Was ist neu

Jugendroutine

Monster-WG
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10.07.2019
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Jugendroutine

An einem Morgen in der fünften Klasse erklärt Erik seiner Mutter:
„Ich übe jeden Tag eine Stunde Rechtschreibung.“ Er legt gefaltete Hände über das Diktat, ein schwarzes Heft von schwerer Pappe.
„Du sollst deinen Fehler sehen.
Nimm die Hände weg.
Gut. Ingenieur…“
„Schreibt man ohne Akzent, Mutter.“
„In Ordnung. Französische Wörter sind nicht einfach.“
„Ich weiß. Das habe ich gelernt.“
Sie schiebt ihm das Müsli zu. Das Diktat bleibt in der Sichtachse, ein totes, nie verwesendes Tier, unberührt von den Maden der Welt. Dann lächelt sie, die Mutter, und das Lächeln wirft einen Bannkreis um das kleine Frühstück. Warme Milch. Knusperflocken. Sie nimmt zwei Schmerztabletten: Das Bein erlahme wegen eines Islandtiefs aus westlicher Richtung.
*
An einem Morgen in der sechsten Klasse schafft Mutter das frühe Aufstehen. Neue Medikamente helfen. Sie überprüft den Schulrucksack Eriks. Sie findet eine Klassenarbeit im Fach Mathematik. Zu seinem eigenen Leid hat Erik einige Terme falsch ausgeklammert. Kleine rote Kringel häufen sich und senken die Note auf eine simple Zwei Minus. „Erik…“
„Ja?“
„Warum lügst du mich an? Was soll das? Warum eine Zwei Minus?“ Mein Blutdruck, mein Bein, mein Bedürfnis.
An jedem Stadtrand wechseln sich soziales Idyll und sozialer Brennpunkt ab und mischen sich, selten heilend, selten toxisch.
*
An einem Morgen in der siebten Klasse hält Erik am Flussufer an; den Kiesweg hat die Stadtverwaltung neu verlegt, die Bänke frisch renoviert und die Äste sammeln Tau, Nebel und Frühsommerfrische. Er legt einen gelben Sack auf die Bank, kontrolliert flussauf- und flussabwärts nach Pendlern und Hundehaltern. Niemand. Aus dem Rucksack zieht er eine grüne, angeraute Mappe, öffnet sie, legt sie vor sich hin. Er nimmt das zweite Blatt mit den Übungen zur Unterschrift. Er positioniert es parallel links zum Jahreszeugnis. Sofort fängt das Papier die Frühfeuchte auf und wellt sanft; einen Versuch hat er, schraubt den schwarzen Kugelschreiber auseinander, vergleicht seine Unterschriften mit denen seiner Mutter, nähert die Kugelschreiberspitze an, setzt auf das Zeugnis ab, unterschreibt als Erziehungsberechtigte.
„Sieht gut aus.“ Sogar der Bogen im 'e' hat das neue muttertypische Zittern, aber ganz sicher helfen die neuen Medikamente, ganz sicher. Er verstaut die Mappe und setzt seine Fahrt fort.
*
An einem Morgen in der achten Klasse ermahnt der Lehrer, Fachbereich Mathematik: Es sei eine Katastrophe, ein mangelhaft, er besäße doch das Potential und müsse Dampf geben und hart sein und Dampf geben und disziplinierten Dampf geben und diszipliniert bleiben und Dampf –
„Ist Erik hier?“
„Frau Theuerkorn, ja?“
„Erik, nimm bitte deine Sachen mit. Ok? Es ist alles in Ordnung. Nimm einfach deine Sachen mit und komm mit mir ins Sekretariat, ja?“
„Ist etwas passiert?“, fragt der Mathematiklehrer.
„Ich sage es gleich."
*
An einem Morgen in der neunten Klasse steht Erik vor dem Grab seiner Mutter und gießt die bodendeckenden Pflanzen. Er hat einen eigenen, kleinen Weg zum Grab entdeckt, unter Vermeidung der Hauptachse; auf der Hauptachse blicken ihn die alten Menschen so seltsam an. Er harkt die Erde kurz durch. Er stellt ein Grablicht in einen Grablichthalter und verlässt die Grabstelle in Richtung Innenstadt. Schönes Wetter heute.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey @kiroly ,

