fiel ihm um den Hals.

„Auf uns, John und auf das Gold!“

Er hielt ihr den Mund zu.

„Zu niemandem ein Wort! Gute Männer sind dafür gestorben“, fuhr er sie an.

„Natürlich, du hast Recht. Aber hier ist doch niemand, den das interessieren würde“, antwortete sie.

Doch sie täuschte sich. Einer der grauhaarigen Männer, die am Pokertisch neben dem Eingang saßen, hörte was sie sagte, denn er war zwar alt, aber sein Gehör funktionierte wie am ersten Tag. Und er wusste, was es mit dem Gold des letzten Aufgebotes auf sich hatte. Noch eines wusste er: Wen diese Nachricht interessieren würde.

John trank sein Glas aus und ging die Treppe nach oben. Er ließ sich vom Zimmermädchen die Wanne mit heißem Wasser füllen und spülte sich den Staub der Wüste vom Körper.

Anschließend rasierte er sich, das erste Mal seit vielen Wochen und sah dann einen Fremden im Spiegel. Der Krieg hatte ihn viele Jahr gekostet. Um die Mundwinkel tiefe Furchen und die Augen eines viel älteren Mannes. Augen mit der Farbe eines neuen Revolvers: Nicht blau, nicht grau und genauso leblos.

Er schlief den ganzen Nachmittag und träumte von Frank, dessen Hütte ihm das Leben gerettet hatte, der nur einen seiner Revolver hätte nehmen müssen, um ihn im Schlaf zu ermorden.

Die Steuereintreiber

John erwachte durch Lärm von unten. Er war bereit, wie er es als Soldat immer hatte sein müssen. Es gab keine Phase des Aufwachens, er schlug die Augen auf und war da

Er zog sich rasch an und schnallte sich den Gurt um, den er um den Bettpfosten geschlungen hatte.

Dann verließ er sein Zimmer und ging auf den Gang hinaus, von dort konnte er den Bar Raum beobachten.

Unten standen drei junge Männer an der Bar und unterhielten sich lautstark.

„Wisst ihr, was das Schärfste ist an Indianerweibern? Wie ihr Kopf an einem Stock aussieht!“ rief einer, ein kleiner Blonder mit Bart, und wieherte vor Lachen.

„Morgen muss sie zahlen, zahlen, zahlen!“, rief der andere, ein untersetzter Rothaariger, dem die Sonne die Haut vom Gesicht schälte.

Der dritte, ein schmaler Yankee, wenn John jemals einen gesehen hatte, sagte: „So will es das Gesetz. Steuern müssen gezahlt werden. Die Frist ist abgelaufen.“

John kannte die Sorte. Es waren Steuereintreiber der neuen Regierung. Sie verlangten hohe Steuern von Farmen, die der Krieg verwüstet hatte und übernahmen das Land, wenn nicht gezahlt werden konnte. Aasgeier.

Er hörte sich das großspurige Gegröle der drei Jungen an und grinste schief in sich hinein. Zu seiner Zeit wären die Drei das Gespött der Stadt gewesen. Wie sich die Zeiten änderten.

„Ihr solltet die Frau in Ruhe lassen!“, sagte seine Schwester, die hinter der Bar bediente, plötzlich laut. Der Lärm verstummte, auch die vier Alten am Pokertisch hörten aufmerksam zu.

„Was geht es dich an?“, fragte der kleine Blonde spöttisch und reckte die Ellbogen.

„Sie hat einen kleinen Jungen und ist alleine. Ihr Mann ist im Krieg gefallen! Nehmt ihr ihre Farm, hat sie gar nichts mehr!“, sagte Joanne fest.

„Das hätte sich ihr Mann vorher überlegen müssen, bevor er gegen uns in den Krieg gezogen ist, oder?“, grinste der kleine Mann zurück und wandte sich an seine Kumpane.

„USA!, USA!, USA!“, stimmte er an und die anderen fielen ein.

John ging langsam die Treppe hinunter, immer noch in seiner grauen Südstaatenuniform.

Er ging an das andere Ende der Theke, setzte sich auf den Hocker und Joanne brachte ihm ein Bier.

Die drei jungen Yankees bemerkten ihn und der kleine Rädelsführer rief herüber: „Na da ist ja einer dieser Verlierer!“

John nippte an seinem Bier und drehte dann langsam den Kopf. Er sah dem kleinen blonden Mann ins feixende Gesicht. Er prägte sich die Züge ein, den übergroßen Kopf, die dünnen Arme, dann nahm er den dicklichen Yankee ins Visier, der sofort in die andere Richtung sah und schließlich den großgewachsenen Hageren mit der Adlernase. Der Hagere erwiderte ruhig seinen Blick. Sie hatten alle Waffen in den Holstern, aber der Hagere würde der einzig Gefährliche sein.

Er drehte sich wieder weg und trank einen Schluck Bier. Die drei Steuereintreiber waren jetzt erheblich ruhiger, tranken ihre Gläser aus und verließen wenig später das Nugget.

Joanne kam zu ihm und er fragte: „Wo ist diese Farm? Die möchte ich mir mal ansehen.“

Joanne schmunzelte.

„Einen halben Tagesritt von hier, entlang des Trails Richtung Nordosten. Es ist eine gute Farm, mit viel Wasser. Nakita ist eine gute Farmerin, aber es war Krieg und die Ernte schlecht. Ich weiß nicht ob sie ihre Steuern zahlen wird können“, sagte sie.

„Sie ist eine Freundin von mir, sei nett zu ihr“, fügte sie hinzu.

John grinste und tippte sich an den Hut.

„Ich werde es mir merken“, sagte er und trank sein Glas aus.

Er setzte sich an den Pokertisch und spielte mit drei anderen Männern aus der Stadt um niedrige Beträge. Anfangs beäugten sie ihn wachsam, nach einer Weile sprachen sie offener und er erfuhr einiges über die Stadt, in der seine Schwester nun wohnte.

Es war immer die gleiche, traurige Geschichte. Es war Gold gefunden worden, aber die Mine war inzwischen fast erschöpft. Es lohnte sich nicht mehr, dort auszubeuten, die wenigen lukrativen Claims waren von Yankees übernommen worden, manchmal nicht ganz freiwillig.

Die Jungen gingen weg, die Alten blieben, nur die Farmen rings um die Stadt waren fruchtbar und gaben hohen Ertrag.

Sie hielten die Stadt am Leben und die Hoffnung auf die Eisenbahn, die die Yankees bauen wollten.

„In 3 Tagen nach Pittsbourgh, man stelle sich das einmal vor!“, sagte einer der Männer, ein stämmiger Bursche mit schwieligen Händen.

„Ich könnte dort sogar ins Theater gehen!“

Alle lachten und John teilte aus. Nach dieser Runde strich er seinen Gewinn ein und wünschte ihnen eine gute Nacht. Das waren gute Leute, sie wollten den Krieg nur hinter sich lassen und das wollte er auch.

Diesmal träumte er von ihrer alten Ranch, als seine Eltern noch lebten und es war ein guter Traum.

Clearwater Ranch

John stand im Morgengrauen auf und fand vor seiner Tür einen Sack mit Proviant. Er lächelte. Joanne, Joanne, Joanne. Immer wusste sie was zu tun war.

Er ging in den Stall und suchte seinen Klepper.

Überrascht stellte er fest, dass dem Tier gutes Futter und genügend Wasser so gutgetan hatten, dass man es fast als Pferd bezeichnen konnte.

Er sattelte es und ritt los, der Straße nach Nordosten folgend, die Sonne ging hinter ihm auf und färbte den Himmel langsam von Schwarz zu Blau.

Nach ein paar Stunden erreichte er einen kleinen Bach, ließ den Gaul saufen und bediente sich am Proviant.

Die Wüste war sattem Grün gewichen und er ahnte, warum dieses Land begehrt war.

Er sah Fische im Bach schwimmen und angelte drei fette Forellen mit einem einfachen Haken und etwas Speck als Köder.

Er packte sie in die Satteltaschen und ritt weiter. Eine Stunde später erreichte er eine saubere, mit weißem Kies gestreute Straße, gesäumt von hohen Bäumen. Am Ende der Straße stand ein Farmhaus, daneben eine große Scheune. Auf der anliegenden Weide grasten Kühe und Ziegen.

Er sah einen Jungen im Hof spielen, vielleicht 6, 7 Jahre alt. Er ließ den Klepper halten und stieg ab.

Der Junge sah ihn misstrauisch an. Er hockte sich neben ihn nieder, deutete auf die schwarzen und weißen Figuren vor ihm. „Was spielst du da?“, fragte er.

„Es heißt Schach. Mein Vater hat es mir beigebracht. Aber ich weiß die Regeln nicht mehr“, antwortete der Junge und sah ihm ins Gesicht. Er hatte schwarze Haare und blaue Augen, die eine Tiefe und Traurigkeit hatten, die nicht zu seinem Alter passten.

„Ich kenne das Spiel ein bisschen. Sollen wir spielen?“, fragte John.

Der Junge nickte schüchtern und John stellte die Figuren richtig auf. Der Junge hatte ein Schachbrett mit dem Finger in den Sand gezeichnet.

Anfangs fragte er John aus, wie die Züge richtig waren, dann hatte er schnell heraus, wie das Spiel funktionierte und brachte John zum Lächeln, weil er sich über einen gelungenen Zug, bei dem er Johns Springer schlug, so herzlich begeistern konnte.

Dann fiel ein Schatten über sie, John blickte auf und sah die schönste Frau, die er jemals gesehen hatte.

Eine Indianerin, gekleidet in Bluse und Arbeitshosen. Bronzene Haut, schwarze Haare, die ihr lang auf den Rücken fielen, ein voller Mund und Augen, so schwarz und zwingend wie tiefe Brunnen.

John Tyler, kampferfahren in unzähligen Schlachten, ruhig im schlimmsten Kugelhagel, wusste nichts zu sagen. Sein Kinn klappte hinunter und er sah aus wie ein Idiot.

Sie hob eine schlanke Hand und zeigte auf ihn.

„Wer ist dieser Mann, der auf meinen Hof reitet und meinen Sohn beim Schach schlägt, ohne meine Erlaubnis?“, fragte sie ernst, aber er fand eine Andeutung eines Lächelns auf ihrem Gesicht.

John fasste sich und antwortete: „Ich bin John Tyler. Ich, nun, ich dachte – meine Schwester hat mir von ihnen erzählt“, stotterte er.

Sie lächelte und wenn die Sonne nicht schon grell am Himmel gestanden hätte, wäre sie jetzt aufgegangen.

„Joanne, Joanne, Joanne“, sagte sie kopfschüttelnd. „Immer dabei die Welt zu retten.“

John fand sich wieder und stand auf.

„Es geht um die Steuern“, sagte er. „Vielleicht kann ich helfen.“

Ihr Gesicht wurde ernst und er sah, dass sie nicht mehr so jung war, wie er anfangs gedacht hatte. Sie sah auf ihren Sohn hinab und deutete dann auf das Farmhaus.

„Das sollten wir drinnen besprechen“, meinte sie.

„Mama, ich habe ihm drei Figuren genommen!“, krähte der Junge fröhlich.

Nakita lächelte.

„Hoffentlich kann er mit Steuereintreibern besser umgehen, als mit dem Schachbrett, Morgan“, sagte sie und ging zurück zum Haus, John folgte ihr und bewunderte ihre geschmeidigen Bewegungen.

Sie führte ihn durch die erstaunlich große Eingangshalle in die geräumige Küche. Alles war sehr sauber und strahlte Wohlstand aus.

