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Körperangst

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24.01.2004
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Körperangst

Ich schwebe durch Welten, die ich selber bin, zerfließe, schwimme auf Plasmaströmen, während die Erinnerung an meinen Körper im Meer brodelnder Farben zerkocht. Ich bin grenzenlos, schwerelos, unendlich. Ich bin Geist, alles ist Geist und der Geist bin ich. Sterne flackern auf und vergehen, verpuffen wie Feuerwerk in meiner Größe. Ich treibe Wolkenbergen entgegen, die sich am Horizont auftürmen und plötzlich sinke ich, tiefer und tiefer, gleite in einen senkrechten Schacht, sehe Wände vorbei rasen, während ich kribbelnd in Arme sickere, in Beine und Füße, die auf dem Boden kleben. Dann ist es vorbei.
Ich öffne meine Augen und starre in die stickige Dunkelheit, die mit jedem Atemzug stickiger wird. Die Luft steht wie Pfützenwasser im engen Wohnzimmer. Ich will nicht atmen müssen, aber ich atme, veratme. Ich huste, mein Hals kratzt.
Unten zersplittert das Glas der Eingangstür, Schritte knirschen im Treppenhaus. Er ist immer noch da.
Ich mache Licht und sehe zur Uhr, obwohl ich weiß, dass es Viertel nach eins ist. Wie vor dem Trip. Wie vor jedem Trip. Wie immer.
Etwas knistert unter meinem Fuß. Ich lehne mich langsam nach vorne, ziehe einen kleinen Plastikbeutel unter meiner Sohle hervor und halte ihn gegen das Licht. Der kümmerliche Ketaminrest, der weißstaubig an der Innenseite klebt, wird höchstens noch für ein leichtes Kribbeln in der Nase reichen. Wenn überhaupt. Ich werfe das Tütchen auf den Tisch und lausche. Im Treppenhaus ist es still, aber nicht auf der Straße. Auf der Straße ist es niemals still.
Ich zerreiße ein Taschentuch und stopfe mir die Klümpchen in die Ohren, doch ich höre es immer noch. Gedämpft zwar, wie aus weiter Ferne, dennoch ist es zu laut, zu nah. Ich höre das Klack, Klack, Klack, Klack hunderter Sohlen im Takt der Pauken, Posaunen, die nach Rost klingen, die Luft zerschneiden wie stumpfe Brotmesser. Sie marschieren vorbei, doch ich will vergessen, dass sie vorbei marschieren.
Der Fahrstuhl dröhnt und quietscht, fährt nach unten. Er gönnt uns keine Ruhe, will uns zermürben.
Ich greife nach einer Plastikflasche und trinke einen Schluck Leitungswasser. Mein Magen fühlt sich an wie ausgepumpt. Ich werde schwächer und schwächer, während er stärker wird. Wir haben keine Chance gegen ihn. Er wird gewinnen, wird uns auf die Straße treiben.
Ich strecke meine Hand aus, drücke die Klebestreifen fest, die das Fenster wie eine Haut aus Gummi bedecken.
Draußen hämmern dumpf die Pauken, Schritte prasseln, Posaunenklänge wehen vorbei. Monotones Fließen. Ohne Pause, ohne Veränderung.
Ich brauche Stoff, um das alles wenigstens für einen Moment vergessen zu können, auch wenn ich meine Wohnung dafür verlassen muss. Die Bedrohung durch ihn gegen die Bedrohung durch ein leeres Tütchen. Und das Tütchen gewinnt immer.
Ich stehe auf und schlurfe in den Flur. Der Schlüssel ächzt im Schloss, die Tür quietscht. Ich luge durch den Spalt auf den Gang hinaus. Die Geräusche der Straße hallen mir entgegen, sind lauter, als in der Wohnung. Ich schiebe mich in das bleiche Neonlicht, klemme einen Korken zwischen Tür und Schwelle und pule die Taschentuchkügelchen aus meinen Ohren.
Pfeifen leiert gedämpft durch den leeren Flur. Er scheint sich irgendwo in den unteren Stockwerken herumzutreiben.