habe mich gefreut, dass du wieder mal was eingestellt hast. Ich lese diesen besonderen Sound von dir, deine eigentümliche, interessante Weise zu erzählen. Mir gefällt, dass du immer wieder etwas Innovatives versuchst und dabei eine Art Stil beibehälst.
Beim Lesen deiner letzten Geschichten habe ich das Gefühl, da will sich was entwickeln, aber es weiß nicht so richtig wie. Ich merke schon, dass der Text viele 'Effekte' aufweist, die dein erster, sehr erfolgreicher Text und seine Nachfolger auch schon gebracht haben. Das ist jetzt vielleicht Selbstprojektion, weil ich mich irgendwie wiedererkenne: Es wirkt auf mich, als würde der Text am einmal festgelegten Ideal des ersten Erfolges festhalten wollen. Dieser Eindruck führt dazu, dass ich die Machart dieses Textes als 'unsicher' wahrnehme und einschätze; dass ich das Gefühl habe, dass du dich nicht so richtig traust, was anderes zu machen. Das ist jetzt sehr hypothetisch, aber ich glaube, da auf dem richtigen Dampfer zu sein, und möchte, wenn es geht, diesen Knoten lösen. Achtung (hoffentlich ein nicht allzu 'kluger') Ratschlag: Versuch, dich nicht an deinem Stil festzubeißen, vergiss das! Vielleicht argumentierst du mit dir: Aber warum sollte ich was ändern? Das ist doch genau das, was bei meinen Texten so gut ankommt ... – Ja und nein. Wenn du überhaupt nichts mehr tust, als Effekte aneinander zu reihen – um es mal bewusst zu überspitzen – dann erkenne ich als Leser zwar diese 'Kunststückchen' als schöne Einlagen an, irgendwann habe ich mich aber auch daran satt gesehen. Dann ernüchtere ich und frage mich allmählich: Was hat mir die Story, von all dem Tam-Tam abgesehen, eigentlich so zu bieten? Wenn ich dann sehe, dass da zwar was ist, was Potential hat, aber nur in feinen, vorsichtigen Strichen angedeutet ist, also gerade eine Skizze – dann fällt das plötzlich in sich zusammen. Denn ich frage mich: Was hat das Tam-Tam eigentlich mit der Geschichte zu tun und außerdem denke ich: Bravo (nochmal) für all die Kunststückchen, aber eigentlich bin ich für was ganz anderes gekommen und das fehlt. Das Beiwerk stimmt, aber das Werk selbst ist nur angedeutet.

Jetzt habe ich viele Sätze geschrieben, um was eigentlich ganz Einfaches zu sagen. Warum? Weil ich dir einen Anstoß geben will. Und jetzt etwas Wichtiges: Du brauchst keine Bedenken haben, wenn du dich nicht in jedem Satz um sprachliche Effekte bemühst. Wenn du eine lebendige Geschichte erzählst, nah am erzählten Umfeld (Milieu), den Figuren, dem Plot dann wird das Schöne an deinem Stil immer durchscheinen! Gerade wirkt es so, als würdest du mit pantomimischen Gesten versuchen, einen Kiroly darzustellen. Das brauchst du nicht, verstehst du?

Und jetzt zum Konstruktiven. Ich gebe mir Mühe und taste auch ein bisschen im Dunkeln, weil das Problematiken sind, mit denen ich selbst auch noch nicht fertig bin.
Zur Sache: Ich denke, du solltest versuchen, mehr über die Figuren und ihr Umfeld (das Milieu) nachzudenken. Die Geschichte, die du erzählst, wirkt unentschlossen. Du zeigst viel zu wenig Psyche. Alles ist ein bisschen angedeutet. Ein paar Brocken ködern. Für mich funktioniert das aber bei dieser Geschichte nicht. Es reicht nicht so ein paar Beruhigungspillen und das empfindliche Bein der Mutter, die Abgeklärtheit des Sohnes. Das sind für sich keine schlechten Details, aber die halten das nicht, da müsste viel mehr kommen. Und auch nicht so oberflächlich, sondern mit der steten Frage: Um was geht es hier eigentlich. Um Leistungsgesellschaft, um Projektionen in Eltern-Kind-Beziehungen, um Verlust. Diese Geschichte scheint es nicht zu wissen. Das Milieu ist diffus. Die Mutter könnte Lehrerin sein, aber auch verarmte Intellektuelle/Bürgerliche (die ihrem Sohn Ehrgeiz fürs eigene gescheiterte Leben anlegt) etc. Hier zerfällt die Geschichte und gleichzeitig ist da die Chance, von deinem Kiroly-Mimikry wegzukommen (entschuldige, falls ich dir zu nahe trete, das ist hypothetisch).