Er setzte sich an den Küchentisch und Nakita brachte ihm eine Tasse Kaffee. Dann ließ sie sich ebenfalls nieder und fragte: „Was hat ihnen Joanne erzählt?“

„Ich habe die Steuereintreiber gesehen, diese drei Jungspunde. Sie sprachen von einer Frist, die ablaufen soll, danach habe ich Joanne gefragt. Sie sagte, ihr seid Freundinnen?“, berichtete er und sah wie ein Lichtstrahl sich in ihren Haaren verfing und zum Schimmern brachte. Es war als würde sie glühen.

„Aber mir scheint, als wäre ich hier nicht nötig“, fuhr er schließlich fort. „Die Farm scheint gut zu gehen. Ganz im Gegensatz zu den Farmen nahe der Stadt, dort scheint die Ernte mager zu sein.“

Sie schüttelte den Kopf.

„Das Land ist reich, aber ich bin es nicht“, sagte sie. „Seit mein Mann fort war im Krieg habe ich von unseren Ersparnissen gezehrt. Ich konnte kaum die Arbeiter bezahlen für die Einbringung der Ernte und als sie eingebracht war, kamen die Soldaten und konfiszierten sie. Und dann kamen die Steuereintreiber.“

Sie schüttelte den Kopf. „Phil war ein guter Mann, aber er ist wegen schlechter Gründe in den Krieg gezogen und er hat uns allein gelassen. Sein Sohn konnte kaum laufen und er ist in den Krieg gezogen.“ Sie holte tief Luft: „Ist er dann noch wirklich ein guter Mann?“

John Tyler hatte einmal geglaubt, die Antwort zu wissen, doch jetzt schwieg er.

„Er war Teil einer guten Truppe, hat er oft geschrieben“, fuhr sie fort und sah ihm direkt in die Augen.

„Sieg um Sieg und niemand konnte sie stoppen, schrieb er. Tylers Teufel, hießen sie“, sagte sie und John erstarrte.

Phil Johnson war sein Kamerad gewesen, ein fröhlicher Junge, kaum ein Mann, der in der Schlacht noch seine Späße gemacht hatte. Als einmal die Kugeln so heftig und dicht über sie hinweg gebrandet waren, hatte er neben John Deckung gefunden.

„Major, es ist so viel Blei in der Luft, wenn es zu regnen anfängt, werden wir wenigstens nicht nass“, hatte er gegrinst. Und dann war er einer der ersten gewesen der von der Gatling am Rio Bravo zerrissen worden war.

John nahm hastig den Hut ab.

„Es tut mir leid…“, begann er.

Sie unterbrach ihn mit einer Handbewegung.

„Du hast 12 nach Hause gebracht. Phil war eben nicht dabei“, sagte sie brüsk.

„11“, antwortete John nachdenklich. „Einer ist noch an seinen Verletzungen gestorben.“

„11 von 40“, sagte sie.

„Ja.“

Sie sahen sich in die Augen. John löste sich aus diesen tiefen, seelenvollen Augen und stand auf.

Er holte das Geld, das er Frank abgenommen hatte und warf es auf den Tisch.

„Kann das für die Steuer reichen?“, fragte er.

Sie zählte es rasch.

„Nein, es ist ungefähr die Hälfte“, antwortete sie.

John zog die Augenbrauen hoch.

„Die Steuer muss sehr hoch sein“, sagte er.

Sie nickte.

„Ich denke, sie wollen keine Squaw und ihren Mischling auf dem fruchtbarsten Flecken dieser Gegend“, meinte sie.

Seine Kiefermuskeln verspannten sich.

„Es wird vorerst reichen. Die drei Buben kommen morgen und sie werden das Angebot annehmen“, knurrte er.

„Sie werden es nicht ablehnen können“, fügte er grimmig hinzu.

Tag der Steuer

Er führte sein Pferd in ihren geräumigen Stall und der Gaul wieherte vergnügt, als er die anderen Pferde wahrnahm.

Er bekam gutes Futter und frisches Wasser.

John ertappte sich dabei, wie er dem Tier über die Nüstern strich.

„Du siehst immer besser aus. Was ist nur aus dem müden Klepper geworden?“, flüsterte er.

Er wollte gerade den Stall verlassen, als er einen alten Schwarzen bemerkte, der gerade durch den Hintereingang den Stall betrat.

Er wandte sich zu ihm: „Kannst du dich um den müden Kerl hier kümmern?“, fragte er ihn und lächelte.

Der alte Mann lächelte zurück und zeigte ein prachtvolles Gebiss.

„Das ist ein gutes Pferd, Fremder, nur zu wenig Futter und zu wenig Wasser und Gott verdammich, geschunden worden ist es wie ein Neger auf den Plantagen. Lass ihn ein paar Tage bei mir und verdammich, wird er die Meile laufen wie ein Champion“, antwortete er.

John ging zu ihm hin und reichte ihm die Hand.

Misstrauisch ergriff sie der Schwarze und schüttelte sie.

„Ich bin John Tyler“, stellte er sich vor.

„Pepe“, sagte der Mann und deutete auf seine Uniform.

„Nicht üblich, dass ein Mann im Grau einem Neger die Hand schüttelt“, meinte er.

„Der Krieg ist vorbei. Und auch vorher war es mir gleichgültig, wie dunkel die Haut eines Menschen ist“, sagte John.

„Kannst du dich um das Pferd kümmern?“, fragte er. „Ich werde dich bezahlen.“

Der Schwarze nickte. „Du brauchst nicht zu zahlen, John Tyler“, sagte er. „Ich habe gesehen, wie du mit dem Jungen gespielt hast.“

John zuckte mit den Schultern.

„Ich werde ein paar Tage hier sein, um diese Steuergeschichte zu regeln“, meinte er.

„Wieso tust du das?“, fragte der Schwarze.

„Manche Sachen müssen getan werden. Ich bin einer, der solche Dinge regeln kann“, antwortete John

„Es hat nichts damit zu tun, dass dir der Mund offen gestanden hat, als du die Misses gesehen hast?“, grinste Pepe.

John musste lächeln.

„Es hat nicht geschadet“, gestand er.

Dann wurde er ernst.

„Es könnte schmutzig werden. Wenn die Geier kommen, halte dich fern“, sagte er.

„Ich werde ihm Hafer geben und die besten Leckerbissen“, antwortete der Neger und wies mit dem Kinn auf Johns Gaul. „Ein gefährlicher Mann braucht ein schnelles Pferd.“

John nickte nachdenklich, holte die Fische aus den Satteltaschen und ging zurück zum Haus.

Nakita freute sich über die Forellen, briet sie mit Zwiebeln und Kartoffeln und sie aßen alle zusammen am Küchentisch, Pepe, der kleine Morgan, Nakita und er.

„Mama, werden sie uns morgen die Farm nehmen?“, fragte Morgan plötzlich.

Nakita senkte den Kopf und John sagte rasch: „Nein, Morgan, das wird nicht passieren. Deshalb bin ich hergekommen.“

„Bist du ein Deputy? Jemand von der neuen Regierung?“, fragte Morgan neugierig.

John log nicht. „Nein. Es sind komplizierte Zeiten und manchmal muss man das Gesetz vertreten, das man in sich selbst fühlt. Es ist unrecht, wenn ihr die Farm verlieren würdet. Also werde ich es nicht geschehen lassen“, sagte er ruhig.

„Und wenn sie mit Revolvern und Gewehren kommen?“, fragte der Junge mit großen Augen.

„Ich kannte deinen Vater und er war ein tapferer Mann. Einer der tapfersten, die je kennen gelernt habe. Du kannst stolz auf ihn sein“, antwortete John und sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Nun war kein Lächeln mehr zu sehen und das viel zu früh gealterte Gesicht wirkte wie von einem wilden Gott aus Granit gemeißelt.

„Er hätte das nicht zugelassen. Und ich werde das auch nicht tun. Das bin ich ihm schuldig.“

Er schwieg und senkte den Blick.

„Ich werde mir mal die Gegend ansehen“, sagte er schließlich und stand auf.

Draußen empfing ihn die Hitze des Nachmittages, aber weniger schlimm, als er erwartet hatte. Die Farm lag in einem kleinen Tal, die umliegenden Hügel gaben etwas Schatten. Er ging um das Farmhaus herum und betrachtete die Umgebung.

John Tyler verzog das Gesicht. Die Farm war für sein militärisches Auge ein Kessel, aus dem es kaum ein Entrinnen gab.

Von zwei Seiten begrenzt von steilen Hängen, die dritte Seite durch einen breiten Fluss blockiert. Die Talöffnung mit der Straße war der einzige Weg hinein. Oder hinaus.

Er wandte sich nach Osten dem Fluss zu. Vielleicht 50 Yards breit und nicht zu tief, eine schmale Brücke war der einzige Weg hinüber ans andere Ufer.

Es waren nur ein paar Steuereintreiber, noch grün hinter den Ohren, sagte er sich. Aber er konnte nicht anders, sein Instinkt klingelte und er hatte ihm Krieg gelernt, so etwas nicht zu ignorieren.

John ging zurück zum Farmhaus, wo Nakita in einem Stuhl auf der Veranda saß und ein Buch las.

„Sie haben da ein wunderbares Stück Land“, sagte er.

Sie blickte an seiner Schulter vorbei und flüsterte: „Sie kommen.“

John drehte sich um und sah Reiter, die sich auf der Straße näherten.

„Vier Mann. Wahrscheinlich haben sie sich noch einen Mann fürs Grobe geholt“, meinte er.

Der Trupp kam näher, Nakita empfing sie auf der Veranda, John stellte sich neben sie.

Es waren die drei Steuereintreiber, die John schon in der Bar seiner Schwester kennengelernt hatte. Der kleine Rotblonde, der Dickliche und der schweigsame Yankee.

Zusätzlich hatten sie noch einen Mexikaner dabei, einen untersetzten Mann mit großem Schnurrbart im Gesicht.

„Hoho“, sagte der kleine Rotblonde und schwang sich vom Sattel.

„Die Squaw hat sich einen Beschützer geholt. Dann wird sie wohl auch das Geld für die Steuer haben“, grinste er.

Nakita sagte: „Ich habe eine Anzahlung. Mehr als die Hälfte.“

Der Yankee sagte: „Eine Anzahlung in Höhe der Hälfte der Steuern wäre angemessen…“, begann er.

Der kleine Anführer reckte die Ellbogen heraus und schlenderte auf Nakita zu. „Steuern müssen bezahlt werden, sonst gehört die Farm der neuen Regierung der United States“, grinste er.

John trat vor.

„Ihr werdet das Angebot annehmen“, sagte er und sah dem rotblonden Kerl mit den abgespreizten Ellbogen in die Augen. Der versuchte einen Moment, dem Blick stand zu halten, und sah dann doch schnell zu dem angeheuerten Schläger.

„Marco hier, unser – ah – Begleiter hat auch die Befugnis, Gewalt anzuwenden um das Gesetz zu vollstrecken“, rief er.

John wandte sich zu dem Mexikaner. Der erwiderte seinen Blick eine Weile lang ruhig und nickte dann. Er griff in die Tasche und ließ einen kleinen Beutel auf den Boden fallen.

„Das es nicht wert“, sagte er mit schwerem Akzent, schwang sich wieder in den Sattel und ritt davon.