Ich schleiche durch den Gang, erreiche die Treppe, die neben dem Fahrstuhl nach unten führt, greife nach dem Geländer, setze meinen Fuß vorsichtig auf die erste Stufe, steige langsam hinab.
Die Fahrstuhlmotoren jaulen auf. Er fährt nach oben.
Ich beschleunige meine Schritte, stolpere in den zweiten Stock, eile durch den Gang, stoppe vor einer Wohnung, klopfe leise gegen die Tür und warte, lausche angestrengt. Nichts. Ich wische mir den Schweiß aus den Augen und klopfe wieder, diesmal lauter und erschrecke, als mein Faustschlag durch das Treppenhaus dröhnt. Mein Herz rast und ich fühle mich, als würde ich bei Gewitter auf offenem Feld stehen, will mich irgendwo verkriechen.
Schritte auf der Treppe. Er kommt.
Ich hämmere gegen das Holz, trete und rufe, bis ich den Schlüssel im Schloss höre.
Schnaufen und Keuchen steigen herab. Er lässt seine Finger über die Metallstreben des Geländers rattern wie ein Gefängniswärter den Schlagstock über Gitterstäbe.
„Beeil dich.“ Ich schreie.
Die Tür öffnet sich einen Finger breit.
„Lass mich rein.“
Ich sehe seinen Schatten auf dem Treppenabsatz, sehe, wie er auf die Wand trifft und an ihr wächst.
„Das Kennwort.“
„Scheiß auf das Kennwort. Er kommt, verdammt.“
Seine Schuhe erscheinen hinter den Streben, seine Hose, seine Hüften. Er erreicht den Treppenabsatz. Sohlen quietschen auf Beton, eine Hand legt sich klatschend auf das Geländer. Ich drehe mich weg, will sein Gesicht nicht sehen.
„Das Kennwort“, flüstert es durch den Türspalt.
Ich packe in meine Hosentasche, ziehe ein Stück Papier heraus und falte es hektisch auseinander.
Sein Atem zischt wie Druckluft. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie er von der letzten Stufe tritt.
„Nun mach schon.“ Das Blatt zittert in meiner Hand, hinter der Tür knistert Papier
„Nummer dreißig.“
Mein Finger hastet über die Liste, stoppt kurz vor ihrem Ende.
„Dorian Gray“, schreie ich.
Er keucht mir den Gestank von faulenden Blumen entgegen, hat mich fast erreicht, da wird die Tür aufgerissen und ich stolpere in den Flur. Hinter meinem Rücken kracht es, dann dreht sich der Schlüssel im Schloss.
Ich stütze mich schweratmend an der Wand ab, kämpfe gegen das Schwindelgefühl an.
„Du paranoides Arschloch.“
„Man kann nie vorsichtig genug sein.“ Heinrich schließt die Tür ab, faltet ein Blatt Papier zusammen und steckt es in die Brusttasche seines weißen Kittels. „Komm rein und setz dich.“
Ich folge ihm schwankend ins Wohnzimmer und lasse mich auf sein Sofa fallen.
„Was darfs sein?“
„Das Übliche.“
Er geht zu einem Pappkarton, klappt den Deckel zurück, kramt ein Tütchen heraus und wirft es auf den Tisch.
„Du ziehst das Zeug schneller weg als ein Staubsauger.“ Heinrich lacht hustend.
Ich greife in meine Hosentasche, ziehe ein paar zerknüllte Geldscheine heraus, zähle ab, drücke sie ihm in die Hand und fische das Tütchen von der Tischplatte.
Er nickt und grinst mir seine verfaulten Zähne ins Gesicht.
„Wofür brauchst du hier eigentlich Geld“, frage ich.
„Wer weiß.“ Heinrich zuckt mit den Schultern. „Wer weiß.“
Ich stopfe mir das Tütchen in die Tasche und starre auf meinen Finger, der Kreise auf die Tischplatte schmiert.
„Das geht nicht mehr lange so weiter“, sage ich. „Früher oder später müssen wir aufgeben.“
„Nicht, solange wir genug davon haben.“ Er stupst den Karton an, dreht sich weg und hustet in ein Taschentuch.
„Davon werden wir aber nicht satt. Wir sind halb verhungert.“ Ich sehe ihn an. „Oder krank.“
„Und was sollen wir deiner Meinung nach tun? Bettlaken an Besenstielen schwenken und uns ihm ausliefern?“
