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Kalter Kaffee

jom

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06.09.2025
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Kalter Kaffee

„Kalter Kaffee schmeckt eben doch gut!“, fuhr er sie an und schlug dabei mit der Faust auf den gedeckten Frühstückstisch.

Sie hatte ihn gefragt, ob er ihre Tasse mit warmem Kaffee aus der Küche auffüllen könne.

„Was ist denn falsch mit dem Kaffee, der noch in deiner Tasse ist?“, fragte er sofort.

Sie betrachtete die weißen Brötchenkrümel, die sich um ihren Teller verteilt hatten und überlegte, ob sie ihm eine Antwort geben sollte. Er nahm ihr die Entscheidung ab.

„Trink doch erstmal den Kaffee aus, den du noch hast, bevor du dir direkt wieder neuen holen lässt“, schob er nach.

„Ich trinke meinen Kaffee lieber warm, und der in meiner Tasse ist kalt“, erwiderte sie.

„Warum?“

Sie ließ die Frage einige Sekunden in der Luft vor sich verharren, bevor sie antwortete.
„Warum ist mein Kaffee kalt oder warum trinke ich ihn lieber warm?“

Diesmal ließ seine Antwort auf sich warten. Sie riss sich von den Brötchenkrümeln auf der Tischdecke los und beobachtete ihn für einige Sekunden dabei, wie er sie anstarrte. Als sie die Augen wieder niederschlug, bemerkte sie wie ihre Schultern fast unmerklich nach unten sackten. Nach einem weiteren Moment des Abwartens, in dem er ihre Frage noch immer nicht beantwortet hatte, begann sie sich von ihrem Stuhl zu erheben und dabei nach ihrer Tasse zu greifen.

„Wohin gehst du?“

Sie ließ sich auf ihren Stuhl zurückfallen.

„Ich möchte mir frischen Kaffee holen.“

Sie blickte ihn wieder an. Er hatte sich auf seinem Stuhl zurückgelehnt und den Kopf zur Seite geneigt. Er sah sie mit genau dem Blick an, den sie erwartet hatte und der sie dennoch jedes Mal aufs neue überraschte, weil sie dachte, dass sie sich doch eigentlich schon an ihn gewöhnt haben müsste und immer wieder realisierte, dass sie es eben nicht hatte.
Sie drehte ihren Kopf schnell nach unten und schaute auf seine Tasse. Sie war leer.

„Soll ich dir auch frischen Kaffee mitbringen?“

Er sagte nichts. Sie wusste, dass er sie weiterhin anstarrte.
Wenige Sekunden später hörte sie ihn aufschnauben und nach der Zeitung greifen, die sie jeden Morgen aus dem Briefkasten holte und an seinen Platz auf den von ihr zuvor gedeckten Frühstückstisch legte.
Sie erhob sich langsam, während sie noch immer auf seine leere Tasse schaute. Er tat so, als sei er in seine Zeitung vertieft als sie sich mit ihrer eigenen Tasse auf den Weg in die Küche machte. Sie spürte den Blick, den er ihr im Vorbeigehen zuwarf.
Als sie die Schwelle zur Küche übertreten hatte, hörte sie ihn ihr zurufen, dass er doch gerne frischen Kaffee gebracht bekäme. Sie drehte sich wortlos um, ging die Schritte zu seinem Platz zurück und griff sich seine leere Kaffeetasse. Ihre Lippen erwiderten das Lächeln, das seine Lippen ihr zuwarfen.