Noch Kleinkram:

unberührt von den Maden der Welt

'die Maden der Welt' – gib zu, das klingt schon etwas pathetisch :p

kontrolliert flussauf- und flussabwärts nach Pendlern und Hundehaltern

ich glaube nicht, dass das grammatikalisch korrekt ist 'nach etwas kontrollieren' müsste mit 'auf' gebildetet werden, glaube ich --> auf etwas (hin) kontrollieren

Dampf geben und hart sein und Dampf geben und disziplinierten Dampf geben und diszipliniert bleiben und Dampf –

Ohne die Funktionsweise dieses 'Witzes' jetzt genau entschlüsseln zu wollen (zunehmende Müdigkeit) – ich finde ihn hier unpassend, irgendwie ist das Klischee nicht richtig gebrochen.

Er stellt ein Grablicht in einen Grablichthalter und verlässt die Grabstelle in Richtung Innenstadt. Schönes Wetter heute.

Ist das dünnes Eis oder denk ich das nur?

Gruß und guts Nächtle
Carlo

 

Sehr geehrter Herr @kiroly,

ich habe Ihren Text gelesen.
Beeindruckt war ich von der Wiederkehr der anfänglichen Sichtachse als Hauptachse zum Ende hin – sofern das vom Autor beabsichtigt war :cool: . Mehr weiß ich leider auch nicht.

Dann hab ich gelesen, was Dir @Carlo Zwei schrieb – Menschenskind! Das nenn’ ich eine Analyse, sauber gemacht hat er das. Ich muss ihm beipflichten, Wort für Wort. Und seine freundlich-sachliche Art will ich mir auch angewöhnen.

Dass Du diesen Text unter Flash Fiction eingestellt hast, ist okay. Er ist experimentell; seit meiner Anwesenheit im Forum haben schon mehrere Mitglieder etwas Revolutionäres versucht und – wie mir scheint – letztendlich doch verworfen. Hat ja auch viel mit persönlichem Temperament zu tun.

Jedenfalls meine ich, das jemand wie Du beinahe in der Pflicht ist, etwas Neues, lieber noch etwas völlig Unerhörtes auszuprobieren. Warum? Na, weil mir auffällt, dass Du – zu Recht, wie ich meine – getragen wirst von der Idee, (eines Tages) große Literatur zu schreiben. Und das traue ich Dir auch zu. Dazu braucht’s trotz aller Subjektivität den Charakter eines Spitzensportlers (statt Verkopfung:shy:); Zielstrebigkeit meine ich auch bei Dir zu erkennen.

(Auch bisschen Eitelkeit ist ein gutes Triebmittel, aber das kann ich bei Dir Gott sei Dank nicht ausmachen – oder Du tarnst das sehr gut).

Gute Wünsche und viel Vorweihnachtsfreude!
José

 

Lieber kiroly,
ich kann zwar auch jedes Wort unterschreiben, was @Carlo Zwei und @josefelipe dir antworten, ganz einfach, weil ich in ihren Antworten das Interesse an deinem Schreiben und an deiner Weiterentwicklung spüre, und das finde ich nicht nur sehr sympathisch, sondern zudem sehr hilfreich. Ich habe deine Geschichten hier nicht so genau verfolgt wie die beiden und der Ratschlag, sich auszuprobieren, ist nicht nur mutig und am Mitautor interessiert, sondern umstandlos richtig. Von daher hat es mich nicht nur sehr interessiert, sondern auch gefreut, diese Kommentare zu lesen.