„Auf kurz oder lang wird uns nichts anderes übrig bleiben.“ Ich lehne mich zurück. „Es gibt keinen Ausweg.“
Heinrich kratzt sich am Kopf und geht zur Fensterbank, während ich ächzend aufstehe.
„Bleib sitzen“, sagt er „Ich möchte dir etwas zeigen.“
Ich sinke zurück aufs Sofa.
„Und was?“
Heinrich greift nach zwei Fernbedienungen, die auf dem Fensterbrett liegen. Der Fernseher springt an, ein Kriegsfilm füllt flackernd den Raum. Schüsse und Explosionen, ein sterbender Soldat spuckt Blut und letzte Worte auf den Boden des Schützengrabens, Geigen heulen und ein Kamerad schwört Rache, beteuert, dass sein Tod nicht umsonst war, während der Gefallene blinzelt.
„Moment“, sagt er und schaltet um.
Schwarzweißbild, Ton wie von einem alten Grammophon. Jemand steht an einem Pult, eine Texteinblendung macht ihn zum Schriftsteller, während er den Blick auf ein Buch senkt, Totentanz sagt, sich räuspert und zu lesen beginnt.
Das Bild wird schwarz, der Videorekorder springt surrend an.
„Das hab ich mit meiner Kamera aufgenommen.“ Heinrich setzt sich neben mich.
Eine verwackelte Draufsicht der Straße erscheint auf dem Bildschirm. Menschen marschieren im Gleichschritt über den Asphalt, gehen gebückt, von Posaunisten und Trommlern flankiert.
„Was soll das?“ Ich lehne mich nach vorne.
„Pass auf“, sagt er und erhöht die Lautstärke, bis der Fernseher die Geräusche von der Straße übertönt. Ich höre das Klack, Klack, Klack, Klack hunderter Sohlen im Takt der Pauken, Posaunen, die nach Rost klingen, die Luft zerscheiden wie stumpfe Brotmesser. Die Lautsprecher schraulen, während die Straße schweigt, dann stoppt das Band, spult zurück und beginnt von vorne.
„Sieh es dir an.“ Heinrich springt auf und klopft gegen den Bildschirm. „Der Marsch existiert nicht. Und weißt du, warum er nicht existiert?“
Ich schüttele den Kopf.
Er kommt zum Sofa zurück und presst mir den Zeigefinger auf die Brust.
„Weil die Bilder ihn ersetzt haben.“ Der Videorekorder spult lautstark. „Er existiert nicht. Nur diese Aufnahme. Nur diese ...“
Ein Klopfen unterbricht ihn. Er nimmt den Zeigefinger von meiner Brust und watschelt rückwärts um den Couchtisch herum.
„Nur diese Aufnahme“, wiederholt er, dann dreht Heinrich sich um und eilt zur Tür.
Ich höre ihn nach dem Kennwort fragen, stehe auf, gehe zum Fernseher. Die Boxen dröhnen, Menschen marschieren, hasten zurück und marschieren wieder. Ich starre auf den Bildschirm und für einen Augenblick vergesse ich die Bedrohung.
„Nimm Platz“, sagt Heinrich und führt einen Mann herein, der mich nickend begrüßt und zwei Tütchen verlangt.
„Wohin marschieren sie eigentlich“, frage ich.
„Von hier ...“, sagt Heinrich und fährt mit seinem Finger über das Glas, von einem Bildschirmrand zum anderen, „... nach da. Und wieder zurück.“
Ich reiße mich vom Fernseher los, gehe in den Flur. Er folgt mir, schließt die Tür auf, öffnet sie ein Stück, sieht hinaus und seufzt.
„Das Licht ist ausgefallen“, sagt er und löst eine Taschenlampe von seinem Gürtel. „Warte.“
Heinrich schiebt die Lampe durch den Türspalt und streckt den Kopf hinterher.
„Scheint sicher zu sein“, flüstert er.
Ich drücke ihn beiseite und betrete den Hausflur.
„Ich leuchte dir, bis du bei der Treppe ...“ Sein Husten unterbricht ihn. Er dreht den Kopf zur Seite und presst das Taschentuch gegen seine Lippen.