„Danke.“

„Gerne.“

Sie versuchte den Kaffee so leise einzuschenken, dass sie währenddessen hören konnte, was er im Esszimmer tat und so langsam, dass sie Zeit haben würde, sich zu überlegen, wie sie darauf reagieren wollte. Vom Frühstückstisch drang kein Rascheln in die Küche. Sein Stuhl knarzte nicht.
Sie war sich sicher, dass die Worte „Danke“ und „Gerne“ zu leicht gewesen waren, um dieses Gespräch zu beenden. Sie wünschte sich, es wäre nicht so. Sie hatte bisher nicht herausgefunden, wie sie diesen Wunsch Realität werden lassen konnte.
Sie füllte seine Tasse zuerst, stellte sicher, dass sie bis zu dem Punkt befüllt war, zu dem sie sie früher an diesem Morgen bereits einmal gefüllt hatte. Der restliche Kaffee reichte aus, um ihre Tasse ebenfalls zu füllen.
Sie beobachtete für einen Moment den heißen Dampf, der ihr entgegenschlug. Dann nahm sie einen tiefen aber leisen Atemzug, griff die beiden Kaffeetassen, ging ein drittes Mal die Schritte zurück ins Esszimmer, stellte ihm seine Tasse hin, stelle sich ihre Tasse hin und setze sich auf ihren Stuhl. Sie wartete einen Moment - einen Moment zu lang.

„Warum trinkst du deinen Kaffee nicht, obwohl er doch jetzt schön heiß ist?“

„Er ist mir noch zu heiß. Ich möchte mir nicht den Mund verbrennen.“

„Jetzt ist der Kaffee heiß, genau so, wie du ihn wolltest. Also trink ihn auch.“ Seine ausgestreckte Handfläche zeigte auf ihre Tasse.

„Ich möchte mir nicht den Mund verbrennen.“

Seine Hand sackte auf die Tischplatte.

„Achso. Kalter Kaffee schmeckt dir nicht und heißer Kaffee auch nicht.“

„Das habe ich nicht gesagt.“

„Was hast du denn gesagt?“ Seine Antwort war so schnell gekommen, dass sie kaum Gelegenheit hatte, ihren Satz zu beenden.

„Dass ich den Kaffee ein wenig abkühlen lassen möchte, damit ich mir den Mund nicht an ihm verbrenne.“

„Pass auf, dass er nicht zu kalt wird.“

Sie sagte nichts, er schaute sie an. Seine eigene Tasse war unangerührt.

„Sonst schmeckt er dir wieder nicht.“

„Ja.“

„Was heißt das? Ja?“

„Ich habe dir zugestimmt. Du hast Recht.“

Er schwieg, schaute sie für einige weitere Sekunden an und richtete dann seinen Blick seitlich vor sich auf den Boden. Das tat er immer, wenn er darüber nachdachte, was er als nächstes zu sagen hatte. Sie setze an, einen Schluck von ihrem Kaffee zu nehmen – zu früh.

„Der Kaffee ist doch jetzt auch nicht kälter als er eben noch war.“ Sein Kopf war nach oben geschnellt.

Sie erwiderte seinen Blick mit einer ruckartigen Bewegung ihres eigenen Kopfes und schüttete ihm dann den restlichen, heißen Kaffee aus ihrer Tasse ins Gesicht. Sie holte aus und schmetterte ihm die leere Tasse zwischen die Augen, die gerade im Begriff waren, sich in Schock zu weiten. Noch bevor er anfing zu schreien, stand sie auf, ging schnellen Schrittes in die Küche, griff die gläserne Kaffeekanne, die noch immer auf der Heizplatte der Kaffeemaschine stand, und schlug sie ihm so heftig auf den Kopf, dass sie mit einem Lauten Krachen zerschellte. Sie beobachtete wie ein dünnes Rinnsal aus Blut und den letzten Tropfen des Kaffees, der noch in der Kanne verlieben war, seitlich an seinem Kopf herunterlief.

„Ich versuche nur Konversation zu machen.“

Seine Stimme riss sie zurück in die Wirklichkeit. Sie schaute ihm wieder in die Augen.
Ihre Hand umfasste noch immer die heiße Kaffeetasse, die langsam ihre Haut verbrannte. Sie hätte loslassen, oder trinken oder den Tagträumen, aus denen seine Stimme sie so unbarmherzig herausgerissen hatte, Wirklichkeit verleihen können, aber sie traf keine Entscheidung. Sie saß einfach auf ihrem Platz und ließ die Kaffeetasse weiter ihre Hand verbrennen.

