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Könige und ihre Feinde

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16.08.2001
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Könige und ihre Feinde

Frei und ungezwungen schwebe ich dahin über Wälder und Berge und Seen und Wiesen und Städte. Es ist eine wunderbare Zeit, so hoch über den Wolken, während selbst diese Menschen, die da unten auf der Erde hausen, sich nur wie Ameisen abzeichnen. Ich breite meine Schwingen aus, lasse mich vom Wind in ungeahnte Höhen tragen und halte Ausschau, ob sich mir nicht hier und dort ein Kaninchen oder eine Maus als Gaumenschmaus bietet.
Tief hängende Wolken bauschen sich unter meinen Flügeln, und endlich erblicke ich tief unten auf der Erde einen Hasen. Ich stürze in die Tiefe, rase auf meine Beute zu und sehe sie immer größer vor mir. Der Hase erspäht mich, entdeckt die Gefahr, doch scheinbar ist er unfähig, von der Stelle zu kommen. Ich sehe ihn wild hin und her zappeln, doch er kommt nicht vorwärts. Jetzt sehe ich es: Er ist gefangen in einer Schlinge, von Menschenhand geformt. Oh, wie grausam sind diese Menschen? Es stimmt mich traurig, ja, beinahe vergeht mir die Lust an der Jagd, doch der Hunger plagt mich schon seit Stunden. Vielleicht ist es Gnade, daß ich diesen Hasen aus seinem Gefängnis erlöse, doch ich will mir nichts vormachen: Ich handle aus purem Überlebensinstinkt.
Der Wind bremst meinen Flug, und ich schlage meine Krallen in das Fleisch. Ich höre den Hasen schreien, doch mit einem Schnabelhieb breche ich ihm sein Genick. Blut rinnt über meine stolzen Fänge, und ich schlage den Schnabel in das weiche Fleisch. Oh, wie herrlich ist dieser Geschmack! Niemand vermag dieses Erlebnis nachzuempfinden. Plötzlich verspüre ich einen scharfen Stich in meiner Brust. Ich blicke nach unten und sehe einen Pfeil in meinem Gefieder stecken, so klein, daß er mir fast lächerlich erscheint.
Sagte ich schon, daß ich den Menschen als grausam empfinde? Meine Sinne geraten aus der Bahn, die Welt verliert ihre Konturen, und ich taumle hin und her. Ein Mensch hat einen Giftpfeil auf mich abgeschossen. Soll ich nun auch, wie so viele meiner Artgenossen, irgendwo als Trophäe an einer Wand hängen? Ehe ich meine letzten Kraftreserven zur Flucht mobilisieren kann, verliere ich das Bewußtsein. Ich spüre, wie rauhes Leder meine Beine umfaßt und ein seltsamer kleiner Sack über meinen Kopf gestülpt wird. Dann weiß ich lange Zeit nichts mehr.
Als mich die Lebensgeister wieder erfüllen, befinde ich mich in einem großen Käfig. Meine Flügel scheinen starr und kraftlos, doch daran ist der Hunger schuld. In einem großen Topf wie ihn nur Menschen benutzen, mache ich frisches Fleisch aus. Um wieder zu Kräften zu kommen, schlinge ich es eilig hinunter. Fortwährend rumort mein Mangen, der schon so lange Zeit nichts mehr bekommen hat. Als dieses Urverlangen gestillt ist, wandern meine Blicke an den Gitterwänden meines Käfigs entlang. Meine neue Umgebung ist bedrückend. Der Luftraum scheint zum greifen nahe, doch ein ehernes Gitter trennt mich von meinem einstigen Reich.
Ich, der König der Lüfte, bin gefangen in einem kleinen Käfig. Oh, wie fehlt mir schon jetzt die Freiheit, wo doch kaum ein paar Stunden vergangen sein können? Ich lasse meine Stimme erschallen, um den Menschen, der mich jetzt seinen Gefangenen nennt, auf mich aufmerksam zu machen. Endlich erscheint ein Gesicht an der Tür meines Gefängnisses. Dieser Mensch muß alt sein, mindestens vierzig Jahre. Und er tobt mit donnernder Stimme: "Was schreist Du blöder Vogel denn so?" Ich ein blöder Vogel? Wie gerne würde ich ihm jetzt die Augen aushacken, sein gemeines Gesicht mit meinen Krallen zerfleischen und meinen Gaumen mit seinem warmen Blut benetzen! Vielleicht hätte ich dann die Chance, meine Freiheit zurück zu bekommen.