Ein Geräusch hinter mir. Ich fahre herum, sehe im Augenwinkel etwas durch den Lichtkegel huschen, reiße den Mund auf, doch werde umgestoßen, bevor ich schreien kann. Ich pralle gegen die Wand, sinke benommen zu Boden. Irgendwo neben mir kreischt Heinrich. Ich versuche, meinen Oberkörper hochzustemmen, doch ein stechender Schmerz lässt meinen rechten Arm einknicken. Ich wimmere, während Heinrichs Stimme wie durch Watte an mein Ohr dringt.
„Wie hoch ist dein Preis“, höre ich ihn sagen. „Nimm es. Nimm es. Ich habe genug Geld. Hier.“ Dann schreit er wieder.
Ich rolle mich auf die Seite, drücke mich mit dem linken Arm hoch, bis ich aufrecht sitze.
Glas klirrt. Heinrichs Kreischen wird leiser und verstummt abrupt, dann kreischt auch der Andere.
Ich erhebe mich langsam, den Rücken an die Wand gepresst, stehe schwankend.
In der Wohnung zerbricht etwas krachend. Weg hier, bevor er zurück kommt.
Ich hebe die Taschenlampe auf, die an der Türschwelle liegt, schleppe mich zum Fahrstuhl und drücke auf den Knopf. Brummen sinkt den Schacht hinab. Ich schalte die Lampe ab und fixiere die bleiche Lichtlache, die aus Heinrichs Wohnung sickert.
Der Fahrstuhl wird langsamer und hält an. Ich steige ein, hämmere auf dem Knopf für das fünfte Stockwerk herum.
Ein Schatten fließt in die Lache, kurz bevor sich die Tür rumpelnd schließt. Ich greife mit der linken Hand nach der Haltestange. Die Kabine wackelt und quietscht, während sie nach oben kriecht. Vermutlich ist er schon auf der Treppe. Ich hebe meinen Arm, um mir die Haare aus dem Gesicht zu streichen, schreie auf und lasse ihn wieder sinken.
Der Fahrstuhl bremst ab, die Tür öffnet sich quälend langsam, der Gang dahinter wächst ruckelnd in die Breite. Ich lasse die Taschenlampe fallen und humple aus dem Fahrstuhl. Wenigstens funktioniert hier das Licht.
„Bleib stehen.“
Ich erkenne seine Stimme, ohne sie jemals zuvor gehört zu haben. Heiser und brüchig, wie mühsam durch Stahlwolle gepresst. Er ist hinter mir.
Ich laufe los, stolpere, erreiche taumelnd meine Wohnung, stoße die Tür auf, trete den Korken weg, schlage sie zu, doch Holz klatscht gegen Fleisch.
„Es hat keinen Sinn. Du kannst nicht entkommen.“
Ich haste zum Fenster, reiße mit dem unverletzten Arm die Klebebandschicht ab.
„Wo willst du hin?“
„Verschwinde.“ Ich brülle gegen das Hämmern meines Herzens an.
Er lacht und es klingt wie Röcheln. Vielleicht lacht er auch nicht.
Ich schüttele das klebrige Knäuel von meiner Hand, greife zur Zugschnur. Die Jalousie ruckt nach oben.
Ich reiße das Fenster auf und blicke flüchtig über meine Schulter. Er steht wie ein Schatten in der Tür. Schweiß läuft über mein Gesicht, ich fühle mich, als würde ich schmelzen.
„Wie ich sehe, weißt du, dass der Weg, den du gehst, der einzige Weg ist, den du gehen kannst.“
Bleischwere Schritte hinter meinem Rücken. Er kommt näher.
Ich schwinge die Beine aus dem Fenster, taste mit meinen Füßen nach dem Sims, rutsche von der Fensterbank und sehe die Straße unter mir, sehe Menschen im Schatten der Häuser vorbei ziehen, spüre den dröhnenden Rhythmus der Pauken in meinem Unterleib, schließe die Augen und schluchze. Ich will zurück.
„Finde dich damit ab.“ Sein Atem flüstert mir ins Ohr.
„Verschwinde“, sage ich noch einmal
Er lacht und sein Lachen stinkt nach Verwesung, dann versetzt er mir einen Stoß in den Rücken.
Ich grabsche nach der Fensterbank, doch mein Oberkörper kippt nach vorne. Meine Arme rudern, während ich versuche, mein Gewicht nach hinten zu verlagern, doch es zieht mich in die Tiefe. Meine Füße rutschen vom Sims, und ich stürze kopfüber der Straße entgegen.