Und gleichzeitig musste ich immerzu denken, was wäre denn, wenn ich diese neue Geschichte von dir läse, ohne dich zu kennen oder ohne zu wissen, dass sie von dir ist, gefiele sie mir denn dann? Und da muss ich uneingeschränkt sagen: Ja, sie gefiele mir sehr gut. Ich würde nichts beanstanden.
Vielleicht liegt das daran, mit welchem Blickwinkel man auf die Geschichte schaut? Ob ganz und gar nur von der Geschichte ausgehend? Oder gleichzeitig mit einem Blick auf den Autor, und seine Weiterentwicklung?

Ich komme mal zur Geschichte: Für mich ist der Hauptakteur der Geschichte gar nicht unbedingt der Erik. Sondern es ist die "Jugendroutine". Der Prozess, den Krankheit und Tod der Mutter, bei ihm selbst auslösen, festgemacht an seinen schulischen Leistungen und seinem Umgang damit.
Mir geht es so, dass mich deine Geschichte eher an klassische Kurzgeschichten erinnert, wie sie nach dem 2. Weltkrieg in Deutschland entstanden. Ich nenne jetzt mal Borchert als typischen Vertreter.
Offener Anfang, offenes Ende, linear erzählt, wir erfahren nur sehr wenig über den Handlungsträger und seine Mutter, sie sind alltägliche Menschen, die für viele stehen könnten. So steht Erik, so empfinde ich das, gar nicht für einen auscharakterisierten, minutiös beschriebenen, ganz bestimmten Jungen, sondern er ist ein Beispiel für viele junge Leute und deren Leben zwischen Idylle und Brennpunkt, zwischen kranker Mutter, Anforderungen und dem eigenen Weg. Erik ist typisiert. Und das, so empfinde ich diese Geschichte, ganz bewusst.
Deine Geschichte hat mich, obwohl sie weder thematisch noch vom genauen Aufbau her, mit deiner Geschichte irgendwas zu tun hat, ganz arg an die Borchertgeschichte "An diesem Dienstag" erinnert. Es liegt wohl daran, dass du dich in der Abfolge immer auf die Schulthemen und die Mutter konzentrierst und dadurch den Lesefokus sehr genau auf die Entwicklung und die Tragik dieser Jugendroutine richtest.
Ich habe die Geschichte sehr gerne gelesen.

Bis demnächst
Novak

 

Hallo,

ich finde diesen Text gut. Man sollte ihn als das lesen, was er ist: ein kurzes Schlaglicht auf eine dramatische Situation. Mir fehlt da auch etwas das Ende, das wirkt noch nicht ganz ausgereift, da gärt meiner Meinung nach etwas anderes noch im Text; etwas, das diese Beziehung zwischen Mutter und Sohn essentiell macht, dem Ganzen Bedeutung gibt. Du bereitest etwas vor, das am Ende aber nicht eingelöst wird. Der Tod ist natürlich ein Fakt, der immens wiegt, da muss etwas passieren, aber hier ist das alles in einer Beiläufigkeit, die dem Text nicht so gut tut. Mir ist klar, dass dies ein Effekt ist, der beabsichtigt ist, aber dieses lapidare Erzählen funktioniert eben nur dann, wenn du auch eine entgegengesetzte Narrative hast, wenn du mal den Fokus reinlegst und den Mikrokosmos hast. Das muss nicht viel sein, ein Dialog, eine Geste, die etwas klärt, die mir etwas zeigt, wie bei einer Familienaufstellung, sag ich mal.

Zum Stil. Du hast einen idiosynkratischen Stil, eigentümlich und eigen, und der bringt dir natürlich nicht nur Freunde. Ich kann da ein Lied von singen. Ich kann dir aber nur einen Ratschlag geben: Vertraue dir selbst. Nur du kannst die Texte schreiben, die du schreibst, und niemand anders. Welche Strategien du wählst, welche Form, das ist ursprünglich deine Wahl, und es gibt eben manchmal Texte und auch Stile, die eben länger brauchen, die ihr Publikum erst finden müssen.