Ich breite meine Schwingen aus und lasse den Dreck, der den Boden meines Gefängnisses bedeckt, durch die Luft wirbeln. Schützend hält dieser seltsame Mensch seine Arme vors Gesicht. "Hör auf", kreischt er, und als ich nicht innehalte, tritt er mit seinen schweren Stiefeln gegen die Tür. Mein ganzer Käfig erbebt unter den harten Schlägen, und ich weiß nicht, wie ich das aushalten soll. Schreiend und tobend flattere ich umher, um ihm meine Stärke zu beweisen.
Plötzlich verschwindet er. Er hat das Interesse an mir verloren. Ich, der König der Lüfte, bin für ihn nichts, als ein blöder Vogel. Welche Schande für mich. Von der Niedertracht eines Menschen mit lähmendem Gift eingefangen, und das alles nur, um seinen Jagdinstinkt zu befriedigen. Das Herz schlägt mir bis zum Hals, so groß ist meine Wut. Und wieder lasse ich meine Stimme erschallen, und die Spitzen meiner Flügel berühren die Einzäunung, die mich umgibt.
Plötzlich ist mein Mensch wieder da. Und was sehe ich in seinen Händen? Es schaut aus, wie ein Schilfrohr. Er führt es zum Mund, und... Nein! Es ist ein Blasrohr, und nur so gering sind meine Fluchtmöglichkeiten in diesem verdammten Käfig. Beinahe hätte mich sein Pfeil erwischt, aber da, er hat noch mehr Munition. Der Atem wird mir langsam schwer, ganz ohne die klare saubere Luft der Wolken. Oh, nein! Jetzt hat er mich getroffen. Meine Kräfte schwinden dahin, die Pracht meiner stolzen Flügel hängt nichtsnutzig im Schmutz. Ich schaffe es nicht mehr, meinem Stolz durch meine Haltung Ausdruck zu verleihen, so weit ist es schon gekommen.
Wäre dieser Mensch nicht so feige, dann würde er kämpfen wie ein Mann. Aber so jämmerlich, wie sich eben nur ein Mensch benehmen kann, so hinterrücks beschießt er mich mit seinen Pfeilen. Natürlich, so kenne ich den Menschen. In seinen Händen gedeiht nichts als Zerstörung, Mord und Totschlag. Der Mensch tötet nicht, um zu überleben, der Mensch tötet und jagt aus purem Vergnügen.
Wenn ich zurückdenke an jene Zeit, in der die Natur noch in voller Pracht erstrahlte, als der Wald noch gesund und allgegenwärtig war. Da sprudelten die Bäche noch munter drauf los und unzählige Fische, Krebse und Schlangen fanden darin ihren Lebensraum. Auch etliche Otter und Biber beheimateten diese Gewässer. Die Luft war klar, die Tiere zahlreich und auch das Nahrungsangebot enorm.
Doch dann kam der Mensch. Er rodete und baute Häuser, Fabriken und Atomkraftwerke. Dort wo eins der endlose Ozean herrschte, ragen heute Ölbohrinseln wie Pilze aus dem Wasser. Die Luft ist trübe, das Wasser verseucht. Täglich spült das Meer Tausende von verendeten Fischen an irgendeine Küste, unzählige Vögel ersticken in einem schwarzen Teppich, und die ganze Unterwasserwelt geht unter der immensen Dreckschicht zugrunde.
Was ist der Mensch nur für ein Tier? Kein anderes Lebewesen auf dieser unserer Erde ist so zerstörerisch, wie der Mensch. Ich weiß nicht, ob ich ihm Haß oder Mitleid entgegenbringen soll. Warum Mitleid? Weil der Mensch immer nur auf einen kurzfristigen Vorteil bedacht ist und dabei niemals so weit denkt, daß er langfristig immer verliert, ganz egal, was er auch anstellt.
Nur all zu oft überfiel mich jenes seltsame Schwindelgefühl, wenn ich ein Kraftwerk überflog. Es kann nicht angehen, daß der Mensch versucht, die unbezähmbaren Gewalten der Natur in kleine Gebäude zu stecken und dort zu zähmen. Denn immer wieder siegt Mutter Natur und rächt sich für all die Ungerechtigkeit, die der Mensch ihr Tag für Tag zuteil werden läßt. Schade, daß der Mensch uns Tiere nicht versteht. Wie viele haben sie schon gefangengenommen, um ihr Artverhalten zu studieren? Und zu welchem Zweck? Nur, um uns besser kontrollieren zu können.
Doch so wahr ich der König der Lüfte bin, werde ich meinem Gefängnis entrinnen. Glücklicherweise ist der Mensch naiv genug, auf seinen Erfolg zu vertrauen. Wenn er das nächste Mal bei mir ist, dann werde ich ihm zeigen, daß er gewonnen hat.
Vielleicht spürt er dann, daß unsere Tier- und Pflanzenwelt seiner Hilfe bedarf, damit alles wieder in Ordnung kommt. Denn was der Mensch zerstörte, das vermag kein Tier zu reparieren. Und mag ich tausend Mal der König der Lüfte sein, so kann auch ich nicht die Niedertracht und den Unfrieden besiegen, den der Mensch seit langem sät.