*

Ich fühle mich, als wäre ich mein ganzes Leben lang gelaufen, eingeklemmt in den Menschenstrom, der sich ohne Pause vorwärts bewegt. Mein Kopf brummt, meine Füße protestieren schmerzend gegen jeden Schritt, bewegen sich wie automatisch im Takt der Pauken. Ich spüre nur noch ihre dumpfen Schläge. Hören kann ich die Trommeln schon lange nicht mehr, ihr ständiges Gedröhne hat mich taub werden lassen.
Ich starre auf den kahlen Hinterkopf meines Vordermannes, der auf seine Schuhe starrt. Es ist nicht mehr weit, hinter jeder Kurve kann der Weg zuende sein. Ich sehe bereits den Rauch der Maschine, der schwer über den Häusern liegt.
Als ich noch hören konnte, erzählte man sich, sie sei eine Art Reißwolf, ein gewaltiges Ungetüm aus Metall. Niemand scheint ihren Konstrukteur zu kennen, niemand kennt ihren Zweck. Nach allem, was ich weiß, muss sie etwas Fremdartiges, Böses sein, etwas, das nicht von dieser Welt stammt. Was auch immer sie ist, ich gehe direkt darauf zu.
Kinder spielen am Straßenrand, ohne uns zu beachten. Ich blicke nach oben. Der Himmel ist blau, obwohl er grau sein müsste, die Sonne scheint, obwohl ich mich nach Regen fühle. Mir kommt es vor wie Hohn.
Mein Vordermann dreht sich um, bewegt stumm seine Lippen. Ich erahne, was er sagt. Die Maschine. Wir sind kurz davor. Auch ich drehe mich um, sehe einen Teil des Weges, den ich zurückgelegt habe. Was kommt, hat keine Relevanz mehr. Ich gehe rückwärts, bemerke die Häuser und Bäume in dem Augenblick, in dem ich sie passiere, gehe vorbei und sehe, wie sie ein Teil der Straße werden, die ich entlang gegangen bin. Ich marschiere rückwärts. Schritt für Schritt für Schr...

 

So ganz zufrieden bin ich mit der Geschichte noch nicht. Ich hatte aber leider keine Zeit, die Story ruhen zu lassen, um sie mit etwas Abstand noch mal zu überarbeiten, da ich sie für eine Ausschreibung angefertigt habe, die heute (also am 31.) endet.

 
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Hallo MrPotato!

Ein schwieriger, aber äußerst interessanter Text. Er übt einen Sog aus, dem man sich nicht entziehen kann. Besonders gelungen fand ich die Szenen, wo der Ich-Erzähler verfolgt wird, wirklich beeindruckend. Erinnert an Film-noir-Szenen.
Die Spannung des Textes lebt von den Auslassungen: Vieles bleibt im Dunkeln, man weiß nicht, wie die ganze Situation, in die der Protagonist geraten ist, zustande kam.
Aber da ist noch der Titel, und vielleicht ist der Text ja eine Parabel darauf, dass wir alle Gefangene oder Verfolgte unseres Körpers sind: Am Beginn, als der Held noch am Trip ist, ist er frei, ist er nur Geist, „grenzenlos“. Während die Mühsal des Körpers uns knechtet, wir immer in der gleichen Sequenz gefangen sind, immer wieder von vorne beginnen müssen. Der einzige Weg, dem zu entkommen, wie in der Szene am Fensterbrett angedeutet, ist der Selbstmord.

Mein Magen fühlt sich an wie ausgepumpt. Ich werde schwächer und schwächer, während er stärker wird. Wir haben keine Chance. Er wird gewinnen, wird uns auf die Straße treiben.
Hier z.B ist es unentschieden, worauf sich das „er“ bezieht, eben auf den geheimnisvollen Verfolger im Haus oder auf den Magen. Der Hunger treibt uns immer auf die Straße, unsere leibliche Existenz zwingt uns dazu, den Marsch des realen Lebens mitzugehen. Und diese Existenz ist „monoton“, keine Möglichkeit zur Transzendenz
Dann noch die Szene, als Heinrich die Videosequenz vorspielt. Wenn ich meiner Interpretation weiter folge, dann heißt das, dass wir nur in den Medien Unsterblichkeit erlangen können, nur in den Bildern, nicht als körperliche Existenz. Naja, sorry, wenn das alles zu verstiegen ist. ;)

Jedenfalls ein äußerst spannender, anregender Text!