Gruss, Jimmy

 

Vielen Dank für das Lesen und das Analysieren! Ich bin gerade auch etwas überwältigt, ehrlich, weil es Eure Kommentare so sehr an der Entwicklung interessiert sind. Das freut mich sehr, das motiviert mich. Mensch, danke Leute. Ich schreibe ein kurzes Kommentar, ausführlicher schreibe ich die nächsten Tage, insbesondere textspezifischeres, bitte verzeiht mir das.

@Carlo Zwei,

das drucke ich mir aus und hänge es mir an die Wand. Ohne Witz. Es stimmt absolut eins zu eins, was du geschrieben hast, ein Psychogramm. Du triffst meine Probleme beim Schreibprozess der letzten Zeit sehr. Ich fühlte mich irgendwie "gezwungen, blockiert" und mir war es einfach mal wichtig, etwas zu fertigzustellen, egal was. Hatte mal die Idee, eine humorvolle Geschichte auszuprobieren ("Verband der Schulhofbäckereien spricht sein Vertrauen aus"). Ich danke dir sehr. Falls es eine Empfehlungsrubrik für Kritiken gäbe, für Kommentare, das ist doch ein superheißer Kandidat, für jeden, der schreibt.

Ratschlag: Versuch, dich nicht an deinem Stil festzubeißen, vergiss das! Vielleicht argumentierst du mit dir: Aber warum sollte ich was ändern? Das ist doch genau das, was bei meinen Texten so gut ankommt

Und das ist das, was mich auch genervt hat. Dann mal was anderes im nächsten Versuch, Humor oder Kindergeschichte, warum nicht? :-D

Vielen Dank @Carlo Zwei, auf deine Textkritik werde ich nochmal genauer eingehen.

@josefelipe,

vielen Dank zum Lesen, zum Kommentieren, danke.

Jedenfalls meine ich, das jemand wie Du beinahe in der Pflicht ist, etwas Neues, lieber noch etwas völlig Unerhörtes auszuprobieren. Warum? Na, weil mir auffällt, dass Du – zu Recht, wie ich meine – getragen wirst von der Idee, (eines Tages) große Literatur zu schreiben. Und das traue ich Dir auch zu. Dazu braucht’s trotz aller Subjektivität den Charakter eines Spitzensportlers (statt Verkopfung:shy:); Zielstrebigkeit meine ich auch bei Dir zu erkennen.

Oh man danke :-D Ja, da fällt mir erstmal nichts näheres ein.

Beeindruckt war ich von der Wiederkehr der anfänglichen Sichtachse als Hauptachse zum Ende hin – sofern das vom Autor beabsichtigt war :cool: . Mehr weiß ich leider auch nicht.

Nein, das war nicht beabsichtigt. :-D

@Novak

auch dir ein großes Danke. Ein sehr sympathischer, textnaher Kommentar.

Ich komme mal zur Geschichte: Für mich ist der Hauptakteur der Geschichte gar nicht unbedingt der Erik. Sondern es ist die "Jugendroutine".

Ja, das war auch ein Ziel in der Geschichte. Ich wollte eben den Erik komplett "zurückgesetzt wissen" hinter der sozialen Struktur, in der er lebt.

Vielen Dank Euch, ich werde auf weitere Kommentare später eingehen,
kiroly

 

@jimmysalaryman,

danke fürs Lesen und für die Kritik. Mir hilft insbesondere der Hinweis auf das "gegenläufige Narrativ zum lapidaren Erzählen". An der letzten Szene habe ich tatsächlich gehadert, dachte auch schon an ein Frühstück beim Vater. Ich werde nochmal genauer darauf eingehen. Danke.

 

Hi @kiroly,

Für mich funktioniert der Text. Er hat etwas Morbides mit der kranken, sterbenden Mutter und dem introvertierten Jungen; der Text ist meines Erachtens nach auch so aufgebaut, dass man froh ist, als die Mutter tot ist, weil sie einem zuvor so präsentiert wurde, dass sie - auch wenn es hart klingt - nervt mit ihrer Strenge und auch ihrer Krankheit. Am Ende ist sie ein Ballast, der wegfällt. Und das ist schon ein Gschmäckle beim Lesen, den man so nicht oft bei diesem Thema (Eltern versterben) hat und der meines Erachtens auch den Reiz oder ein Klischee-Bruch/"Alleinstellungsmerkmal" bei dieser Geschichte hat. Ich empfinde das als durchaus realistisch, auch wenn es eine harte Ehrlichkeit ist und sicherlich deinem Prot auch schmerzt, die Mutter verloren zu haben. So zumindest empfinde ich das.

