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Käptn Känneff - Am Rande des solaren Wahnsinns
»Ist die Erde in Gefahr?« Ein Funken Hoffnung blitzte in den Augen des Kommandanten auf.
»Nein, Sir!«, antwortete sein zweiter Waffenoffizier – ein Mann, der der ganzen Sache nicht genügend Enthusiasmus entgegenbrachte, wie Käptn Känneff fand.
»Schade, aber man kann eben nicht alles haben.« Er lehnte sich zurück in seinen breiten Lederchefsessel – in der Weltraumzerstörerkommandantenluxusausführung mit allen Extras und Bordservice inklusive – und fragte gelangweilt: »Um was für einen Himmelskörper handelt es sich? Doch wohl nicht wieder um eine Voyagersonde, oder?«
»Nein, Sir!«
»Auch nicht so ein altes Viking-Ding, Gallileo III oder einer von den Eutelsats, hoffe ich.«
»Nein, Sir!«
»Gut. Hab nämlich kein Bock, dass mir die Eierköpfe von der „Gesellschaft für historischen Weltraumschrott“ wieder den ganzen Tag mit ihrem „Was für ein unersetzbarer Verlust für die Wissenschaftsgeschichte“-Geschwafel in den Ohren liegen.«
»Nein, Sir! Nichts dergleichen.«
»Und was ist es dann? Nun machen Sie schon, Mann, und spannen Sie mich nicht solange auf die Folter!«
»Es ist ein Volteronen-Raumschiff mit Kurs auf die Erde, Sir.«
Käptn Känneff riss seine Augen auf und wäre beinah vom Sessel gekippt, als sein Unterkiefer auf den Boden fiel. Jetzt war es an ihm, seiner Besatzung ein gutes Beispiel für das richtige Verhalten in dieser höchstprekären Situation zu liefern: Panikartig hüpfte er durch den Raum, wobei er wild mit den Armen und Beinen ruderte und vergeblich versuchte, seine Angstschreie mit der aufkommenden Hyperventilation zu synchronisieren.
Schließlich stieß er sich an einem äußerst ungünstig konstruierten und mitten in die Brücke hineinragenden Abflussrohr den Kopf und taumelte benommen zurück auf seinen Sessel.
»Tschuldigung«, stammelte er etwas einsilbig. »Alte Angewohnheiten und so...«
»Nichts für ungut, Sir!«
»Na gut, dann klar machen zum Gefecht« Jetzt war Känneff in seinem Element. Zehn Jahre hatte der Krieg mit den Volteronen – diesem schleimgesichtigen Kartoffelklumpatsch von Volter Sechs – gedauert. Und fünf weitere der schwachsinnige Waffenstillstand, der ihn, den ruhmreichen und tonnenweise mit Orden behängten Käptn Känneff, hier an den Rand des Sonnensystems verbannt hatte. Zum „Kometenabballern“, wie es offiziell im Versetzungsbefehl hieß. Bei dem Gedanken daran rutschte dem Käptn automatisch ein Fluch mit sehr vielen Zischlauten über die mentalen Lippen. Aber jetzt würden die Idioten aus der Verwaltung ihn und seine Fünfzehn-Terawatt-Laserkanone – oder „Waltraud“, wie er sie in einsamen Nächten gerne nannte – wieder brauchen.
»Alles klar machen zum Gefecht!«, schrie er in ein kleines Megaphon – ein Erbstück mütterlicherseits, das er extra für solche Momente immer am Gürtel zu hängen hatte. »Alle Mann an die Geschütze! Schotten dicht! Kombüse klar! Deck schrubben, ihr verdammten Landratten!«
Niemand beachtete ihn weiter. Niemand, außer seinem zweiten Waffenoffizier – verdammt, wie hieß der Kerl eigentlich? – der gelassen zu ihm rübersah und darauf wartete, dass der Käptn sich wieder beruhigte.
»Sir, das ist die offizielle volteronische Botschafterfregatte, die unterwegs zu den finalen Friedensverhandlungen in Neu Old New York ist.«
Känneff machte einen verdutzten Gesichtsausdruck, was bedeutet: Er versuchte auszusehen, als wäre ihm das von Anfang an klar gewesen.