„Sonst sitzen wir uns hier wieder nur schweigend gegenüber. Ich lese meine Zeitung, du starrst in die Luft und alles was am Ende ...“

„Wenn es deine Vorstellung von ‚Konversation machen‘ ist, meinen Kaffeegeschmack infrage zustellen, möchte ich diese Konversation jetzt bitte beenden. Ich trinke meinen Kaffee lieber warm“, unterbrach sie ihn.

Sein Mund öffnete sich. Und schloss sich. Und öffnete sich erneut.
Sie wusste, dass sie diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen konnte. Sie bewegte die Tasse mit dampfendem Kaffee zu ihrem Mund und nahm endlich ihren ersten Schluck. Sie ließ die Flüssigkeit ihren Mund ausfüllen und langsam seitlich an ihrer Zunge herunterlaufen, sodass sich die gesamte Bitterkeit des Kaffees vollständig entfalten konnte. Nachdem sie geschluckt hatte, verharrte die Hand mit ihrer Tasse noch einige Sekunden vor ihrem geschlossenen Mund, in einer Mischung aus Erleichterung über die unerwartete Ungestörtheit dieses ersten Schluckes und Unentschlossenheit darüber, ob sie es wagen konnte, einen zweiten Schluck zu nehmen. Sie setzte die Tasse auf dem Frühstückstisch ab. Erst jetzt erlaubte sie es sich, die Hand langsam von dem weißen Porzellan zu lösen. Sie betrachtete ihre geröteten Handflächen und wartete.
Er räusperte sich.

„Alles, was ich sage, ist, dass Kaffee nicht immer heiß sein muss, gar nicht immer heiß sein kann.“ Seine Stimme klang fast versöhnlich.

„Manchmal ist der Kaffee eben kalt und man kann nichts dagegen tun.“ Er hatte das „ist“ mit besonderem Nachdruck ausgesprochen. Seine Stimme war vom einen auf den anderen Satz drängender geworden. Das ging schnell, dachte sie sich. Der Kaffee in ihrer Tasse dampfte noch immer.

„Und das heißt, dass du deinen Kaffee auch nicht immer unbedingt heiß trinken musst! Ist das so schwer nachzuvollziehen?“ Er hatte seine linke Hand erhoben und stach seinen ausgestreckten Zeigefinger im Rhythmus seiner lauter werdenden Stimme in Richtung ihres Gesichtes, fast so als wolle er ihr seine Worte direkt durch die Stirn in ihren so uneinsichtigen Kopf drücken.

„Bloß konnten wir hier etwas dagegen tun“, erwiderte sie.

„Was?“

„Du hast gesagt, dass Kaffee manchmal eben kalt sei und dass man nichts dagegen tun könne. Bloß konnten wir hier ja etwas dagegen tun. In der Küche stand noch heißer Kaffee bereit. Ich hatte dich gebeten, ihn mir zu bringen.“

„Darum geht es doch gar nicht! " Er hatte angefangen zu schreien bevor sie ihren Satz vollständig zuende gesprochen hatte.

„Worum geht es denn dann?“

„Das habe ich doch gerade erklärt! Das habe ich dir gerade in allen Einzelheiten erklärt!“

Sie würde keine Gelegenheit mehr haben, selbst zu sprechen. Sie fragte sich, was sie vor ein paar Minuten in der Küche hätte anders machen können, um zu verhindern, dass das Frühstück den Verlauf nahm, den es genommen hatte.

„Genau das ist doch das Problem. Du hörst nicht zu, wenn ich dir etwas erkläre und deshalb hast du ständig diese unsinnigen Vorstellungen. Genau deshalb muss ich die Welt, muss ich mich immer deinen Wünschen anpassen.“ Sein Gesicht hatte dieselbe Farbe angenommen wie ihre Handfläche.

„Und ich kann darunter leiden. Ich muss es aushalten. Ich muss deine Allüren ertragen. Du gibst dich nie zufrieden bis du mich zum explodieren gebracht hast!“ Er unterstrich jedes seiner Worte, indem er mit seiner geöffneten Handfläche auf die weiße Tischdecke schlug.

„Ein für allemal: Kalter Kaffee schmeckt eben doch gut!“

Seine Faust fuhr krachend auf den Tisch nieder.

 

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