Ich finde, man könnte, wenn man deine Geschichten liest oder gelesen hat, zu dem Eindruck kommen, dass du einen sehr lyrischen oder experimentellen Stil hast. Aber ich finde - und das meine ich nicht negativ -, dass du eigentlich sehr leserfreundlich schreibst. Meines Erachtens nach beschränkt sich das Experimentelle deiner Storys lediglich auf Sätze wie

Das Diktat bleibt in der Sichtachse, ein totes, nie verwesendes Tier, unberührt von den Maden der Welt.
An jedem Stadtrand wechseln sich soziales Idyll und sozialer Brennpunkt ab und mischen sich, selten heilend, selten toxisch.
Ansonsten finde ich deine Sprache leserfreundlich und eingängig, auch wie du Szenen und Figuren zeigst. Also, ich finde das eine gute Mischung aus "experimentellem" oder "künstlerischem"/lyrischem Text und guter Eingängigkeit.

Ja, interessant, mit welchen Vergleichen und Bildern du erzählst (bezogen auf obige Zitate). Ich spüre da etwas, also sie fühlen sich für mich nicht nach Worthülsen an, obwohl ich an solchen Stellen schon die Ohren spitze und merke, dass ich in Verdacht komme, sie könnten solche sein. Aber irgendwie passen die Vergleiche, ich kann es auch nicht erklären, wieso sie klappen, vielleicht ist das aber auch nicht zielführend an dieser Stelle, das aufzufädeln, weswegen sie denn klappen.

Mir gefällt die Komposition des Textes und seine Abgeschlossenheit und Kürze. Ich kann dir zur Sprache nichts sagen, außer, dass ich sie in der Form leserfreundlich finde, mit einer guten Würze Experimentellem. Ich bin neugierig, wie kommende Texte von dir aussehen, ob mehr sprachliche Virtuosität interessant oder sperrig wäre und allgemein, in welche Richtung du gehen wirst und willst. Es stimmt schon, was meine Vorredner sagen, du musst dich in dieser Hinsicht auf nichts festlegen, aber auch nicht krampfhaft verbiegen. Aber geht das überhaupt?

Ich mag die Story, auch in ihrer Dunkelheit. Mehr hab ich nicht.

Viele Grüße

 

Beinahe wäre mir Deine

Jugendroutine
durchgegangen,

lieber @kiroly,

und so ist scheinbar schon alles gesagt, dass ich dem eigentlich nur noch einen „historischen“ Anstrich geben kann, dass Schule (und auch schon Kindergarten) bereits dem System der Arbeit und somit den Regeln von Produktion und Konsumtion folgen (so bereits bei Jean Piaget) und das „täuschen“ wird im Tausch geübt werden, wenn erst neben den grundlegenden Fächern „Wirtschaft“ gelehrt wird. Auch dort macht Übung den Meister.

Paar Flusen

Gut. Ingenieur…“
Die zum vorhergehenden Wort distanzlosen Auslassungspunkte behaupten, dass wenigstens ein Buchstabe am Ing. fehl(t)e.
Da wäre ja die Ästhetik des Apostrophes rationeller.
Aber ich find da keinen fehlenden Buchstaben … Besser also i. d. R. ein Leerzeichen zwischen letztem Buchstaben und erstem Punkt … (bei „Erik“ weiter unten könnte ja tatsächlich das biologische Geschlecht hineinspielen ...)