Finger bewegen sich und ich erkenne
Komma: ...sich, und...
viertel nach eins ist
groß: Viertel
ziehe ein kleinen Plastikbeutel
einen kleinen Plastikbeutel
die Luft zerscheiden wie stumpfe Brotmesser
zerschneiden - weiter unten ist der gleiche Fehler nochmals
vorbei marschieren
zusammen: vorbeimarschieren
Ich schiebe mich in das bleiche Neonlicht klemme einen Korken zwischen Tür
Komma: ...Neonlicht, klemme...
Treppeabsatz
Treppenabsatz
ein sterbender Soldat spuckt Blut und letzte Wort auf den Boden des Schützengrabens
letzte Worte
eine Texteinblendung macht ihm zum Schriftsteller
ihn
und zu Lesen beginnt
klein: lesen
Die Marsch existiert nicht.
„Die“ - hat das etwas zu bedeuten oder nur ein Fehler???
hoch zu stemmen
zusammen: hochzustemmen
Wie ich sehe weißt du
Komma: ...sehe, weißt du
Meine Arme rudern während ich versuche
Komma: ...rudern, während...
Meine Füße rutschen vom Sims und ich stürze kopfüber der Straße entgegen
Komma: ...Sims, und ich...
den ich zurück gelegt habe
zusammen: zurückgelegt

Hab mich beeilt, weil ja heute das Ende der Frist ist, es gäbe wahrschenlich noch viel zu deinem Text zu sagen! :)

Gruß
Andrea

 

Hi Andrea,

vielen Dank für deine sehr schnelle Kritik. Freut mich sehr, dass es dir gefallen hat. :)

Deine treffende Interpretation deckt sich fast zu hundert Prozent mit meiner, nur, dass ich keinen Selbstmord im Sinn hatte. Hätte ich nicht besser zusammenfassen können.

Wenn ich meiner Interpretation weiter folge, dann heißt das, dass wir nur in den Medien Unsterblichkeit erlangen können, nur in den Bildern, nicht als körperliche Existenz.

Genau. Außerdem löschen die Medien die Realität des Todes mMn aus. Ich sehe in der medialen Beschäftigung mit dem Thema also den Versuch seiner Verdrängung.

Deine Korrekturen werde ich umgehend einarbeiten.


LG,

Tobias

 

Hi lea,

das sind auch die Dinge, die mich noch etwas stören. Einige Sätze gefallen mir nicht, teilweise halte ich den Textrhythmus nicht für Ideal usw.
Das Problem ist der fehlende Abstand. Solche Dinge fallen mir in der Regel eher auf, wenn ich den Text erst ein wenig ruhen lasse.

Ich werde deine Vorschläge überdenken und den Text dahingehend nochmal überarbeiten.

LG,

Tobias

 

Tach MrPotato!

Na was haben wir hier? Eine sehr wirre, sprachlich stellenweise ganz gute und vor allem: nicht aufgeklärte Geschichte.
Die von den beiden Vorkritiken bekrittelten Sachen mit den Füllwörtern und unwichtigen Nebensätzen haben auch mir manchmal den Fluss genommen.
Außerdem ist - zumindest bei mir - bei der Aufwachszene aus dem Trip ein Rythmuswechsel drin, der mich irgendwie gestört hat. So, als wäre ein Lied aus dem Takt gekommen. Vielleicht ist das auch gewollt.
Stellenweise fand ich ein paar Vergleiche komisch der unpassend, aber das is mein persönlicher Eindruck. Hier zB

Ich wimmere den Boden nass,...
Den Boden nasswimmern mag mir nicht gefallen, dies nur als Beispiel.

So, bevor du jetzt denkst, dass is eine Negativkritik, muss ich dir sagen, dass mich eine Erzählung von Anfang an in ihren Bann gezogen hat. Ich wollte immer wissen, wie es weitergeht. Dass es keine Auflösung gibt finde ich insofern wieder gut, weil sich dann jeder seine eigene Interpretation machen kann und diese nicht kaputtgemacht wird.

Gruß,
One

 

Hi one,

danke für deine Kritik.

Die von den beiden Vorkritiken bekrittelten Sachen mit den Füllwörtern und unwichtigen Nebensätzen haben auch mir manchmal den Fluss genommen.