„Wir sind immer noch zu dritt und bewaffnet!“, kreischte der kleine Rotblonde. „Das ist eine Straftat gegen das Bundesgesetz!“

Aber es war natürlich der Yankee, der zog, derjenige der sogar für ihn gesprochen hatte. Der Mann spürte, wenn das Reden ein Ende hatte.

John spürte es auch. Ohne einen bewussten Gedanken zuckte seine linke Hand nach unten, zog den Revolver, spannte ihn und schoss dem Yankee eine Kugel in die rechte Schulter.

Der Schuss hallte laut im Tal wider und John Tyler hörte den Buben in der Küche aufschreien. Der Yankee hatte seinen Revolver kaum halb aus dem Holster bekommen. Seine Hand sackte herab und Blut färbte sein weißes Hemd rot. John hatte ihn richtig eingeschätzt. Der Yankee wankte, fiel aber nicht.

Er wandte sich an Nakita: „Hol Verbandszeug. Der Mann muss versorgt werden.“

Nakita verschwand im Haus und John sagte zu dem Dicken: „Hol den Steuerbescheid.“

Der Dickliche, der rote Flecken im Gesicht hatte, kramte ein paar Zettel hervor.

John steckte den Revolver wieder ein und las sich den Text durch.

„Nanana“, sagte er nach einer Weile und hob die Augenbrauen.

„Der Betrag ist viel geringer als wir erwartet haben“, sagte er. „Da wollte sich wohl jemand die Taschen vollstopfen.“

Nakita kam wieder aus dem Haus gerannt mit Verbandszeug und einer Flasche mit klarer Flüssigkeit.

Der Yankee ließ sich von ihr verbinden und verzog das Gesicht als sie Alkohol auf die Wunde goss.

John wartete, bis Nakita mit der Verarztung fertig war und zeigte ihr dann den Betrag auf dem Dokument.

Sie hob die Augenbrauen, holte das Geld und reichte es dem rotblonden Anführer. Der hatte kein Wort mehr gesagt, sondern nur hasserfüllt auf John gestarrt.

John kannte diesen Blick und er kannte kleine Männer, die nicht ihren Willen bekamen.

„Quittieren“, sagte er und deutete auf das letzte Blatt.

Der Dicke drängelte sich vor und unterschrieb schnell.

John starrte den rotblonden Mann an und deutete auf den Vertrag.

Der Steuereintreiber bleckte die Zähne, nahm sich den Stift und unterschrieb ebenfalls. Der Yankee benutzte unbeholfen die linke Hand.

„Nun könnt ihr gehen und euer Geld nach Hause tragen“, sagte John. „Kommt nicht wieder“, fügte er hinzu, aber er kannte die Regeln des Spiels. Er hatte einen Steuereintreiber verletzt. Die Umstände zählten nicht und der kleine rotblonde Anführer würde das nicht auf sich sitzen lassen. Diese Leute waren wie Bullterrier.

Die Steuereintreiber ritten davon, John und Nakita sahen ihnen nach. Auch der Junge gesellte sich zu ihnen.

„Können wir jetzt unsere Farm behalten, Mama?“, fragte er mit großen Augen.

„Ja, mein Junge“, antwortete sie leise.

„John Tyler hier hat dafür gesorgt.“

„Ist das wahr?“, fragte der Junge und sah John an.

„Ja. Schickt Pepe mit den Dokumenten aber schnell in die Stadt, der Notar muss sie beglaubigen“, antwortete John.

Nakita schickte das Kind ins Haus und fragte John: „Das wird jetzt Probleme geben für dich, nicht wahr?“

„Ja“, sagte er.

„Willst du dich nicht dem Sheriff stellen und ihm die Sache erklären?“, flehte sie.

Er lachte auf. Dem neuen Sheriff, einem Yankee?

„Nein“, sagte er.

Sie nickte und dachte nach.

Dann zog sie ihn am Ärmel nach draußen um das Gebäude herum. Sie zeigte im Licht des frühen Nachmittags nach Osten.

„Dort oben, auf halber Höhe des Hanges ist ein Plateau, bewachsen von einem kleinen Wald. Da ist auch die Jagdhütte von Phil, es sollte noch Holz und Öl für die Laterne da sein. Versteck dich dort, bis Gras über sie Sache gewachsen ist“, sagte sie und deutete auf einen schmalen Pfad.

John erkannte das Plateau und den kleinen Wald.

„Nur dem Weg folgen, er ist schmal und man muss sehr vorsichtig sein“, fügte sie hinzu.

John dachte an das Gold des letzten Aufgebotes und an seine Schwester.

„Ich sollte weiterziehen. Ich denke, sie werden nur nach mir suchen und auch das nicht allzu lange. Der Yankee hat einen glatten Durchschuss, er wird wieder gesund“, sagte er.

Sie sah in lange an.

„Warum haben sie das getan? Sich für uns in Schwierigkeiten gestürzt?“, fragte sie.

Weil es das Richtige war, dachte er. Das muss immer genügen.

„Ich war es Phil schuldig. Er war ein Kamerad für mich, obwohl er in mir wohl nur den strengen Major gesehen hat“, antwortete er.

„Sie würden überrascht sein. Phil hat sehr viel in seinen Briefen über sie geschrieben, manchmal mehr als über mich“, lächelte sie traurig.

„Ich wollte sie erst kennen lernen, ob sie wirklich so sind, wie Phil sie beschrieben hatte, aber er hatte wohl recht“, fuhr sie fort.

„Wie sie mit meinem Sohn gespielt haben…“, flüsterte sie und legte sich eine Hand an den Hals, dann fasste sie sich.

„Ich habe auch mit Pepe geredet“, sagte sie. „Er hat ein Gespür für die Menschen, es ist fast unheimlich. Er sagte, sie sind einer von den Guten.“

John legte den Kopf schief. Dieses Mal hatte Pepe sein Gefühl wohl getäuscht. Er machte eine ungeduldige Handbewegung und schwieg.

„Phil hat mir von ihren Revolvern erzählt und wie sie damit umgehen, da haben sie wohl keinen Bedarf. Aber ich habe wohl etwas, dass sie brauchen könnten“, lächelte sie und winkte ihn heran.

„Kommen sie mal mit.“

Er folgte ihr durch die Diele, sie öffnete eine Tür, holte eine Laterne von einem Nagel und entzündete sie mit einem Streichholz. John sah, dass eine steile Treppe in einen Keller führte.

Nakita ging voraus, öffnete mit einem Schlüssel eine zweite Tür. John folgte ihr in einen Erdkeller, dessen Wände mit Regalen bedeckt waren, voller Werkzeug, Draht, Lebensmitteln und Flaschen.

Nakita stellte die Laterne ab und öffnete einen Schrank. Sie holte ein Gewehr hervor und John stockte der Atem.

Eine Colt Model 1855, mit fünf Schuss Revolvermagazin. Und darauf ein Zielfernrohr, das er nicht kannte.

Sie reichte ihm die Waffe und er nahm sie mit beiden Händen entgegen.

„Phil hat oft geschrieben, wie sehr sie sich so ein Gewehr gewünscht haben. Er wollte sie nach dem Krieg damit überraschen“, sagte sie.

Im schwachen Flackern der Laterne konnte er ihren Gesichtsausdruck nicht erkennen, aber ihre Stimme bebte.

Dann lag sie ihm in den Armen und er hielt sie fest.

Sie schluchzte an seiner Schulter und er dachte an Phil, was für ein Glück der Knabe doch gehabt hatte, eine solche Frau zu haben und verfluchte ihn für die Dummheit sich freiwillig für den Krieg zu melden.

Aber er hielt auch immer noch das Gewehr und drehte es in das Licht. Es war makellos schön und das Flackern der Laterne spiegelte sich in der Linse des ungewöhnlichen Zielfernrohres.

Sie löste sich von ihm.

„Danke“, flüsterte sie. „Manchmal ist es sehr schwierig.“

John nickte.

„Diesmal wird es gut gehen“, sagte er, doch da war wieder diese Unruhe, als würde er lügen, ohne es zu wollen.

Sie stiegen die Treppe hoch und gingen in die Küche. Nakita kochte Kaffee und John legte die Waffe auf den Tisch.

Er verstand auf Anhieb wie sie funktionierte und zerlegte sie innerhalb weniger Minuten. Das Gewehr war in tadellosem Zustand, wie neu, leicht eingeölt, das Trommelmagazin geladen.

Er setzte es wieder zusammen und deutete auf das Zielfernrohr: „Was ist das? Diese Optik habe ich noch nie gesehen?“, fragte er.

„Das ist eine deutsche Firma. Carl Zeiss, Phil hat es extra aus Europa kommen lassen. Er meinte, es wäre ein Einzelstück“, sagte sie und reichte ihm einen Becher Kaffee.

„Noch nie gehört“, sagte John Tyler.

Sie lächelte.

„Schieß es, Cowboy“, sagte sie. „Es ist deins.“

Sie ging noch einmal in den Keller und brachte ihm eine volle Packung Munition, 50 Patronen.

Er steckte sich ein Dutzend in die Taschen und verließ das Haus.

Er ging um die Farm herum und fand bald, was er suchte. Ein paar Hundert Meter weiter ragten die Hügel der Südseite des Tales auf. Er ging zum Hang, suchte sich einen Felsen und band zwei Lederschnüre darum, mit zwei Handbreit Abstand.

Dann maß er 50 Schritt ab und legte das Gewehr an.

Er sah durch das Zielfernrohr und sah – nichts, nur undeutliche Schemen. Verwirrt senkte er das Gewehr und betrachtete das Zielfernrohr. Er fand einen beweglichen Ring mit Markierungen, 1,5x, 2x, 3x, 4x, der Marker stand auf 4x. Er drehte und stellte auf 1,5x, hob das Gewehr und versuchte es erneut. Er fand den Felsen sofort, atmete aus und drückte ab.

Der Rückstoß war stark, aber beherrschbar.

John schlenderte Richtung Hang um sich sein Ergebnis anzusehen und staunte. Der erste Schuss mit einer neuen Waffe und fast perfekt zwischen die beiden Schnüre gesetzt.

Er ging diesmal 100 Schritte zurück und justierte das Zielfernrohr auf 2x.

Der Schuss war sogar noch besser.

Er vergrößerte die Entfernung bis auf 500 Schritt und stellte das Fernrohr auf 3x, dann 4x. Kein einziger Schuss verfehlte den Felsen völlig und die meisten waren deutlich besser. Dieses Gewehr und er waren für einander gemacht.

Er ging zurück ins Haus und bedankte sich bei Nakita.

„Wenn ich darf, schlafe ich heute Nacht noch hier. Wenn sie kommen, dann nicht vor morgen früh. Ich bin vor dem ersten Tageslicht verschwunden“, sagte er.

Nakita nickte und zeigte ihm ein Zimmer mit einem herrlichen Bett. Sie brachte ihm noch etwas zu essen, aber als sie zurückkehrte, lag er tief schlafend auf dem Bett, das Gewehr neben sich. Sie stellte das Essen auf den Nachttisch und ging nach unten.

In den Hügeln

Als Nakita am nächsten Morgen erwachte, war John bereits lange verschwunden. Er hatte noch vor der Dämmerung sein Pferd gesattelt und hatte die Straße, die aus dem Tal hinausführte eingeschlagen. Er würde in vier Tagen den versteckten Schatz erreichen, nehmen was sein Pferd tragen konnte und zurück zu seiner Schwester reiten.

Der Mond beschien den mit Kies bestreuten Weg, er ritt langsam. Sein Gesicht war noch ernster als sonst, er war in tiefes Nachdenken versunken.