»Ich verlange zu erfahren, warum mich niemand darüber aufgeklärt hat!«
»Es kam letzte Woche über den Regierungs-Emailverteiler, Sir.«
»Ich lese keine Emails! Was ist aus dem guten alten Videophon geworden?«
»So etwas gibt’s nur in billigen Science-Fiction-Serien, Sir! In der „wirklichen“ Welt werden Hyper-C-Emails benutzt, Sir.«
»Oh, na gut.« Enttäuscht und etwas gedemütigt ließ sich Känneff wieder in seinen Sessel sinken. »Also dürfen wir die Volteronen nicht zerstören, oder?«
»Nicht, wenn wir keinen erneuten intergalaktischen Krieg wollen, Sir.« Langsam begann Känneff seinen zweiten Waffenoffizier zu hassen. Wenn er erst mal seinen Namen kennen würde, dann...
»Wie sieht’s sonst aus? Irgendwas anderes zum Wegputzen?«
»Nein, Sir. Kein Objekt mit einem Durchmesser von über einem Meter mehr da draußen. Der Quadrant ist sauber. Wie alle anderen auch, Sir.« Der Käptn sank noch etwas tiefer in seinen Sessel. Dann kam ihm eine Idee.
»Pluto! Müsste der nicht bald hier durchkommen?« Känneff schöpfte erneute Hoffnung.
»Den haben Sie bereits vor drei Monaten, äh, weggeputzt, Sir.«
So ein verdammter namenloser Spielverderber!
»Wie steht’s mit diesem Uranusmond? Äh, A-A-Arie? Bis dahin kommen wir doch, oder nicht?«
»Arie-l, Sir. Und ja, bis dahin reicht die Leistung des Lasers. Aber, Sir, wir dürfen nicht. Wegen Kuiper II, der peruanischen Forschungsstation auf Ariel, Sir.«
»Und was ist mit Umbriel, dem anderen Mond?«
»Sir, Sie erinnern sich doch noch an Kuiper I, vor vier Monaten, oder nicht?«
»Ach, stimmt ja!« Der Käptn errötete leicht unter seinen zahlreichen Rasierklingen-Kampfnarben. »Das hat ein Haufen Ärger mit den verdammten Südamerikanern gegeben. Hätte damals gute Lust gehabt, sie gleich mitwegzuputzen.« Er grinste finster.
»Und was machen wir sonst, wenn’s nichts mehr zum Abballern gibt?«
»Patrouille fliegen, Sir.«
»Wir fliegen immer Patrouille! Die ganze Zeit!« Känneff rutschte wütend in seinem Sessel hin und her. »Das ewige Patrouillefliegen hängt mir langsam zum Hals raus!«
»Ja, Sir.«
»Ach stecken Sie sich Ihr „Ja, Sir“ sonst wo hin, Sie... Sie...«
»Zweiter Waffenoffizier, Sir?«
»Halten Sie endlich die Klappe und lassen mich meinen Job als Kapitän dieses Schiffes machen!«
»Ja, Sir.«
Es folgten ein paar sehr schweigsame Minuten. Zahllose Konsolenlichter blinkten, Computeranzeigen biepten und die Nase des Käptn schniefte leise vor sich hin, während er angestrengt über sich, seine Mission und den Sinn des Lebens im Allgemeinen nachdachte. Dann lächelte er.
»Sagen Sie, Ka... Sh...., Lo..., Mi..., äh... ...Smith!
»Willson, Sir.«
»Genau!« Känneff grinste überlegen. »Wiiiilllllssssooonnnn, guter Mann! Sie sehen etwas müde aus, Willson. Wollen Sie sich nicht ein bisschen Schlafen legen?«
»Aber, Sir...«
»Kein Aber. Das ist ein Befehl, Willson!«
Mit einem lustlosen Schulterzucken und einigen unausgesprochen Mutmaßungen über die geistige Gesundheit des Käptns machte der zweite Waffenoffizier sich daran, die Brücke zu verlassen. Känneff beobachtete ihn aus den Augenwinkeln, während seine Finger nach der manuellen Zielerfassung Waltrauds tasteten.
»Ach, Willson. Bevor Sie gehen: Welche Koordinaten hatte eigentlich das volteronische Botschafterraumschiff bei der letzten Peilung?«