 

Ja, ich gebe zu, eines dieser Wesen zu sein. Ja, ich bin ein Mensch. Und ja, ich nutze all die Vorteile der modernen Gesellschaft. Strom. Fließend warmes und kaltes Wetter. Ich nutze mit Freude diese umweltverpestenden öffentlichen Verkerhsmittel, weil ich ein bequemer Mensch bin. Und es tut mir überhaupt nicht leid, in einem Haus zu wohnen, an dessen Stelle früher einmal vier bis achtzehn Bäume standen. Auch freue ich mich über das schier unendliche Angebot von Konsumgütern, sei es ein Breitbildfernseher oder die x-te Variante von Schokopudding.

Ich verstehe ja, daß du mit dieser Geschichte die Beeinflussung des Menschen an der Natur kritisieren möchtest, doch klappt das allerdings nur dann, wenn du gleichzeitig Alternativen aufweist (Solar- statt Atomenergie zum Beispiel).

Aber es sei dir verziehen, schreibst ja aus der Sichtweise eines "Königs der Lüfte"...

Ich bin es leid, ständig nur was lesen zu müssen, wie schlecht doch die Menschheit ist. Ja, was? Sollen wir singend um Lagerfeuer tanzen und das "Back to nature"-Programm durchziehen?

Wie schlecht der Mensch doch ist, das kann jeder schreiben. Aber gleichzeitg Lösungsvorschläge miteinzubringen, scheint wohl schwieriger zu sein.

Zum Thema Krieg halte ich mich jetzt mal raus, da gibt es bereits ´nen Thread.

So denn

Poncher

 

Hallo ihr beiden!

<IMG SRC="smilies/cwm15.gif" border="0"> Zunächst einmal zur Geschichte. Es wird deutlich das angeblich die Natur um den Menschen trauert und besorgt ist. Ich finde es ist wohl eher genau anders herum. Der Mensch macht sich wegen seiner selbst um die Natur sorgen. Es war schliesslich auch ein Mensch der sich so eine Geschichte ausgedacht hat (bei allem nätigen Respekt an Iwahn). Es scheint als ob wir Menschen uns selbst für fremd und außergewöhnlich halten. Sind wir nicht gleichfalls aus dieser Natur entsprungen und haben unser Ebenbild zum Gott erkohren, der sich die Natur zu nutze machen kann? Wir sind Representanten der Natur, Botschaftler im Weltraum, die trotz allen ihren Möglichkeit von der Nabelschnur "Natur" abhängig sind. Vielmehr sind wir also Zweck dieser Natur.

<IMG SRC="smilies/cwm13.gif" border="0"> Die Kurzfristigkeit des menschlichen Erschaffens, die in der Geschichte erwähnt wird, ist ein weiteres Indiz dafür, dass wir viel verändern können, aber nur weil wir uns als natürliche Wesen auch verändern. Wenn wir in unsere Vergangenheit blicken wollen, dann sehen wir das bereits "Gras über die Sache gewachsen ist". Man könnte das noch weiter führen...

<IMG SRC="smilies/cwm21.gif" border="0"> Der natürliche Protagonist der Geschichte wirkt stark misanthropisch und verhält sich zunächst nicht besser als die Menschen selbst. Den Schluss finde ich sehr verwirrend.

Denn was der Mensch zerstörte, das vermag kein Tier zu reparieren.
Mal davon abgesehen das der Mensch auch als Tier beschrieben wurde, was ein weiteres Mal auf eine vom Menschen ersonnene Geschichte andeutet. Woher weis dieses Tier, dass seine Entscheidung der Grund für eine Besserung ist? Es ist wohl nur eine Andeutung für die Hoffnung der Natur.

:rolleyes: Wie Poncher bereits sagte, mehr als sich ein weiteres mal über seine Umwelt gedanken zu machen schafft die Geschichte nicht. Du hättest bei deiner Geschichte den Hoffnungsschimmer stärker herausstellen sollen. Denn, dient unser Selbsterhaltungstrieb nicht eher der Natur als uns selbst? Würden wir nicht unser Leben für den letzten Baum mit Früchten aufopfern?

 

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