Nach kaum einer Meile stieß er einen leisen Fluch aus, wendete das Pferd und ritt zurück. Er passierte das Farmhaus und ritt in die Hügel.

Erstes Tageslicht kam auf und in der Dämmerung fand John den Pfad hinauf zum Plateau. Er stieg ab und führte sein Pferd den schmalen Steig hinauf. Eine Stunde später erreichte er den kleinen Wald und fand, wie von Nakita versprochen, eine Blockhütte, aus guten Stämmen mit Handwerkskunst gebaut. Das Dach war dicht mit Moos bewachsen, zur Rechten plätscherte ein Gebirgsbach ins Tal. Er stieg ab, tätschelte das Pferd und führte es zum Bach. Er nahm ihm den Sattel ab und ging zur Hütte. Die Tür war nur mit einem einfachen Riegel verschlossen, drinnen, im Halbdunkel, erkannte er einen eisernen Ofen, eine Pritsche, einen Tisch und zwei Stühle. Er warf den Sattel mit den Taschen auf die Pritsche und lehnte das Gewehr neben die Tür. In den Satteltaschen fand er reichlich Proviant und lächelte dankbar, sogar Kaffee hatte ihm Nakita eingepackt.

An der hinteren Wand der Hütte fand er Regale mit Konserven und Werkzeug. Hier konnte es ein Mann eine lange Zeit aushalten.

Er verließ das Holzhaus wieder und erkundete die Umgebung. Man hatte eine herrliche Aussicht auf das Tal, er konnte das Farmhaus im Morgenlicht gut erkennen. Am Rand des Plateaus fielen die Felsen steil ab, der einzige Zugang war der schmale Pfad. Er war im Inneren immer noch Soldat und erkannte eine gut zu verteidigende Position, wenn er sie sah. John schätzte die Entfernung zur Farm auf 700 oder 800 Yard. Nachdenklich ging er zur Hütte zurück und holte das Gewehr.

Er stellte das Zielfernrohr auf x4 und blickte hindurch. Wieder musste er über die Kunstfertigkeit dieses Deutschen staunen. Er konnte nun sogar einzelne Fenster des Farmhauses erkennen. Viel zu weit für einen sicheren Schuss, aber er hatte gestern die Leistungsfähigkeit der Colt 1855 und des Zeiss Zielfernrohres kennengelernt.

Er sah den Jungen auf den Hof laufen, klein wie eine Ameise und musste lächeln. Er holte sich Wasser und Proviant und wartete. Die Sonne stieg höher und er spürte ihre Hitze auf dem Rücken. Sie würden kommen, Nakita verhören und dann weiterreiten um ihn zu suchen, sagte er sich. Es war völlig sinnlos hier zu warten, er könnte schon weit weg sein. Aber er konnte nicht anders.

Er musste lange warten, bis in den frühen Nachmittag. Dann sah er sie, ein Trupp von vielleicht sieben oder acht Männern.

Sie ritten auf den Hof und sattelten ab.

Nakita kam aus dem Farmhaus und schien mit ihnen zu sprechen. Er konnte nicht genau erkennen, was geschah, aber plötzlich lag sie am Boden. Alarmiert presste er das Zielfernrohr noch fester ans Auge.

„Was zum Teufel…“, flüsterte er.

Der kleine Junge kam herbeigerannt und warf sich schützend auf seine Mutter. Einer der Männer trat ihn und John Tyler fühlte wilden Zorn in sich aufbranden. Er zielte hoch, atmete aus und drückte ab. Der Schuss hallte laut durchs Tal.

Die Männer unten duckten sich und suchten Deckung. Er nahm den Brunnen ins Visier und gab noch einen Schuss ab. Das Gewehr ruckte und einen langen Moment später sah er Staub am Brunnenrand aufwirbeln.

Einer der Männer erhob sich hinter dem Brunnen, rannte im Zickzack über den Hof und ergriff den Jungen. John sah, wie Nakita ihnen ins Haus folgte, dann verschwanden sie aus seiner Sicht. Die anderen Männer folgten dem Beispiel des ersten. John fluchte und rappelte sich auf. Das war ganz und gar nicht so gelaufen, wie er erhofft hatte.

Er rannte zur Hütte zurück, holte den Sattel warf ihn Pferd über und trieb es rücksichtslos den schmalen Weg hinunter. Das Pferd fand seinen Weg sicher und viel schneller, als er es gekonnt hätte. Unten angekommen, trieb er es in einen wilden Galopp. Von weitem schon hörte er Schreie. Es war Nakita.

Vor dem Farmhaus sprang er ab, bevor sein Pferd ganz zum Stehen gekommen war. Er zog beide Revolver und lief die Veranda hoch. Zuerst sah er in die Küche. Nur der Yankee mit verbundenem Arm war da und hielt eine Tasse Kaffee in der Hand.

Kühl sah er John in die Augen und sagte: „Oben. Beeilen sie sich. Das hier hat nichts mit dem Gesetz zu tun.“

John stürmte die Treppe hoch und fand den kleinen Morgan heulend auf den Stufen sitzen. Er ignorierte ihn und sah am oberen Ende zwei Männer stehen, jeder ein Glas Whisky in der Hand.

„Na, was glaubst du, wann sind wir dran bei der Indianerschlampe?“, sagte der eine gerade grinsend.

Dann schoss ihm John eine Kugel in den Kopf.

Der rote Nebel der Schlacht hatte ihn ergriffen. Nun gab es kein Zurück mehr.

Er tötete sie alle und es war einfach, denn die vier Männer waren alle in Nakitas Schlafzimmer. Als es erledigt war, schleifte er sie hinaus in den Dreck des Hofes. Dem Yankee warf er einen kurzen Blick zu, der ihn von der Veranda aus schweigend beobachtete, doch ihn ließ er leben.

„Ich werde ihr Zeuge sein“, sagte er und senkte den Blick. „Ich konnte sie nicht aufhalten. Sie waren betrunken und…“.

Die Stimme des sonst so kühlen Yankee brach.

„Ich werde Zeuge sein“, wiederholte er.

John Tyler nickte.

„Wird das reichen?“, fragte er?

Der Yankee sah ihm in die Augen. „Ich bin der Sohn des Senators“, antwortete er.

„Meine Stimme hat dort Gewicht, wo Recht und Gesetz herrschen. Und das Recht wird kommen, dafür werden mein Vater und ich sorgen“, fuhr er fort.

John schüttelte verwundert den Kopf.

„Ihr Vater schickt sie als Steuereintreiber ins Land?“, fragte er.

„Das war meine eigene Entscheidung und er hat sie für gut gefunden. Er sagte immer, man sollte die Leute kennen lernen, für die man Verantwortung hat. Ich denke, das ist eine gute Idee. Eigentlich bin ich Anwalt“, antwortete der Yankee und John Tyler erkannte auch einen Politiker, wenn er einen sah.

Aber dieser hier hatte wenigstens Schneid.

Er rechte dem Yankee die Hand.

Der grinste und hob seine Rechte, die in einer Schlinge ruhte. Trotz seiner offenkundigen Schmerzen ergriff er Johns Hand.

„Glatter Durchschuss“, sagte er.

„Ich weiß“, erwiderte John.

Der Yankee sah auf die Leichen, die vor ihnen am Boden lagen.

„Ich werde tun, was ich kann, aber vielleicht sind einige Leute in der Stadt etwas … aufgeregt. Vielleicht sollten sie vorrübergehend etwas Abstand halten“, meinte er trocken.

„Das habe ich vor“, antwortete John.

„Gut“, sagte der Yankee und wandte sich ab.

Er erklomm mühsam sein Pferd.

„Warten sie!“, rief ihm John nach.

„Wie ist ihr Name?“

„Ich bin Harry A. Conant“, sagte der Yankee und ritt davon.

John ging zurück ins Haus und tröstete Morgan, so gut er konnte. Dann betrat er Nakitas Schlafzimmer. Sie hatte sich in Decken gehüllt und sah schrecklich aus. Das Gesicht blutig geschlagen, ein Auge zugeschwollen. Er sagte nichts, hielt ihre Hand und ließ sie weinen.

Er roch das Blut, das er vergossen hatte und die Szenen des Kampfes blitzten vor seinem inneren Auge auf. So war es immer gewesen, im Kampf war er immer ruhig, dafür hatten ihn seine Kameraden bewundert.

Doch sie wussten nichts von den Bildern, die ihn danach verfolgten. Und es dauerte immer länger, sie zu verdrängen.

Irgendwann schlief sie ein und John ging. Er konnte nicht bleiben, trotz der guten Worte von Harry Conant, den er für einen guten Mann hielt.

„Geht es Mama gut?“, fragte ihn Morgan, der vor dem Zimmer gewartet hatte.

„Sie wird gesund werden“, sagte John hörte selbst den Zweifel in seinen Worten.

„Sind die schlechten Männer tot?“, fragte Morgan.

„Ja. Sie sind alle tot. Sie können euch nichts mehr tun. Hör zu Morgan. Du musst dich jetzt gut um deine Mutter kümmern, du und Pepe müsst jetzt für sie da sein, denn ich muss weg gehen“, sagte John.

Morgan begann zu zittern.

„Aber ich werde wieder kommen, das verspreche ich dir“, sagte er. „In zehn Tagen bin ich wieder hier und dann will ich, dass du mich beim Schach schlägst.“

Morgan nickte tapfer.

„Wir werden auf dich warten“, sagte er.

John drücke ihm die Schulter und machte sich auf den Weg, fort von seinem letzten Schlachtfeld, metallischen Geruch von Blut noch im Mund. Er musste und fliehen, und ein Schatz wartete auf ihn, den er brauchte, um die Farm seiner Eltern zu retten und vielleicht auch die Farm von Nakita und ihrem Sohn. Und er wusste, dass es falsch war, aber er fühlte sich zu Hause. Es war Krieg und den Krieg kannte er.

Ende Teil 1

Fortsetzung:

John Tyler und der Schatz des letzten Aufgebotes

John verließ das Tal, so schnell ihn sein Pferd trug. Und die paar Tage Ruhe, mit gutem Futter hatten den Gaul in einen kräftigen Braunen verwandelt.

Nachdem er das Tal verlassen hatte, nahm er den nordwestlichen Pfad in die Berge. Hier verließ er das fruchtbare Delta. Jetzt kam die Wüste.

Er ritt bis tief in den Abend hinein, bis die Sicht wirklich zu schlecht war und führte dann sein Pferd abseits an einen Felsüberhang. Er gab ihm Wasser, mehr hatte er nicht, es musste sich mit den kargen Gräsern, die hier wuchsen, begnügen.

John sammelte Feuerholz, trockene Zweige und machte sich ein Feuer. Er starrte in die Flammen und jetzt kamen die Bilder, die er im Rausch der Schlacht nie wirklich sah; es waren Schemen, die Gesichter bekamen, nicht mehr unpersönliche Feinde, Nichtmenschen.

Einige Kameraden hatten ihn für unverwüstlich gehalten, andere für kalt.

Sie wussten nicht, dass er sich an alles erinnerte, an jedes Bild, an jenes aufgerissene Maul des rotblonden Mannes, der auf Nakita gelegen hatte und dem er die Kugel genau zwischen die Zähne gejagt hatte. Die beiden die sie hielten, die Revolver brüllten in seinen Händen und die Kugeln zerfetzten sie, ihre Schreie, ihre Gesichter, ihre Augen. Es waren die Augen, die ihn verfolgten, sie sahen ihn und jene denen er den Tod brachte.