Er legt einen gelben Sack auf die Bank, kontrolliert flussauf- und flussabwärts nach Pendlern und Hundehaltern
Hat @Carlo Zwei schon angerissen, „nachkontrollieren“ bedeutete eigentlich, dass noch einmal (also mindestens ein zwotes Mal) überprüft (kontrolliert) wird; eindeutiger wäre da „kontrolliert … auf Pendler und Hundehalter hin“

An einem Morgen in der achten Klasse ermahnt der Lehrer, Fachbereich Mathematik: Es sei eine Katastrophe, ein mangelhaft, er besäße doch das Potential und müsse Dampf geben und hart sein und Dampf geben und disziplinierten Dampf geben und diszipliniert bleiben und Dampf –
Warum die Einbettung des Konj. II „besäße“ in die indirekte Rede (Konjunktiv I, „sei“ + „müsse“)

„Erik, nimm bitte deine Sachen mit. Ok? Es ist alles in Ordnung
Was sucht denn dort der US-Staat „Oklahoma“? Aber i. d. Regel ist das ausgeschrieben „okay“ (vier Zeichen) kürzer als die korrekte Abkürzung mit zwo Buchstaben, zwo Punkten und dem Leerzeichen zwischen dem ersten Punkt und dem zwoten Buchstaben ...

Gruß aus Niflung vom

Friedel

 

Hallo zusammen,

schon wieder ein ganzer Monat vorbei. Ich möchte noch kurz auf die Kommentare eingehen und ein, zwei Sätze dazu anmerken. Vielleicht tut es einem Text auch gut, etwas da zu sein

Lieber @Carlo Zwei,

vielen Dank nochmal für deinen tollen Kommentar. Er hat mich sehr, sehr motiviert. Vor allem das hier:

Was hat das Tam-Tam eigentlich mit der Geschichte zu tun und außerdem denke ich: Bravo (nochmal) für all die Kunststückchen, aber eigentlich bin ich für was ganz anderes gekommen und das fehlt. Das Beiwerk stimmt, aber das Werk selbst ist nur angedeutet.

Das ist etwas, was ich definitiv nicht will, die Kunststückchen in eine Reihe packen und Schwiegermama klatscht, och, der Hund springt aber toll durch die Ringe.

Noch Kleinkram:

unberührt von den Maden der Welt
'die Maden der Welt' – gib zu, das klingt schon etwas pathetisch :p

Hm, ja, stimmt schon, da schreit der Pathos. Ich habe es geändert. Auch den nächsten Punkt, "auf etwas kontrollieren", den @Friedrichard auch angesprochen hat, habe ich ausgebessert.

Er stellt ein Grablicht in einen Grablichthalter und verlässt die Grabstelle in Richtung Innenstadt. Schönes Wetter heute.
Ist das dünnes Eis oder denk ich das nur?
[/QUOTE]

Die Schlussszene gefällt mir thematisch immer noch nicht. Da wird etwas verfehlt. Ich habe aber diese Effekt-Triade der Grabgegenstände eingekürzt.

Viele Dank für deinen Kommentar nochmal :-)

Lieber @josefelipe,

dir möchte ich besonders für die folgenden Zeilen danken:

Jedenfalls meine ich, das jemand wie Du beinahe in der Pflicht ist, etwas Neues, lieber noch etwas völlig Unerhörtes auszuprobieren....Dazu braucht’s trotz aller Subjektivität den Charakter eines Spitzensportlers (statt Verkopfung:shy:); Zielstrebigkeit meine ich auch bei Dir zu erkennen.

Danke :-)

Liebe @Novak,

ich glaube, in der Wahrnehmungspsychologie existiert das Phänomen der Rahmung, des Framings, mich haben daher Deine Sätze sehr gefreut:

Und gleichzeitig musste ich immerzu denken, was wäre denn, wenn ich diese neue Geschichte von dir läse, ohne dich zu kennen oder ohne zu wissen, dass sie von dir ist, gefiele sie mir denn dann? Und da muss ich uneingeschränkt sagen: Ja, sie gefiele mir sehr gut. Ich würde nichts beanstanden.

Zur Geschichte:

Für mich ist der Hauptakteur der Geschichte gar nicht unbedingt der Erik. Sondern es ist die "Jugendroutine".