Kannst du da vielleicht ein paar Beispiele nennen, damit ich ungefähr weiß, wo es hängt?

Außerdem ist - zumindest bei mir - bei der Aufwachszene aus dem Trip ein Rythmuswechsel drin, der mich irgendwie gestört hat. So, als wäre ein Lied aus dem Takt gekommen. Vielleicht ist das auch gewollt.

Das ist schon so gewollt. Der Trip soll sich ja etwas abheben.

So, bevor du jetzt denkst, dass is eine Negativkritik, muss ich dir sagen, dass mich eine Erzählung von Anfang an in ihren Bann gezogen hat. Ich wollte immer wissen, wie es weitergeht. Dass es keine Auflösung gibt finde ich insofern wieder gut, weil sich dann jeder seine eigene Interpretation machen kann und diese nicht kaputtgemacht wird.

Das freut mich. :)


LG,

Tobias

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey Mr.Potato,

Ich treibe in Nebel, die sich lichten
„Nebeln“ oder „ ,der sich lichtet“

aber ich atme, veratme
Ich verstehe das „veratme“ nicht. Ist es an „sich verschlucken“ angelehnt? Wäre dann nicht ein „veratme mich“ besser?

Posaunen, die nach Rost klingen, hohl und leblos, die Luft zerschneiden wie stumpfe Brotmesser.
Ich finde die Konstruktion nicht so gut, das „Posaunen“ wird durch die Last der Attribute erdrückt.

Die Bedrohung durch ihn gegen die Bedrohung durch ein leeres Tütchen.
Hm, eigentlich eine ganz tolle Stelle, aber das „gegen“ stört mich in diesem Satz. Vielleicht eine ausführlichere Beschreibung.

„Du paranoides Arschloch.“
Sehr schöne Stelle.

Wir sind halb verhungert.“ Ich sehe ihn an. „Oder krank.“
Hmm. „Oder krank“ hört sich irgendwie schief an. „Und krank“, aber vielleicht steckt da ein tieferer Sinn dahinter.

„Bleib sitzen“, sagt er
Punkt fehlt.

Niemand scheint ihren Konstrukteur zu kennen, niemand kennt ihren Zweck.
Hier könntest du das „kennt“ einsparen.

Wow, starke Geschichte. Hat Spaß gemacht, das zu lesen. Ich liebe solche Paranoia-Geschichten mit Angst vor einem schwarzen Mann. Während man am Anfang noch denkt, es wäre die hunderste –aber zumindest sprachlich lesenswerte- Drogengeschichte, taucht dann später so ein „Fegefeuer“-Aspekt auf, der mir sehr gut gefallen hat.
Die starken Bilder: die Straße, die gesichtslosen Menschen, die Maschine – das hat wirklich alles etwas sehr Bedrohliches und Atmosphärisches.

Hat mir sehr gut gefallen, Kompliment
Quinn

 

Hi Quinn,

auch dir vielen Dank für deine Kritik!

„Nebeln“ oder „ ,der sich lichtet“

Habe die Nebel ganz gestrichen.

Ich verstehe das „veratme“ nicht. Ist es an „sich verschlucken“ angelehnt? Wäre dann nicht ein „veratme mich“ besser?

Ich meine "Veratmen" im Sinne von "Verbrauchen".

Ich finde die Konstruktion nicht so gut, das „Posaunen“ wird durch die Last der Attribute erdrückt.

Gefällt mir inzwischen auch nicht mehr. Habe "hohl und leblos" gestrichen.

Hier könntest du das „kennt“ einsparen.

Stimmt, aber dann gefällt mir der Rhythmus nicht mehr wirklich.

Ich liebe solche Paranoia-Geschichten mit Angst vor einem schwarzen Mann.

Ja, ich habe auch eine Vorliebe für "Auf engstem Raum mit dem Feind/Monster/Wasauchimmer"-Geschichte. Und "engster Raum" ist hier sogar wörtlich zu nehmen. :D

Vielen Dank für dein Lob. :)

LG,

Tobias

Nochmal danke an alle Kritiker. Ich habe die Geschichte gründlich überarbeitet und einige Stellen ein wenig abgeändert (der Anfang wurde zum Beispiel gestrafft).