Dann waren die Revolver leer geschossen, den letzten, der links neben der Tür mit heruntergelassenen Hosen dastand, erschlug er mit den Griffen der Revolver, bis von seinem Gesicht nur mehr eine gestaltlose, blutige Masse übrigblieb. Schließlich war da nur mehr Pulverdampf, dem Kupfergeruch des Blutes und Tod und Nakita, die im Bett ihre Knie umfasste und weinte. Draußen hörte er den Jungen schreien.

Das alles sah er in den Flammen des Feuers und erlebte es wieder und wieder. Aber seine Hände blieben ruhig. John hatte Veteranen gesehen, schlachterprobte Kämpfer, die irgendwann zerbrochen wurden. Die Hände zitterten, sie konnten nicht mehr schlafen und wenn, erwachten sie schreiend. Und er hatte die Killer gesehen, so furchtlos wie hemmungslos, wie sie Menschen getötet hatten, egal ob Bauer oder Soldat, Vieh oder Kind. Er wusste, zu welcher Sorte er gehörte, aber es gefiel ihm nicht. Wenigstens das noch.

Er musste essen, soviel er konnte, in den nächsten Tagen würde er nicht viel dazu kommen.

John holte seine Vorräte aus den Satteltaschen, schnitt Zwiebeln und Speck, briet sie in seiner großen Pfanne und gab Bohnen und Wasser dazu. Am Horizont war der letzte rote Streifen, als er schließlich aß.

Dann schlief er, und im Traum war er zu langsam, einmal erwischte ihn einer der Wachen vor dem Schlafzimmer, einmal versagte seine Waffe. Aber auch im Traum starb er nicht und das hielt er für ein gutes Zeichen. Aber er sah sich auch, wie er die Leichen in den Hof schleifte und dabei hatte er ein Grinsen im Gesicht.

Beim ersten Morgenlicht packte er seine Sachen und ritt weiter.

Er ritt eine Straße entlang, die so unendlich wirkte, als führte sie über den Horizont hinaus.

In weiter Ferne sah er einige Felsformationen, das war sein Ziel. Der Braune, auf dem er ritt, schien das ebenfalls zu spüren, er bockte nicht und hielt stoisch sein Tempo. Er würde ihn „Assassin“ nennen, Attentäter, wenn sie beide das überstanden. Weil er sich so geschickt als kaputter Gaul getarnt hatte.

Am Abend des vierten Tages sah er die Lagerfeuer seiner Verfolger, als schwachen Schein, weit hinter ihm. Er hatte einen Tagesritt Vorsprung, das sollte reichen, um sein Ziel zu finden und einen Teil des Goldes mitzunehmen, dachte er. Danach würde er einen Bogen schlagen und zurückreiten. Er kannte diese Sorte, dieses Aufgebot von erbosten Bürgern, junge Burschen ohne Erfahrung und ohne Ausdauer. Keine Mannschaft, die ihr Geld wert war, würde sein Lagerfeuer auf der Kuppe eines Hügels entzünden. Das war bequem, aber dumm. Sie würden vielleicht Whisky trinken und später aufbrechen als er.

Etwas ruhiger gab er dem Pferd noch einmal Wasser und legte sich zum Schlafen.

Die Träume waren wieder da, das Maschinengewehr, das seine Soldaten niedermähte. Der kleine Junge, wie er weinend auf der Treppe saß. Der rotblonde Mann mit dem aufgerissenen Mund, bevor er ihm das letzte Grinsen aus dem Schädel schoss und wie er den Kopf des letzten Gegners mit dem Revolvergriff einschlug. Sogar ihm Traum merkte er, wie die Bilder schwächer wurden und wie er sie aus einer unbeteiligten Distanz betrachten konnte. Wie es nach jeder Schlacht gewesen war, bis jetzt. Er fürchtete nur, dass er nicht mehr zurückkehren konnte aus dem Rausch des Kampfes, wo nichts zählte, außer dem unmittelbaren Überleben. In diesen Momenten war er kein Mensch, er war ein Monster, eine Maschine, die tat, was getan werden musste, ohne Zögern, ohne Gnade.

Einmal würde er nicht mehr zurückkommen können, dann hatte er den letzten Rest seiner Menschlichkeit verloren. Aber jetzt war es noch nicht soweit.

Er erwachte im ersten Morgengrauen, sattelte das Pferd, das ihn munter und frisch erwartete und ritt los.

Er erreichte sein Ziel früher, als er erwartet hatte, eine Felsformation aus spitzen Steinnadeln, die in einem Tal in die Höhe ragte.

Es war genauso, wie es ihm berichtet worden war, er hatte die Zeichnung in sein Gedächtnis gebrannt.

Am Fuß einer der Felsnadeln band er „Gauner“ lose an einen Busch. „Attentäter“ war kein guter Name für ein Pferd, hatte er beschlossen. Er nahm ihm die Satteltaschen ab, hängte sie sich über die Schulter und nahm nach kurzem Überlegen auch das Gewehr mit, obwohl es ihn bei der Kletterei, die ihm bevorstand, behindern würde.

Er glaubte einen schmalen Pfad zu erkennen und machte sich auf den Weg. Die Wand aus gelbem Sandstein schien fast senkrecht in die Höhe zu Ragen, aber das war eine Täuschung. Der Pfad war steil und steinig, aber es war nicht die unüberwindbare Wand für die man diese Felsen hallten musste, wenn man sie zum ersten Mal sah. Bald musste er die Hände zu Hilfe nehmen und schließlich kletterte er auf über einen schmalen Felsvorsprung die letzten Meter bis zu einer kleinen Plattform. Er zog sich darüber und verschnaufte. Er lag auf einem Felsvorsprung, ziemlich eben und trocken. 10 Meter hinter ihm sah er den Eingang einer Höhle. Direkt in der Wand befand sich der Eingang und die Vormittagssonne leuchte weit hinein. Er konnte Felszeichnungen erkennen, Büffel und Männer mit Speeren, die sie jagten. Bilder von schlangenartigen Wesen, mit riesigen Mäulern.

Er legte die Satteltaschen und das Gewehr ab, bückte sich und betrat die Höhle.

Nach wenigen Metern stieß er auf eine scheinbar solide Felswand. Ratlos tastete er sie ab, nirgends ein Spalt, keine Öffnung nur diese Felszeichnungen der Indianer. Nur eine Kriegsgeschichte fürs Lagerfeuer?

John glaubte es nicht, die Männer die diese Geschichte erzählt hatten, waren ihm durch den schlimmsten Feuersturm gefolgt. Danach hatte Aufschneidereien keinen Platz mehr.

Er setzte sich nieder, nahm eine Handvoll Erde hoch und warf sie an die Wand. Die Erde war feucht, ungewöhnlich für die Wüste und er betrachtete den Boden unter seinen Füßen. Das war kein Fels. Tyler holte sein Messer hervor und begann in dem lockeren Boden vor ihm zu graben. Er fand schließlich zwei Kisten, kaum einen halben Meter tief vergraben. Beide waren randvoll mit Goldbarren. Mit diesem Gold hätte der Krieg vielleicht noch gewonnen werden können.

Die Barren waren schwer, viel schwerer, als er erwartet hatte. Er holte die Satteltaschen und packte vier Barren ein. Dann verschloss er die Kisten und vergrub sie wieder.

Als er die Höhle verließ hörte er Stimmen und verharrte.

„Sein Gaul ist hier, also muss er auch irgendwo sein“, sagte eine Stimme, die er erkannte. Frank, der ihn hatte berauben wollte und dessen Hütte er niedergebrannt hatte. Manche Leute sollte man eben nicht leben lassen.

Tyler ließ die Satteltaschen fallen, legte sich hin und kroch zu seinem Gewehr.

Vorsichtig robbte er zum Rand des Plateaus, schob den Lauf der Colt 1855 über den Rand und sah durch das Zielfernrohr. 100 Yard entfernt, sah er Frank und noch vier andere Männer auf ihren Pferden sitzen. Gewöhnliche junge Männer, sie hätten vielleicht Kameraden von ihm sein können, sie hätten im selben Dreck liegen können. Tyler spannte den Hahn des Gewehres. Er könnte sie jetzt abknallen wie die Hasen, sie hätten nicht die geringste Chance. War er im Recht? Sie jagten ihn, über Tage und Nächte hinweg hatte ihr Lagerfeuer immer nur ein paar Stunden hinter ihm gebrannt.

John hatte sie jeden Abend gesehen.

Er nahm die rote Mähne von Frank ins Fadenkreuz. Auf diese Entfernung war sein Gewehr absolut präzise. Er zögerte und wartete ab, vielleicht entdeckten sie ihn nicht. Dann ertönte plötzlich ein lauter Pfiff und er hob den Kopf. Die Kugel der Sharp Rifle durchschlug deshalb nicht seine Stirn, sondern riss ihm nur das linke Ohr ab. Rasch robbte er in den Schatten des Höhleneingangs zurück. Das Blut rann seinen Hals hinunter und durchtränkte sein Hemd.

Sie haben einen Scharfschützen, dachte John benommen. Und der hatte ihn entdeckt. Wahrscheinlich das Funkeln des Zielfernrohres.

Tyler riss sich das Halstuch herunter und drückte es auf das Ohr. Dann kroch er noch ein paar Meter weiter in die Schatten. Eine weitere schwere Kugel schlug in die Wand rechts neben ihn ein. Tyler stelle das Visier auf 4x und begann zu suchen. Er hörte die Stimmen von unten, Felsen, die sich lösten. Sie würden heraufkommen. Er wartete und suchte die Umgebung ab. In diesem Moment existierte nichts außer ihm und sein Auge, sein langsamer Atem und der Finger am Abzug. Schließlich fiel ein Sonnenstrahl auf Glas, brachte es zum Blitzen und er fand sein Ziel. Er schätzte die Entfernung auf 250 Yard, er konnte sein Ziel in der Optik noch gut erkennen. Kein Wind. John spürte nur kalte Gelassenheit und drückte ab. Die Colt ruckte und er sah den blutigen Nebel.

Tyler robbte wieder nach vorne. In der felsigen Wüste gab es nur wenig Deckung. Nun gab es nur mehr ihn und den Rausch der Schlacht. Einen erwischte Tyler, als er auf sein Pferd springen wollte. Ein Schuss auf 100 Yards, das Pferd schleifte den toten Reiter noch einige Meter weiter. Dann beobachtete er weiter. Er stelle das das Visier auf 2 x, er schätzte sie waren innerhalb 50 Yard. Er sah eine Bewegung, ein Busch, dessen Zweige sich bogen. Er wartete ab, bis sich der Kopf knapp daneben zeigte und drückte ab. Er konnte den Kopf des Mannes im Visier genau erkennen und das obere Drittel der Stirn, das sich in Blut und Knochen auflöste. Der Dritte überraschte ihn fast, der tollkühne Bastard war hochgeklettert und wollte ihn mit dem Revolver erledigen. Tyler hörte ihn gerade noch rechtzeitig, wie sich ein loser Stein unter den Stiefeln des Mannes löste. Er hätte ihn viel früher bemerken müssen, aber er war fast taub von seinen eigenen Schüssen.

John sah die Arme neben ihm auftauchen, nach Halt greifend, wälzte sich auf die Seite und zog seinen linken Revolver. Als der Kopf auftauchte, schickte ihn das schwere Blei wieder den Abgrund hinunter.

Nun war nur noch Frank übrig.

Tyler robbte wieder nach vorne und suchte wieder mit dem Zielfernrohr die Umgebung ab.