Ich habe mir jetzt nicht stundenlang über jede Minute präzise überlegt, was ich genau sagen will, aber wenn es einen Punkt gäbe, eine Art Epizentrum für die Geschichte, dann ist es genau das. Erik trägt nicht die Handlung sondern erträgt diese. Und die Handlung selbst entsteht aus der Beziehung zwischen Mutter und Sohn, ohne dass beide eine Möglichkeit sehen oder besser, sich einer Möglichkeit bewusst sind, ihre Beziehung in eine gesunde, vertrauensvolle Richtung auszugestalten.

Deine Geschichte hat mich, obwohl sie weder thematisch noch vom genauen Aufbau her, mit deiner Geschichte irgendwas zu tun hat, ganz arg an die Borchertgeschichte "An diesem Dienstag" erinnert.

Oh Hilfe, meine wirkt ja tatsächlich billig abgekupfert, wenn auch thematisch komplett anders gelagert. Stimmt schon, der Ton ist ähnlich, die Konzentration auf die Funktion der Figuren und nicht deren Psychologie und die Alltäglichkeit der Wochentags-Wiederholung. An einem Dienstag, an einem Dienstag, an einem Dienstag.

Vielen Dank für deinen Kommentar :-)

Lieber @jimmysalaryman,

ich schätze deine Kommentare und Texte sehr, da ich dort einen Arbeiter am Text sehe und nicht einen Wannabe-Schöngeist, der Latein für fortgeschrittene Angeber im Küchenschrank stehen hat. Ist jetzt übertrieben, aber ich hoffe, du verstehst was ich meine^^.

Vielen Dank für dein Kommentar und den Hinweis auf das Ende: Die Schlussszene wirkt unausgegoren. Du hast mir konkrete Ideen gegeben. Ich werde das noch ändern, jetzt gefiel mir keiner der Ideen, die ich hatte, auch nach einem Monat Textliegezeit nicht.

Lieber @zigga,

vielen Dank für deinen Kommentar.

Ich finde, man könnte, wenn man deine Geschichten liest oder gelesen hat, zu dem Eindruck kommen, dass du einen sehr lyrischen oder experimentellen Stil hast. Aber ich finde - und das meine ich nicht negativ -, dass du eigentlich sehr leserfreundlich schreibst.

Das hat mich auch sehr gefreut, auch, dass die Vergleiche "irgendwie" passen, ohne es genauer erklären zu wollen. Danke.

Lieber @Friedrichard,

Vielen Dank für die Flusen. Deine Hinweise habe ich eingearbeitet. Das Tilgen der Flusen hat etwas konzentriertes und "textbewusstes", das ist Arbeiten und nicht Tänzeln am Wort.

Jean Piaget, ja, der taucht in allen Ausbildungsgängen, universitärer oder berufsschulischer "Natur" auf, in denen es um die (früh)kindliche Entwicklung geht. Meist eine Textbox, sehr komprimiert einschließlich roher Aufzählung der Entwicklungsstadien. Meist auf Powerpoint. Tabelle. Auf Powerpoint. Dazu die Geschichte seiner Direktoratsassistenz mit zehn Jahren. Es folgt ein allgemeines Murmeln und Raunen im Kurs/in der Klasse bezüglich der unersättlichen Leistungsfähigkeit der Schweizer. Dann wird im Kurs/in der Klasse fortgefahren.

***

Viele Grüße aus Leip'z'sch (Apostroph bedeutet Vor- und Nachzischen um das 'z'),
kiroly

 

Hi kiroly,

Momentan bin ich irgendwie auf der Flash Fiction-Welle ...

Der Aufbau gefällt mir gut, die Abschnitte von der 5. bis zur 9. Klasse.

Dass die schulischen Leistungen nachlassen, ist absehbar, nicht überraschend, auch, dass Mutter am Ende stirbt. Das ist auch der einzige Kritikpunkt, den ich habe. Fände hier einen nicht vorhersehbaren Ablauf besser. Wüsste im Moment aber nicht, welchen :shy:

An einem Morgen in der fünften Klasse erklärt Erik seiner Mutter:
„Ich übe
Warum eine neue Zeile?

Ingenieur…
Erik…
Da fehlt jew. das Leerzeichen vor den Pünktchen.

Hat mir gut gefallen.

Schönen Sonntag und liebe Grüße,
GoMusic

 

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