 

Hi Potato


Nur kurz von mir: Auch mir hat die Story gut gefallen, ich freue mich auch immer wieder etwas von dir zu lesen. Nicht nur, dass deine Storys immer gut geschrieben sind, du hast auch dieses Geschick, die Realität um einige Zentimeter zu verschieben.
Zudem hab ich eine Zeit lang nichts wirklich Gutes hier gelesen, bei dir kann man sich so ziemlich darauf verlassen, dass die Geschichten Spaß machen. *g*

So wie ich das verstehe, steht der Prot eigentlich schon kurz vorm Tod (nach verfaulten Blumen riechendes "Etwas" ... Blumen die am Grab vermodern?), egal ob durch Selbstmord oder durch die Drogen. Die Welten schwappen über, und alles, was er noch wahrnimmt, ist ein Gemisch von Leben und Tod.


Wie gesagt, hat mir gefallen. Und ich drück dir die Daumen für die Ausschreibung!


Tamira

Überreste:

Sie marschieren vorbei, doch ich will vergessen, dass sie vorbei marschieren
Der Satz ist ziemlich ungelenkt. Absicht?

Ich greife nach einer Plastikflasche und trinke einen Schluck Leitungswasser.
Schön, wie du mit diesem einen Satz ohne Holzhammer zeigst, dass er wohl selten das Haus verlässt.

Er keucht mir den Gestank von faulenden Blumen entgegen, hat mich fast erreicht, da wird die Tür aufgerissen und ich stolpere in den Flur.
?

 

diese Geschichte gefällt mir wirklich sehr gut! Besonders der Schluss hat es mir angetan.
Ein paar Mal hatte ich das Gefühl, dass du etwas unscharfe Wörter verwendest, zum Beispiel bei der Tür, die gegen Fleisch klatscht.

Ich grabsche nach der Fensterbank, doch mein Oberkörper kippt nach vorne. Meine Arme rudern, während ich versuche, mein Gewicht nach hinten zu verlagern, doch es zieht mich in die Tiefe. Meine Füße rutschen vom Sims, und ich stürze kopfüber der Straße entgegen.
Diese Sätze klingen für mich sehr umständlich. Kürzer wäre meiner Ansicht nach besser.

Hat mir gut gefallen!

 

Hi Tamira,

Nur kurz von mir: Auch mir hat die Story gut gefallen, ich freue mich auch immer wieder etwas von dir zu lesen. Nicht nur, dass deine Storys immer gut geschrieben sind, du hast auch dieses Geschick, die Realität um einige Zentimeter zu verschieben.

Danke. Sowas hört man als Autor natürlich immer gerne. :)

So wie ich das verstehe, steht der Prot eigentlich schon kurz vorm Tod (nach verfaulten Blumen riechendes "Etwas" ... Blumen die am Grab vermodern?), egal ob durch Selbstmord oder durch die Drogen. Die Welten schwappen über, und alles, was er noch wahrnimmt, ist ein Gemisch von Leben und Tod.

Auch eine interessante Interpretation.

Der Satz ist ziemlich ungelenkt. Absicht?

Natürlich. Der, äh, Verfall des Körpers soll sich im Verfall der Sprache widerspiegeln und ... *hüstel*
Na, du weißt schon. Klingt es komisch, hat es einen Sinn. Das gilt natürlöich auch für Rechtschreibfehler. :D
Mit anderen Worten: ich werde mir einen besseren Satz einfallen lassen. Der scheint wirklich nicht ganz zu passen.


Ert stolpert in den Flur von Heinrichs Wohnung.

LG,

Tobias


Hi Schrei Bär,

diese Geschichte gefällt mir wirklich sehr gut! Besonders der Schluss hat es mir angetan.

Danke. :)

Ein paar Mal hatte ich das Gefühl, dass du etwas unscharfe Wörter verwendest, zum Beispiel bei der Tür, die gegen Fleisch klatscht.

Hmmm ... was könnte ich da als Alternative benutzen? Das Wort sollte ja auch mehr auf das Geräusch hinweisen, das verursacht wird.

Diese Sätze klingen für mich sehr umständlich. Kürzer wäre meiner Ansicht nach besser.

Schon richtig. Ein etwas schnelleres Tempo wäre der Situation wahrscheinlich eher angemessen.


LG,

Tobias

 

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