Nichts bewegte sich, nur sein Pferd knabberte an ein paar Halmen. Sein Halstuch war inzwischen getränkt mit Blut, aber es schien nicht noch schlimmer zu werden.

Er wartete und beobachtete. Die Sonne brannte inzwischen erbarmungslos auf die Lebenden und die Toten.

Derr Marsch

Tyler musste eingeschlafen sein, obwohl er das für unmöglich gehalten hätte. Sein linkes Ohr schien eine glühende Kugel zu sein, die sich in seinen Schädel bohrte. Das Wiehern von Gauner weckte ihn. Er hob das Gewehr und suchte viel zu lange, bis er Frank fand, der auf seinem Pferd davonritt. Gauner wehrte sich und schlug aus, aber Frank zwang ihn zum Galopp. Mit zittrigen Händen lud Tyler durch, seine Sicht war verschwommen. Er konnte Frank nicht entkommen lassen. Er drückte ab und wusste, dass er getroffen hatte. Er packte das Gewehr und die Satteltaschen und zog sich in den Schatten der Höhle zurück.

Die Temperaturen stiegen draußen über 40 Grad, in der Höhle blieb es aber erstaunlich kühl. Tyler fiel in einen Zustand zwischen Schlaf und Bewusstlosigkeit.

John erwachte aus Alpträumen mit entsetzlichen Kopfschmerzen am frühen Abend. Er fühlte sich schwach und vermutete, dass er Fieber hatte. Die Kopfwunde hatte sich wohl entzündet.

Er trank einige Schlucke Wasser, und zwang sich, etwas zu essen. Inzwischen stank der Schinken von Frank. So verlockend es auch war, in der kühlen Höhle zu bleiben, er musste aufbrechen. Sein Wasserschlauch war kaum noch halbvoll.

Er trat hinaus in die beginnende Abenddämmerung, hängte sich die Colt über die Schulter und warf die Satteltaschen den Abhang hinunter. Das Gold wog schwer, aber er war entschlossen, nicht mit leeren Händen zurückzukehren.

Langsam kletterte er die Felsen hinunter, ein Absturz und ein gebrochenes Bein war das letzte, das er jetzt gebrauchen konnte.

Unten angekommen, musste Tyler abwarten bis der Schwindelanfall abgeklungen war, dann nahm er das Gewehr von der Schulter und suchte mit dem Zielfernrohr nach den Pferden seiner Verfolger. Schließlich senkte er die Colt und gab auf. Durch den Lärm des Feuergefechtes erschreckt hatten die Tiere die Flucht ergriffen und waren wahrscheinlich auf dem Weg zurück in ihre Ställe.

Er hob die Satteltaschen auf, legte sie sich um die Schultern und marschierte los.

Nach einigen hundert Yard fand er Gauner und, so schrecklich es war, er lebte noch. Die Kugel aus seiner Colt hatte ihn in den Leib getroffen, er sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an, mit Schaum vor dem Maul.

„Tut mir leid, alter Junge“, flüsterte John. „Ich konnte ihn nicht fliehen lassen und ich war nicht gut genug um ihn selbst zu treffen.“ Dann holte er sein Messer hervor und beendete das Leiden des Tieres.

Er musste Frank einholen, sonst wäre alles umsonst gewesen, Gauner wäre für nichts gestorben. Tyler ignorierte die rasenden Kopfschmerzen, die Schwäche in seinen Beinen und begann seinen Marsch.

Er schaffte vor Einbruch der Dunkelheit nur wenige Meilen, doch der Mond schien hell genug und er konnte sich an den Sternen orientieren. Sein Kopf dröhnte noch immer, die Wunde pochte, aber das Fieber schien ein wenig gesunken zu sein. Es war nicht wichtig. Wenn nötig, würde er auf allen Vieren durch die Wüste kriechen um Frank einzuholen. Am Vormittag des nächsten Tages fand er einen leeren Wasserschlauch und lächelte. Er konnte auch Spuren im Sand erkennen und kniete sich nieder. Nachdenklich betrachtete er die Abdrücke. Der Mann, der diese Spuren hinterlassen hatte, zog ein Bein nach.

Langsam erhob er sich und spürte das Gewicht des Goldes in den Satteltaschen. Er track einen Schluck Wasser und rückte seine Last zurecht. Es würde nicht mehr lange dauern. Frank gehörte ihm.

Am Nachmittag spürte er, dass Frank ihm im Nacken saß. Tyler suchte sich Schatten bei einem der hoch aufragenden Felsen, aß Franks stinkenden Schinken und trank sein letztes Wasser. Dann überdauerte er die größte Hitze; gegen vier Uhr brach er auf.

Tyler holte Frank kurz vor Einbruch der Dunkelheit ein. Er hätte ihn beinahe nicht bemerkt, Frank lag ohnmächtig hinter einem dürren Kaktus, nahe der Straße. John lächelte mit ausgetrockneten Lippen. Die Wüste hatte ihre eigenen Regeln, und man sollte sie kennen. Man legte sich nicht so einfach in der Hitze der Wüste in einen Hinterhalt.

Tyler sah das Blitzen von Metall in den Strahlen der untergehenden Sonne, das hatte Frank und ein Versteck verraten. Geduckt schlich er mit dem Revolver in der Hand durch die kargen Sträucher. John fand den ausgemergelten Körper von Frank, der regungslos hinter einem Kaktus lag. Er nahm ihm den Revolver aus der schlaffen Hand und schleifte den Bewusstlosen in den Schatten des nächsten Felsens. Tyler hatte selbst kaum mehr Wasser, wusste aber, dass er noch mindestens einen Tag durchhalten konnte. Für Frank, den mindestens ein schwerer Sonnenstich erwischt hatte, galt das nicht.

John konnte ihm kein Wasser geben, das Einzige, was er tun konnte, war Frank beim Sterben zuzusehen.

Frank erwachte, als die Kälte der nächtlichen Wüste kam.

„Das verbrannte Land! Der Jäger!“, rief er im Delirium. Dann verlor er wieder das Bewusstsein.

John ignorierte ihn.

„Wasser! Bitte!“, flüsterte Frank einmal in einem klaren Moment.

„Nein“, sagte Tyler und beobachtete ihn aufmerksam. In seinem Schlauch war noch ein Schluck Wasser, aber das brauche er für sich. Er hob den Schlauch und ließ den warmen, schalen Schluck in seine Kehle laufen. Dann lehnte er sich an die Felswand und hoffte, dass der Schlaf nicht kommen würde, denn dann würden die Bilder kommen und dieser rote Nebel, in den sich der Kopf des Scharfschützen aufgelöst hatte. Er wusste, er sollte träumen und die Gesichter und den roten Nebel sehen, denn das hielt ihn zurück vom letzten Schritt: Eine Bestie des Krieges zu werden.

„Der Tod, aber nicht für dich“, flüsterte Frank irgendwann nach Mitternacht und starb. John Tyler hörte es nicht, er schlief tief und fest und hatte keine Träume. Am nächsten Morgen erwachte er ausgeruhter, als er erhofft hatte. Er stand auf, betrachtete die Leiche und drehte ihn dann mit dem Stiefel auf den Bauch. Er wollte das Gesicht von Frank nicht mehr sehen.

Tyler ging noch einmal zurück zu dem Kaktus hinter dem Frank auf ihn gewartet hatte. Frank hatte sich eine Mulde in den Sand gegraben, eigentlich eine gute Idee, wenn man unentdeckt bleiben wollte. In der Wüste, in der prallen Sonne, konnte die Hitze in der Mulde nicht mehr entweichen. Frank hatte sich selbst gekocht. In einem Gebüsch weiter hinten hingen vier Wasserschläuche im Schatten.

John prüfte sie und einer war noch voll. Der Rest warmen, schalen Wassers aus einem anderen trank er sofort.

Frank hatte es nicht zurück zum Wasser geschafft. Tyler grinste. Was für ein Idiot.

Tyler ging zurück zu dem Felsen, unter dem er geschlafen hatte.

Er hockte sich neben die Leiche von Frank und betrachtete ihn nachdenklich.

„Man legt sich nicht einfach in der Wüste in eine Mulde, Idiot“, murmelte er. „Die Hitze kann nicht entweichen und der Wind kann nicht kühlen. Frank, ich bin enttäuscht“, fügte er hinzu und öffnete die Satteltaschen. Er holte ein Stück Schinken hervor, roch daran und verzog das Gesicht. Trotzdem aß er hungrig.

„Siehst du Frank? Ich esse deinen Schinken. Ich sehe das als Ehre an. Ich esse deinen Schinken für dich“, sagte er zwischen zwei Bissen.

„Es ist ein wenig so, als würde ich dich essen, Frank. Anscheinend gibt es Indianer, die glauben die Stärke des Feindes ginge auf sie über, wenn sie sein Herz äßen. Oder die Leber, wie auch immer“, überlegte Tyler nachdenklich.

Er hob den Wasserschlauch und spülte den salzigen Schinken mit warmem Wasser hinunter.

Die Nahrung und das Wasser gaben ihm Kraft und Energie zurück. Die Kopfschmerzen waren verschwunden. Tyler hockte sich neben die Leiche und tätschelte die steife Schulter.

„Nach jeder Schlacht bin ich erstaunlich gut gelaunt, so wie jetzt, Frank. Ein Gefühl, als würde man auf Wolken schweben. Irgendwann hört das auf und dann kommen hoffentlich die Träume, das biegt mich wieder zurecht“, sagte John und schaute in den Himmel. Er sollte bald aufbrechen, bevor die Hitze zu groß wurde.

Tyler pullte sich ein Stück Schinken aus den Zähnen und wischte sich die Finger an Franks Jacke ab.

„Zwischen den Träumen bin ich wirklich kein netter Kerl. Ich denke, das ist mein Schlachtenmodus, in den ich schalte, wenn ich muss, wenn in der Luft das Blei singt. Wenn die Pferde neben dir ihre Eingeweide davonziehen. Der Kamerad einfach tot ist, mit dem du am Abend zuvor Karten gespielt hast“, flüsterte er.

Dann klatschte er in die Hände und sagte ernst: „Aber das ist auch die Zeit, wo du Eins mit allem wirst. Du verwandelst dich in etwas anderes, ich bin dann nicht mehr John Tyler, ich bin dann ein etwas anderes.“

Er tätschelte Franks Schulter.

„Ich bin dann etwas, mit dem sich am besten keiner anlegen sollte“, murmelte er und erhob sich.

„Ich habe einmal einem Soldaten in den Bauch geschossen und er flehte mich an ihn zu erlösen“, sagte er und sah auf die Leiche von Frank hinunter.

„Nun, er schrie sehr laut und ich legte mich in einen Hinterhalt und erschoss die Leute, die ihn retten wollten. Es hat mir nicht leidgetan.“

Tyler nahm die schweren Satteltaschen mit dem Gold und sein Gewehr auf. Bevor er ging, trat er noch einmal mit dem Stiefel gegen die steifen Körper.

„Bis jetzt ist John Tyler immer zurückgekommen, nach den Träumen“, sagte er ernst zu Frank. „Aber ich rede mit einer Leiche, und das ist kein gutes Zeichen, glaube ich.“

Zurück nach Wedrock

John Tyler wanderte, bis die Hitze zu groß wurde und verschlief die Mittagsglut. Ein Tagesmarsch, vielleicht zwei, dann war er in Wedrock. Er marschierte bis in die Nacht hinein und dann sah er den Feuerschein am Abendhimmel leuchten.

Auf dem Rückweg lag die Farm von Nakita. John trank den letzten Schluck Wasser und ging los. In tiefster Nacht umging er den Hügelkamm und stieg von der Kuppe hinab in die Lichtung in der die Hütte stand. Der Mond leuchtete ihm gut, aber sobald er den Hain betreten hatte, in dem die Hütte stand, sah er die Hand vor Augen kaum. Dann bemerkte er ein schwaches Flackern und marschierte darauf zu. Er sah es nicht wieder, aber behielt die Richtung bei.

Er fand die Hütte und wäre doch beinahe vorbeigelaufen. Nur die stärkere Dichte der Schatten hatte sie verraten.

Er stellte sich wieder vors Fenster, wie damals bei Frank und sagte: „Hier ist John Tyler. Ich bin allein.“

Einen Augenblick später sah er den Schein des Feuers, der durch die Scheibe drang. Dann öffnete sich die Tür.

Nakita stand da, abgemagert und verhärmt und hinter ihren Beinen versteckte sich der kleine Morgan.

John fühlte die Erleichterung so stark, es nahm ihm die letzte Kraft aus den Beinen.

Er brach auf der Schwelle der Hütte zusammen und erwachte erst wieder, als er kühles Wasser an seinen Lippen spürte. Nakita schleppte ihn irgendwie in die Hütte, hievte ihn aufs Bett und pflegte seine Wunden. Sie zwang ihn das Wasser langsam zu trinken, obwohl er schrecklich aussah. Abgemagert, die Lippen blutig gesprungen, einen seltsamen Blick in den Augen. Sie entfernte vorsichtig den Verband von seinem Ohr und seufzte erleichtert. Der Rest des Ohres war geschwollen, aber schon in Heilung begriffen. Dann sah er nichts mehr. Er schlief und träumte. John sah die Leichen, er sah den roten Nebel, aber von Frank träumte er nicht.

Nakita flößte ihm Wasser ein, aber davon erwachte er nicht.

John Tyler erwachte erst, als die Farm brannte. Es war tiefste Nacht, er musste mehr als 10 Stunden geschlafen haben. Mit einem Ruck erhob er sich und lief aus der Hütte. Er sah den Abglanz der Flammen, wie er ihn oft ihm Krieg gesehen hatte und ging auf Nakita zu, die vor der Hütte stand und ihre Hände zum Mund erhoben hatte.

Nakita bemerkte ihn, drehte sich um und schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht.

Überrascht taumelte er zurück.

Hinter sich hörte er den Jungen weinen.

„Sieh dir an, was du angerichtet hast!“, rief sie, packte ihn am Ärmel seines Hemdes und zerrte ihn hinter sich her.

Mit schlafwandlerischer Sicherheit führte sie ihn im Dunkel zum Rand des Plateaus. Der kleine Morgan blieb weinend zurück.

Dort unten brannten die Felder, die Häuser der Farm, die Ställe.

„Das haben sie uns angetan, nur weil du hier aufgetaucht bist! Alles was du anfasst wird zerstört“, schluchzte sie und boxte ihm an die Brust.

„Ich wollte nur das Beste, das, was ich für richtig hielt“, flüsterte er.

„Das macht es nur noch schlimmer“, antwortete Nakita traurig und nahm seine Hände in ihre. „Gute Menschen versuchen gute Sachen und alles wendet sich gegen sie. Weil die Bösen stärker sind. Weil der Hass so groß ist“, sagte sie. Er konnte ihr Gesicht in der Dunkelheit kaum erkennen, nur die niedergebrannten Farmhäuser flackerten auf ihrer Wange.

„Wenn das Schlechte immer gewinnen würde, dann sollten wir alle untergehen“, antwortete er. „Und vielleicht tun wir das gerade. Aber man kann das auf verschiedene Weise tun“, fügte er hinzu.

Sie nahm ihn an der Hand und führte ihn durch die Dunkelheit in die Hütte. Drinnen flackerte nur ein schwaches Feuer im Kamin. Sie zündete eine Coleman Lampe an und erschrak, als das Licht seine Schatten warf.

Nakita sah sein Gesicht, das nur annähernd dem John Tyler ähnelte, den sie vor ein paar Tagen kennen gelernt hatte. Es war eine Maske und das Lächeln, das er versuchte machte alles nur noch schlimmer.

Blut bedeckte die eine Seite seines Gesichts, zu einer trockenen Schicht verklebt.

Das rechte Ohr fehlte fast vollständig. Er stank wie verbrannte Hundehaare. Aber das schlimmste waren seine Augen. Diese hellblauen, fast weißen Augen hatten jeden Fokus verloren, auch wenn sie direkt auf sie gerichtet waren. John Tyler hatte den tausend Yard Blick. Jeder Veteran erkannte ihn bei einem Kameraden, Männer, die zu viel gesehen hatten Er sah Nakita und den kleinen Morgan und sah sie doch nicht. John sah in die Hölle aber er fürchtete sie nicht mehr.

Er redete mit Nakita, lange nachdem der kleine Morgan nach oben ins Bett geschickt wurde. Er erzählte ihr, was er getan hatte.

„Du kannst nichts dafür, John“, sagte sie dann nachdenklich, „Aber du bringst Unheil.“

„Es wird besser werden, es muss besser werden“, antwortete er und hatte vor Augen wie er mit dem toten Frank sprach.

„Ich habe das Gold, damit werde ich unsere alte Ranch zurückkaufen. Es wird wieder sein wie früher“, sagte er und seine Augen beobachteten aufmerksam die Tür.

In dieser Nacht schlief er mit Nakita, aber es war ein Akt der Verzweiflung, nicht der Leidenschaft.

Sie weinte anschließend und John wagte nicht die Augen zu schließen. Denn heute würden diese Träume zu viel für ihn sein.

Er packte das Gold aus den Satteltaschen auf den Tisch, noch bevor es hell wurde.

Er versuchte, so leise wie möglich zu sein, doch Nakita erwachte.

„Du willst gehen, ohne Abschied?“, fragte sie, erhob sich vom Lager und bedeckte ihre Blöße mit dem Laken.

„Nein“, sagte John. „Ich sage dir meinen Abschied. Aber ich kann den Krieg riechen und er lockt mich.“

Nakita stand und ließ die Laken fallen. John sah sie in ihrer nackten Vollkommenheit und musste schlucken.

Dann wandte er sich ab und sagte: „Bring mir die restlichen Patronen für das Gewehr.“

Sie brachte ihm wortlos die Schachtel und fasste ihn bei den Händen.

„Du wolltest Morgan Schach beibringen“, flüsterte sie. „Komm zurück.“

„Ich werde es versuchen“, antwortete er.

Tyler hob das Gewehr auf, drehte sich um und verließ die Hütte. Er roch den Rauch der verbrannten Felder. Am Bach füllte er seinen Wasserschlauch, orientierte sich kurz und nahm dann den steilen Weg hinunter zu der niedergebrannten Farm. Aus dem Tal stiegen immer noch Rauchwolken empor.

Wieder marschierte er durch. Er aß nichts und trank wenig. Im Morgengrauen erreichte er Wedrock. Und er sah den Galgen.

Das Ende von Wedrock

John Tyler nahm das Gewehr von der Schulter, stellte das Fernrohr auf 4x und suchte den Galgen. Dort hangen eine Frau und ein Mann. Wie betäubt verließ er seine Position und ging näher. Nach weiteren hundert Yards, sah er wieder durch das Zielfernrohr. Nach weiteren hundert Yards noch einmal. Dann ließ er das Gewehr sinken und ging wie betäubt, bis er schließlich unter dem Galgen stand. Dort hing seine Schwester. Und der Yankee, der versprochen hatte, dass nun Recht und Gesetz herrschen würden, auch im Süden.

Der Sohn des Senators. Nichts zählte mehr hier, kein Gesetz, noch Schuld oder Unschuld.

John Tyler wusste jetzt, dass er nie mehr träumen würde. Die Leute die das getan hatten, gaben ihm den letzten kleinen Stoß und er fiel in den Abgrund aus dem es kein Zurück gab. Alles, was er anfasste zerfiel zu Staub. Dieser Ort würde zu Staub und Knochen zerfallen und er würde die Knochen mit seinen Absätzen zertreten.

Langsam erhob sich John und ging auf das erste Haus zu. Ein Fenster öffnete sich, und Tyler zog den Revolver wie er es immer getan hatte, hellwach und ausgeruht oder unter der Leiche seiner Schwester, wie ein Blitzschlag bei blauem Himmel. Das Fenster schloss sich sofort wieder.

John erhob die Stimme und rief: „Fünf Minuten! Frauen und Kinder und Alte können gehen.“

Dann sah er wieder auf die Leichen seiner Schwester und des Sohnes des Senators.

Er zog den zweiten Revolver ebenfalls und bleckte die Zähne. Er konnte in seinem Kopf hören und sehen, wie die Bewohner der Stadt gejohlt und gerufen hatten, als sie seine Schwester und den guten Yankee aufknüpften. Wie sie dagestanden hatten, die Mütter mit den Säuglingen an der Brust, wie sie zugesehen hatten, vielleicht nicht jubelnd, wie die Männer, sondern auf die Art wie es gut ist, wenn eine starke Frau wie seine Schwester scheitert, weil sich das gut anfühlt, sicher, ja sicher, und früher oder später wären ja dann doch wieder die Huren in den Saloon gekommen, die ihnen die Männer verrückt machten.

John Tyler hatte Pläne gehabt, die Farm, die er hatte zurückkaufen wollen, mit seiner Schwester und das Gefühl wollte er wieder haben, wenn die Ernte einfuhr, am Ende und trotz einer harten Trockenheit.

Es war alles so umsonst gewesen. Der Krieg hatte Tyler verlassen, aber er war ein eifersüchtiger Liebhaber. Flüchtig dachte er an Nakita und den kleinen Morgan, der so sehr einen Vater brauchte, dann verschwanden diese Gedanken sofort im Nebel des Krieges.

John wurde sehr klar und sehr aufmerksam, im Schatten der Leiche seiner gehängten Schwester. Nun gab es keine Fragen mehr. Und wenn, lieferte er alle Antworten. Tyler lächelte verkniffen. Es dämmerte bereits. Sie würden bald Licht brauchen.

Er sah Frauen mit Kindern davonlaufen, mit nichts am Leib als dem Nachthemd, die Kinder teilweise nackt und schreiend. Ein Schuss peitschte in seine Richtung. Tyler legte die Revolver in Reichweite, nahm das Gewehr von der Schulter und glitt zu Boden. Über ihm baumelten die Leichen seiner Schwester und des Yankees, der an die Vernunft und die Gerechtigkeit geglaubt hatte. Doch die Vernunft endet schnell und endgültig an der Schlinge.

Er stellte das Visier auf 2x und beobachte die Mainstreet vom Galgen aus. Die Sonne stand tief, die Schatten der im Wind sanft baumelnden Körper verbargen ihn.

Tyler sah einen Mann auftauchen, am Dach des Sheriffbüros, dann noch einen am Eingang des Saloons. Einer bewegte sich zwischen Stall und Tränke. John entsichert und spannte. Da war nichts außer kalter, klarer Wut. Ein Windstoß kam und brachte die Leiche seiner Schwester zum Schaukeln. Es gab keinen John Tyler mehr und er würde auch nie mehr zurückkommen.

„Lauft einfach, so schnell ihr könnt“, murmelte er, richtete das Fadenkreuz auf den Mann am Dach des Saloons, atmete aus und drückte ab. Und das wirkliche Töten begann.

Ende

John Tyler – Die Entlassung 01/22 – 03/22

 

Ich bin bei Kritik sehr empfänglich :) Ich war lange nicht mehr hier, aber ich denke, es wird jetzt mehr kommmen.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @FieberOptik ,

endlich schaffe ich es, deinen Text zu kommentieren. Lange habe ich es mir vorgenommen, aber ob der Länge ist es natürlich ein Zeitaufwand. Das macht das Kommentieren sehr schwierig, und ich werde auch nur für den Anfang Textarbeit leisten, dann generell zu Deiner Geschichte etwas sagen. Vorweg möchte ich sagen, dass ich das insgesamt gute Schreibe finde. Der Text ist angenehm geschrieben, das Setting fesselnd und die Geschichte weist Elemente auf, die mich auch zum Weiterlesen treiben. Der Revolverheld, die schöne Frau, das Abenteuer, all das, was ein Western braucht. Mag ein wenig Klischeebehaftet sein hier und da, aber die Charakter wurden doch tiefgründig genug gezeichnet, um für mich eine lebendige, authentische Welt zu schaffen. Was das Fachwissen, die Nomenklatur um den "Wilden Westen" bzw. genereller um diese Nachkriegszeit angeht, kenne ich mich nicht aus, also zumindest als Laie habe ich Dir das abgekauft. Ich habe die Geschichte wirklich gerne gelesen, war voll drin und hätte auch weiter gelesen.
In meinen Augen hat der Text/ die Geschichte allerdings auch ein paar Schwächen und darauf gehe ich gesondert ein. Zunächst einmal ist die Geschichte nicht abgeschlossen. Und sie endet ja auch nicht an einem Punkt, der mich als Leser zufrieden stellen könnte, mir ein mögliches Ende darstellen könnte – ein mieser Cliffhanger also. Aber gut, der Text hatte einiges zu bieten.
Dann aber möchte ich Dich bitten, den Text noch einmal sorgfältig durchzugehen und auf Fehler zu überprüfen. Ich habe nur den ersten Teil noch einmal unter die Lupe genommen und die Fehler angekreidet, aber die Dichte nimmt im Laufe der Geschichte zu, war am Ende sogar beunruhigend hoch. Ist ein sehr langer Text, aber selbst in Betrachtung Dessen, war die Fehlerquote meines Erachtens etwas drüber.

Jake Reily, einer der Gefängniswärter[,] der ihm in einer anderen Zeit
das Komma muss
wie man einen Handschuh anzieht, oder eine gute alte Jacke
dieses Komma würde ich nicht setzen
Jake sah ihn lächelnd an und deutete auf das Pferd hinter ihm, einem braunem Pinto.
er deutete auf einen braunen Pinto

Der Fall der nachträglichen Erläuterung hängt vom Substantiv ab, auf den sie sich bezieht.

Was du in den Satteltaschen dieses erbärmlichen Kleppers findest[,] ist deine Sache“, sagte er und reichte John die Hand.
Auch dieses Komma muss
das "t" fehlt in sagte
In zwei öligen Lappen waren die 1860 Colts eingewickelt, die ihm sein Vater mit in den Krieg gegeben hatte. Die Griffstücke waren ersetzt durch feines Sandelholz, dunkel und schwer.
Es hat mich nicht viel Aufwand gekostet, herauszufinden, dass der für die Hand vorgesehene Part des Gehäuses bei einem Revolver "Rahmen" genannt wird.
Ohne hinzusehen bestückte er den rechten Revolver mit sechs Patronen, bedächtig und sorgfältig. „Aber du hast mich eingesperrt, wie ein Tier in diesem großen Land und andere Wärter waren nicht so wie du, du weißt das“, sagte John, während er Jake in die Augen sah.
Ohne hinzusehen tut er es, ok, aber wo sieht er denn dann hin? Im Satz darauf erfahre ich, dass er Jake in die Augen sieht, wieso nicht gleich so?

Er bestückt den Revolver, während er Jake in die AUgen sieht.
Sonst ist beim Lesen nicht gleich, klar, wo er denn jetzt gerade hinsieht. Das hat mich einw enig rausgeworfen.

Das Komma vor "wie" weg.

Mit der anderen Hand lud er den zweiten Revolver, gleich sicher und bedächtig.
In meinen Augen redundant
Sie hatten sogar ab – und zu ein Glas Whisky getrunken oder eine Zigarillo geraucht.
Warum der Gedankenstrich?
Aber immer hatte John eine Aura der Stille umgeben, ein Schutzpanzer, nie kam man ihm wirklich nahe. Und immer war Jake bewusst gewesen, dass man dem Verräter vom Rio Bravo niemals verzeihen würde. Nicht für die Männer die er getötet hatte für die Konfederation.
Zuerst fragt man sich, was die Szene um den Gefängniswärter soll, hier dann die Aufklärung, finde ich gut gelöst.


Konföderation

Und noch weniger für den Verrat, den er begangen hatte[,] um seine Truppe vor dem sicheren Tod zu bewahren.
Das Komma muss

So und das ist nur der erste Absatz. Die Fehlerdichte nimmt zu und dann gab es im letzten Kapital zwei inhaltliche Wiederholungen, ganze Szenen, die an späterer Stelle anders beschrieben noch einmal wiedergegeben werden, da hast Du Dich ganz brutal verhaspelt. Außerdem gibt es da mitten im Text diese Stelle:

„Lauft einfach, so schnell ihr könnt“, murmelte er, richtete das Fadenkreuz auf den Mann am Dach des Saloons, atmete aus und drückte ab. Und das wirkliche Töten begann. Ende John Tyler – Die Entlassung 01/22 – 03/22 Entlassung John Tyler Hinter John Tyler schlossen sich die Tore des Kriegsgefangenlagers und er hatte nicht mehr am Leib als seine alte graue Südstaatenuniform und ein gutes Paar Stiefel. Die Stiefel hatte er von Paul bekommen, als klar war, dass ihn die Tuberkulose kriegen würde. Jake Reily, einer der Gefängniswärter der ihm in einer anderen Zeit ein Freund gewesen wäre, stand neben ihm.
Der Text fängt einfach noch mal an. Was soll das? Mir fällt ja gerade jetzt erst auf, dass der Text doppelt abgebildet ist. So was kann schon mal ziemlich unsauber wirken.


Davon abgesehen möchte ich auf zwei Komponenten des Textes verweisen, die ich für problematisch halte.

Erstens wäre da der versteckte Schatz zu erwähnen. Der Prota kommt frei und reitet ohne sonstige Perspektive zu seiner Schwester in die Heimat. So weit so gut. Dann aber erfahre ich (und gerade dann als es so weit ist, dass der Prota eine Menge Geld benötigt), dass der Prota den genauen Ort eines versteckten Schatzes kennt, eine Menge Gold. Und nun macht er sich auf den Weg, um es zu holen. Abgesehen davon, dass es sehr angepappt wirkt, um die Story voranzutreiben, werde ich da als Leser etwas skeptisch. Wenn er die ganze Zeit über wusste, wo dieser Schatz versteckt ist, warum macht er sich nicht gleich auf die Suche? Kommt er frei und denkt dann wirklich erst: ja, dann gehe ich zu meiner Schwester. Und später fällt ihm dann der Schatz ein, wo er gerade Geld braucht? Ist es nicht realistischer, dass er die ganze Zeit im Gefängnis darüber gegrübelt hat, sich bei seiner Freilassung diesen Schatz unter den Nagel zu reißen? Und dann vllt zu seiner Schwester zurückzukehren? Er weiß die ganze Zeit, wo sich ein Vermögen versteckt und denkt nicht daran, bis es dann der Story nützlich ist? Für mich als Leser ein Grund im Nachhinein die Nase zu rümpfen. Würde man dem leser von Anfang an von diesem Schatz erzählen, könnte man solcherlei Fisimatenten vllt aus dem Wege gehen.


Als zweiter Punkt wäre da der Amoklauf des Protas am Ende dieser Handlung. Die inneren Dämonen des Protas spielen immer eine Rolle, ja sogar eine entscheidende, und daher ist es keine komplett unvorhergesehene Wendung, die sich da ereignet, aber ein wenig überrascht hat es mich schon. Vor allem, weil ich mich Frage, ob Du der Geschichte da einen gefallen getan hast. Es ist ein interessanter Aspekt, dass der Prota nicht nur als der Tugendhafte Held präsentiert wird, sondern auch die psychischen Nachwirkungen von Krieg und Gewalt einen realeren Gesichtspunkt in die Geschichte/ das Innenleben des Protas bringen, aber so richtig gefallen wollte mir das nicht. Das ist selbstverständlich rein subjektiv und ein Leseeindruck anhand eigener Vorlieben, den ich hier versuche darzulegen. Ich hatte den Prota liebgewonnen und, wenngleich keine happy happy Kinderstory daraus werden soll, das war ja nicht Deine Absicht und finde ich auch gut so, so war dieses "Amoklauf-Ende" dann doch etwas rabiat in meinen Augen. Also kurzum: dieses Ende hat mich persönlich nicht zufriedengestellt.


Und dabei belasse ich erst einmal. Die Länge der Geschichte macht die gründliche Textarbeit sehr aufwendig, habe aber, wie gesagt, zahlreiche Fehler gefunden und kann nur daran appellieren, noch einmal gründlich drüber zu schauen.
Ich habe die Geschichte gerne gelesen, wie gesagt in Sachen Setting und Charaktere hat sie mich voll abgeholt und ich war mitten drin. Alles von meinen Anmerkungen, was über Orthographie hinausgeht, stellt lediglich meine persönliche Meinung, meinen Leseeindruck dar.

MfG

 

Vielen lieben Dank für die strenge (zurecht), aber nicht herabwürdigende Kritik!
Muss sagen, ich bin gerührt, was aber Hintergründe hat.
Ich habe die Geschichte für meinen Papa geschrieben, der es wohl nicht mehr lange macht, der hat immer diese G.F. Unger Romane gelesen.
Ich dachte, ich schreib ihm sowas, kann ja nicht so schwer sein, ist ja eh immer das Gleiche.
Naja, jedenfalls hat er einfach nicht reagiert auf den ersten Teil, der etwas positiver rüberkommt. Kein: Nein, schlecht. Kein: irgendwas. Hat mich ungut erwischt.
Den zweiten Teil, naja, da war die Stimmung etwas anders und ich habe das ein wenig früh dann eingestellt ins Forum. Die Fehler sind inzwischen weniger geworden, habe mehrmals drüber gearbeitet.

Jedenfalls bedanke ich mich für deine Kritik und werde sie annehmen, so gut ich kann!

Ich hatte den Prota liebgewonnen und, wenngleich keine happy happy Kinderstory daraus werden soll, das war ja nicht Deine Absicht und finde ich auch gut so, so war dieses "Amoklauf-Ende" dann doch etwas rabiat in meinen Augen. Also kurzum: dieses Ende hat mich persönlich nicht zufriedengestellt.
Für mich ist der John ein guter Mann, der durch den Krieg zerstört worden ist. Er weiß schon noch, was gut oder böse ist, aber kann den Krieg nicht verlassen. Eigentlich wird er in der Wüste verrückt.
Er liegt am Ende unter der Leiche des guten Anwalts (Recht und Anstand) und der Leiche seiner Schwester, jede Hoffnung ist verloren. Dann bleibt ihm nur noch der Krieg und er stirbt am Ende natürlich auch, schlussendlich überwältigt von den Dorfbewohnern.

 

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